"Fußball ist unser Leben", heißt es in einem Song aus dem Jahr 1973 – und an der Aussage hat sich für einige bis heute nicht wirklich viel geändert. Fußball war schon immer mehr als einfach nur eine Sportart. Er lebt von Emotionen und den Fans, die einen Großteil ihrer freien Zeit für ihn investieren. Fahrten oder Flüge über die Landesgrenzen hinaus, nur um den eigenen Verein zu unterstützen, sind dabei schon lange keine Seltenheit mehr. Auf der einen Seite geht es um die Spieler auf dem Platz, auf der anderen Seite um den Zusammenhalt in der Fankurve oder vor dem Fernseher. Bosca hat schon früh sein Herz an Eintracht Frankfurt verloren und seitdem alle Höhen und Tiefen mit seinem Verein durchlebt. Trotz all der schönen Seiten wurde in den letzten Jahren die Kritik an der Entwicklung des Profifußballs immer lauter. Wir haben deshalb mit Bosca darüber gesprochen, was genau die Fans am "modernen Fußball" stört und warum die Branche in Pandemiezeiten ein schlechtes Bild abgegeben hat. Außerdem erzählte er uns, warum die Ultragruppierung der Eintracht eine so große Rolle in seinem Leben spielt.
(In diesem Interview gibt Bosca ausschließlich seine eigene Meinung wieder. Diese muss nicht zwingend mit den Ansichten der Ultras von Eintracht Frankfurt übereinstimmen.)
MZEE.com: Wir möchten heute mit dir über eine deiner größten Leidenschaften sprechen: Fußball. Erinnerst du dich an deinen ersten Kontakt mit dem Sport?
Bosca: An einen bestimmten Moment kann ich mich nicht wirklich erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich bereits sehr früh mit Fußball in Kontakt gekommen bin. Ich habe schon im Kindergarten das erste Mal Fußball gespielt.
MZEE.com: Was ist denn die erste Erinnerung an deinen Herzensverein Eintracht Frankfurt?
Bosca: Ich kann mich an einen 5:1-Sieg gegen Kaiserslautern erinnern, durch den wir damals den Abstieg verhindert haben. Das müsste die Saison 1998/99 gewesen sein. Alle in unserem Alter waren Fan von Bayern oder Dortmund. Ein guter Kollege war großer Eintracht-Fan und hat uns mit seiner Euphorie angesteckt. Mein Interesse für Fußball war damals allgemein sehr groß. Ich saß immer vor dem Fernseher, habe "ran" geguckt und neben der Bundesliga auch die Nationalmannschaft verfolgt. Außerdem war ich selbst im Verein, auch wenn ich nie wirklich gut war. (lacht) Als dann HipHop in mein Leben kam, habe ich aufgehört, mich so intensiv mit Fußball zu befassen. Die Eintracht ist aber trotzdem geblieben. Das liegt daran, dass ich viel Mucke aus Frankfurt gehört habe. Bei Gruppen wie Binding Squad oder Nordmassiv war die Eintracht immer ein großes Thema, wodurch sich meine Liebe zu diesem Verein weiter verstärkt hat. Sportlich war man überhaupt nicht erfolgreich, aber dieser Lokalpatriotismus hat mich damals fasziniert. Ich war dann mit meinem Vater zusammen bei ein paar Heimspielen. Ganz besonders erinnere ich mich aber an meine erste Auswärtsfahrt. Ein Freund hatte mir die Karte zu meinem Geburtstag geschenkt und mich mit nach Leverkusen genommen. Vorher dachte ich immer, dass es wahnsinnig kompliziert wäre, eine solche Fahrt zu organisieren. Seit diesem Tag weiß ich, dass es nicht so ist. (lacht)
MZEE.com: Die Eintracht war von Beginn an Teil deiner Musik. Welche Momente inspirieren dich dazu, deine Liebe zum Verein auf einem Track zu verewigen?
