In der Musik von Alligatoah spielt Selbstdarstellung seit seinen Anfängen eine entscheidende Rolle. Erste Fans sammelte er im Forum von rappers.in, in welchem er mit seinem fiktiven Terroristen-Duo Kaliba 69 und DJ Deagle ordentlich Aufsehen erregte. Als er sich im Jahr 2011 Trailerpark anschloss, schlüpfte er auch dort als Member einer Boyband in eine neue Rolle. Heutzutage ist Lukas Strobel, wie der Rapper mit bürgerlichem Namen heißt, deutschlandweit ein gefragter Künstler, über dessen Leben und persönliche Ansichten kaum etwas bekannt ist. Wie zu Beginn seiner Karriere lässt er auch heute noch unter dem Namen Alligatoah Kunstfiguren für sich sprechen und widmet sich so auf oftmals kritische Weise gesellschaftlichen Themen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum ihm eine gewisse Distanz zu seiner Kunst wichtig ist und ob es ihm nicht doch manchmal in den Fingern juckt, bei bestimmten Themen seine persönliche Meinung einzubringen. Außerdem erzählte er uns von seiner ambivalenten Einstellung zur Social Media-Welt und warum er gerne mal bewusst mit den Erwartungen seiner Fans spielt.
MZEE.com: Ich habe das Gefühl, dass du eine sehr klare Vorstellung davon hast, wie du dich als Alligatoah präsentieren möchtest. Wann hast du dich erstmals bewusst damit beschäftigt, wie dich andere wahrnehmen?
Alligatoah: Gute Frage. Das war noch, bevor ich angefangen habe, als Alligatoah Musik zu machen. Mit 14 Jahren habe ich angefangen, Kurzfilme zu drehen. Ich habe damals mit einer Plastikpistole vor einer Kamera herumgeballert und die Aufnahmen anschließend geschnitten. Es gibt auch alte Kinderfotos von mir, auf denen ich mit Helm und Schwert durch die Gegend laufe. Selbstdarstellung wurde mir schon immer vorgelebt, da ich aus einem Theaterhaushalt komme. Mein Vater war Schauspieler und wir haben als Familie regelmäßig Vorstellungen besucht.
MZEE.com: Nun bist du schon länger eine Person des öffentlichen Lebens – von deinem Privatleben bekommt man aber nicht allzu viel mit. Warum hast du dich zu Beginn deiner Karriere dazu entschieden, deine Musik mithilfe der Kunstfiguren Kaliba 69 und DJ Deagle zu vermitteln?
Alligatoah: Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Ich habe meine eigene Persönlichkeit als nicht spannend genug empfunden. Damals habe ich auf dem Land gelebt und hätte es unglaublich langweilig gefunden, aus meinem Leben zu erzählen. Deshalb habe ich Kunstfiguren erschaffen und mich an meinen Lieblingsfilmen orientiert, in denen es immer Action gibt. Heutzutage merke ich, dass in diesen Figuren trotzdem viel von mir selbst steckt. Das fängt ja schon bei der Entscheidung an, welche Charaktere man darstellen möchte.
MZEE.com: Wie oft kommt es vor, dass sich der Inhalt eines Tracks mit deinen persönlichen Einflüssen und Ansichten überschneidet?
Alligatoah: Insgesamt versuche ich, so wenig klare Meinungen wie möglich in meinen Songs unterzubringen. Es gibt ja zum Teil Songs auf ein und demselben Album von mir, in denen unterschiedliche Ansichten zum selben Thema dargestellt werden. Das ist auch das Authentische daran, weil es meinem Wesen entspricht, Dinge aus allen möglichen Perspektiven zu betrachten. Ein Song repräsentiert also nicht immer meine Meinung, aber dafür meinen Charakter.
MZEE.com: Hast du manchmal das Bedürfnis, mehr von dir preiszugeben?
Alligatoah: Nein, das hatte ich noch nie. Ich habe mir meinen Kosmos nicht als Korsett oder Gefängnis geschaffen. Ich habe genau den Spielraum, den ich brauche und gut finde.
MZEE.com: Im Internet bekommt man immer wieder mit, dass deine Fans sich darüber freuen würden, mehr über dich zu erfahren. Nimmst du das wahr?
Alligatoah: (lacht) Das Ganze ist eine Art Spiel geworden, weil ich gemerkt habe, wie hungrig meine Hörerschaft diesbezüglich ist. Manchmal streue ich mit Absicht Falschinformationen, weil ich gemerkt habe, wie irreführend der Austausch im Internet ist. Wenn ich ein Foto poste, gibt es Leute, die schreiben, dass ich glücklich aussehe und andere, die meinen, dass ich traurig wirke. Am Ende sagt das mehr über diese Leute aus als über mich.
