Aktuell wird immer offensichtlicher, was für verheerende Auswirkungen die Klimakrise auf Mensch und Umwelt hat. Im Sinne der Nachhaltigkeit und Bekämpfung der Klimakrise müssen daher in Zukunft in allen Bereichen des Lebens Herangehensweisen neu gedacht werden. Dieses Umdenken gilt für die Politik und andere gesellschaftliche Bereiche, macht aber auch vor der HipHop-Kultur nicht halt. HipHop und seine Komponenten können inhaltlich mal mehr, mal weniger politisch daherkommen, doch ein Thema wie Nachhaltigkeit lässt sich nicht nur über seinen Inhalt politisieren. So kann etwa das Anbringen eines Graffitis bereits als ein politischer Akt interpretiert werden. Graffitis an Wänden sind meist ein gesellschaftlicher "Regelbruch", denn im Normalfall ist ein Graffiti strafbar. Doch auch durch den Inhalt oder die Wahl des Equipments und die Anbringungsart können sich politische Statements herauslesen lassen. Um klassisches Graffiti hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit zu bewerten, ist es also wichtig, zu wissen, wie zum Beispiel Spraydosen produziert werden und welche Emissionen die Herstellung und Verwendung verursachen, um ein schlüssiges Bild über die Umwelt- und Klimabelastung zeichnen zu können. Auch die Nachhaltigkeit und Recyclebarkeit von Verpackungen dürfen hier nicht vergessen werden. Wie Graffiti gesellschaftlich betrachtet sowie diskutiert wird und wie viel Platz es im Städtealltag einnimmt, steht klar in einem Kontrast zueinander. Doch zusätzlich zu klassischem Graffiti und seinen Möglichkeiten bieten neuere Alternativen wie Green Graffiti sozial- wie umweltpolitische Potenziale, die sich in den Städtealltag von morgen integrieren lassen könnten.
Klassisches Graffiti
Doch wie nachhaltig ist eigentlich das klassische Graffiti? Um ein klareres Bild zu erhalten, ist ein Überblick über die Inhaltsstoffe der Farbe sowie verwendeten Materialien für die Verpackungen notwendig. Beim Stichwort Graffiti ist die Spraydose häufig die erste Assoziation. Die technischen Aspekte der Funktionsweise von Farbspraydosen unterscheiden sich nicht grundlegend von Spraydosen für Haarspray oder auch Schlagsahne. So gibt es immer ein sogenanntes Treibmittel. Ein Gas oder Gasgemisch, das dafür sorgt, dass der entsprechende Inhalt – im Falle von Graffiti die Farbe und weitere Inhaltsstoffe – möglichst gleichmäßig gesprüht werden können. Bis Ende der 80er Jahre werden dafür Fluorchlorkohlenwasserstoffe, auch FCKW-Gase genannt, genutzt. Oft werden sie als Kältemittel in Kühlschränken oder in der Industrie verwendet. Mit der Erkenntnis im Laufe der 80er und 90er Jahre, dass diese organischen Gase hauptverantwortlich für die Ozonlöcher in der Atmosphäre sind, durch welche verstärkt schädliche Strahlung eindringt, wird die Verwendung von FCKW-Gasen vollständig global verboten. Zusätzlich dazu sind FCKW-Gase Treibhausgase. Das sind Gase, die einen negativen Einfluss auf den Treibhauseffekt haben. Beim Treibhauseffekt wird aus kurzwelligem Licht langwelliges, das für eine Erwärmung der Atmosphäre sorgt. Seit Beginn der 90er Jahre werden daher stattdessen gesättigte kettenförmige Kohlenwasserstoffe, auch Alkane genannt, verwendet. Meist sind das verschiedene Gasgemische aus Butan und Propan. Ein großer Vorteil der Alkane ist, dass sie keinen negativen Einfluss auf die Ozonschicht haben. Sie können allerdings trotzdem, abhängig vom konkreten Gas, ein Treibhausgas sein.
