In der Kulturwissenschaft spricht man von einem:einer Außenseiter:in, wenn diese:r einer Gruppe zugehört, aber nicht voll integriert ist. Im Sport ist das jemand, der an einem Wettkampf teilnimmt, aber dessen Siegeschancen als gering erachtet werden. Wenn man das auf die Kunst bezieht, kommt es natürlich darauf an, wie man einen Sieg definiert. Berühmte Außenseiter:innen gibt es auf jeden Fall viele. Billie Eilish, Haftbefehl, Janis Joplin, Tic Tac Toe – die Liste ist endlos und die Persönlichkeiten könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber sie haben alle eins gemeinsam: Sie fühlen oder fühlten sich unverstanden. Ist vielleicht genau das notwendig, um gute Kunst machen zu können? Weil man einen Weg sucht, sich so auszudrücken, dass man verstanden wird? In dem ZEIT-Artikel "Ein Dasein in Ballangst" von Julia Friese heißt es: "Wer früher draußen war, will heute ganz besonders sein." Man konzentriert sich auf die Unterschiede, nicht auf die Gemeinsamkeiten. Und vielleicht trifft diese Beschreibung die Argonautiks ganz gut. Sie machen aus ihrer vermeintlichen Schwäche ihre Stärke und zeigen auch auf ihrem vierten Album "Paroli Pop" wieder: "Mittelfinger setzen Zeichen." Das Spannende dabei ist ihre ganz eigene Art. Wenngleich sie einer erfrischenden Normalität gegenübersteht, welche so authentisch ist, dass sie damit wiederum herausstechen. Das klingt erst einmal widersprüchlich, aber sie folgen eben nie einem Schema. Sie biedern sich an nichts und niemanden an – keinen Fans, keiner Industrie und nicht der Gesellschaft. Ihr Zuhause fanden sie zwar im HipHop, aufgewachsen sind Timmy und Uschta aber in Teltow, einer Gemeinde, die zur DDR gehörte und direkt an die reichsten Viertel Berlins grenzt. Auf "Stimme im Wald" sagt Uschta: "Normalität ist fremd. Hab' nicht gelernt, wie man Geld verbrennt." – Welche Auswirkungen hatte das Heranwachsen zwischen diesen verschiedenen Lebenrealitäten also auf ihre Abneigung gegen Normalität? Und wie viel von diesem Image ist forciert und wie viel war schon gegeben? Auch welche Rolle Neid dabei gespielt hat, wie wichtig ihnen Bestätigung ist und wie sie HipHop für sich definieren, haben wir in unserem Gespräch erläutert.
MZEE.com: Die Außenseiter-Thematik wird immer wieder von euch selbst aufgegriffen und auch in der Wahrnehmung der Medien spielt sie häufig eine Rolle. Habt ihr euch schon in eurer Kindheit als Außenseiter wahrgenommen?
Timmy Tales: Ich habe mich als Kind gar nicht als Außenseiter gefühlt und hatte relativ viele und coole Freunde. Ich glaube, es ging erst in der Jugend los, dass man anders war als andere und sich als Außenseiter gefühlt hat.
Paul Uschta: Ich fühle mich vielleicht in Bezug auf die Musik als Außenseiter, aber als Kind und in meiner Jugend nie. In der Musik aber wirklich sehr stark.
Timmy Tales: Ja, auf jeden Fall.
MZEE.com: Woran liegt das?
Timmy Tales: Als wir vor über zehn Jahren angefangen haben, zusammen Musik zu machen, haben wir uns für Boom bap entschieden. Das war zu dem Zeitpunkt sehr außenseiterlich. Die Leute, die das gemacht haben, konnte man gefühlt an zwei Händen abzählen. Man ist da reingewachsen, hat sich damit angefreundet und abgefunden, weil man ein Alleinstellungsmerkmal hatte. Zumindest bilde ich mir das ein. Man macht halt nicht das, was Standard ist.
MZEE.com: Eure Familien kommen aus der DDR. Auch wenn ihr Nachwendekinder seid, prägt einen die Mentalität der Eltern sicherlich. Inwieweit wurdet ihr dadurch beeinflusst, dass eure Eltern in einem anderen System groß geworden sind?