Bosca: Ich rappe ja selten über sportliche Ereignisse. Wenn ich die Eintracht in einem Track erwähne, geht es eher um Identifikation. Andere rappen über ihr Auto oder die Rolex, bei uns geht es um den Fußballverein. Dazu muss man sagen, dass das in Frankfurt schon fast normal ist. Egal ob Azad, Celo & Abdi, Hafti oder Hanybal – alle sind stolz auf die Eintracht und versuchen, sie zu repräsentieren.
MZEE.com: Gibt es Momente, in denen du abends nach einem Spiel im Zug oder im Bus sitzt und dein Handy rausholst, um deine Stimmung mithilfe eines Textes festzuhalten?
Bosca: Wenn ich beim Fußball bin, mache ich mir tatsächlich kaum Gedanken über Rap. Ich bin sonst den ganzen Tag mit Musik beschäftigt. Dann freut man sich auch mal darauf, das Ganze für ein paar Stunden zu vergessen.
MZEE.com: Du warst längere Zeit sehr aktiv im Umfeld der Ultras. Was war damals ausschlaggebend dafür, dass du dich dafür entschieden hast, deine Vereinsliebe so exzessiv auszuleben?
Bosca: Wenn ich mich für einen Lebensweg entscheide, dann gehe ich ihn voll und ganz. Das war schon immer so. Dazu möchte ich aber auch sagen, dass der Begriff "Ultra" für mich eine etwas speziellere Bedeutung hat. Von den Ultras habe ich damals erklärt bekommen, dass es bei der ganzen Sache nicht unbedingt nur um Fußball geht. Ultra zu sein, hat einen allgemeinen Einfluss darauf, wie du dein komplettes Leben führst. Es geht darum, an der eigenen Lebensphilosophie festzuhalten und sich von gesellschaftlichen Verpflichtungen oder Ansichten freizumachen, die deinen Weg nur blockieren. Dieses Mindset ist ein fester Teil von mir, auch wenn ich die letzten Jahre in der Eintracht-Szene nicht mehr so aktiv war. Es ging für mich nie darum, eine bestimmte Anzahl an Spielen mitzunehmen. Ultra zu sein, hat bei mir eher einen Einfluss darauf, wie ich meine Freundschaften pflege oder meine Ziele verfolge.
MZEE.com: Auf deinem Track "Mein Platz" hebst du besonders hervor, welch große Rolle die Gruppe spielt, mit der du zu den Spielen fährst. Waren deine Jungs damals der Hauptgrund dafür, dass du bei den Ultras der Eintracht mitmachen wolltest?
Bosca: Ja, voll! Im HipHop hat es mich damals extrem gestört, dass alles so festgefahren war. Wenn du Teil der Szene warst, durftest du Techno oder Rock nicht cool finden und musstest ein bestimmtes Aussehen haben. Beim Fußball spielt das alles keine Rolle. Man fährt zusammen zur Eintracht und fertig – um mehr geht es nicht. Dieser Umgang hat mir damals geholfen, mit Menschen klarzukommen, die völlig andere Ansichten als ich hatten. In der Gesellschaft funktioniert diese Art von Miteinander häufig nicht.
MZEE.com: Wir haben uns jetzt viel über die Kultur rund um den Fußball unterhalten. Was bedeutet der Fußball als reine Sportart für dich?
Bosca: Ich finde es spannend, dass immer alles passieren kann. Auch wenn die Eintracht als absoluter Underdog ins Spiel geht, kann sie an guten Tagen trotzdem die Bayern schlagen. Ein Fußballspiel gemeinsam zu schauen, bedeutet außerdem immer eine Bündelung von Emotionen. Wenn ein Spieler frei auf den Torwart zuläuft, ist da dieses Raunen um dich herum. Geht der Ball dann ins Tor, gibt es einen Knall und alle feiern zusammen. Das hat etwas richtig Magisches. Leider ist für mich davon ein bisschen was in den letzten Jahren verloren gegangen. Zum einen wegen der Pandemie, durch die man den Fußball nicht mehr so verfolgen konnte, wie man es sonst immer getan hat. Zum anderen ist der moderne Fußball viel vorhersehbarer und nicht mehr so spannend. Als damals weniger Geld im Spiel war und es mehr um den Sport ging, hatte der Fußball in meinen Augen noch mehr Charakter.