Die Spraydosen an sich bestehen zum Großteil aus Weißblech: sehr dünn gewalzter Stahl, der in der Regel mit einer Zink- oder Chrom-Legierung vor Rost geschützt wird. Die Stahlproduktion ist im Allgemeinen mit relativ hohen Treibhausgas-Emissionen verbunden. Diese fallen vor allem bei der Primärproduktion von Stahl an, das heißt, wenn das Eisen im Stahl aus Eisenerz hergestellt wird. 70 Prozent des jährlich in Deutschland produzierten Stahls entsteht in der Primärproduktion. Die Emissionen beim Sprühen selbst sind vergleichsweise klein zu den Emissionen durch die Blech- und Farbproduktion. Deutschland ist einer der wichtigsten Stahlexporteure in der EU. 2015 kam ein Viertel des in der EU produzierten Stahls aus Deutschland. Circa 20 Prozent des jährlich produzierten Weißblechs wird für chemisch-technische Produkte genutzt, zu denen auch die Spraydosen gehören. Am häufigsten wird Weißblech jedoch für die Produktion von Konservendosen genutzt. So hat Weißblech die höchste Recyclingquote von allen Verpackungswerkstoffen in Deutschland. Spraydosen, die potenziell noch Farbe beinhalten können, können etwa bei Recyclinghöfen abgegeben. Die Einwegspraydose und das aktuelle Vertriebssystem sind jedoch keineswegs alternativlos.
Mehrwegspraydosen und Pfand
Abgesehen von Farbspraydosen, die ein organisches Gas als Treibmittel nutzen, gibt es auch Mehrwegspraydosen online zu kaufen. Mehrwegspraydosen nutzen Druckluft anstatt eines Treibmittels und sind für alle möglichen Flüssigkeiten geeignet, neben Lacken zum Beispiel auch für Lösungs- oder Reinigungsmittel. Hauptsächlich werden sie in Werkstätten und der Industrie verwendet, Farben spielen im Gegensatz zu industriellen Ölen oder Reinigern eher eine untergeordnete Rolle. Prinzipiell ist die Funktionsweise zur Spraydose mit Treibmittel ähnlich. Die Mehrwegspraydose muss mit der entsprechenden Flüssigkeit, also etwa der Farbe, befüllt und das Ventil verschlossen werden. Danach wird mithilfe eines Kompressors Druckluft in die Dose gefüllt. Die Befüllung der Dosen ist relativ einfach und schnell zu erledigen, trotzdem finden sie im Graffiti-Bereich kaum Verwendung. Mögliche Gründe dafür könnten der Mehraufwand und die benötigten Gerätschaften sein. Doch über diese Option hinaus ist es doch verwunderlich, dass es für Produkte wie Spraydosen kein Pfandsystem in Deutschland gibt. Seit 2003 gibt es in Deutschland ein Pfandsystem für Getränkeflaschen und -dosen. Getränkedosen sind meist aus Weißblech hergestellt – genauso wie Spraydosen. Stahl als Werkstoff hat hinsichtlich seiner Recycelbarkeit einen großen Vorteil. In einem Bericht von unter anderem der Universität Stuttgart an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie steht dazu: "Durch die Einschmelzung ist Stahl wiederkehrend zu 100 Prozent wiederverwertbar, wobei die inhärenten Eigenschaften vollständig erhalten bleiben." Das bedeutet, dass beim Recycling von Stahl Qualität und Eigenschaften des Materials gleichbleibend sind. Damit hebt es sich von sehr vielen anderen Materialien ab, wie etwa Plastik, das in der Regel durch das Recycling qualitativ minderwertiger wird. Für die Industrie gibt es vereinzelt Spraydosen mit Pfandsystem, dies ist aber auch hier nicht der Regelfall und vom Anbieter der Dosen abhängig. Mit der Alltäglichkeit von Spraydosen sollte die Überlegung sein, ob und wie ein solches System für diese Art von Verpackungen eingeführt werden muss. Dies betrifft alle Verpackungen aus Stahl. Denn auf der einen Seite kann er zwar gut recycelt werden – auf der anderen Seite ist Stahl aus Eisenerz allerdings sehr umweltschädlich.