Paul Uschta: Ich bilde mir ein, dass die Erziehung meiner Eltern durch die Systematik in der DDR auch auf mich Einfluss hatte. Alle hatten so ziemlich das Gleiche und niemand ist aus der Reihe getanzt. Mir wurde immer beigebracht, in wirklich jeder Hinsicht bescheiden zu sein. Probiere nicht, irgendwo aus der Reihe zu tanzen und benimm dich. Keine Ahnung, ob man das auf die Erziehung meiner Eltern schieben sollte oder ob das auch ein Einfluss der DDR auf meine Eltern war. Ich könnte es mir aber gut vorstellen. Um ein Beispiel zu nennen: In der Grundschule habe ich mir immer eine New York Yankees-Cap gewünscht, die waren für uns damals aber unfassbar teuer. Irgendwann hatte ich meine Eltern so weit, dass sie mir so ein Ding gekauft haben. Und dann fand ich die so krass, dass ich mich geschämt habe, damit in die Schule zu gehen.
Timmy Tales: Ich weiß genau, was du meinst.
Paul Uschta: Ich wollte mich nicht über die anderen stellen, weil ich Angst hatte, dass sie denken, dass ich mich besser fühle als sie, weil ich so eine Cap aufhabe. Ich habe mir die immer gewünscht, dann hatte ich sie und habe sie nie getragen, weil ich mich dafür geschämt habe. Voll bescheuert.
Timmy Tales: Ich bilde mir ein, dass in der DDR Not erfinderisch gemacht hat. Das habe ich früh von meiner Mutter gelernt. Sie war alleinerziehend und die Kohle war knapp. Da hat man aus wenig viel gemacht. Dieses typische "aus Scheiße Gold machen". Nur weil man wenig Geld zur Verfügung hat, heißt das ja nicht, dass man am Arsch ist. So haben wir das auch schon immer mit Equipment gemacht. Nichts von alldem, was wir verwendet haben, ist hochklassig oder hochpreisig. Wir nehmen unser Zeug mit Equipment auf, das wahrscheinlich irgendwelche 15-Jährigen benutzen. Aber wenn man damit umzugehen weiß, kann man auch daraus etwas Gutes machen. Ich könnte mir vorstellen, dass das etwas ist, das unsere Eltern aus der DDR mitgenommen haben.
MZEE.com: Berlin ist vermutlich das Paradebeispiel, an dem man heute noch die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sieht. Wie kommen diese zum Vorschein?
Paul Uschta: Es reicht ja, wenn du aus Kreuzberg über Friedrichshain nach Marzahn fährst. Da siehst du rein optisch schon den Weg von West- nach Ostberlin. Im Osten kannst du auf jeden Fall noch erkennen, wie die DDR aussah. Da hat sich bis auf Renovierungen nicht viel getan. Ich kann das aber auch in Bezug auf die Mentalität bestätigen, weil ich in einem Servicebetrieb arbeite und jeden Tag in ganz Berlin und Umgebung unterwegs bin. Ich kann dir nicht genau sagen, was es ist, aber irgendwie bilde ich mir schon ein, dass ich auf Arbeit merke, ob ich in Ost- oder Westberlin bin, wenn ich Alteingesessene sehe. Oft fangen sie auch sofort an, zu erzählen.
Timmy Tales: Ja, an diesem "Früher war alles besser" merkt man das sofort. Man kann es allerdings auch nicht pauschalisieren. Das beste Beispiel ist, finde ich, aber genau der Ort, in dem wir gelebt haben. Teltow grenzt an Zehlendorf und das war damals – und vielleicht auch heute noch – schickimicki. Teltow hingegen ist eine Trabantenstadt aus dem Osten. Da prallen zwei Welten aufeinander, die verschiedener eigentlich nicht sein könnten. Das merkt man immer noch. Vielleicht sogar noch eher als in Berlin, wo sich inzwischen alles mehr vermischt hat. Wenn man in Zehlendorf auf irgendeiner Einkaufsstraße flanieren geht, ist das schon etwas anderes, als am Teltower Bahnhof zu stehen.
MZEE.com: Fühlt ihr euch auch im angesagten, gentrifizierten Berlin wohl?
Timmy Tales: Früher habe ich darüber immer gelästert, mittlerweile hängt mir das aber zu den Ohren raus. Was willst du denn dagegen tun? Das ist alles so dermaßen im Gange, dass man es eh nicht mehr beheben kann. Auch das mit dem Mietendeckel ist ja völlig geisteskrank. Ich habe jetzt ein halbes Jahr lang gedacht, dass die Preise in Berlin wieder einigermaßen normal werden. Stattdessen wird das Ganze gekippt und meine Miete sogar erhöht. Irgendwann fasst man sich nur noch an den Kopf. Ich könnte es mir gar nicht leisten, alleine in Berlin zu wohnen. Und es ist nicht so, als würde ich einen Hungerlohn verdienen.