MZEE.com: Du hast gerade die Pandemie angesprochen: Wie hast du als Fußballfan die letzten Monate erlebt und überbrückt?
Bosca: Die Stadionbesuche haben mir natürlich gefehlt. Vor allem, weil ich bei den Spielen immer soziale Kontakte gepflegt habe, die während der Pandemie etwas eingeschlafen sind. Ich habe zwar versucht, mir ein paar Spiele vor dem Fernseher anzuschauen, aber das ist einfach nicht meine Art von Fußball. Außerdem fand ich es sehr traurig, wie sich die Branche am Anfang der Pandemie verhalten hat.
MZEE.com: Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie kommerziell der Fußball geworden ist. Dass der Spielbetrieb in den Profiligen weiterlaufen konnte, hatte auf der einen Seite natürlich finanzielle Gründe. Auf der anderen Seite hatten Fans so wenigstens die Möglichkeit, sich während des Lockdowns am Fernseher abzulenken. Wie bewertest du die Entscheidung unterm Strich?
Bosca: In dem Zusammenhang war ja vom "Opium des Volkes" die Rede. Meiner Meinung nach ist das ein ziemlich schwaches Argument. Wenn man sich in einer krassen Krisensituation befindet, ist es nur solidarisch zu sagen, dass wirklich alle zurückstecken. Plötzlich werden Fußballer bejubelt, weil sie auf ein Monatsgehalt verzichten, während viele Mitarbeiter der Vereine in Kurzarbeit geschickt werden. Mit den Einbußen der Spieler hätten die betroffenen Mitarbeiter ruhig unterstützt werden können.
MZEE.com: Kannst du denn nachvollziehen, dass sich viele Fans die Spiele trotzdem weiter angeschaut haben?
Bosca: Natürlich! Man kann nicht von allen erwarten, dass sie sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen. Der Fehler liegt nicht bei den Fans, sondern bei den Konzernen, die den Mist verursachen.
MZEE.com: Aktuell dürfen wieder einige Fans ins Stadion. Mehrere Ultra-Gruppierungen haben bereits angekündigt, erst wieder in die Kurve zu gehen, wenn theoretisch alle die Möglichkeit dazu haben. Wie stehst du dazu?
Bosca: Insgesamt halte ich das für eine richtige Entscheidung. Der Support aus der Kurve sollte erst dann wieder stattfinden, wenn sich alle daran beteiligen können. Ich persönlich könnte nicht mit gutem Gewissen ins Stadion gehen, wenn ich weiß, dass mein Kumpel, mit dem ich sonst immer zu den Spielen gehe, nicht reinkommt. In so einem Fall zeige ich mich lieber solidarisch und bleibe mit ihm draußen.
MZEE.com: Schon vor der Pandemie gab es viel Kritik an der Entwicklung des Fußballs. Speziell die Ultras beschweren sich über mangelnde Wertschätzung und haben das Gefühl, für eine neue Zielgruppe aus den Stadien verdrängt zu werden. Wie nimmst du die aktuelle Situation wahr?