MZEE.com: Drehen wir den Spieß mal um: Wie wichtig ist es dir, mehr über Artists zu erfahren, die du feierst?
Alligatoah: Ich glaube, dass auch ich diese Neugier in mir habe. Ich merke das besonders bei Filmen, die mich faszinieren und von denen ich gerne Making-ofs schaue, um technisch etwas dazuzulernen. Es ist aber auch schon passiert, dass ich mir einen Film so entzaubert habe. Das ist ein Grund, warum ich selbst nicht so gerne Einblicke hinter die Kulissen gebe. Viele glauben ja zum Beispiel, dass der Backstagebereich bei Konzerten oder Festivals wahnsinnig spannend ist. Tatsächlich sitze ich da nur herum und trinke Tee. Deshalb habe ich meine eigenen Tourblogs immer etwas anders gestaltet.
MZEE.com: Kommen wir noch mal auf deine Musik zurück: Inwieweit bewegst du dich mit deiner Kunstfigur in einer Komfortzone, in der du oftmals eine gewisse Distanz zu deinen kritischen Texten wahrst?
Alligatoah: Das ist auf jeden Fall eine Komfortzone. Ich ziehe mich immer ganz schön feige aus den hitzigen Debatten raus. (lacht) Ich stelle einfach gerne kontroverse Thesen in den Raum, ohne selbst eine Antwort oder irgendeine Weisheit parat zu haben.
MZEE.com: Du hast dir mit den Jahren einen Ruf als Schauspielrapper gemacht, weil du dich in vielen Songs in unterschiedliche Rollen versetzt. Hast du manchmal Schwierigkeiten, eine bestimmte Position einzunehmen, wenn du noch nicht genug Erfahrungen in dem jeweiligen Bereich gemacht hast?
Alligatoah: Ich gehe einen Song tatsächlich oft wie ein Schauspieler und nicht wie ein Musiker an. Da steckt einiges an langweiliger und trockener Recherche drin. Ich lese viel oder spreche mit Leuten, um mich dem Thema anzunähern.
MZEE.com: Kommt es vor, dass du mit Freunden oder Bekannten zusammensitzt, es plötzlich Klick macht und dir eine neue Songidee in den Kopf kommt?
Alligatoah: Ich weiß gar nicht, ob das so schon mal passiert ist. Manchmal baue ich Themen unterschwellig in Gespräche ein, um zu schauen, was für ein Austausch entsteht. So kann ich mir ein Bild davon machen, ob eine Songidee von mir interessant ist. Die Anwesenden wissen dabei nicht, dass sie gerade meine Versuchskaninchen sind. (lacht)
MZEE.com: Aktuell bist du auch noch Mitglied von Trailerpark – einer Crew, die durch ihre extrovertierte und provokante Art bekannt geworden ist. Wie schwierig war die Umstellung in Sachen Image für dich, wenn du nach einem neuen Soloalbum wieder mit Trailerpark auf Tour warst?
Alligatoah: Als besonders anstrengend habe ich die Tour im Kopf, auf der ich zwei Konzerte an einem Abend spielen musste – einmal als Alligatoah und dann noch zusammen mit Trailerpark. Auch als Mitglied von Trailerpark habe ich eine weitere Rolle gespielt – als komischer Alkoholiker mit merkwürdigen Fantasien. (lacht) Das Ganze ordnet sich in eine Reihe von Charakteren ein, die auf ihre eigene Art und Weise extrem, radikal und zum Teil widerlich sind. Aber genau diese Rollen haben mich immer am meisten gereizt.
MZEE.com: Hattet ihr bei Trailerpark intern auch mal Schwierigkeiten, weil jemand von euch das Gefühl hatte, zu kurz zu kommen?
Alligatoah: Wir haben auf unseren Bandprojekten immer versucht, die Songs so gut wie möglich aufzuteilen. Ich hatte vielleicht die ein oder andere Hook mehr. Letzten Endes stellen wir eine Boyband dar, die aus vier verrückten Einzelfiguren zusammengecastet ist. Wie bei jeder guten Beziehung ist es wichtig, dass man nicht zu viel aufeinander hockt. Wir sind keine Gang, die zusammen aufgewachsen und durch die Straßen gezogen ist. Als wir damals zusammengekommen sind, hatten wir alle mehr oder weniger schon unsere Soloprojekte und wussten uns entsprechend einzuordnen. So hat jeder von uns als Individuum seinen Respekt bekommen.
MZEE.com: Im Rap ist Selbstdarstellung seit eh und je ein großes Thema. Wie wichtig ist deiner Meinung nach ein handfestes Image, um langfristig Erfolg zu haben?