Paul Uschta: Uns hat es auf jeden Fall auch hart erwischt. Es wurde ja anhand mehrerer Merkmale bestimmt, wie hoch deine Miete maximal sein darf: Quadratmeter, Ausstattung, Lage, Baujahr des Hauses. Anhand dessen wurden die Mieten erst mal gesenkt. Das ist Wahnsinn, wenn man darüber nachdenkt, wie viele Leute das jetzt in den Ruin treibt.
Timmy Tales: Bei uns ist das vielleicht noch harmlos, aber bei Selbstständigen, die zum Beispiel während Corona nicht arbeiten konnten, ist das etwas anderes. Dass die Politik das in diesem Zeitraum zulässt, ist unfassbar. Und jetzt geht es einfach so weiter wie vorher. Du bewirbst dich für eine Wohnung und kannst froh sein, wenn du unter den 800 Bewerbern angesprochen wirst und die Wohnung nicht komplett wie Scheiße aussieht. Dann kriegst du einen Staffelvertrag vor den Latz geknallt, in dem steht, wie viel du jedes Jahr mehr zahlen musst. Irgendwann hat das dann auch ein Ende … 15 Jahre später oder so. (schmunzelt trostlos)
MZEE.com: Warum wollen dann alle nach Berlin?
Timmy Tales: Keine Ahnung, ich verstehe es nicht. Warum vor allem so viele Schwaben und Bayern?
MZEE.com: Es gibt vermutlich keinen größeren Kontrast zu Bayern als Berlin. München zum Beispiel ist eine Großstadt, die sich oft wie ein Dorf anfühlt. Ich glaube, deswegen zieht es selbst von hier sehr viele Menschen zu euch.
Timmy Tales: Dann zieht doch in den Pott. (lacht)
Paul Uschta: Ich kann das nachvollziehen.
Timmy Tales: Ja … Wenn ich in München wohnen würde, würde ich auch herziehen wollen. Oder wir ziehen vielleicht einfach alle nach München.
MZEE.com: Eine Zeile von euch lautet: "Regen fällt auf Brandenburg, Sonnenschein auf München. Es war niemals andersrum." – Welche Rolle hat Neid in eurem Leben gespielt?
(beide lachen laut)
Timmy Tales: So, jetzt, ja?
Paul Uschta: So war die Zeile aber nicht gemeint! Trotzdem zu der Frage: Man könnte natürlich behaupten, man wäre nie neidisch gewesen, aber ich war es oft. Da wir in Teltow aufgewachsen sind, war links von uns die Gemeinde Kleinmachnow. Das ist die reichste Provinz Deutschlands und der verlängerte Arm von Zehlendorf, aber noch schicker. Weil wir in Teltow zur Schule gegangen sind, kannten wir auch Schüler:innen aus diesen Gegenden. Manchmal bin ich bei Bekannten auf einer Hausparty gelandet und dachte mir: "Alter, ist das krass, wie die hier leben." Ich weiß nicht, ob ich direkt neidisch war, aber manchmal wünscht man sich dann schon auch einen riesigen Pool im Garten.
Timmy Tales: Ich war immer neidisch auf die Probleme von reichen Leuten, weil sie sich über irgendwelche Lächerlichkeiten beschwert haben. Während bei einem selbst die Scheiße am Kochen war, haben die sich darüber beschwert, dass sie die neue Playstation noch nicht haben … Da denkst du dir: "Halt deine Fresse. Du hast doch keine Ahnung." Ich habe noch nie verstanden, wieso jemand mit mir darüber geredet hat, dass sein Luxusleben nicht Luxus genug ist. Während bei mir außer Frage stand, dass ich jemals so etwas haben werde, bis ich es mir selbst leisten kann.
MZEE.com: Nach eigenen Aussagen hattet ihr in der Schulzeit den "Assi"-Stempel und habt diese Rolle dann auch angenommen. Habt ihr nie versucht, euch anzupassen?
Paul Uschta: Nee. Eigentlich war es das komplette Gegenteil. Man hat ihnen genau das gegeben, was sie sehen wollten und das hundertmal schlimmer. Und das fanden die dann auch noch cool, obwohl man sich teilweise wirklich wie der Letzte aufgeführt hat.
Timmy Tales: Deswegen hatte man auch nicht so richtig das Gefühl, Außenseiter zu sein. In den Kreisen, in denen wir waren, waren viele ältere Leute unterwegs, darum wurde man schnell "frühreif". Du widersetzt dich dann eher der Lehrkraft als der kleine, behütete Kleinmachnower. Das ist für die Leute wie Kino. Die finden das cool, gucken zu, lachen und erzählen das ihren Freund:innen aus Kleinmachnow. Dann bist du interessant. Man wurde genommen, wie man war – außer von den Lehrer:innen. Und Paul mochte mich auch nicht.