Acrylfarbe
In der Regel findet sich sowohl in Spraydosen als auch in Markern Acrylfarbe. Sie vereint einige praktische Eigenschaften, weshalb sie sich für Graffiti besonders anbietet: So haftet Acrylfarbe relativ gut auf verschiedenen Untergründen und ist weniger anfällig für Alterung durch Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung. Außerdem trocknet sie vergleichsweise schnell, im Schnitt in bis zu sieben Stunden. Trotz der allgemeinen Bezeichnung können die konkreten Inhaltsstoffe von Acrylfarben je nach Hersteller, Produktreihe und möglichen Spezialeffekten stark variieren.
Grundsätzlich lassen sich die Inhaltsstoffe jedoch verallgemeinern. Die wichtigsten Bestandteile jeder Farbe sind die Farbpigmente. Diese lassen sich grob in organische und anorganische Pigmente einteilen. Organisch beschreibt in der Chemie nicht, dass es sich um natürlich vorkommende Stoffe oder Moleküle handelt, vielmehr setzt sich die organische Chemie mit Kohlenstoff und seinen Eigenschaften auseinander. Auch das Treibmittel Butan ist Teil der organischen Chemie. Anorganische Pigmente dagegen haben keinen strukturellen Aufbau und sind so sehr viel diverser. Die Farbpigmente in Acrylfarbe sind aufgrund der tendenziell einfacheren Synthetisierung meist anorganisch.
Auch Lösungsmittel lassen sich in allen Acrylfarben finden. Klassische Lösungsmittel sind Aceton und Benzol. Diese Lösungsmittel haben jedoch den Nachteil, dass sie gesundheitsschädlich sind und die Atemwege reizen können. Generell ist jeglicher Haut- und Schleimhautkontakt schädlich. Deshalb sind Atemschutzmasken und Handschuhe bei der Verwendung von lösungsmittelhaltigen Acrylfarben stets zu empfehlen. Es gibt auch Acrylfarbe mit Wasser als Lösungsmittel – eine sehr viel gesündere und nachhaltigere Alternative.
Neben diesen Inhalten wird zuletzt Epoxidharz benötigt. Epoxidharze sind spezielle Kunstharze, die den Farben beigemischt werden. Nach dem Auftragen der Farbe verdunstet das Lösungsmittel und die Epoxidharze härten aus. Die Farbe bildet so einen synthetischen Film und ist widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse. Epoxidharz selbst ist in flüssiger Form reizend und sogar umweltgefährdend, ausgehärtet geht eine wesentlich geringere Gefahr aus. Deshalb sollte Farbe nicht an Bäume oder Ähnliches gesprüht werden.
Die Inhaltsstoffe von Acrylfarben sind in der Regel nicht als umweltgefährdend eingestuft, dafür aber als reizend und leicht entzündlich. Von den Stoffen geht also keine konkrete nachhaltige Gefahr für die Umwelt aus, was jedoch nicht bedeutet, dass in die Umwelt geschüttete Farbe den Pflanzen und Tieren nicht schadet.
Gesellschaft und Streetart in Wechselwirkung
Die Frage nach Nachhaltigkeit wird auch immer davon begleitet, was gesellschaftlich gewollt und gefordert wird beziehungsweise welche Ideale und Wertevorstellungen die Gesellschaft für gut und richtig empfindet. Wichtig ist es deshalb, bei Nachhaltigkeitsfragen einen gesellschaftlichen Diskurs anzustreben. Auch betroffen davon ist Graffiti im Stadtkontext und der Umgang damit. Speziell die Entfernung der Kunstwerke ist ein vieldiskutiertes Thema, da ein Großteil der Gesellschaft Graffiti im öffentlichen Raum meist nicht gutheißt. Um Graffiti von Wänden oder anderen Objekten zu entfernen, müssen diese in der Regel mit Graffiti-Entferner vorbehandelt werden. Dabei handelt es sich meist um verschiedene chemische Gemische, welche die Harzfarbschicht von der Oberfläche lösen können. Nach einer gewissen Einwirkzeit kann so erheblich einfacher mit einem Wasserstrahl die Farbe entfernt werden. Diese Graffiti-Entferner sind zwar nach dem Global Harmonised System, kurz GHS, als gesundheitsschädlich und reizend eingestuft, aber nicht als umweltgefährdend. Am GHS orientieren sich die Gefahrenzeichenpiktogramme auf Chemikalien. Es sollte beim Umgang mit Graffiti-Entferner also auf eine Atemschutzmaske, Schutzbrille und -handschuhe geachtet werden. Auch muss bei der Verwendung dieser Chemikalien das Abwasser separat entsorgt werden und darf nicht einfach in die Umwelt geschüttet werden. Denn für Tiere oder Pflanzen kann der Kontakt mit dem Lösungsmittel beeinträchtigend, jedoch nicht zwingend tödlich sein.
