Wer FELLY schon einmal auf einer Bühne gesehen hat, weiß: Der Mann hat Energie. Er schreit, er springt, er lässt alles raus. Im normalen Leben steht mir allerdings ein überraschend ruhiger, bedachter Typ gegenüber. Er hat eine nahezu sanfte Ausstrahlung, wenn da nicht eine gewisse Kühle wäre, die erst im Laufe unseres Gesprächs ein wenig verfliegt. In seinem von den Drunken Masters produzierten Debüt "FELLY" hat er nun – nach einigen Party-Bangern wie "Jawoll Alder" oder "DICH MAG KEINER" – all diese Facetten und somit auch eine persönlichere Seite von sich gezeigt. Von den Abenden der "broken Boys in einer reichen Stadt" nimmt er einen bis in die Tiefen der Nacht mit, die bei ihm seit vielen Jahren von einer Angststörung geprägt sind. Doch was hält die Nacht im Allgemeinen für uns bereit? Sie ist durchzogen von Kontrasten – ohrenbetäubend laut oder mucksmäuschenstill, benebelnd oder Klarheit bringend, voller Angst oder Frieden, durchzogen von Selbstzerstörerischem oder Achtsamkeit. Um all diese Facetten zu beleuchten, trafen wir uns in einem Münchner Lokal zum Interview und stellten fest, dass ein Gespräch über die Nacht einerseits und Pathos andererseits sehr nah beieinanderliegen. So erzählte mir FELLY von einer Einsamkeit, die ihn lange begleitete, seinem fehlenden Stolz auf Erfolge und einer oft selbstzerstörerischen Demut. Und zu guter Letzt sprachen wir – dem Pathos sei Dank – über Träume, die ihn seit seiner Kindheit begleiten.
Triggerwarnung: In diesem Interview werden Angststörungen und Panikattacken sowie ihre konkreten Auswirkungen und damit einhergehenden Emotionen thematisiert. Wenn Euch diese Beschreibungen triggern könnten, solltet Ihr hier vielleicht nicht weiterlesen.
MZEE.com: Dein Debüt-Album "FELLY" spielt in der Nacht und beleuchtet all ihre Facetten. Ich denke mal, du bist grundsätzlich eher ein Nachtmensch?
FELLY: Das ist von meiner Stimmung abhängig, aber ich fühle mich auf jeden Fall wohl in der Nacht – mit allem, was sie einem bieten oder eben nicht bieten kann. Sie ist ein Exit. Ich habe oft viel zu tun und genieße, wie ruhig alles ist, wenn ich nachts mit dem Hund rausgehe. Wie einen jedes Geräusch überrascht. Tagsüber würde einem das nie auffallen. Das finde ich sehr spannend. Ich schreibe auch gern nachts.
MZEE.com: Weißt du also eher die ruhige als die laute Seite der Nacht zu schätzen?
FELLY: Ich mag das Laute auch sehr gerne. Ich meine, ich habe mir gerade einen Whiskey Sour bestellt. (schmunzelt) Die letzten zwei Jahre waren natürlich nicht so davon geprägt wie normalerweise. Vor Corona war ich viel in Clubs, um mit den Jungs dort zu spielen oder einfach feiern zu gehen … und mich unterbewusst vielleicht ein bisschen taub zu machen. Vollgas und mit Piepen in den Ohren einschlafen. Das findet zwar alles in der Nacht statt, aber eigentlich ist für mich die Nacht, wenn man rausgeht und einfach nichts ist. Glücklicherweise hat der Mensch irgendwann das Feuer und später die Elektrizität gefunden, weswegen wir immer den Tag simulieren können. Aber prinzipiell ist es stockdunkel, wenn du dich jetzt in einen Wald stellst. Und das Bedrohliche, das du als Kind wahrgenommen hast, öffnet jetzt die Arme und du kannst sein, was du willst. Manchmal ist das eben auch ein komplettes Abschießen.
MZEE.com: "Sippen Ice-Cube-Bianco-Schorle, Glockenbach", "Triff mich nassgeschwitzt Sonntagnacht im BLITZ", "Dreißig Calls verpasst, ich geh' Kippen kaufen, Reichenbach". – Du sprichst in deinen Songs über einige Orte in München. Was macht das Münchner Nachtleben für dich aus?
