"Meine Familie, die realste Crew, die es gibt." – Spätestens mit dem Kollaboalbum "Ich und mein Bruder" mit Döll teilte Mädness der Welt mit, wie wichtig ihm seine engsten Verwandten sind. Sein Bruder und er begleiten sich seit Jahren auf Tour, erleben die Karriere des jeweils anderen hautnah mit und unterstützen sich, wo immer es möglich ist. Sowohl auf dem gemeinsamen als auch auf Mädness' folgendem Album "OG" fand der gebürtige Hesse berührende Worte über die Beziehung zu seiner Mutter und den Verlust seines Vaters in der Jugend. Im Rahmen des Releases der neuen Platte "Mäd Löve" nahmen wir die Gelegenheit wahr, mit Mädness über das Thema Familie zu sprechen. Wie erklären wir uns die enorme Bedeutung, die sie für viele von uns hat? Wie wirkt sich die Rolle als großer Bruder auf das eigene Leben aus? Welche Menschen gehören zur Familie und was haben die Tanners aus ALF damit zu tun? Um all diese Fragen dreht sich unser Interview.
MZEE.com: Das Thema Familie spielt in deiner Musik eine große Rolle. Allgemein gefragt: Was bedeutet Familie für dich?
Mädness: Familie ist ein sehr enger Begriff, der nicht viele Personen einschließt, sondern wirklich meine Kernfamilie. Ich würde sie als letzten Anker mit absoluter Verlässlichkeit beschreiben. Ein Auffangbecken und am Ende des Tages das Wichtigste von allem.
MZEE.com: Gehören Freundinnen und Freunde für dich dazu?
Mädness: Ich würde das trennen. Blutsverwandtschaft muss ich für mich doch auf eine andere Stufe heben als Freundschaft. Natürlich habe ich sehr enge Freunde und Freundinnen, die einen riesigen Stellenwert haben. Aber am Ende ist die Kernfamilie, auch wenn das blöd klingt, die Familie.
MZEE.com: Kannst du dir das rational erklären oder ist das eine rein emotionale Sache?
Mädness: Das hängt mit Erfahrungen zusammen, glaube ich. Du wächst zusammen auf und wirst gemeinsam sozialisiert. Sowohl die Schicksalsschläge als auch die positiven Erlebnisse sind so immens und zahlreich, dass du die nicht mit anderen Erfahrungen aufwiegen kannst. Wenn du in den Armen von jemand anderem liegst, wenn es dir schlecht geht, ist das eben nicht deine Mutter oder dein Vater. Die Person weiß nicht, wie du als Kind warst. Diese Kindheitserfahrungen können für mich niemals von einer Person außerhalb der Familie aufgeholt werden. Natürlich gibt es Menschen, die genauso nah an mich ran können. Trotzdem ist es etwas anderes.
MZEE.com: Ich finde das interessant. Es ist ja mehr oder weniger Zufall, in was für eine Familie du hineingeboren wirst. Obwohl ich mit anderen Zufällen, wie meiner Nationalität oder Religion, nichts anfangen kann, kann ich das mit familiären Gefühlen sehr wohl, wie vermutlich die meisten Menschen.
Mädness: Das liegt wahrscheinlich daran, dass du einen Teil weiterträgst. Du trägst Genmaterial und die Erfahrungen darüber weiter, sowohl die positiven als auch die negativen. Sie betreffen dich. Die Geschichte der Eltern und der Geschwister ist auch deine Geschichte, mit der du verwoben bist. Ich glaube, dass die Erfahrungen innerhalb einer Familie in die nächsten Generationen nachhallen. Das ist meine Erfahrung.
MZEE.com: Du und Döll tretet in der Szene seit Jahren bewusst als Brüderpaar auf. Wie häufig hast du dich selbst in der Vergangenheit in ihm wiedererkannt?
Mädness: Schon ab und an. Das passiert aber auch unabhängig von der Karriere. Wir sind uns, was bestimmte Dinge angeht, sehr ähnlich. Das heißt nicht, dass ich den Weg vorgelegt und er Muster an den Tag gelegt hätte, die von mir kommen. Das ist auch manchmal umgekehrt oder gar nicht so. Es beeinflusst sich gegenseitig.
MZEE.com: Wie würdest du eure Beziehung zueinander beschreiben?
