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Kommentar

Deutscher Rap wird ein Fließbandjob – das Problem mit der Wirtschaftlichkeit

Das 15-​Sekunden Album von Sum­mer Cem und KC Rebell zeigt exem­pla­risch, wie sich Rapper:innen immer stär­ker an Markt­me­cha­nis­men und Hörer­schaft ori­en­tie­ren. Über die Kurz­le­big­keit von Musik als Dienstleistung.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Simon mit der Kurz­sich­tig­keit von Rapper:innen aus­ein­an­der, die sich nur an der Hörer­schaft orientieren.

 

KC Rebell und Sum­mer Cem drop­pen ein Album. Haben sie ja schon zwei­mal gemacht und bei einem war der geni­als­te Pro­mo­mo­ve aller Zei­ten ein­ge­baut: näm­lich nach "Maxi­mum" direkt "Maxi­mum 3" zu ver­öf­fent­li­chen, weil der Sound ein­fach zu krass war. Aber nein, die­ses Mal ist es kein ganz gewöhn­li­ches Album. Jeder Song auf "FNFZHN" dau­ert näm­lich nur 15 Sekun­den. Bei 13 Anspiel­sta­tio­nen mit gan­zen zwei Skits kommt dabei eine Gesamt­spiel­dau­er von beacht­li­chen hand­ge­stopp­ten 195 Sekun­den zusam­men. Natür­lich kön­nen bei­de gut rap­pen und die ein oder ande­re lus­ti­ge Line wird bei Sum­mer Cem schon dabei sein. Ins­ge­samt aber han­delt es sich bei der neu­en Plat­te ein­deu­tig um ein Pro­jekt, das nur die Begleit­mu­sik für Insta-​Storys und Tik­Tok geben soll. Dem­entspre­chend wur­de dem Album wenig Lie­be zum Detail geschenkt, denn es hört sowie­so nie­mand genau hin. Bei allen im Zuge von "FNFZHN" daher­ge­re­de­ten "gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen" und "ein­zig­ar­ti­gen Expe­ri­men­ten" bleibt am Ende kom­plett aus­tausch­ba­re und nichts­sa­gen­de Musik zurück, die ganz nett klingt und gut aus­pro­du­ziert ist, aber der man den gerin­gen Arbeits­auf­wand genau anhört. Es ging offen­sicht­lich nicht dar­um, ein für sich ste­hen­des Werk zu schaf­fen, son­dern viel genutz­te Fahr­stuhl­mu­sik für Social Media herzustellen.

So rich­tig ner­vig wird es aber erst, wenn so getan wird, als ob die mit mini­ma­lem Auf­wand erzeug­te Auf­trags­ar­beit plötz­lich gro­ße Kunst sei. Die bei­gefüg­te "Doku­men­ta­ti­on" über das Kräuterlikör-​finanzierte Pro­jekt der bei­den behaup­tet, es wür­den hier ganz neue Türen auf­ge­sto­ßen und Wel­ten eröff­net. Die Musik als sol­che sei nicht mehr das, was sie vor­her war. Pro­du­zen­ten und Rap­per spre­chen dar­über, wie unglaub­lich schwer es doch war, eine geeig­ne­te BPM-​Zahl zu fin­den und dass sich genau über­legt wer­den muss­te, wel­che Sät­ze zu rap­pen sind. Weil, gro­ße Über­ra­schung: 15 Sekun­den sind gar nicht viel Zeit, um über Mar­ken­kla­mot­ten zu spre­chen. Als wären "Was will ich sagen" und "Wie soll das klin­gen" nicht eins zu eins die­sel­ben Pro­ble­me, die jede:r Musiker:in jeden Tag im Stu­dio hat. Die lächer­li­che Kro­ne setzt dem Gan­zen die kom­plett unkri­ti­sche Bericht­erstat­tung auf den ein­schlä­gi­gen Szene-​Portalen auf.