FELLY: Das Münchner Nachtleben ist prinzipiell nur das, was du daraus machst. Es gibt kaum Clubs, die immer gleich funktionieren. Wenn man von München nichts weiß, hierherkommt und irgendwo feiern geht, wird man dort vermutlich auch bleiben. Man kann sich nicht so gut treiben lassen. Das ist nicht wie in Berlin. Dort gibt es eine Welt, in die du eintauchst und die mit dir macht, was sie will. Meine Freunde von Radio 80000 haben die letzten Jahre immer wieder Partys veranstaltet. Das war Familie. Es hängt viel an den Leuten und wie authentisch du als Veranstalter:in deine Idee rüberbringst. In irgendeinen Club zu gehen, um zu feiern und möglichst viel Kohle auszugeben, ist für mich kein Nachtleben. Das ist einfach Konsum zu einer anderen Uhrzeit. Aber über das Münchner Nachtleben wird dir wahrscheinlich jeder eine andere Geschichte erzählen.
MZEE.com: Feiern und nachts unterwegs zu sein, ist für viele gleichbedeutend mit Freiheit. Was engt dich außerhalb der Nacht ein? Und wenn Feiern Freiheit bedeutet: Was ist am normalen Leben unfrei?
FELLY: (überlegt) Ich glaube, das ist für jeden unterschiedlich, aber man geht schon unter im Alltag. Je älter man wird und je mehr Verantwortung man hat, desto mehr Leichtigkeit geht verloren. Man muss oft für andere mitdenken, hat Existenzängste – da spielt sich ganz viel ab. Es gibt, vielleicht auch aus Zeitgründen, manchmal keinen Platz dafür, fernab von "Ich muss Geld ins Haus bringen" zu existieren. Ich habe diese Seiten auch und ich mag es auch, diszipliniert zu sein, komplexe Vorgänge zu verstehen und anderen Dinge zu erklären. Ich merke allerdings, sobald ich in diesem Korsett stecke, dass ich viele Kompromisse machen muss. Und das muss ich nicht, wenn ich feiern bin oder einfach nachts rausgehe, um durchzuatmen. Das ist jedoch auch nur eine gespielte Freiheit, weil es am nächsten Tag wieder losgeht. Aber es ist die kurze Spritze Adrenalin. Corona und die ganze Zeit zu Hause zu sein, fand ich total schlimm. Home Office war am Anfang geil, letzten Endes hattest du jedoch nach ein paar Wochen das Gefühl, dass du auf der Arbeit schläfst und sie jetzt auch noch bestimmt, was du zu Hause machst.
MZEE.com: Es macht vermutlich einen Unterschied, ob man zu Hause kreativ arbeitet oder einem "normalen" Job nachgeht.
FELLY: Voll. Ich bin ein fleißiger Typ, ich habe mein Leben lang gearbeitet. Während meines Studiums war ich nicht in der Uni, sondern hatte vier fucking Jobs. Ich wurde dazu erzogen, fleißig zu sein. Aber manchmal merkst du einfach, dass dein Körper dir sagt, dass es nicht mehr geht. Du brauchst diese Freiheiten und die Tatsache, nicht darüber nachdenken zu müssen. Während Corona war das quasi unmöglich, weil man immer erreichbar war, es gab viel mehr Besprechungen, jeder wollte was von einem. Ich hatte da noch Glück, weil ich nach der Arbeit ins Studio gefahren bin. Da war ich unter der Woche bis zwei oder drei Uhr und am nächsten Tag musste ich um sieben für die ersten Calls aufstehen. Mir war das einfach wichtig, ich habe das gebraucht. Es geht dabei wahrscheinlich oft um die Zeit, die einem durch Dinge geraubt wird, die auf kurze oder lange Sicht keinen Unterschied machen, dich in dem Moment jedoch sehr belasten. Diese Zeit kannst du nicht wieder reinholen. Ich stelle mir gerne die Frage, ob ich alles noch mal genauso machen würde, wenn ich könnte. In kleinen Situation, aber auch im großen Ganzen. Und wenn dann die Antwort "Nein" lautet, ist das schon ein sehr unangenehmes Gefühl.
MZEE.com: Passiert dir das oft?
FELLY: Jein. Ich bin schon der Meinung, dass es keine richtigen und falschen Entscheidungen gibt, doch natürlich hat jeder Dinge in seinem Leben, bei denen er denkt: "Da gewöhne ich mich schon dran. Das wird schon wieder." Es wird aber nicht besser und man zieht viel zu spät den Stecker. Klar, das würde man dann nicht noch mal machen. Ich hätte wahrscheinlich schon vieles anders machen können, sollen oder müssen. Aber im großen Ganzen bin ich eigentlich zufrieden.
MZEE.com: Ist Feiern gehen für dich dann auch eine Flucht aus so etwas?
FELLY: (zögert) Schon. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht ist es die laute Musik oder die Tatsache, dass immer jemand da ist. Man muss über die schlechten oder belastenden Dinge im Leben nicht so nachdenken.