Mädness: Wir haben das große Glück, eine sehr gesunde und gute Brüderbeziehung zu führen. Und zwar auf zwei Ebenen, auf der brüderlichen und der geschäftlichen. Aktuell macht jeder sein Solo-Zeug, aber wenn wir zusammenarbeiten, teilen wir uns die Business-Seite. Wir hatten natürlich auch Schicksalsschläge, durch die wir gemeinsam gehen mussten. Es ist eine sehr enge, vertraute und allumfassende Beziehung. Wir wissen genau, wie der andere ist.
MZEE.com: Denkst du, dass die Rolle als großer Bruder viel Einfluss auf den eigenen Charakter hat?
Mädness: Vielleicht, ich weiß es nicht. Möglicherweise ist man sich irgendwann dessen bewusst, dass man bestimmte Erfahrungen bereits so oder anders gemacht hat. Ich lebe ja nicht das Leben, das mein Bruder exakt nachlebt. Vielleicht entsteht daraus eine fürsorgliche Mentalität, dass man schaut, wie es dem anderen geht. Aber ich glaube, dass die bei ihm genauso ausgeprägt ist und es da keine Hierarchie gibt.
MZEE.com: Ihr habt ja eine Zeit lang zusammengewohnt und arbeitet geschäftlich zusammen. Das kann sicher auch Hierarchie abbauen, wenn beide gleichberechtigt sind.
Mädness: Ich glaube, es kommt auf das Miteinander an. Egal, ob man Bruder, Schwester oder Freund ist. Es gibt auch Geschwister, die sich wegen Kohle in die Haare bekommen. Am Ende des Tages braucht es ein bisschen Glück und die Wachsamkeit beider Beteiligter, damit das funktioniert. Aber es gibt keinen Masterplan. Ich kenne viele Leute, die mit solchen Konstellationen Glück hatten, aber auch genug, die richtiges Pech hatten, obwohl es am Anfang sehr gut aussah.
MZEE.com: Welche Rolle hat Döll für dich in deiner Karriere gespielt? Wolltest du ihm, zumindest unterbewusst, ein positives Vorbild sein?
Mädness: Ich weiß nicht, ob ich das sein wollte. Wenn ich etwas gemacht habe, habe ich nicht viel darüber nachgedacht, wie ich dabei auf ihn wirke, muss ich ehrlich sagen. Dadurch, dass ein paar Jahre zwischen uns liegen, ist das anfangs zweigleisig gelaufen. Er hatte seine Jungs, mit denen er gefreestylet und Songs gemacht hat, genau wie ich. Natürlich gab es Überschneidungen, wenn man nachmittags mal zusammen gechillt hat. Aber eigentlich waren es zwei unterschiedliche Freundeskreise. Unser beider Schaffen hat sich erst über die Jahre angenähert. Anfangs hatten wir keinen großen Einfluss aufeinander. Ich werde einen Teufel tun und meinem Bruder sagen, was er machen soll. Ich kann ihm Tipps und Anregungen geben und ihm sagen, was ich von seinen Plänen halte. Aber ich hab' die Erfahrung gemacht, dass es keinen Sinn ergibt, Menschen die eigenen Wünsche aufzuerlegen. Das mag keiner. Sachliches Feedback ist da doch hilfreicher.
MZEE.com: Ist Anerkennung von ihm oder deiner Mutter ein Antrieb für dich?
Mädness: Total, klar. Es ist immer ein gutes Gefühl, von Menschen, die einem sehr nahestehen, Bestätigung zu bekommen. Oder ein Signal, dass ihnen gefällt, was man macht.
MZEE.com: Auf "Ich mach's noch mal neu" von deinem Album "OG" rappst du: "Ich war plötzlich der Mann im Haus, als das Kind, das ich war. Ich hab' dir vorgelebt, was man am besten lassen sollte. Und bis heute hängt uns das nach." – Welche Rolle hat das Fehlen einer Vaterfigur in eurer Jugend gespielt?
Mädness: Eine immens große Rolle. Ich glaube, das können viele Menschen nachvollziehen. Es ist ein Riesenschlag, wenn ein Teil der Familie von heute auf morgen unerwartet wegbricht. Die Auseinandersetzung damit hat uns eine Weile begleitet.
MZEE.com: Wie hat das die Dynamik und deine Rolle in der Familie verändert?