Paul Uschta: Ich mochte dich nicht?
Timmy Tales: Ja, am Anfang mochtest du mich nicht. Keine Ahnung, was du für ein scheiß Problem hattest. (lacht) Als ich Musik aufgenommen habe, hat Paul mir gesagt, dass er es scheiße findet.
Paul Uschta: Ja, weil es bestimmt auch scheiße war. (lacht)
MZEE.com: Irgendwann habt ihr trotzdem angefangen, zusammen Musik zu machen und HipHop für euch zu entdecken. Paul, du hast in eurem Podcast gesagt: "Mit Graffiti wurde aus einem Musikgeschmack eine Lebenseinstellung." – Welche ist das?
Paul Uschta: Puh, das ist so ungefähr: "Beschreib mal HipHop als Gefühl." Das habe ich noch nie so richtig reflektiert. (überlegt) Ich glaube, es war, immer anders sein zu wollen. Anders und cooler als die Menschen um einen herum. Man will sich beweisen und rarmachen. Gegen den Strom schwimmen. Und ständig in allem einen Wettbewerb sehen. Ich muss aber dazusagen, dass ich nie gut malen konnte. Wir waren eher Vandalen als Künstler.
Timmy Tales: Ich glaube, das geht mit alldem einher, über das wir heute schon geredet haben. Es ist eine Antihaltung gegen Normalität. Gegen wohlbehütetes Aufwachsen, ein Auto zum 18. Geburtstag bekommen, ein super Abi machen, studieren, aber nicht so richtig wissen, was eigentlich, und dann nach neun Jahren noch ein anderes Studium machen. Man wollte nicht der Norm entsprechen, weil sie einen angekotzt hat. Das nehme ich aus dieser Graffiti- beziehungsweise Schmierer-Phase mit: Dass ich mir von niemandem etwas gefallen lasse, außer ich bin der Ansicht, dass die Person etwas Wichtiges zu sagen hat.
Paul Uschta: Wir hatten einen Lehrer, der sich extrem viel auf sein Auto eingebildet und immer von sich in der dritten Person gesprochen hat. Der war wirklich sehr bescheuert. Kurz vor dem Ende der zehnten Klasse ging es darum, wer Abitur macht und ich bin abgegangen. Der war so einer, der davon ausgegangen ist, dass man ohne Abi auf der Straße landet und hat das auch vermittelt. Mich hat das so aufgeregt, dass ich mit einem Stift den ganzen Raum vollgemalt habe und danach noch die Toiletten. Weil ich mir einfach dachte: "Fuck you, Alter." Das ist für mich auch HipHop. (lacht)
Timmy Tales: Das zieht sich auch durch unsere "Karriere": Wir lassen uns nichts gefallen. Wenn man der Meinung ist, uns etwas Böses zu wollen, braucht man nicht davon auszugehen, dass wir auch noch "Danke" sagen. Das zieht sich sogar durchs Leben. Als Jugendlicher war ich der Meinung, dass ich mich dadurch profiliere, wenn ich mich mit meinen Lehrer:innen anlege, weil ich nicht verstanden habe, dass es dumm ist. Ich habe bis heute ein Problem mit Autoritäten. Ich mag Augenhöhe. Das kommt auf jeden Fall aus der Graffiti-Zeit. Das Gesetz verbietet dir das und deshalb machst du es.
MZEE.com: Hat euch HipHop auch ein Stück weit Identität gegeben?
Paul Uschta: Ja, bis heute. Ich wüsste gar nicht, wer ich bin, wenn es das nicht gäbe. Mir würde einfach etwas Krasses fehlen und ich profiliere mich auch darüber. Das ist schon meine Identität.
Timmy Tales: Das fängt schon im Freundeskreis an. Das sind nur Leute, die ich durch und von Musik kenne. Nicht jede:r macht Musik, aber man kennt sich durch dieses gemeinsame Interesse. Paul zum Beispiel war elf, als er mit Musik angefangen hat. Das ist eine Zeit, in der sich der Charakter und die Außenwahrnehmung formen. Und dann baust du natürlich ein Stück weit dein Leben darauf auf. Ob bewusst oder unbewusst.
MZEE.com: Im MZEE-Forum habe ich ein zehn Jahre altes Video von einem eurer Auftritte gefunden. In euren Songs fallen Begriffe wie "Propaganda" und ihr sprecht über Menschen, die manipuliert werden. Ich weiß, ihr habt euch oft von euren Texten von damals distanziert und nie so eine Richtung eingeschlagen, aber vielleicht gerade deswegen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Suchen nach einer Identität und Zugehörigkeit sowie dem Abdriften zu Verschwörungsmythen oder Schlimmerem?
