"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Es passiert selten, aber auch ich übersehe trotz akribischer Suche manchmal Releases. So etwa Anfang letzten Jahres das zweite Album von Gozpel, welcher sechs Jahre nach seinem Debüt "Sympathoz" nun mit "Drang" in eine völlig andere, weit ernstere Richtung ging. Auch das Äußere erinnerte nicht mehr an den witzigen RAM-Battlerapper, sondern mit Beanie und großer Brille eher an den früheren Prinz Pi. Die Vermutung lag nahe, dass ich das Album nicht ohne Grund übersehen habe.
"Drang" beginnt mit seichten Gitarren-Klängen – immer noch erwartete ich beim ersten Hören direkt Pathos en masse. Doch stattdessen zog mich Gozpel direkt mit der ersten Hook in seinen Bann. Denn diese bleibt, wie bei den restlichen Songs des Albums, gleich im Kopf. Auch sonst schafft es der Berliner, deepem Rap seinen ganz eigenen Touch zu verleihen. So handelt das Album vom Struggle mit sich selbst und Beziehungen sowie vom "Drang", Großes zu erreichen, aber stets Steine in den Weg gelegt zu bekommen. Statt dabei vor Pathos zu triefen, arbeitet er hier mit humorvollen Twists und Nerdiness. Ob Lines wie "Guck, die Welt liegt mir zu Füßen, doch ich helfe ihr nicht hoch" oder das Diskussionskonzept von "Sie Sagt" – Gozpel hat sein Gespür für die richtigen Worte noch weiter verbessert. Mit jedem Track werden die vermittelten Emotionen intensiver, sodass ich mich am Ende jedes Mal von den Kämpfen erschlagen fühle, die Gozpel hier musikalisch austrägt. Die Beats von Erik Bronnovich und Driso sind dabei trotz Gitarrenklängen und Vocal-Samples nie zu aufdringlich, sondern untermalen das Ganze nur dezent.
Ich schäme mich, die Weiterentwicklung des Berliner Battlerappers erst übersehen und dann noch so vorverurteilt zu haben. Und noch viel trauriger stimmt mich, dass "Drang" generell nicht annähernd die Aufmerksamkeit bekommen hat, die es verdient hätte. Inzwischen hat das Album einen festen Platz in meiner Plattenkiste. Oder um es mit Gozpels Worten zu sagen: "Es gibt auch viele Deutschrap-Hits, doch es bleibt …": "Drang".
(Lukas Päckert)