Mädness: Es war auf einmal eine größere Selbstständigkeit gefragt. Dir fehlt ein Orientierungspunkt. Du suchst automatisch nach etwas, das diesen ersetzt oder versuchst, ihn selbst zu ersetzen. In irgendeiner Form muss diese Lücke gefüllt werden.
MZEE.com: Wie hast du das versucht?
Mädness: Anfangs leider nicht so gut. Es ist ganz schwierig einzuschätzen, ob man das richtig oder falsch gemacht hat. Ich glaube, dass man das auch nicht bewerten kann. Man reagiert so, wie man zu dem Zeitpunkt ist und lernt aus den Fehlern, die man im Umgang mit der Trauer macht. Ich habe erst mit der Zeit gelernt, dass es diese Lücke gibt, um die man sich kümmern muss. Mir war nicht sofort bewusst, welche Tragweite das Ganze hat. Ich habe dann versucht, meinen Umgang damit zu verbessern. Es bringt nichts, traurig zu sein, weil man nicht immer perfekt gehandelt hat. Solche Situationen kann man nicht erlernen.
MZEE.com: Welchen Umgang hast du heute damit gefunden?
Mädness: Es begleitet mich heute noch. Mal mehr, mal weniger, um ehrlich zu sein. Es hat, glaube ich, meinen Blick auf Menschen mit Krankheitsbildern geschärft. Es hatte auch Einfluss darauf, wem man vertraut und wem man sich wie weit öffnet. Das ist ein unauslöschliches Ereignis. Es ist ein bisschen wie bei einem trockenen Alkoholiker. Du hast es immer bei dir, auch wenn es nicht akut ist. Es kann mal ausbrechen und mal eher im Hintergrund stehen.
MZEE.com: Auf demselben Song rappst du über deine Mutter unter anderem: "Du warst immer Anker, wenn ich kein Land sah. Und weil ich das viel zu selten sage: Ich bin dir dankbar" und "Ich hab' dich verletzt, anstelle dich stolz zu stimmen. Und ich weiß, dass ich trotzdem immer willkommen bin". – Von welcher Emotion ist die Beziehung zu deiner Mutter geprägt?
Mädness: Das kann ich nicht auf eine Emotion reduzieren, da spielen zu viele Gefühle und Erfahrungen mit hinein. Ich würde sagen, dass sich die Beziehung zu meiner Mum nicht groß von der mütterlichen Beziehung anderer Leute unterscheidet.
MZEE.com: Kennst du das leichte schlechte Gewissen, wenn man aus der Heimat weggezogen ist und seine Eltern nicht mehr so häufig sieht? Das kann sich entwickeln, wenn man daran denkt, wie viel sie für einen getan haben.
Mädness: Das ist der Lauf unserer Gesellschaft, glaube ich. Wir sind daran gewöhnt, dass wir mit spätestens 18 bis 25 Jahren ausziehen. Wenn du das nicht machst, bist du in der öffentlichen Wahrnehmung ein Loser. In Deutschland herrscht dann der Eindruck vor, dass du nichts gebacken kriegst und nicht selbstständig bist. Ich glaube, dass das auch ein deutsches Ding ist. In anderen Ländern sind die Familienbündnisse teilweise ganz andere. Man wohnt gemeinsam in einem Haus oder einer Doppelhaushälfte. Es ist dort nicht ungewöhnlich, in der Familie zu bleiben. Hier ist es so, dass man sein eigenes Ding machen und den Eltern beweisen möchte, dass man selbst etwas aufbauen kann. Da spielen wirtschaftliche Faktoren eine ganz große Rolle. Ich glaube, dass sich die diesbezügliche Gangart hier in Deutschland extrem auf die Familie auswirkt.
MZEE.com: Ich meine herauszuhören, dass du das Modell in anderen Ländern gar nicht so schlecht findest.
Mädness: Das sage ich jetzt so. Man hat aber auch noch nicht mit seinen Eltern zusammengewohnt, nachdem man ausgezogen ist. (grinst) Das bringt sicher völlig neue Konflikte mit sich. Ich kenne auch niemanden, der mit 30 Jahren noch bei seinen Eltern wohnt. Deshalb hat man keinen Vergleich. Niemand will wieder mit seinen Eltern zusammenziehen, aber es gibt ja auch kaum Beispiele dafür, wie es laufen könnte.
MZEE.com: Man müsste dann vermutlich lernen, die alten Hierarchien aufzulösen. Sonst bist du zu Hause wieder das Kind.