Paul Uschta: Ich verstehe voll, wieso so etwas passiert, wenn jemand unsicher und vielleicht auch unreflektiert ist. Wenn man niemanden um sich hat, der vernünftige Meinungen vertritt. Und man rausfinden will, wer man überhaupt ist … Ich glaube, solche Leute finden verdammt schnell in genau diesen Gruppierungen ihren Platz.
Timmy Tales: Die brauchen ja auch Anhänger.
Paul Uschta: Deswegen geht das, glaube ich, ganz schnell. Aber wir haben mit sowas nichts zu tun.
MZEE.com: Keine Sorge, ich bin nicht davon ausgegangen, dass ihr zu den Querdenkern gehört. Glaubt ihr also, dass jede:r dafür anfällig ist?
Paul Uschta: Nein, nicht jede:r. Ich glaube, wenn man darauf achtet, mit wem man sich umgibt und Leute um sich hat, die immer wieder reflektieren und Sachen realistisch betrachten, sollte man dafür nicht anfällig sein.
Timmy Tales: Leute, die mentale Krisen haben, fühlen sich zu sowas auch schnell hingezogen, weil sie Halt suchen. Aber nicht jede Gruppierung ist gleich ein Format wie die Querdenker. Man muss immer vorsichtig sein, wie man das formuliert, aber eine Religion ist für mich eigentlich nichts anderes. Wie viele Leute finden zu Gott, weil sie gerade irgendetwas durchleben müssen?
MZEE.com: HipHop kann das ja auch auf eine Art sein, ohne dabei pathetisch klingen zu wollen. Aber man teilt das mit Menschen und das kann einen auch manchmal auffangen.
Timmy Tales: Ja, klar. HipHop ist für mich auch eine Gruppierung. Du fühlst dich zugehörig, wenn du dich damit identifizierst. Und wenn es nur die Fans eines:einer bestimmten Künstler:in sind, denen du angehörst.
MZEE.com: Wenn man so lange wie ihr drei zusammen Musik macht, festigt sich dann auch eine "Wir gegen alle"-Einstellung?
Paul Uschta: Ich glaube, so sind wir nicht. Wir lehnen niemanden ab. Wir sind einfach nur festgefahren in unserer Arbeitsweise. Es gibt so viele Leute, die Timm und ich super finden und mit denen wir teilweise auch Kontakt haben. Aber wir wollen nicht aus dem Nichts fragen, ob man einen Track zusammen macht. Auch wenn einige davon vielleicht darauf einsteigen würden. Aber wir sind eher so: "Lass doch mal eine Cola trinken gehen."
Timmy Tales: Viele denken vielleicht auch aufgrund der Musik, dass wir voll die Hater sind. Aber das sind wir gar nicht.
Paul Uschta: Es gibt natürlich viele Sachen, die wir megakacke finden, aber Hater sind wir nicht. Im HipHop gibt es eben viel Zeug, bei dem man sich fragt, wieso das Leute gut finden. Aber wir denken nicht, dass wir die Coolsten sind und der Rest scheiße ist. Dafür gibt es zu viele Leute, bei denen wir auch schlucken und die wir krass finden.
Timmy Tales: Egal, wie selbstbewusst man an die Musik rangeht, man trifft immer auf jemanden, den:die man besser findet. In den letzten Jahren ist einiges passiert in der Rapszene. Ich bin da aber manchmal auch ein Arschloch. Wenn jemand nur übers Kiffen rappt, denke ich mir: "Halt deine Fresse. Hast du nichts anderes zu erzählen?"
MZEE.com: Wie wichtig ist euch Bestätigung, wenn es um eure Musik geht?
Paul Uschta: Mir ist das schon wichtig. Man könnte jetzt auch sagen, dass mir das alles egal ist, aber …
Timmy Tales: … wer das sagt, lügt einfach.
Paul Uschta: Mir ist halt scheißegal, ob die Musik in der breiten Masse ankommt. Aber mir ist wichtig, dass Leute, die sich mit Musik beschäftigen, es peilen. Und da sind wir bisher mehr als gut weggekommen. Wir haben immer Bestätigung bekommen und es würde mir nicht gefallen, wenn das nicht mehr so wäre, sage ich ganz ehrlich.
Timmy Tales: Bestätigung ist einfach viel mehr wert für Leute wie uns, die nicht davon abhängig und auf wirtschaftliche Aspekte angewiesen sind.
Paul Uschta: Unsere Community ist klein, aber fein.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Janina Wagner)