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Interview

Megaloh – ein Gespräch über Macht

"Ich bin nicht so posi­tiv gestimmt, dass ich den­ke, dass über 500 Jah­re kolo­nia­le Struk­tu­ren – platt gesagt – in einem Som­mer Inter­net­dis­kus­si­on auf­ge­löst wer­den." ‒ Mega­loh im Inter­view über deut­sche Erin­ne­rungs­kul­tur, Selbst­er­mäch­ti­gung und Kon­troll­me­cha­nis­men inner­halb der Musikindustrie.

Die letz­ten Tage und Wochen haben erneut bewie­sen, wel­che ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen es hat, wenn ein Teil die­ser Welt kom­plett macht­los ist. Mit Afgha­ni­stan exis­tiert gera­de ein Para­de­bei­spiel für einen Staat, der von der west­li­chen Welt und deren Hil­fe abhän­gig ist. Nicht, weil er vor 20 Jah­ren um Hil­fe gebe­ten hat­te, son­dern weil er damals besetzt und von west­li­chen Regie­run­gen abhän­gig gemacht wur­de. Zwei Jahr­zehn­te spä­ter wur­den die Trup­pen nun abge­zo­gen und die Bevöl­ke­rung hilf­los den Tali­ban aus­ge­lie­fert, die wie­der­holt das Land in Angst und Schre­cken versetzen. 

Die Pro­ble­ma­tik in Afgha­ni­stan führt uns momen­tan unse­re Unzu­läng­lich­kei­ten sowie die Aus­wir­kun­gen west­li­cher Macht mal wie­der vor Augen, doch die­se sind per­ma­nent prä­sent. Denn das Fun­da­ment für die­se Macht­ge­fäl­le, das west­li­che Selbst­ver­ständ­nis und die dar­aus fol­gen­den Nach­wir­kun­gen für Men­schen in ande­ren Erd­tei­len leg­te bereits die Kolo­ni­al­herr­schaft euro­päi­scher Staaten.

Wir spra­chen mit Mega­loh über die­se Ursprün­ge, die Kon­se­quen­zen und wie man sie auch an Men­schen jun­gen Alters her­an­tra­gen kann, damit sie deren Aus­wir­kun­gen schon früh ein­ord­nen und ver­ste­hen kön­nen. Zudem ging es um die Fol­gen des Kapi­ta­lis­mus und die vor­herr­schen­den Struk­tu­ren der Musik­in­dus­trie für Künstler:innen sowie deren Selbst­er­mäch­ti­gung. Denn Mega­loh wur­de nicht nur sein Leben lang durch Macht­struk­tu­ren geprägt, er behan­delt das The­ma "Macht" auch seit jeher in sei­ner Kunst – in Form ein­zel­ner Lines, Songs oder gan­zer Pro­jek­te wie BSMG mit sei­nen Kol­le­gen Musa und Gha­nai­an Stal­li­on. Um auf sei­ne eige­nen Wor­te zu ver­wei­sen: Vor zehn Jah­ren war er noch eins mit der Macht, so wie Obi-​Wan Kenobi. Heu­te hat er vie­le Kon­tak­te nach oben, aber bleibt dann mit Absicht am Boden, so wie Gor­don Shumway.

MZEE​.com: Lass uns zu Beginn klä­ren, wie du Macht defi­nierst. Wann ist ein Mensch für dich mächtig?

Mega­loh: Macht bedeu­tet für mich, die Fähig­kei­ten und Mög­lich­kei­ten zu haben, Din­ge zu tun. Also in der Lage zu sein, ein bestimm­tes Ziel errei­chen zu kön­nen. So wür­de ich das ganz gene­rell beschrei­ben. Macht­struk­tu­ren, feh­len­de Macht und Macht­kon­zen­tra­ti­on gibt es ja in allen gesell­schaft­li­chen Bereichen.

MZEE​.com: Wür­dest du sagen, dass du als Künst­ler Macht besitzt?

Mega­loh: Ja, safe. Ich habe Reich­wei­te und es gibt Men­schen, die mir zuhö­ren und wich­tig fin­den, was ich sage. Wenn Men­schen zu mir auf­schau­en und mich als Vor­bild betrach­ten, habe ich auf jeden Fall die Macht, sie mit dem, was ich sage und tue, poten­zi­ell zu beeinflussen.

