DIGGEN mit Meg10 (Hoe__mies)
Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freunden von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem neuen Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Gizem Adiyaman ist eine vielbeschäftigte Frau. Viele kennen sie vermutlich als Meg10 – und somit auch als Teil des DJ- und Ex-Podcast-Duos Hoe__mies. Eigentlich kommt Gizem aber aus der politischen Bildungsarbeit und setzt sich, neben ihrem Dasein als Produzentin, schon lange für Gleichberechtigung in all ihren Facetten ein. Mit ihrer Geschäftspartnerin und Freundin Lucia organisierte sie beispielsweise eine Veranstaltungsreihe, mit der sie eine queer-feministische HipHop-Community repräsentieren und damit sichtbar machen wollten. Außerdem lenkten sie schon 2019 durch die Kampagne #MuteRKelly mit Salwa Houmsi die Aufmerksamkeit auf sexualisierte Gewalt innerhalb der Musikindustrie. Und als hätten sie damit nicht schon genug zu tun, teilten die Hoe__mies postpandemisch ihre Bühne mit dem Berlin Strippers Collective und schreiben, wie es scheint, derzeit an einem Buch. Wenn man sich Meg10s Lebenslauf also anschaut, schreit er regelrecht vor Empowerment. Bei ihrer Musikauswahl ist das nicht anders: Sie stellte uns – um es in ihren Worten zu sagen – eine "Boss Ass Bitch"-Playlist zusammen und erklärte, was M.I.A. so unvergleichlich macht und mit welchem Song Keyshia Cole, Missy Elliott und Lil' Kim ihr schon bei Liebeskummer geholfen haben. Mit ihrer Auswahl für MZEE.com möchte sie die Frauen ehren, die sie in ihrer musikalischen Entwicklung geprägt und ihr den richtigen Soundtrack für jede Situation gegeben haben. Sie wählte dabei selbstbewusste Frauen, die Emotionen rüberbringen können – und gewährt uns damit auch einen kleinen Einblick in ihre eigene Gefühlswelt.
1. Megan Thee Stallion – Thot Shit (prod. by OG Parker, Lil Ju)
Meg10: Ich liebe Megan Thee Stallion für ihre Attitude und Confidence. Sie kann freestylen, hat Bars und trifft den Nagel immer auf den Kopf. Und ich mag auch ihre Beat-Auswahl sehr gerne. Die sind meistens nicht überladen und es passiert nicht so viel, weil es nur ein Loop ist, aber sie catchen mich jedes Mal. In "Thot Shit" spricht sie darüber, dass viele Leute so getan haben, als wären sie in ihrem Team, und ihr letzten Endes doch in den Rücken gefallen sind. Das habe ich leider auch schon oft erlebt. Die Leute haben vor einem Monat noch nach einem Gästelistenplatz gefragt und im nächsten Moment springen sie auf einen Shitstorm mit auf und wollen sich plötzlich abgrenzen, obwohl sie vorher noch einen auf "Voll cool, was du machst!" getan haben. Deswegen kann ich den Song sehr fühlen. Bei Frauen wird auch noch mal besonders geschaut, ob sie alle Erwartungen erfüllen, welche oft exorbitant hoch sind. Rapper klingen alle gleich, aber bei der Frau wird dann auf einmal drauf geachtet. Du musst top aussehen, musst dich bewegen können, musst gute Bars haben, die am besten selber schreiben und gut performen können. Und dann werden Frauen auch noch gegeneinander ausgespielt. Das passiert ja meistens von außen, dass ein Konkurrenzgedanke geschürt wird. Ich glaube, das ist ein noch sichtbareres Problem als unter Männern. Aber ich will gar nicht abstreiten, dass es das auch unter Männern gibt.