In Großstädten, in denen die Bevölkerungsdichte wesentlich höher ist als in ländlichen Regionen, häufen sich in der Regel auch die Graffitis. Hierzu schreibt die S-Bahn Berlin auf ihrer Website: "Zwei Graffititeams, mit entsprechender Ausstattung, sind im S-Bahn-Netz im Einsatz und sorgen dafür, dass monatlich durchschnittlich 10.000 m² Graffiti-Schmierereien und ca. 8.000 Aufkleber, sofern leicht zugänglich, innerhalb von 48 Stunden beseitigt werden." So kämen jährlich insgesamt 25 Fußballfelder entfernter Graffitis zusammen. Diese Zahlen beziehen sich nur auf die S-Bahn, dazu kommen noch die U-Bahn, die Stadtautobahn sowie die Infrastruktur des Stadtverkehrs und Gebäude in öffentlicher und privater Hand. In Städten, in denen die Graffitiszenen florieren, bräuchte es also oft mehr legale Alternativen, um diesem Aufwand – auch hinsichtlich der Kosten – entgegenzuwirken.
Auch die 1UP-Crew ist sich der Wichtigkeit ihres Werkzeugs bewusst und streut immer wieder politischen Content auf ihren Social Media-Kanälen mittels ihrer Graffitis ein. So widmen 1UP ihre Kunst unter anderem umweltpolitischen Themen wie dem globalen Korallensterben. Am 11. Oktober 2019 erscheint dazu ein Video. Zu sehen ist, wie mithilfe eines Stahlgerüsts und Korallen das 1UP-Logo vor die Küste einer Insel südöstlich von Bali arrangiert wird. Dieses Artpiece wurde zusammen mit zwei Naturschutzorganisationen umgesetzt. Es soll auf die seit Längerem äußerst bedrohliche Situation der Korallen aufmerksam machen. Korallen sind das maritime Pendant zum Regenwald – gesunde Riffe gehören zu den artenreichsten Lebensräumen weltweit. Doch stetige Erwärmung und Übersäuerung der Meere und Ozeane lassen die Korallenriffe aktuell in angsteinflößender Geschwindigkeit absterben. Am Ende des 1UP-Videos wird ein Text eingeblendet mit Sidefacts zum Sterben von Korallenriffen und der höflichen Aufforderung, entsprechende Organisationen zu unterstützen. Was es für die Meere, Ozeane und Lebewesen auf der Erde bedeuten würde, wenn die Korallenriffe absterben, kann kein Wissenschaftler aktuell konkret einschätzen. Von großen negativen Auswirkungen ist allerdings auszugehen. Dies ist ein Beispiel, das zeigt, dass sich Streetart und umweltpolitische Themen durchaus kombinieren lassen. Auch wenn es sich hierbei um eher unkonventionelle Streetart handelt, wurde die Reichweite entsprechend genutzt.
Green Graffiti
Doch gibt es auch Alternativen zu der Arbeit mit "klassischen" Spraydosen? Die Idee hinter Green Graffiti ist es, Bilder oder Schriftzüge mit Moos – meist an Häuserwänden – anzubringen. Moos ist ein sehr eigener Pflanzentyp. Es bietet sich für Green Graffiti an, da es keine Wurzeln hat, sondern sogenannte Rhizoide. Dies sind wurzelartige Strukturen, die es auch bei Algen- oder Pilzarten gibt. Die Rhizoide helfen dem Moos, sich an Oberflächen festzuhalten. Das ist für diese Moosarten ein evolutionärer Vorteil, da sie so nicht nur auf Untergründe beschränkt sind, in denen sie ihre Wurzeln verankern können, sondern überall, wo die restlichen Umweltbedingungen stimmen. So auch potenziell als Graffiti an einer Hauswand.