Alligatoah: Ein Image kann sehr hilfreich sein. Ich glaube aber auch, dass schnell auffällt, wenn es aufgesetzt ist. Es kann ruhig ausgedacht sein, sollte allerdings vom Künstler selbst kommen. Wenn sich jemand anders für dich überlegt, wie du dich darstellst, wird es problematisch. Diesen Fall hatte man früher oft, wenn große Major-Labels ihren Künstlern Images aufgezwängt haben, die gar nicht zu ihnen passten. Heutzutage ist das nicht mehr so oft der Fall.
MZEE.com: In einem Interview vor etwa einem Jahr hast du erzählt, dass Menschen in deinem Heimatdorf Neuenwalde ein sehr festgefahrenes Bild von Rap haben. Inwieweit hat sich deiner Meinung nach die Wahrnehmung von Rap in der breiten Masse in den vergangenen Jahren verändert?
Alligatoah: Ich habe das Gefühl, dass Rap krass in der Mehrheitsgesellschaft angekommen ist. Plötzlich erzählen mir Leute aus meinem Freundeskreis etwas über den Beef zwischen Bushido und Arafat und an Tischen wird über Rap geredet. Früher war ich der Einzige, der so etwas mitbekommen hat, weil nur ich Teil dieser Bubble war. Die Zeiten haben sich aber geändert – deutscher Rap ist jetzt ein Thema für den Mainstream.
MZEE.com: Nicht nur in der Musik spielt Selbstdarstellung eine große Rolle. Auch in der Welt von Social Media liegt der Fokus auf einem möglichst makellosen Bild nach außen. Wie bewertest du den Stellenwert von TikTok, Instagram und Co. in unserer Gesellschaft?
Alligatoah: Als ich mit dem Internet sozialisiert wurde, war ich in Foren unterwegs, um mich auszutauschen. Die von dir genannten Kanäle sind Teil einer neuen Ära und ich frage mich jetzt schon, was danach kommen wird. Ich selbst mag auf manche Menschen wie ein konservativer Kauz wirken, weil ich mich manchen Dingen einfach verweigere, aber ich interessiere mich tatsächlich sehr für neue Plattformen. Ich bin zum Beispiel auf Twitch und TikTok angemeldet. Ich schaue mir an, wie andere diese Plattformen nutzen und überlege dann, wie ich mich auf diesen neuen Spielplätzen austoben kann. So habe ich zum Beispiel meinen Kanal auf Twitch genutzt, um eine Jam-Session-Show ins Leben zu rufen. In dieser habe ich einfach mit befreundeten Musikern eine Runde gezockt, ohne ins Mikrofon zu reden oder um Likes zu betteln. Bei TikTok habe ich angefangen, Wasser zu trinken, weil ich das sowieso gerne mache und es zu mir passt.
MZEE.com: Wo siehst du die Nachteile und vielleicht auch Gefahren von Social Media?
Alligatoah: Ich produziere gerne Sachen für Medien, die ich selbst nutze. Wenn ich zum Beispiel Filme gucke, dann möchte ich einen Film machen. Wenn ich eine CD einlege, möchte ich eine CD veröffentlichen. Social Media konsumiere ich nur bedingt gerne, weil mir bewusst ist, wie dadurch die Persönlichkeit vergiftet werden kann. Ich gehe die ganze Sache insgesamt ruhiger an, bin aber trotzdem Teil dieser Maschinerie, die dafür sorgt, dass wir alle sehr lange an diesen scheiß Geräten kleben und nichts mehr von der echten Welt mitbekommen. Deshalb kann ich allen empfehlen, ausschließlich meinen Kanälen zu folgen, da ich dort sehr selten etwas poste. (lacht)
MZEE.com: Blicken wir zum Schluss in die Zukunft: Würdest du nach einem möglichen Ende deiner Musikkarriere in einer anderen Funktion in der Öffentlichkeit tätig sein wollen?
Alligatoah: Ich blicke nie so weit in die Zukunft, weil mir das Kopfschmerzen bereitet. Ich kann aber auf jeden Fall sagen, dass ich dieses Spiel mit der Öffentlichkeit lieb gewonnen habe. Mir würde es fehlen, wenn ich plötzlich kein Publikum mehr haben würde. Zu merken, dass die eigene Kunst auf Resonanz trifft, gehört zu meinem Leben und treibt meine Kreativität an. Es kann aber natürlich sein, dass ich irgendwann mal keine Musik mehr mache und anfange, Filme zu drehen oder Skulpturen zu kneten.
(Moritz Friedenberg)
(Fotos von Jakob Marwein)