2. YG feat. Day Sulan – Equinox (prod by. Donut, Pluss)
Meg10: Day Sulan ist gerade meine liebste Neuentdeckung. Sie ist eine ehemalige Stripperin, die ziemlichen Struggle hinter sich hat. Das thematisiert sie auch in ihrer Musik. Die Confidence, mit der sie kommt, appreciate ich sehr. Momentan ist sie unter YG gesignt, den ich sowieso liebe. Er hat immer extrem geile Beats und klingt swaggy. Und "Equinox" ist einfach ein Abriss-Song. Für DJs ist das sehr dankbar – viel Hype, viel Aufbau und repetitive Patterns, mit denen man die Leute mitreißen kann. Leider kennen das nicht so viele, das ist ein bisschen untergegangen. Ich finde Call and Response-Sachen einfach geil und mag explizite Lyrics sehr. Was man vielleicht auch an der Auswahl merkt. (lacht) Ich mag es, wenn Frauen ihre Sexualität thematisieren und sich da nichts sagen lassen. "I'm comin' with the bags, yeah, with the bags, yeah. Sugar daddy pay for ass, yeah, pay for ass, yeah." – Das ist auch humorvoll.
3. BIA – SKATE (prod. by CBMIX)
Meg10: BIA habe ich 2017 entdeckt, als sie bei Pharrell gesignt war und kaum Songs hatte. Ich fand sie damals schon cool und habe mich immer gefragt, wieso so wenig von ihr rauskommt. Im Endeffekt war es ein Fall von: wurde direkt weggesignt, blieb lange unter Verschluss und konnte nichts releasen. Und dann hatte sie, eine Woche nachdem sie aus ihrem Deal raus war, mit Russ ihren ersten großen Durchbruch mit "BEST ON EARTH". Das hat sie independent releast, also auch richtig gut daran verdient. Auf ihrer EP "FOR CERTAIN" rechnet sie so ein bisschen mit der Zeit ab. "I told you let 'em hate, soak it up, let it marinate." – Deine Hater wirst du immer haben, also lass sie sich einfach in ihrem Hate suhlen. Das hat mir in manchen Zeiten echt geholfen. Ich habe die EP so viel gehört, dass ich fast jedes Wort mitrappen kann. "SKATE" hat sie dann auch noch mal für die NHL neu aufgelegt, was wirklich eine Ehre ist.
4. Rubi Rose – Big Mouth (prod by. ChewBeats, Lawson)
Meg10: Rubi Rose sollte man echt im Auge behalten, die finde ich richtig cool. "Big Mouth" klang für mich erst mal nur krumm und schief, auch die 808 klingt schief. Ich war gar kein Fan davon. Am Ende war es aber mein meistgehörter Song 2020. Der lief wirklich rauf und runter, vor allem wenn ich im Auto durch die Stadt gefahren bin. Richtig geiler Vibe. Ich liebe die Line: "Probably get more money than my dad now." (lacht) Das finde ich so cheeky. Auch das Video ist total ästhetisch. Sehr, sehr cool.
5. Nicki Minaj feat. PTAF – Boss Ass Bitch (prod. by LadyTinyFameSix)
Meg10: Nicki Minaj ist meine absolute Queen of Rap. Ich oute mich hiermit als Barb. Sie hat einen unglaublich guten Humor und geile Referenzen und Punchlines. Und ich liebe einfach diesen Song. "Boss Ass Bitch" hat so viele gute und lustige Lines. Keine Ahnung, wie ernst man das nehmen kann, wenn Leute sagen, dass sie alles gefreestylet haben, aber ich weiß, dass sie echt gut freestylen kann. Ich habe sogar mal versucht, einen Edit daraus zu machen, aber habe ihn leider nie fertig gemacht. Dazu hätte ich mich noch mal eine Minute oder so hinsetzten müssen, aber ich langweile mich dann auch so schnell und mache dann schon das nächste Projekt. (lacht) Die Anerkennung, die sie immer sucht, der ganze Beef und auch, wie ihre Fans interagieren, ist mir manchmal zu viel, aber sie ist halt auch einfach die Queen und verdient die Anerkennung. Außerdem hat sie in der Musikindustrie wirklich viel mitgemacht. Es wurde immer eine Art Kontrahentin für Nicki gesucht und das stelle ich mir echt hart vor.