Dies kann auf zwei verschiedene Weisen gelingen. Der einfachere Weg ist, vorhandene Stücke Moos an- und zusammenzukleben, um daraus ein Bild oder einen Schriftzug zu erstellen. Bei der zweiten Herangehensweise wird das gewünschte Bild oder der Schriftzug mit einer Paste aufgetragen. In der Paste befinden sich Klebstoff, Moossporen sowie Nährstoffe für das Moos, um das Bild zusammenzuhalten. Nach dem Auftragen der Paste und etwas Zeit wächst dann das Moos heraus. Wegen des extravaganten Erscheinungsbilds hat Green Graffiti oft einen Werbebezug oder wird von Firmen auch als Gestaltungsmittel für die Inneneinrichtung sowie als Dekoration von Hauswänden angeboten. Die Verwendung von Moos im Graffitikontext ohne Werbebezug ist bisher jedoch eine Nische.
Schriftzüge und Bilder aus Moos wie auch generell eine global sehr viel stärkere Bepflanzung von Städten hat darüber hinaus positive Auswirkungen auf das Klima. Es bindet CO₂ und Stickstoffe, was die Luft vor Ort säubert und bei vermehrter Verwendung positive Auswirkungen auf den globalen CO₂-Haushalt haben könnte. Doch damit Städte mit ihren Emissionen nicht mehr so stark ins Gewicht fallen, müssten diese wesentlich stärker bepflanzt werden. Das würde nicht nur mehr Bäume bedeuten, sondern ebenfalls Dach- und Wandbepflanzungen als Standard, mehr und größere Grünflächen sowie Pflege von Wasserflächen und wesentlich weniger Versiegelung. All diese Maßnahmen in Kombination mit weniger Individualverkehr könnten zu deutlich angenehmeren Sommern in Städten sowie eine Verminderung der CO₂-Belastung führen.
Reverse Graffiti
Bei Reverse Graffiti dreht man die klassische Technik des Malens um. Im Grunde wird das Bild durch Teilreinigungen einer verschmutzten Oberfläche gemalt. Es wird also keine Farbe aufgetragen, sondern Farbe oder Verschmutzungen abgetragen. Dies kann etwa an einer Hauswand oder einem Gehweg passieren. Reverse Graffiti kann mit Wasser- und Sandhochdruckreinigern ausgeübt werden, wobei die Variante mit Wasserhochdruckreinigern stärker verbreitet zu sein scheint. Reverse Graffiti lebt aufgrund seiner Natur von Schablonen, wobei aus der freien Hand zu malen sicherlich auch vorstellbar ist. Die Vorgehensweise mit Schablonen und Hochdruckreinigern wird vor allem für Reverse Graffiti im gewerblichen Kontext genutzt. Der britische Künstler Moose, welcher auch als der Erfinder von Reverse Graffiti gilt, zeigt aber, dass dies auch mit einfacheren Mitteln möglich ist. Für seine Kunst nutzt er anfangs in erster Linie eine Schuhbürste und Wasser. Reverse Graffiti kann also mit hohem oder weniger hohem Materialaufwand umgesetzt werden.
Die rechtliche Bewertung von Reverse Graffiti ist jedoch nicht vollends geklärt. In Fällen aus 2014 ist die Stadtverwaltung Köln gegen Reverse Graffiti vorgegangen. Zwei der Malereien wurden entfernt. Da die Urheber nicht ermittelt werden konnten, folgten allerdings keine rechtlichen Konsequenzen.
Status quo – und nun?