MZEE​.com: Hast du in dei­nem Leben danach gestrebt?

Mega­loh: Zumin­dest nicht bewusst. Ich habe nach Mög­lich­kei­ten gesucht, mein Leben bes­ser gestal­ten zu kön­nen. Nach der Macht, ent­schei­den zu kön­nen, wo ich wann und mit wel­chen Men­schen sein möch­te. Und was ich mir leis­ten kann. Aber ich habe zumin­dest nie bewusst ver­sucht, dar­aus einen Nut­zen zu zie­hen. Ich fei­er' es nicht, wenn ich das Gefühl habe, dass ich Men­schen durch mei­ne Macht for­men kann. Für mich ist es wahr­haf­ti­ger, wenn mir eine Per­son eine Ant­wort gibt, die ihrem eige­nen Den­ken ent­spricht. Mehr als wenn sie es tut, weil sie viel­leicht Angst vor mir hat oder mir gefal­len möchte.

MZEE​.com: Wenn du sagst, dass das für dich mit Mög­lich­kei­ten ein­her­geht: Wür­dest du behaup­ten, dass Macht posi­ti­ve Sei­ten hat?

Mega­loh: Ermäch­ti­gung und Macht sind auch etwas Gutes. Macht­kon­zen­tra­ti­on, Macht­aus­nut­zung und nega­ti­ver Ein­fluss auf­grund von Macht sind schlecht. Über ande­re ver­fü­gen zu kön­nen oder ande­re macht­los sein las­sen zu kön­nen … Da fängt es dann mit Macht­ge­fäl­len und -struk­tu­ren an. Mäch­ti­gen und Macht­lo­sen. In dem Moment wird es ein struk­tu­rel­les und gesell­schaft­li­ches Pro­blem. Man sagt ja immer, Geld sei die Wur­zel allen Übels, aber Geld ist auch nur ein Machtinstrument.

MZEE​.com: Für mich bist du jemand, der durch und durch Selbst­er­mäch­ti­gung ver­kör­pert – zum Bei­spiel durch BSMG. Wor­aus schöpfst du die Kraft dafür? Gibt es Men­schen und Momen­te, die dich dahin­ge­hend geprägt haben?

Mega­loh: Mei­ne Mut­ter hat­te einen star­ken Ein­fluss auf mich. Sie ist eine nige­ria­ni­sche Frau, die es aus struk­tu­rell beschei­de­nen Ver­hält­nis­sen – die auf­grund der Kolo­ni­al­ge­schich­te und ihrer Fol­gen in Afri­ka herr­schen – her­aus geschafft hat, um in den USA zu stu­die­ren. Sie muss­te dafür vie­le Jobs machen. Dann ist sie nach Deutsch­land gekom­men und hat ihren Kin­dern ver­mit­telt, dass man für die Din­ge, die man haben will, hart arbei­ten muss. Sie hat mich dafür sen­si­bi­li­siert, dass nicht alle die glei­chen Chan­cen haben und dass ich mich aus ihrer Sicht noch mehr anstren­gen muss. "Du bist dei­nes eige­nen Glü­ckes Schmied." Das ist auf jeden Fall die Prä­gung mei­ner Mut­ter. Und dann wird man älter und sieht, dass eini­ges davon stimmt. Bezie­hungs­wei­se kann man glo­ba­le Kon­tex­te bes­ser ver­ste­hen und ler­nen, wie glo­ba­le Macht­struk­tu­ren ent­stan­den sind. Was Res­sour­cen­aus­beu­tung und -ver­tei­lung ist. Aber in mei­nem All­tag ist die trei­ben­de Kraft Lie­be. Das hört sich immer so pla­ka­tiv und eso­te­risch an, aber die Lie­be zum Leben und den Men­schen in mei­nem Umfeld gibt mir Kraft.