MZEE.com: Die eigenen Gedanken werden von etwas anderem übertönt.
FELLY: Voll. Und wenn du ein psychisches Handicap hast, findest du dabei einen Ausweg. Es geht auch nicht darum, zu trinken. Du hast einfach ein Medium, in dem das nicht existent ist. Egal, was passiert. Das Wort "Flucht" ist sehr plakativ, aber ich arbeite sehr viel, stresse mich in alles rein und will alles selber machen. Das ist auch eine Art von Flucht.
MZEE.com: Glaubst du, du hast etwas Selbstzerstörerisches in dir?
FELLY: Ich habe mir noch nie gedacht: "Heute schieße ich mich komplett ab, damit ich alles vergesse." Das ist ein Side Effect. Es wird einem erst bewusst, wenn man darüber spricht. Aber selbstzerstörerisch im Sinne von Überarbeitung bin ich schon. Wenn man etwas nicht tut, hat man entweder die Angst, dass man irgendetwas versäumt oder man denkt, man wäre einen Schritt weiter, wenn man mehr gemacht hätte. Das ist ein ständiger Kreislauf. Ich bin einfach hart zu mir. Ich merke auch immer wieder, dass ich sehr zur Demut erzogen wurde. Andere Leute würden in gewissen Momenten sagen: "Woah, schau, was ich hab'." Aber ich kann nicht stolz sein. Das letzte Mal, dass ich stolz war, war wahrscheinlich, als ich in der Schule in Mathematik eine Eins bekommen habe. Klar sagt man, dass man auf das Album oder ein bestimmtes Konzert stolz ist. In der Situation fühlt sich das gut an, aber sonst … Wenn ich das ändern könnte, würde ich es ändern. Ich glaube, viele Leute, die sehr erfolgreich sind, kennen Stolz – oder allgemein die meisten Menschen. Ich weiß auch, wie er sich anfühlen würde und ich würde ihn erkennen, wenn er da wäre, doch ich habe ihn nicht. Damit zerstört man sich auf lange Sicht wahrscheinlich schon irgendwie.
MZEE.com: Du bist also sehr angetrieben.
FELLY: Ich würde sagen, ich bin ein sehr angstgetriebener Mensch. Ich habe einfach Angst vor der Tatsache, dass mich meine Geister einholen. Das ist schon sehr präsent. Ich kämpfe dagegen an, mache immer weiter und bleibe nicht stehen, damit dieser Moment nicht kommt. Man rennt davor weg. Und natürlich habe ich auch Existenzängste. Was ist, wenn alles weg ist? Was mache ich hier überhaupt? Was ist Kunst wert? Verkaufe ich mich unter Wert? Wie lange kann ich damit leben, dass die Musik nichts ist, das meine Rechnungen bezahlt? Wenn das nicht der Fall ist, geht die Romantik schnell verloren, und dann musst du so fest daran glauben, dass dir das nichts ausmacht. Das ist oft schwierig, aber aktuell bin ich romantischer denn je.
MZEE.com: Du sprichst auf dem Album sehr berührend und ehrlich über deine Angststörung, Schlafstörungen und Panikattacken. Hast du inzwischen einen Weg gefunden, damit umzugehen?
FELLY: Ja, schon. Ich stehe dann einfach auf und bewege mich. Was ich nicht mache, ist in den Spiegel zu gucken. Es war schon schlimmer, aber momentan habe ich es relativ gut im Griff. Das ist schwierig in Worte zu fassen. Die Routine ist wahrscheinlich schon hilfreich. In den meisten Fällen hat man irgendeinen Bewegungsablauf, etwas, das man sich anschaut – man geht eine rauchen oder hört den immer gleichen Song. Das ist für viele Menschen der Exit. Doch wenn es hart auf hart kommt, bringt das auch nichts. Ich habe mich dem in den letzten Monaten mehr gestellt. Das war und ist sehr schlimm. Das ist schmerzhaft, denn es ist irrational. Es kann alles sein, aber grundsätzlich ist es nichts. Es ist nur ein Gefühl. Allein die Tatsache, dass ein Gefühl so viel mit dir machen kann, ist unfassbar spannend und verstörend. Man ist machtlos. Daher wäre es vermessen von mir zu sagen, ich hätte es unter Kontrolle. Aber ich kann es besser kanalisieren.
MZEE.com: Es ist immer schwierig, in Bezug auf solche Themen Ratschläge zu geben. Aber kannst du Menschen, die auch an einer Angststörung leiden, etwas ans Herz legen?