Seit den 80er und 90er Jahren hat sich bezüglich der Sprühdosen im Zuge des Verbots von FCKW-Gasen schon einiges getan. Die heute genutzten Treibmittel sind wesentlich schwächere Treibhausgase und haben keinen direkten Einfluss auf die Ozonschicht. Die Herstellung des für die Dosen notwendigen Weißblechs verursacht auf der einen Seite hohe Treibhausgas-Emissionen, was in Bezug auf Nachhaltigkeit ein klarer negativer Aspekt des klassischen Graffitis ist. Auf der anderen Seite ist Weißblech jedoch das am besten recycelte Verpackungsmaterial in Deutschland. Bezüglich der Farben scheint der Markt am Anfang neuer Alternativen zu stehen. Es gibt eine kleine Auswahl an wasserbasierten Farben, der Großteil beinhaltet allerdings weiterhin klassische Lösungsmittel wie Aceton oder Benzol. Es bleibt dennoch zu hoffen, dass in Zukunft der Trend zu nachhaltigeren Farben geht. Lacke werden nicht nur im Graffiti, sondern in fast allen Bereichen unseres Lebens in irgendeiner Form eingesetzt. Ein Wandel hin zu nachhaltigeren Farben wäre für Mensch und Umwelt sowie eine Steigerung der Recyclingquote von Stahl wünschenswert.
Sowohl Green wie auch Reverse Graffiti sind zum aktuellen Zeitpunkt noch absolute Nischen. Es gibt für beides Künstler:innen, jedoch wird gerade Green Graffiti oft für werbliche Zwecke eingesetzt. Daher ist es aktuell schwierig, von einer ausgewachsenen Streetart zu sprechen. Reverse Graffiti hat hier sehr viel stärkere Streetart-Vibes. Das beim Green Graffiti eingesetzte Moos steigert hingegen die Luftqualität und kann in warmen Sommern kühlend wirken. Es wäre also eine denkbare und sinnvolle Strategie, wenn Städte in Zukunft Green Graffiti fördern und sich ohnehin stärker für Stadtbepflanzungen einsetzen. So kann die Nische Green Graffiti über seinen künstlerischen Mehrwert hinaus aktiv etwas zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Moos als Werkstoff könnte sich außerdem gut für Graffitikurse für Kinder und Jugendliche eignen. So bekäme Green Graffiti direkt einen weiteren sozial- und umweltpolitischen Mehrwert.
Ein Pfandsystem für Spraydosen oder ähnliche nachhaltige Ansätze zur Müllvermeidung sollten besprochen und eingeführt werden. Gesellschaftlich muss ein größeres Verständnis für die Gefahren geschaffen werden, die von Giftstoffen für Umwelt und Grundwasser ausgehen. Auch wenn unter vorbildhafter Benutzung die Beeinträchtigung durch Graffiti-Entferner relativ gering ist, ist das Risiko eines Schadens für die Natur trotzdem anhaltend hoch. Umweltverträglichere Lösungsmittel wären für viele Bereiche eine große Entlastung für Mensch und Umwelt. Eine starke Reduzierung der Emissionen in der Stahlherstellung ist zeitnah notwendig. In einigen Bereichen müssen neue Maßstäbe angesetzt oder neue Problemlösungen gefunden werden.
Wie an diesem Thema deutlich wird, ist die Frage nach Nachhaltigkeit oft komplex und mehrdimensional. Gerade wenn es um Konsumgüter geht, die in verschiedenen Abschnitten produziert werden und aus verschiedenen Komponenten bestehen. Weiter ist zu sehen, dass Emissionsvermeidung zwangsweise alle Bereiche des Lebens betrifft: den Transport, das Wohnen, das Arbeiten sowie Bereiche, die sich zwischen diesen bewegen wie die Energiegewinnung, die Abfallwirtschaft und der Tourismus. Auf dem Weg hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft muss das gesellschaftliche Verständnis wachsen, dass Nachhaltigkeit kein Plus ist, um einen Artikel besser bewerben zu können. Sie ist fundamental, damit die zivilisatorische Menschheit in ihrer heutigen Form die Klimakrise überleben kann. Die existenzielle Bedrohung durch die Klimakrise und ihre Konsequenzen müssen zukünftig Ansporn sein, damit die Gesellschaft sich Lebensweisen mit der Natur und Umwelt angewöhnt, nicht zum größtmöglichen materiellen Profit.
(Abdu Baack)
(Titelbild von Daniel Fersch)