MZEE​.com: Mit BSMG habt ihr den Song "Geschichts­un­ter­richt" ver­öf­fent­licht. Nun ist es so, dass ein wesent­li­cher Teil unse­rer Gesell­schaft inzwi­schen gewillt ist, die Geschich­te aus einer neu­en Per­spek­ti­ve zu erzäh­len. Der Kolo­nia­lis­mus hat aber sei­ne Anfän­ge bereits im Jahr 1415. Wie lan­ge, glaubst du, braucht eine Gesell­schaft, um meh­re­re Jahr­hun­der­te Geschich­te aus der Per­spek­ti­ve des wei­ßen Man­nes neu zu erzäh­len? Ist das über­haupt machbar?

Mega­loh: Das ist eine schwie­ri­ge Fra­ge, auf die ich lei­der nicht die eine Ant­wort habe. Ich glau­be schon, dass sich Macht­struk­tu­ren umwäl­zen las­sen. Aber das eigent­li­che Nar­ra­tiv ist ja: "Der Sie­ger erzählt die Geschich­te." Und wenn man danach geht, bräuch­te es erst mal einen neu­en Sie­ger. Mei­ne Hoff­nung ist, dass wir das als Kol­lek­tiv mit den tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten und der immer stär­ke­ren glo­ba­len Ver­net­zung schaf­fen. Das Inter­net bringt vie­le Mög­lich­kei­ten, auf ein kol­lek­ti­ves Bewusst­seins­le­vel zu kom­men. Alte Macht­struk­tu­ren grei­fen da, glau­be ich, nicht mehr. Ob es dann gar kei­ne mehr gibt, sei dahin­ge­stellt. Ich fin­de es gut, dass vie­le neue Dis­kur­se ent­ste­hen. Es wer­den neue Denk­pro­zes­se frei­ge­setzt. Aber ich bin nicht so posi­tiv gestimmt, dass ich den­ke, dass über 500 Jah­re kolo­nia­le Struk­tu­ren – platt gesagt – in einem Som­mer Inter­net­dis­kus­si­on auf­ge­löst wer­den. Da muss schon mehr pas­sie­ren. Dabei spie­len auch ein­zel­ne Geschich­ten eine gro­ße Rol­le. Men­schen, die in eine Posi­ti­on kom­men, in der sie vor­her nicht gese­hen wur­den, sich aber selbst­er­mäch­tigt in die­se Posi­ti­on gebracht haben und aus die­ser einen Ein­fluss auf die Gesell­schaft aus­üben kön­nen. Das sind vie­le ein­zel­ne Geschich­ten, die das Kol­lek­tiv mit­prä­gen und die Pro­zes­se beschleu­ni­gen können.

MZEE​.com: In den sozia­len Medi­en wird mei­ner Mei­nung nach oft ein wenig naiv davon gespro­chen, dass man Macht­struk­tu­ren auf­lö­sen müs­se – als wür­de es aus­rei­chen, dar­über ein­fach mal kurz nach­zu­den­ken. Unse­re gesam­te Kul­tur und Gesell­schaft baut auf Macht­struk­tu­ren auf und der Kolo­nia­lis­mus ist der Grund­stein der Glo­ba­li­sie­rung und des west­li­chen Kapi­ta­lis­mus. Das durch­dringt nahe­zu unse­re gesam­te Geschich­te und das muss man erst mal ler­nen und begrei­fen. Wel­chen Bei­trag muss dabei unser Bil­dungs­sys­tem leisten?