6. Keyshia Cole feat. Missy Elliott & Lil' Kim – Let It Go (prod. by Missy Elliott, Lamb)
Meg10: "Let It Go" hat mir in Zeiten, in denen ich wegen meinem Boy down war, richtig geholfen. Wir sind jetzt schon seit fast zehn Jahren in einer Beziehung, aber waren zwischendurch mehrmals getrennt. Und in diesen Phasen habe ich viele Songs gehört, die mich dann wieder ein bisschen gepusht haben. Gerade, wenn man mit Betrug zu kämpfen hat, braucht man starke Frauen, die einem sagen: "Let it go, girl." Sie sagt ja auch: "You need to get, if he don't wanna love you the right way, he ain't gonna. It ain't where he's at. It's where he wanna be." – Es geht nicht darum, wo er ist, sondern wo er sein will. Und davon kannst du dich nicht so einschränken lassen. Natürlich ist Liebe etwas Schönes, aber man sollte trotzdem Grenzen für sich setzen können. Und dieser Song hat mich da empowert. Die Kombi ist auch einfach geil. Keyshia Coles Stimme ist ein Traum und dann Missy Elliott mit ihrer humorvollen Art. Einer meiner All Time Favorites. Missy Elliott steht bei mir mit Nicki zusammen auf einem Podest. Die Videos und Choreos waren damals legendär. Sie hat auch für viele Künstler:innen produziert und geschrieben, das wissen viele gar nicht. Oft wird sie in diese "Female MC"-Kategorie gesteckt, aber meiner Meinung nach ist sie eine:r der besten Künstler:innen und ultra das Vorbild. Period.
7. Toni Braxton – He Wasn't Man Enough (prod. by Rodney Jerkins)
Meg10: Wenn wir schon mal bei der "Männer sind scheiße"-Energy sind. Diesen Song kann ich auch Wort für Wort auswendig. (lacht) I love her. Sie hat diese krass tiefe Stimme, die so Soul hat. Und ihre Beats waren immer geil. Da war viel von Rodney Jerkins – ein großartiger Produzent. Diese Ära des R 'n' B-HipHop-Crossover … Das waren für mich die besten Beats. Deswegen feier' ich den Song auch bis heute.
8. M.I.A. – Bucky Done Gun (prod. by M.I.A., Diplo, Paul Byrne)
Meg10: Meine Liste ist erstaunlich unpolitisch geworden, obwohl ich schon eine sehr politische Person bin. Für mich muss sich das aber auch nicht immer in der Musik wiederfinden. M.I.A. ist allerdings eine Künstlerin mit geilen Texten und Message, obwohl man das nicht unbedingt merkt, wenn man die Songs hört. Das habe ich erst viel später gecheckt. Nach langem Überlegen habe ich mich dazu entschieden, "Bucky Done Gun" von ihr mitzubringen. Das ist einer ihrer ältesten Songs, aber ich habe ihn erst spät entdeckt und gemerkt, dass sie damals schon diesen Baile Funk-Rhythmus drinnen hatte. Jetzt ist das total beliebt, aber damals kannte das keine Sau. Außer in Brasilien, wo der Song auch ein Ultra-Hit wurde. Sie hat immer coole Klänge in ihrer Musik, die ich vorher nicht kannte, oder Fusions, die ich vorher noch nie gehört habe. Sie produziert auch und ist eine megatalentierte Person, die sich wenig Input von außen holt. Für mich ist sie unvergleichlich.