FELLY: Jeder Mensch ist unterschiedlich. Alles, was dich begleitet, ist komplett individuell. Es war für mich ein sehr schlimmer Schritt, als ich meinte zu realisieren, dass mir niemand dabei helfen kann und ich komplett alleine damit bin. Aber das stimmt nicht. Es gibt Leute, die sich damit auskennen. Es ist leider immer noch ein großer Struggle, jemanden zu finden, bei dem man sich öffnen kann, weil es schon schwierig ist, überhaupt einen Therapieplatz zu bekommen. Aber sprich auch mit deinen Freunden und deiner Familie darüber. Ich habe das selbst erlebt. Die Dinge haben sich immer wiederholt, ich habe zu den Leuten immer das Gleiche gesagt: "Hey, mir geht es voll scheiße." Du kannst es ja nicht erklären, weil es komplett irrational ist. Sei ehrlich zu den Menschen um dich rum und behandle das nicht nur mit dir selbst. Natürlich ist auch der Umgang mit sich selbst sehr wichtig, aber wenn du es allein nicht schaffst, finde jemanden, der dir damit hilft. Und verliere nie die Hoffnung, dass es so jemanden gibt. Denn die Person gibt es. Vielleicht ist es auch die Person, von der du es am wenigsten erwartest. Mach nicht den Fehler, das nur mit dir selbst auszumachen. Ich selbst war allerdings nie beim Therapeuten und habe nie Antidepressiva genommen, ich habe mich komplett selbst therapiert.
MZEE.com: Gibt es einen bestimmten Grund, warum du nie zur Therapie gegangen bist?
FELLY: Heute würde ich es vielleicht tun, aber das ist ein sehr großer Luxus. Als ich 18 war und das angefangen hat, gab es bei uns einfach einen Stereotyp für Leute, die einen Schatten haben. Die sind halt in die Anstalt gekommen. Davor hatte ich die größte Angst der Welt. Und mit diesem Mindset bekommt man natürlich Panik, dass sie dich ruhigstellen und dein ganzes Leben vorbei ist. Du bist 18, hockst in irgendeiner Zelle rum, drehst komplett durch und das Einzige, was sie machen, ist, dir etwas zu geben, damit sie dich unter Kontrolle haben. Davor hatte ich so unfassbare Angst. Deswegen konnte ich mich nie überwinden. Diese Existenzlosigkeit und das fehlende Bewusstsein für einen selbst wurde über die Zeit besser. Man hat viel darüber gesprochen und hatte Erfolgserlebnisse. Manchmal denke ich mir auch, dass es gut war, dass all der Schmerz, der damit verbunden war, und all das Schlimme passiert ist, weil das so ein unfassbar krasser Selbstfindungsprozess war. Ich war bei null und musste mich wiederfinden und neu erfinden. Ich habe aber auch eine Million Mal darüber nachgedacht, was wäre, wenn ich den letzten Zug nicht genommen hätte. Ich will wieder in meinem Bett aufwachen, über die Eins in Mathe nachdenken und total stolz sein. Das gibt es halt nicht mehr und damit muss man leben. Dafür gibt es viele andere Dinge, für die man sehr dankbar sein kann, weil man sich selbst so tief kennenlernen konnte. Also nein, ich habe keinen Tipp. Außer: Hab keinen falschen Stolz, das ist ganz normal und das haben ganz viele Menschen. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich das erste Mal gehört habe, dass jemandem das Gleiche passiert ist wie mir. Das war das erste Mal nach Monaten, dass ich einen richtigen Gefühlsausbruch hatte. Ich habe mich nicht mehr allein gefühlt.
MZEE.com: Es ist sicherlich ein sehr krasses Gefühl, wenn man so etwas über einen langen Zeitraum so tief in sich trägt und dann merkt, dass da jemand ist, der das nachvollziehen kann.
FELLY: Das Schlimmste für mich war diese Einsamkeit. Das ist Arbeit. Du musst Menschen reinlassen und akzeptieren, dass du einen Knacks hast. Jeder hat irgendeinen Knacks. Es gibt nicht dieses Idealbild eines gesunden Menschen. Es wäre schlimm, wenn es das gäbe. Es kann natürlich auch Phasen geben, in denen man niemanden zum Reden hat. Als ich nach München gekommen bin, hatte ich niemanden. Da war ich am Peak und habe wegen meines beschissenen Studiums in Dachau gelebt. Im gefühlt kältesten Winter meines Lebens in fucking Dachau, weil ich keine Wohnung gefunden habe. Ich war ein nervliches Vollwrack in einem Studium, bei dem ich mir vom ersten Tag an dachte: "Was mache ich hier? Ich bin so dumm." Da musste ich mich einfach durchkämpfen.