Bosca: Erst mal glaube ich nicht, dass es so einfach ist, die Leute aus den Stadien zu verdrängen. Dafür sind viele schon zu lange dabei. Außerdem wird der Fußball doch genau damit beworben. Gute Stimmung von den Rängen und Choreos kriegen andere Zuschauer nicht mal so eben auf die Beine gestellt. Ein Negativbeispiel ist die Nationalmannschaft. Ich kann natürlich verstehen, dass der DFB keine Lust auf Krawall oder Widerworte hat. Wenn man sich aber die Geschichte des Fußballs anschaut, gibt es heutzutage viel weniger Gewalt. Mit den 80ern oder 90ern kann man das gar nicht vergleichen. Jetzt ist nur alles viel medienwirksamer und die Bilder verbreiten sich schneller. Wer attraktiven und emotionalen Fußball sehen möchte, wird nicht darauf verzichten können, dass manche Fans etwas extremer drauf sind. Du musst einfach ein bisschen bekloppt sein, wenn du auf diese Art und Weise supporten willst.
MZEE.com: Kannst du dir ein Szenario vorstellen, in dem du eines Tages nicht mehr zu den Spielen der Eintracht gehst?
Bosca: (überlegt) Schwierig zu sagen. Was die Eintracht für mich bedeutet, kann mir eigentlich keiner nehmen. Aber wenn irgendwann mal niemand von denen mehr ins Stadion geht, mit denen ich all die Erinnerungen teile, wäre wahrscheinlich auch bei mir Schluss.
MZEE.com: Auch die Stimmen, die den Einsatz und die Emotionalität der Spieler kritisieren, werden immer lauter. Passend dazu hat FiNCH nach dem Deutschland-Aus bei der Europameisterschaft ein Statement veröffentlicht. In diesem bemängelt er, dass es immer weniger Spieler gäbe, die sich für ihr Team zerreißen. Glaubst du, dass diese Art irgendwann komplett ausstirbt?
Bosca: Man merkt auf jeden Fall, dass es immer weniger werden. Diese legendären Interviews von damals, die wahrscheinlich jeder Fußballfan im Kopf hat, entstehen einfach nicht mehr. Jeder Spieler bekommt Medientraining, weshalb sich so gut wie jedes Interview ähnelt. Es ist nicht mehr erwünscht, dass jemand mit seiner Meinung hervortritt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass solche Typen im Rahmen einer Gegenbewegung irgendwann wieder mehr werden. Fans wollen lieber einen Charakterspieler, der hier und da mal schlecht spielt, als einen Superstar, mit dem man sich nicht identifizieren kann.
MZEE.com: Im Podcast "FUSSBALL 2000" hast du erwähnt, dass du zu einigen Spielern der Eintracht immer wieder mal Kontakt hast. Kriegen die mit, dass Fans bestimmte Erwartungen an sie haben?
Bosca: Spieler wie zum Beispiel Timothy Chandler oder Martin Hinteregger auf jeden Fall. Die beiden sind allgemein sehr nahe am Fangeschehen dran und können verstehen, wie wichtig den Fans die Eintracht ist. Gleichzeitig nehmen sie aber auch wahr, dass es viele Spieler in der Bundesliga gibt, denen das Geld wichtiger ist als der sportliche Erfolg. Man muss aber dazu sagen, dass wir hier unter anderem über eine Generation von Spielern reden, die den Fußball gar nicht anders kennt.
MZEE.com: Wir haben jetzt über viele Aspekte gesprochen, die eine negative Entwicklung genommen haben. Lass uns zum Schluss noch mal über etwas Positives reden: Was hat sich im Fußball mit den Jahren verbessert?
Bosca: Für mich als Fan ist es schön zu sehen, wie sich speziell Eintracht Frankfurt entwickelt hat. Man ist wettbewerbsfähiger geworden und regelmäßiger im europäischen Geschäft vertreten. Dadurch kann ich andere Länder besuchen, die ich sonst wahrscheinlich nie gesehen hätte. Insgesamt fallen mir aber ehrlich gesagt nicht sonderlich viele positive Aspekte ein, die die Entwicklung des Fußballs mit sich gebracht hat.
(Moritz Friedenberg)
(Fotos von Franziska Rappl)