9. Shawnna – Gettin' Some (prod. by Xcel)
Meg10: Shawnna war damals bei Ludacris gesignt, aber hat leider nie den Fame erlangt, den sie hätte haben können. Denn sie ist total talentiert. Eine der krassesten Rapperinnen aus den Südstaaten. Zu der Zeit gab es auch einfach wenige Frauen, die ihre Sexualität so wie heute krass in den Fokus gestellt haben. Da gab es im Süden vielleicht noch Trina oder aus der Dekade davor Foxy Brown und Lil' Kim, aber das war schon revolutionär. Und der Song ist einfach geil. Am besten hört man den im Auto. Ich mag das Too Short-Sample, das Xcel da benutzt hat.
10. Foxy Brown feat. Blackstreet – Get Me Home (prod. by Poke & Tone, Teddy Riley)
Meg10: Auf jeden Fall einer meiner All Time Favs. Für das Intro haben sie eine Talkbox benutzt und das liebe ich. Mein Freund und ich haben uns vor Kurzem auch eine gekauft und haben das ausprobiert. Das ist so schwierig! Ich dachte, man muss sich nur diesen Schlauch in den Mund stecken und reinsingen. Aber die Töne, die du reinjagst – zum Beispiel mithilfe eines Synthesizers oder einer Gitarre – kommen als Druckwelle in deinen Mund und dann musst du ihn bewegen und flüstern. Ich fand das so schwer, weil der Schlauch echt dick ist und man sich den unter die Zunge klemmen muss, während man auch noch spielt. Ich liebe diesen Sound, aber selber kriege ich ihn leider nicht hin. Auch das Thema von dem Song ist für mich sehr relatable. Sie rappt darüber, dass sie jemanden im Club sieht, den sie am liebsten mit nach Hause nehmen würde, aber einen Freund hat. Sorry, ich bin DJ. Ich war schon tausendmal in so einer Situation – egal, ob Mann oder Frau. Ich hatte immer Leute um mich rum, die ich irgendwie gut fand, obwohl ich meinem Freund gegenüber keine Grenzen überschreiten wollte. Ich bin ein treuer Mensch und mache sowas nicht, aber ich kann sehr nachempfinden, was sie da erzählt. Foxy Brown hat in Deutschland leider immer im Schatten von Lil' Kim gestanden. In den USA hat sie, glaube ich, mehr Anerkennung bekommen. Ich konnte mich nie entscheiden, wen ich besser finde.
11. Lil' Kim feat. Sisqo – How Many Licks? (prod by. Diddy, Mario Winans)
Meg10: Ich finde, niemand kann so gut Storytelling betreiben wie Lil' Kim. Sie nimmt einen in ihr Dirty Mind mit. Plötzlich ist man Teil davon und fragt sich, wie man überhaupt auf solche Sachen kommen kann. Man merkt, dass die Frau viel erlebt hat. Ich liebe den Song aber auch so, weil Sisqo einer meiner favorite Artists und Dru Hill eine meiner liebsten Gruppen gewesen ist. Das Pairing von den beiden ist einfach göttlich.
12. Mariah Carey feat. ODB – Fantasy (prod. by Mariah Carey, Diddy, Dave "Jam" Hall)
Meg10: Die Letzte ist Mariah Carey … I had to put her on the list. "Fantasy" funktioniert immer auf jeder Party und Mariah ist meine absolute Lieblingssängerin. Ihre Diva-Attitüde finde ich wie bei Nicki kritikwürdig, aber irgendwie macht es sie halt auch iconic. Die hat einfach ihren Ex-Freund auf Zeitverschwendung verklagt und hat auch noch gewonnen. Ich mein: Who does that? Ja, Mariah Carey. (lacht) Ich fand sie auch immer so cool, weil sie die Soul-Princess war, aber eine der Ersten, die Crossover mit Rap gemacht hat. Sie hatte zum Beispiel Videos mit Mase, The Lox und ODB.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Meg10 (Hoe__mies)"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von Randy Kambodscha)