MZEE.com: Befeuern Geldsorgen denn solche Ängste?
FELLY: Ja, klar. Sobald es wirklich existenziell wird und die Gefahr besteht, dass du plötzlich wirklich viel Geld in die Hand nehmen musst, aber eigentlich nichts hast, befeuert das diese Ängste schon. Aber ich habe wahrscheinlich noch einen guten Teil Lebemann in mir und kann da ein bisschen drauf scheißen. Geld kommt und Geld geht. Ich habe schon von Nudeln mit passierten Tomaten gelebt. Nicht mit Ketchup, das habe ich mir nicht angetan! (lacht) Umso mehr Geld man hat, umso mehr Geld gibt man aus. Jetzt, wo man die Weichen schon gestellt hat, ist das kalkulierbarer. Da kommt nur das Finanzamt und gibt dir eine Blutgrätsche. Ich könnte wahrscheinlich mehr Geld auf dem Konto haben, aber dafür will ich zu viel von dieser Welt sehen.
MZEE.com: Wovon träumst du?
FELLY: Im Zusammenhang mit dem, worüber ich davor gesprochen habe, ist es tatsächlich, einfach glücklich zu sein. Also, Momente zu haben, in denen ich zweifelsfrei glücklich bin. Für eine lange Zeit. Und damit meine ich eine Minute. Oder diesen Moment zu haben, in dem man wirklich durchschnaufen kann, stolz ist und der Wahnsinn innehält. Und natürlich so plakative Träume wie, dass ich auf dem splash! vor voll vielen Leuten spielen will. Ich will eine eigene Tour spielen. Ich träume, dass Corona vorbei ist und von einem wholesome Moment, in dem man merkt, dass sich alles, was man über die Jahre erleben musste, in Luft auflöst.
MZEE.com: Viele Menschen haben einen Traum, der sie seit der Kindheit über einen langen Zeitraum verfolgt. Hast du das auch?
FELLY: Einen Albtraum, ja. Jetzt nicht mehr so oft, aber ich habe sehr oft geträumt, dass ich in einen Tunnel renne und hinter mir eine Kugel kommt, der ich nicht ausweichen kann. Es geht bergab, die Kugel kommt immer näher, überrollt mich und ich wache schweißgebadet auf. Ein Traum im Sinne einer Vorstellung: Ich habe seit meiner Kindheit die Sicherheit in mir, dass ich berühmt oder reich oder so werde. Irgendwas wird aus mir. Das ist so tief und auch irrational. Aber das habe ich, seitdem ich ein Kind bin.
MZEE.com: Warst du denn schon als Kind jemand, der im Rampenlicht stehen wollte?
FELLY: Ich denke, ja. Wenn der Moment da ist, bin ich auf jeden Fall eine Rampensau. Abseits der Bühne bekomme ich das auch oft zu hören und frage mich, was eigentlich mit mir los ist, wenn ein Scheinwerfer auf mich scheint. Aber das ist die vollkommene Freiheit. Da gibt es bei mir keine Grenzen, außer vielleicht meine Stimmbänder.
MZEE.com: Finden sehnsüchtige Menschen oft Gefallen an der Nacht? Was denkst du?
FELLY: Ja, ich glaube schon. Es gibt in der Nacht alles und nichts. Und wenn du ein sehnsüchtiger Mensch bist, gibt es so viel Interpretations- und Handlungsspielraum, dass du deine Sehnsüchte auch erfüllen kannst oder zumindest so viel davon wahr ist, dass es dich weiter catcht.
MZEE.com: Also würdest du dich auch als sehnsüchtigen Menschen bezeichnen?
FELLY: Ich sehne mich schon sehr nach einer Freiheit, nach einer Gewissheit, dass alles gut ist. Das Schlimmste ist ja oft, dass man sich, wenn man mit solchen Sachen wie ich zu kämpfen hat, selbst sagt, dass alles gut ist. Das ist das Schlimmste, was du sagen kannst. Natürlich weißt du, dass das alles nur ein Gefühl oder Einbildung ist. Aber dieser Satz lässt Emotionalität gar nicht zu. Du musst es umgehen. Also ja, ich glaube schon, dass ich ein sehnsüchtiger Mensch bin. Das ist vielleicht nicht unbedingt Sehnsucht, aber ich habe auch so ein unheimliches Interesse daran, was es noch alles gibt. Wer bin ich? Wo ist die Grenze? Und die Nacht kann fernab der Rationalität des Tages funktionieren, sodass man sehr viel Spielraum für all das hat.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Santiago Loesslein Pulido und Patrick Catford)