Es ist wieder soweit. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und daher wird schon überall fleißig zusammengefasst. Es ist die Zeit der mit Bildercollagen vollgepackten Magazincover und der spannendsten Award-Shows aller Zeiten. Auch wir wollen in dieser glamourösen Liste natürlich nicht fehlen. Es gab dieses Jahr genug Schlimmes, Nerviges und schwer zu Ertragendes. Deshalb soll sich hier auf positive Ereignisse und Aktionen fokussiert werden, die sich in unser aller Herzensszene beobachten ließen. Dabei versuchen wir, zumindest einigermaßen chronologisch zu bleiben, denn Ordnung ist das halbe Leben.
Nicht nur euer liebster Kampfsportrapper weiß, dass ein großer Schatten auch immer ein Licht braucht. Als das Jahr losging, stand natürlich alles wegen des Lockdowns still. Öffentliches sowie privates Leben lagen weitestgehend auf Eis und an Konzerte oder Festivals war ohnehin nicht zu denken. Hervorragende Voraussetzungen eigentlich, um den künstlerischen Kopf in den Sand zu stecken und nur noch zu versuchen, über Eistee und Tiefkühlpizza Geld zu verdienen. Einige Künstler:innen aus verschiedenen Musikszenen boten jedoch dieser ausweglosen Situation die Stirn und entwarfen kurzerhand Projekte, um mit den ihnen verfügbaren Ressourcen etwas Sinnvolles anzufangen. Das Projekt "All Hands on Deck" beispielsweise entstand aus einer Art innerszenischen Solidarität. Um Künstler:innen und andere in dieser Branche tätige Personen, die durch die Pandemie in finanzielle Nöte geraten sind, unterstützen zu können, wurden zwei "Live-Stream-Spenden-Jams" veranstaltet. Die Erlöse aus diesen Veranstaltungen kamen dann den Musiker:innen und Konzertmitarbeiter:innen zugute, die aufgrund der Pandemie in monetäre Schieflage geraten waren. Unterstützt wurde und wird das Ganze auch von zahlreichen Musiker:innen aus der Deutschrap-Szene: Roger Rekless, Afrob, Bausa und auch Mo-Torres und Eko Fresh gaben sich die Ehre. Mit einem noch stärkeren solidarischen Ansatz geht das Projekt "Tour d'Amour" voran, das aber aus der gleichen Misere heraus entstanden ist. So entschieden sich im Zuge der "Tour d'Amour" einige Kulturschaffende für eine etwas andere Tournee. Die gerade nutzlos herumstehenden Busse, die normalerweise für Konzerte und Festivals benutzt worden wären, wurden zu Spendenmobilen umfunktioniert. Diese wurden bereitgestellt, um Geflüchtete aus den Lagern Moria und Lipa sicher nach Deutschland zu bringen, beziehungsweise Kleidung, Hygieneartikel und andere Sachspenden in die Lager zu transportieren. Unterstützt wurde das Ganze zum Beispiel von Audio88 & Yassin, Ebow, Fiva MC, Sookee und Amewu. Beide Projekte sind beeindruckende Beispiele gelebter Solidarität, die gerade ob der für die Initiator:innen und Unterstützer:innen schwierigen Lage, in der sie sich wegen der Pandemie befinden, umso beeindruckender wirkt.
Ähnlich ermutigend waren auch die Reaktionen vieler Rapper:innen auf die Flutkatastrophe, die im Sommer in Teilen West- und Süddeutschlands für zahlreiche Todesopfer und großflächige Zerstörung in den betroffenen Gebieten verantwortlich war. Auch hier wurden unter anderem von Capital Bra, Xatar, Milonair und anderen Szenegrößen Sachspenden gesammelt oder finanzielle Unterstützung bereitgestellt. Eko Fresh fuhr mit seiner Frau Sarah sogar direkt in die betroffenen Gebiete, um die Aufräum- und Bergungsarbeiten vor Ort zu unterstützen.
Weniger Einigkeit strahlte die Deutschrap-Szene bei einem anderen großen Thema aus, das zumindest alle Social Media-Bubbles in der Jahresmitte beschäftigte. Die von Nika Irani erhobenen Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen einen der erfolgreichsten Rapper des Landes führten dazu, dass die Bewegung deutschrapmetoo ins Leben gerufen wurde. Dort vernetzen sich Opfer sexualisierter Gewalt aus dem Deutschrap-Kosmos und werden beim Umgang mit ihren Erlebnissen unterstützt. Einige Rapper:innen jenseits ihrer besten Tage sahen darin direkt den Untergang jeglicher HipHop-Ideale. Sie attackierten und diffamierten deutschrapmetoo sowie Aktivist:innen der Bewegung und zeigten damit deutlich, wie wenig sie verstanden haben. Erfreulicherweise sprangen aber auch viele Protagonist:innen der Szene deutschrapmetoo solidarisch gegen diese Attacken zur Seite. Insbesondere LGoony tat sich hier hervor, der sich nicht zu schade war, einige der vermeintlichen Schützer der Kultur öffentlich auf die von ihnen geäußerten Absurditäten anzusprechen.
Doch auch musikalisch hatte das Jahr einiges zu bieten. Danger Dan und Nura veröffentlichten zwei starke politische Alben, die sich sowohl gut verkauften, als auch in den Feuilletons positiv rezipiert wurden. Apropos gute Verkaufszahlen: Female Rap war selten so erfolgreich wie dieses Jahr. Shirin Davids Album "Bitches brauchen Rap" kann dafür stellvertretend als Beispiel herhalten. Auch in der kurzen Zeit, in der Konzerte möglich waren, tat sich etwas und auch große, rekordverdächtige Veranstaltungen waren möglich. So spielten beispielsweise Symba und Pashanim im November ihr erstes eigenes Konzert. Und das direkt mal vor 3 500 Leuten. Kann man als Newcomer schon mal so machen.
So viel Schlechtes es auch dieses Jahr wieder gab, so viele schöne und gute Erinnerungen bleiben trotzdem. Sowohl musikalisch wie auch als gelebte Popkultur. Tatsächlich sind es sogar noch viel mehr Sachen als nur die oben im Text genannten: Roger Rekless' Toilettenpapier gegen Rassismus, die Machiavelli Sessions, die runden Geburtstage von Money Boy (40) und Torch (50), die deutsche "Up in Smoke"-Tour – die Liste von schönen Dingen und Ereignissen, die Spaß gemacht haben, ließe sich beliebig fortsetzen. Und das stimmt doch auch positiv mit Blick auf die Zukunft! In diesem Sinne: Verbringt die Feiertage mit euren Liebsten, lasst euch impfen und folgt alle Hanybal auf Twitter.
(die MZEE.com Redaktion)
(Grafik von Daniel Fersch)