Mega­loh: In einer per­fek­ten Welt müss­te man das Schul­sys­tem kom­plett refor­mie­ren. Es müss­te neu defi­niert wer­den, was die Schu­le will. Ich glau­be, es ist wich­tig, dass wir alle ein ganz­heit­li­ches Wis­sen über uns als Mensch erwer­ben. Um sowohl sich selbst und sei­nen eige­nen Kör­per zu ver­or­ten als auch sich auf die­sem Pla­ne­ten als ein Teil eines leben­den Orga­nis­mus zu ver­ste­hen. Dass wir als Mensch­heit ein Kol­lek­tiv sind, unab­hän­gig von Natio­nen. Gera­de der Gedan­ke der Nati­on ist extrem ver­al­tet, wenn man ihn dem gegen­über­setzt, wie wir uns eigent­lich begrei­fen soll­ten. Auch wenn wir uns mal anschau­en, wohin wir uns in Bezug auf den Kli­ma­wan­del bewe­gen. Wenn wir wirk­lich ein kol­lek­ti­ves Bewusst­sein hät­ten, wären bestimm­te Sachen sicher­lich kein The­ma mehr. Aber weil es immer noch einen Wett­lauf zwi­schen Natio­nen gibt, kön­nen wir nicht ange­mes­sen han­deln. Im bes­ten Fall hät­ten wir ein Schul­sys­tem, das uns das Ler­nen kom­plett neu lehrt. Ich habe kei­ne kon­kre­te Lösung und Vor­stel­lung davon, wie das inhalt­lich aus­se­hen soll­te. Aber ich wür­de mir natür­lich wün­schen, dass im Zuge des­sen auch eine geschicht­li­che Auf­ar­bei­tung pas­siert, die nicht nur den Sie­ger die Geschich­te schrei­ben lässt, son­dern eine objek­ti­ve Bericht­erstat­tung ist. Das gehört ja auch zu den Wer­ten des Jour­na­lis­mus. Da ist etwas pas­siert, zu dem es Quel­len und Berich­te gibt. Man kann das Gan­ze auf­ar­bei­ten und so erzäh­len, wie es pas­siert ist. Viel­leicht ist die Idee naiv, aber in mei­ner Vor­stel­lung ist das theo­re­tisch mach­bar. Aber das wird auch durch vor­herr­schen­de Macht­struk­tu­ren ver­hin­dert. Kei­ner will sich die Blö­ße geben oder Repa­ra­tio­nen zah­len, geschwei­ge denn Macht und Stel­lung verlieren.

MZEE​.com: Ich glau­be, es wür­de auch viel Ver­än­de­rung mit sich brin­gen, wenn Kin­der und Jugend­li­che den Unter­richt mehr mit­ge­stal­ten könnten. 

Mega­loh: Damit hast du völ­lig recht. Gene­rell haben Kin­der noch nicht genü­gend Mit­be­stim­mungs­recht in die­ser Gesell­schaft und wer­den nicht als voll­wer­ti­ge Mit­glie­der gese­hen. Sie wer­den von oben her­ab behan­delt. Vie­le Erwach­se­ne berück­sich­ti­gen auf­grund ihrer Lebens­er­fah­rung nicht, dass Kin­der so viel mehr mit­brin­gen kön­nen. Viel­leicht spie­le­ri­scher, weil sie eben noch nicht so durch unser Sys­tem geprägt wur­den und daher einen kom­plett ande­ren Blick auf die Welt haben. Man könn­te sich gegen­sei­tig befruch­ten, wenn man sich auf Augen­hö­he begeg­net. Ich fin­de es auch nicht gut, wie mit älte­ren Mit­glie­dern unse­rer Gesell­schaft umge­gan­gen wird. Wie sie am Ende gefühlt ein­fach in die Unsicht­bar­keit abge­scho­ben wer­den. Wir soll­ten kei­ne Angst davor haben, mit­ein­an­der zu spre­chen und uns auf einer Ebe­ne zu begeg­nen. Aber da spie­len eben Ängs­te und fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren mit rein. Angst ist das größ­te Hin­der­nis für eine gute Entwicklung.

MZEE​.com: Es gibt immer wie­der Dis­kur­se dar­über, ob die deut­sche Erin­ne­rungs­kul­tur, auch wäh­rend der Schul­zeit, abseits des Holo­causts Raum dafür lässt, die Kolo­ni­al­ge­schich­te aus­rei­chend auf­zu­ar­bei­ten. Hältst du das für einen logi­schen Gedankengang?