Mädness: Stimmt. Aber vielleicht sind diese alten Muster auch gut und man hat nur gelernt, dass die uncool seien. Ich weiß nicht, wie das in so geeinten Familien läuft. Gibt es da 'ne Hierarchie? Ist es cool, dass es eine gibt? Vielleicht gibt es auch Modelle, in denen alle gleichberechtigte, erwachsene Menschen sind. Das wäre wohl das Traum-Modell.
MZEE.com: Eine weitere Zeile aus "Ich mach's noch mal neu" ist folgende: "Zu der Zeit hast du die Familie ganz alleine gestemmt. Meinem Bruder und mir ermöglicht, die zu sein, die wir sind." Die Schriftstellerin Maria von Ebner-Eschenbach sagte mal: "In den meisten Fällen ist die Familie für ein junges Talent entweder ein Treibhaus oder ein Löschhorn." – Klingt so, als wäre es in eurem Fall Ersteres gewesen?
Mädness: Uns wurde alles zur Verfügung gestellt, um selbst zu entscheiden, was unser Weg ist. Wir mussten keinen Betrieb übernehmen oder in die Rollenbilder unserer Eltern verfallen. Diese Diskussion gab es nicht. Wir hatten die Möglichkeit, unser Leben frei zu gestalten. Das "Löschhorn" bringt mich aber auch an einen wichtigen Punkt, über den wir schon am Anfang gesprochen haben: Bis auf die letzte Flamme löscht nur die Familie. Nach meiner Erfahrung ist das der Kern, der sich komplett aufopfert, wenn irgendetwas ist. Diese Möglichkeit besteht bei einer familiennahen Gruppe so, glaube ich, nicht. Ich habe es zumindest in dieser Gänze noch nicht erfahren. Denn auch bei diesen Menschen bestehen ja familiäre Verknüpfungen. Ein Freund oder eine Freundin kann sich nicht vier Wochen neben mich setzen, wenn ich ein Problem habe. Ich kann nicht vier Wochen nonstop bei denen sein. Vielleicht geht das auf irgendeine Weise, aber die müssen auch mal ihre Eltern besuchen. Das ist dieser bedingungslose Bund.
MZEE.com: Du bist vor einigen Jahren von Hessen nach Berlin gezogen. Welche Rolle spielt deine Familie und der Kontakt zu ihr in deinem täglichen Leben?
Mädness: Mein Bruder und ich sind in ständigem, fast täglichem Austausch, sowohl privat als auch musikalisch und geschäftlich. Ähnlich ist es mit der restlichen Familie, wenn auch nicht ganz so häufig. Es ist eine Verbindung, in der man sich auf dem Laufenden hält und checkt, ob es dem anderen gut geht.
MZEE.com: Man weiß ja auch, dass man eine Verbindung aufgebaut hat, die nicht verschwindet, wenn man zwei Wochen mal nichts voneinander hört.
Mädness: Ja, ich denke, da ist einem niemand böse. Man merkt selbst, wann man sich mal wieder melden sollte, denke ich. Dadurch, dass wir teilweise zu unmöglichen Uhrzeiten arbeiten und dann ausschlafen müssen, meldet man sich vielleicht mal ein paar Tage später. Über die Taktung bin ich ganz froh.
MZEE.com: Danke für dieses sehr offene Gespräch. Ich würde es gerne mit einer etwas leichteren Frage abschließen. Hast du eine Lieblingsfamilie aus der Popkultur?
Mädness: Ja, die Tanners aus ALF. Ich hing sehr an dieser Familie und fand die gut. Allein das Szenario – es schwingt mehr mit, als dass ein Außerirdischer in einer Mittelstandsfamilie gelandet ist. Die Probleme, die sich dadurch ergeben und seine Fremdartigkeit führen zu gewissen Konflikten. Es ist auf eine gewisse Weise eine geile Gesellschaftskritik. Obwohl ALF ja eher ein Fremdkörper ist, ist von Anfang an klar, dass er ein gleichberechtigtes Mitglied der Familie ist. Das fand ich eine schöne Sache. Das widerspricht eigentlich dem, dass ich gesagt habe, es sei nicht möglich, eine Familie zu konstruieren. Vielleicht ist es das ja doch, wenn es bei ALF geht. Es kann bestimmt auch im echten Leben möglich sein.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Robert Winter)