Begrün­det wird das Schau­spiel damit, dass die Leu­te heut­zu­ta­ge immer schnel­ler und kurz­le­bi­ger Musik kon­su­mie­ren wür­den und die Auf­merk­sam­keit für Songs, die län­ger als zwei Minu­ten sind, gar nicht mehr vor­han­den sei. Dass es sich bei Strea­ming­por­ta­len vor allem finan­zi­ell lohnt, vie­le kur­ze Songs zu ver­öf­fent­li­chen (wenn­gleich 15 Sekun­den sogar für Spotify-​Kohle zu kurz sind), bleibt natür­lich uner­wähnt. Die­se ach­sel­zu­cken­de Argu­men­ta­ti­on wird in der Sze­ne immer häu­fi­ger ange­wandt, um bestimm­te, im bes­ten Fall nur pein­li­che, Ent­schei­dun­gen zu legi­ti­mie­ren. Man packt irgend­wel­che Kör­per­tei­le in die Deluxe-​Box? Die Fans wol­len es so! Es wird sich mit Ver­schwö­rungs­theo­rien ver­brei­ten­den You­Tubern auf einen net­ten Plausch getrof­fen? Irgend­wie muss man bei der Jugend am Ball blei­ben! Die eige­nen Lyrics an das meist­bie­ten­de Wett­bü­ro ver­hö­kern? Jeder muss sein Geld machen, Bro! Alles wird über die Behaup­tung legi­ti­miert, dass bestimm­te Markt­me­cha­nis­men eben ein­fach da sei­en und man sich damit arran­gie­ren müs­se. Mal ein biss­chen ins Risi­ko zu gehen und ein klein wenig die aus­ge­tre­tens­ten Mar­ke­ting­pfa­de zu ver­las­sen, steht für vie­le über­haupt nicht zur Debat­te. Auch Sum­mer und KC trau­en sich hier nichts wirk­lich Neu­es und Inno­va­ti­ves – sie trei­ben bekann­te Mecha­nis­men nur ein Stück wei­ter. Die­se Ein­stel­lung ist nicht nur schwach, son­dern auch kurzsichtig.

Schwach ist sie des­halb, weil sie jedes Selbst­be­wusst­sein als Künstler:in, jede Über­zeu­gung vom eige­nen Genie, ver­mis­sen lässt. Ich dach­te, alle machen die Musik nur für sich selbst und die Gang, weil sie so unglaub­lich gut ist. Und wenn dann noch Leu­te den Film ver­ste­hen und mit auf­sprin­gen wol­len, sind sie natür­lich herz­lich dazu ein­ge­la­den. Aber als Rapper:in den­ke ich mir doch: "Ich mach' mein Ding, egal was A&R, Wer­be­agen­tur und Stu­dio­boss so erzäh­len." Die­se Ein­stel­lung scheint, zumin­dest wenn es um Zah­len in einer gewis­sen Höhe geht, weg­zu­fal­len. Statt­des­sen gehen Artists kom­plett in der Rol­le der pro­fit­ori­en­tier­ten Ich-​AG auf, in der Musik tat­säch­lich nur noch Beruf und nicht Beru­fung ist.

Die­ser fata­lis­ti­sche Ansatz ist aber auch wirt­schaft­lich gese­hen kurz­sich­tig. So ist bei­spiels­wei­se das "FNFZHN"-Projekt zunächst öko­no­misch: Jäger­meis­ter zahlt die gan­ze Cho­se ohne­hin und die bei­den Rap­per tüten einen lukra­ti­ven Wer­be­deal ein. Ohne­hin ist pro­fit­ori­en­tier­tes Han­deln auch für Rapper:innen per se erst mal kein kri­tik­wür­di­ges Ver­hal­ten. Jede:r soll natür­lich ange­nehm leben kön­nen. Wenn man sich aber über­legt, wie die­se Musik kon­su­miert wer­den wird, tre­ten die Artists als span­nen­de Per­so­na und Geschich­ten­er­zäh­ler, denen ich zuhö­ren will, kom­plett in den Hin­ter­grund. Auf Tik­Tok und Insta­gram geht es nicht dar­um, wer den Song gemacht hat. Er muss nur cat­chy sein und viel ver­wen­det wer­den. Oder weiß irgend­je­mand, wer der Artist hin­ter die­sem "Oh no!"-Song ist? Wird betrach­tet, wel­che schier unend­li­chen Mög­lich­kei­ten es inzwi­schen schon gibt, von Com­pu­tern mehr oder weni­ger selbst­stän­dig Musik pro­du­zie­ren zu las­sen, kann erahnt wer­den, wel­che Ent­wick­lung droht. Es liegt auf der Hand, dass bald der:die ers­te Wer­be­zu­stän­di­ge von Red Bull einen Song kom­plett ohne Künstler:in pro­du­zie­ren lässt und die jewei­li­gen Acts maxi­mal noch ihr Gesicht für das Wer­be­pos­ter her­ge­ben dür­fen. Wenn alles nur noch Hin­ter­grund­mu­sik sein soll, die sich mehr oder min­der gleich anhö­ren darf und nur gut in jede lukra­ti­ve Schub­la­de pas­sen muss, dann ist auch egal, wer die Musik macht.

Daher muss es nicht nur am Inter­es­se an der eige­nen Kunst, son­dern auch am eige­nen Geld­beu­tel lie­gen, wenn Künstler:innen wie­der dafür Sor­ge tra­gen, dass ihre Wer­ke etwas Beson­de­res sind. Etwas, für das es sich zu war­ten lohnt und das kei­ne rei­ne Dienst­leis­tung ist. Ansons­ten wird die Musik eben Fließ­band­ar­beit – und Fließbandarbeiter:innen ver­die­nen in aller Regel nicht genug für einen Drittwagen.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)