Mega­loh: Erst mal den­ke ich, dass Deutsch­land im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern – wie zum Bei­spiel Frank­reich, Eng­land oder Däne­mark – einen Tick wei­ter ist, was das angeht. Es ist für jede Nati­on schwie­rig, mit ihrer schlech­ten Ver­gan­gen­heit umzu­ge­hen. Auf­grund des­sen, dass Deutsch­land bei­de Welt­krie­ge ver­lo­ren hat, sind sie sogar wei­ter. Aller­dings ist es schon krass auf den Holo­caust und die schreck­li­chen Aus­wir­kun­gen davon kon­zen­triert. Ich fin­de es aber schwie­rig, das bei­des in Ver­bin­dung zu set­zen. Das wür­de ja bedeu­ten, dass über­spitzt gesagt "die Juden" zu viel Auf­merk­sam­keit bekä­men. Da schwingt dann schon etwas mit. Es ist super­wich­tig, alles an schreck­li­cher Geschich­te auf­zu­ar­bei­ten, aber in Deutsch­land pas­siert das lei­der sehr ober­fläch­lich. Statt sich wirk­lich die Mühe zu machen, da hin­zu­ge­hen, wo es unan­ge­nehm ist, wer­den The­men eher zuge­macht. Dadurch wird eine wirk­li­che Auf­ar­bei­tung ver­hin­dert. Auch vom Holo­caust. Die Schuld schwebt über allen Köp­fen und man darf bestimm­te Din­ge nicht mehr machen, aber es gibt trotz­dem kei­ne rich­ti­ge Auf­ar­bei­tung. Die Bun­des­wehr ist aus den glei­chen Struk­tu­ren wie die Reichs­ar­mee ent­stan­den. Die Aus­wir­kun­gen davon wer­den über­haupt nicht bespro­chen. Und dann wun­dert man sich, dass aus der Bun­des­wehr ras­sis­ti­sches Gedan­ken­gut kommt. Dabei ist es nur eine Fort­füh­rung der Ver­gan­gen­heit. Ich gehe so weit, zu sagen, dass der zwei­te Welt­krieg nicht der Anfang allen Übels in Deutsch­land war. Die ers­ten Geno­zi­de Deutsch­lands wur­den auf afri­ka­ni­schem Boden ver­übt und die Grund­la­gen und Erfah­run­gen, um den Holo­caust aus­zu­füh­ren, wur­den schon dort gesam­melt. Es bleibt die Fra­ge, wie man mit Schuld umge­hen soll­te. Schuld soll­te nicht reli­gi­ös betrach­tet wer­den. Nach dem Mot­to, dass sie ver­ge­ben wer­den kann oder gesühnt wer­den soll­te. Es geht nicht um Schuld, son­dern dar­um, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Das bedeu­tet, kon­struk­tiv zu han­deln. Und das wird zu wenig gemacht. Das ist viel­leicht auch die christlich-​abendländische Ver­gan­gen­heit, das Opi­um des Vol­kes, das noch zu sehr in den Struk­tu­ren mit­wa­bert. Es geht nicht dar­um, dass alle Deut­schen für die Taten ihrer Vor­fah­ren eine Schuld tra­gen und auf ewig dafür Buße tun müs­sen. Es geht dar­um, anzu­er­ken­nen, was getan wur­de und dafür zu sor­gen, eine Gesell­schaft zu for­men, in der so etwas nicht noch mal pas­sie­ren kann.

MZEE​.com: Man muss sich viel­leicht nicht auf­grund der Taten sei­ner Vorfahr:innen schul­dig füh­len, aber Kom­mu­ni­ka­ti­on und ein Inter­es­se an der eige­nen Fami­li­en­ge­schich­te sind trotz­dem ein wich­ti­ger Bestand­teil, den­ke ich. 

Mega­loh: Ich den­ke auch, dass das total span­nend und wich­tig ist. Aber ich kann auch ver­ste­hen, wie­so Groß­el­tern viel­leicht nicht dar­über reden wol­len. Weil es ein­fach ein kol­lek­ti­ves Ver­bre­chen war, von dem man sich nicht frei­spre­chen kann, selbst wenn man nicht an vor­ders­ter Front betei­ligt war. Aber es hat ja nur funk­tio­niert, weil so vie­le Men­schen mit­ge­macht haben. Die­se Refle­xi­on ist sicher­lich sehr unan­ge­nehm. Aber ich den­ke, wenn man dar­über spricht, über­nimmt man auch Ver­ant­wor­tung. Im Sin­ne von: "Wie kön­nen wir die Din­ge bes­ser machen?" Das ist ein wich­ti­ger Schritt. Sonst wird es irgend­wann eine Gene­ra­ti­on geben, die das gar nicht mehr nach­voll­zie­hen kann.

