An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unser Redakteur Wende mit toxischen Schönheitsidealen im deutschen HipHop auseinander.
Schönheit ist ein weiter Begriff und nicht eindeutig definierbar. Einerseits sind unzählige Definitionen vorhanden, andererseits ist das Empfinden von Ästhetik aber auch ein subjektives. Dafür, dass Schönheit aber so privat und individuell ist, lässt sich in den sozialen Medien und vor allem in der HipHop-Welt ein recht deutliches Muster erkennen: praller Hintern, große Brüste und volle Lippen. Doch was ist eigentlich das Problem hinter solchen unterschwelligen Idealen und weshalb können sie toxisch sein?
Kürzlich verloste Eunique auf Instagram eine Schönheits-OP. Um diese zu gewinnen, sollten Follower:innen sich beim Twerken filmen – mit Hinweis, dass jeder Mensch schön sei, wie er ist, aber eine Schönheits-OP zu mehr Selbstwert führen könne. Auf der einen Seite kann solch ein Eingriff das Wohlbefinden der Person stark verbessern. Wenn man sich dazu entschließt, ist es eine zu respektierende und individuelle Entscheidung. Auf der anderen Seite aber kann es kritisch werden, wenn dabei Ideale zu sehr im Vordergrund stehen. Die Wirkung von Vorbildern darf hier nicht unterschätzt werden. Gerade HipHop als eine der größten Jugendkulturen kann einen erheblichen Einfluss auf junge Menschen haben. Dort werden Werte, Rollenbilder und eben auch Vorstellungen von Attraktivität repräsentiert. Fühlt man sich dieser Kultur zugehörig, dann möchte man häufig auch so aussehen, wie es dort vorgelebt wird. Die Idole können jedoch ein abträgliches Schema vorspielen: Schönheitsvorstellungen, die unrealistisch und nicht ganz ungefährlich für die Psyche sein können. Genau dann sollte man sie als das bezeichnen, was sie sein können: toxisch. In zahlreichen Videos und auf massenhaft Fotos aus der HipHop-Szene, ob bei Instagram oder YouTube, tauchen häufig die teils oben aufgeführten Schönheitsideale auf.
Neben der musikalischen Szene spielt auch die Werbebranche eine nicht zu unterschätzende Rolle: In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde dort oftmals ein bestimmtes Schema von Schönheit eingesetzt. Damit werden den Rezipienten:innen Merkmale von Attraktivität aufgezeigt, die oft nur durch OPs erreicht werden können. Sich darüber im Klaren zu sein, kann gerade für junge Menschen, die noch ihren Platz suchen, eine nicht zu unterschätzende Herausforderung sein. Mitunter kann so das Selbstwertgefühl stark leiden. Sozialer Druck von außen, nicht zuletzt durch soziale Medien, tut dabei sein Übriges. Dass dies toxisch sein kann, sollte deutlich sein.
Als ob dies nicht verworren genug wäre, werden Frauen im deutschen HipHop oftmals objektifiziert. Nicht mehr die Person und das Individuum zählen, sondern Maße und Gesicht. Jedoch ist auch eine gegenteilige Entwicklung zu beobachten, denn ein Teil des deutschen Raps räumt nicht nur mit toxischen Schönheitsidealen auf, sondern auch mit Geschlechterrollen. Sicherlich steht dies nicht in direktem Zusammenhang mit Schönheit, jedoch wird damit die Position der Frau gestärkt. Denn neben der ästhetischen Komponente geht es auch um eine gewisse Rolle, die Frauen oftmals von Männern auferlegt wird. Indem Frauen lediglich als Objekt dargestellt und auf ihr Aussehen reduziert werden, wird eben darauf auch ihre Rolle reduziert: untergeordnet und den männlichen Vorstellungen angepasst. Genau dagegen rappt Nura in "Fair" beispielsweise, indem sie sich explizit für Gleichberechtigung einsetzt. In einer ähnlichen Richtung könnte man Layla verorten. Sie vertritt offensiv einen positiven Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität, etwa indem das weibliche Geschlechtsteil als süße Kiwi beschrieben und nicht mehr abwertend betitelt wird. Beispiele, die sich zwar nicht explizit mit Ästhetik auseinandersetzen, jedoch in einem größeren Zusammenhang Frauen stärken und mit veralteten und traditionellen Ansichten aufräumen. Ganz offensiv und deutlich stellt sich die Hamburgerin Finna gegen toxische Schönheitideale. Sie erläutert in einem Interview, dass diese veraltet seien und daher neu besetzt werden müssten. Und genau das zelebriert sie in ihrem Song "Overscheiß" und dem dazugehörigen Video. Eindeutige Positionen, die viel zu Female Empowerment beitragen. Unterstützung dazu liefert unter anderem auch Edgar Wasser in seinem Song "Bad Boy". Er rappt auf ironische Art über gängige Klischees und darüber, dass Frauen in Videos hübsch zu sein haben. Bezeichnenderweise eines der sehr wenigen Beispiele von männlichen Rappern, die sich explizit mit dieser Thematik künstlerisch auseinandersetzen. Es bleibt also noch viel zu tun.
Toxische Schönheitsvorstellungen sind leider noch immer in der deutschen Rap-Szene anzutreffen. Mal offen, mal subtiler. Gleichzeitig räumen einige Protagonist:innen damit auf. Klar ist jedoch, dass HipHop immer noch überwiegend männlich geprägt ist und somit häufig problematische Vorstellungen transportiert werden. Wenngleich sich zum Glück einiges ändert und die Chance besteht, dass toxische Schönheitsideale zunehmend verschwinden.
(Wende)
(Grafik von Daniel Fersch)