MZEE​.com: Um vom Poli­ti­schen zur Musik zu kom­men: Die Musik­in­dus­trie ist eben­falls von Macht­struk­tu­ren durch­zo­gen. Glaubst du, dass es auch dort an der Zeit ist, dass Artists sich eman­zi­pie­ren und etwas verändern? 

Mega­loh: Ich glau­be, das pas­siert schon zu gro­ßen Tei­len. Zu jeder Zeit sind muti­ge Leu­te gefragt, die ihr Ding machen und nicht an Nor­men fest­hal­ten. Das berei­chert jede Gesell­schaft. Vor allem, wenn es nicht destruk­tiv gegen­über ande­ren, son­dern selbst­er­mäch­ti­gend ist. Das pas­siert und man merkt es auch den Indus­trie­struk­tu­ren an. Künst­ler sind haupt­säch­lich auf eige­nen Platt­for­men aktiv, sodass sie nicht mehr auf ande­re ange­wie­sen sind. Sie über­neh­men die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit ihrer Hörer­schaft selbst. Man kann heut­zu­ta­ge auch ohne Label Musik raus­brin­gen, die stream­bar ist. Man braucht nur einen Ver­trieb. Aber der Markt wird sich dage­gen weh­ren und wei­ter­hin ver­su­chen, Macht zu kon­zen­trie­ren. Die gro­ßen Fir­men wol­len nichts abge­ben. Natür­lich kann alles wie­der auf­ge­kauft wer­den, aber die Tech­no­lo­gie ist auf jeden Fall in der Lage, uns per­sön­li­che Frei­hei­ten zu ermög­li­chen. Ich glau­be dar­an, dass es mehr Mög­lich­kei­ten als Gren­zen gibt. Es ist immer schwer zu sagen, wie sich alles ent­wi­ckeln wird, aber wir hat­ten als Künst­ler, glau­be ich, noch nie so viel Macht.

MZEE​.com: Und trotz­dem muss man als künst­le­risch täti­ge Per­son ab einem gewis­sen Punkt Kom­pro­mis­se ein­ge­hen und sich ein Stück weit den Struk­tu­ren anpas­sen, wenn man sich ein Leben dar­auf auf­bau­en möch­te, oder? Wenn man, so wie du, eine Fami­lie ernäh­ren muss, kann man sich ver­mut­lich kei­ne Musik leis­ten, die ins Lee­re läuft. 

Mega­loh: Das gibt es bestimmt und ich mache das sicher­lich auch. Aber ich hal­te das nicht für den Weg. Wenn man Musik oder Kunst aus der Moti­va­ti­on her­aus macht, sei­nen Lebens­un­ter­halt damit ver­die­nen zu wol­len, ist das falsch. Kunst ist Aus­druck von Krea­ti­vi­tät und der Per­sön­lich­keit. Also auch des per­sön­li­chen Umgangs mit Din­gen, die einen beschäf­ti­gen. Ich bin da immer mehr rein­ge­rutscht und habe gese­hen, dass ich mit der Musik aus­rei­chend Geld ver­die­nen kann. Das war irgend­wann der logi­sche Schritt. Aber es hat mich gleich­zei­tig in eine Druck­si­tua­ti­on gebracht, in der man das Gefühl hat, dass alles kom­plett durch­dacht sein und einen bestimm­ten Zweck erfül­len muss. Dadurch hat­te ich immer weni­ger Spaß am Musik­ma­chen. Und dann ent­steht auch nichts, weil man ver­krampft und auf der Suche nach dem per­fek­ten Song ist. Das hat mich alles ziem­lich unglück­lich gemacht. Man darf nicht ver­ges­sen, was der Antrieb ist und wie man über­haupt zur Musik gekom­men ist.

MZEE​.com: Vor 17 Jah­ren hast du den Song "Macht des Wor­tes" releast. Seit­dem zieht sich die­se For­mu­lie­rung durch dei­ne gesam­te Kar­rie­re. 2013 hast du in einem gemein­sa­men Inter­view mit Soo­kee in der ZEIT dar­über gespro­chen, dass es bei Rap neben Eman­zi­pa­ti­on und Gerech­tig­keit auch immer um die Macht des Wor­tes ging. Wel­che Hand­lun­gen fol­gen aus die­ser Erkenntnis? 

Mega­loh: Dass man sich auf jeden Fall sei­ner gewähl­ten Wor­te bewusst sein soll­te. Es ist schwer, davon wie­der weg­zu­kom­men und zu sagen: "Mei­ne Wor­te gehen in einen luft­lee­ren Raum. Mir doch egal, was danach pas­siert." Ich weiß, wel­chen kras­sen Ein­fluss mei­ne Hel­den auf mich hat­ten und wie sehr sie mei­nen gan­zen Life­style beein­flusst haben. Was ich kon­su­mie­re, wie ich die Welt betrach­te. Es wäre ein biss­chen ver­lo­gen, zu sagen, dass einen das als Künst­ler nicht betrifft. Das bedeu­tet nicht, dass man immer alles auf Poli­ti­cal Cor­rect­ness prü­fen muss. Kunst lebt auch von Wider­sprü­chen und dem Feld, das davon auf­ge­macht wird. Tag und Nacht, Gut und Böse, Licht und Schat­ten, Igno­ranz und Con­scious­ness. Das ist und darf alles Teil von Kunst sein. Aber in dem Moment, in dem Kunst men­schen­feind­lich wird und kein höher­ge­stell­tes Ziel als Dif­fa­mie­rung hat, stellt sich die Fra­ge nach dem "War­um?". Da muss es mehr Instan­zen für Kon­troll­me­cha­nis­men im Busi­ness geben wie auch über­all sonst. In der Zukunft brau­chen wir ein nach­hal­ti­ge­res Busi­ness und man muss über Kon­se­quen­zen nach­den­ken. Man kann nicht so tun, als ob sie nicht exis­tie­ren wür­den und im Nach­hin­ein über­rascht sein. Auch ich lau­fe Gefahr, Din­ge zu sagen und zu machen, die nicht kor­rekt sind, aber auch das sind Lern­pro­zes­se. Ich wur­de genau­so in der Ver­gan­gen­heit auf Din­ge hin­ge­wie­sen und habe dar­aus gelernt. Eine offe­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on ist immer hilfreich.

MZEE​.com: Es ist erschre­ckend: Man könn­te das Inter­view von damals heu­te genau­so ver­öf­fent­li­chen und es wür­de ver­mut­lich nie­man­dem auf­fal­len. Ver­liert man den Glau­ben an den Ein­fluss, den Wor­te haben kön­nen, wenn man über einen so lan­gen Zeit­raum immer das­sel­be erzählt und sich kaum etwas bewegt?

Mega­loh: Ich habe nie die Illu­si­on gehabt, dass allein durch mei­ne Wor­te gesell­schaft­li­che Ver­än­de­rung ent­steht. (lacht) Aber jeder hat einen klei­nen Ein­fluss im eige­nen Umfeld. Als Künst­ler hat man ein grö­ße­res Umfeld, aber des­we­gen ändern sich nicht gleich die Bedin­gun­gen. Klar, man­che Sachen sind sehr frus­trie­rend. Für Soo­kee wahr­schein­lich ande­re Sachen als für mich. Aber ins­ge­samt sind es dis­kri­mi­nie­ren­de Macht­struk­tu­ren und die sind abso­lut frus­trie­rend. Ich ver­su­che, das nicht zu fokus­sie­ren. In mei­nem Leben hat­te ich schon oft das Gefühl, dass nichts wei­ter­geht und auch die ent­spre­chen­de Ein­stel­lung. Aber wenn man die Hoff­nung ver­liert, hat die ande­re Sei­te gewon­nen. Denn genau das ist der Spi­rit, der Ver­än­de­run­gen ver­hin­dert. Trotz­dem soll­te man sei­nen eige­nen Bei­trag sehen. Man muss es nicht über­hö­hen, aber man kann sich des­sen bewusst sein, dass jeder in die­sem Kol­lek­tiv sei­nen Bei­trag leis­tet. Wirk­lich jeder.

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Fotos von Uni­ver­sal Music und Felix Zimmer)