An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Dezember 2020 behandelte unsere Reportage bereits, wie das Streaming-Geschäft die HipHop-Szene beeinflusst. Im folgenden Kommentar nimmt unser Redakteur Christof dessen Auswirkungen auf den Untergrund der deutschen Rapszene genauer unter die Lupe.
Streaming ist ohne Zweifel schon lange nicht mehr aus dem Leben als HipHop-Fan wegzudenken. Ein großes Musikangebot schnell und beinahe überall verfügbar, ohne dass man Speicherplatz dafür braucht. Abgesehen von den Hörern bietet Streaming auch Künstlern ohne Labelvertrag auf den ersten Blick viele Vorteile: die Möglichkeit, Teil eines riesigen Musik-Pools zu sein, gehört zu werden und seinen Teil vom Kuchen abzubekommen. So argumentieren die Befürworter des Systems. Doch ich kann dieser Entwicklung nichts abgewinnen.
Als ich mit Freunden vor mittlerweile 15 Jahren anfing, meine Musik ins Netz zu stellen, ging das relativ unkompliziert: Wir verpackten unser Werk als RAR-Datei, luden es auf RapidShare hoch und posteten den Link auf einer kostenlos erstellten Homepage, später dann auf Myspace. In Internetforen oder Chats machten wir Werbung. Geld gaben wir für unser Hobby nur aus, wenn es um ein neues Mic oder einen besseren Mixer ging.
Mittlerweile sehen die Abläufe im Untergrund des deutschen Raps ganz anders aus. Wer gehört werden will, muss auf den gängigen Streaming-Diensten vertreten sein. Der Weg dorthin ist vorgegeben, eine Möglichkeit zum direkten Upload bietet keiner der üblichen Dienste an. Dies geht ausschließlich über Online-Vertreiber, die sich selbstverständlich alle ihre Leistungen bezahlen lassen – kostenlose Angebote gibt es nicht. Hier existieren außerdem große Qualitätsunterschiede zwischen Vertreibern. Gerade bei günstigen Anbietern kann es mehrere Wochen dauern, bis Supportanfragen geklärt sind. Für Künstler ohne großes Budget ist das ein Ärgernis.
Der finanzielle Aspekt ist in meinen Augen die größte Hürde. Nach den Regeln des Kapitalismus gilt: Wer Ertrag will, muss investieren. Mit Veröffentlichung der Musik auf den Streaming-Diensten ist es noch lange nicht getan. Dass der Song jetzt beispielsweise auf Spotify zu finden ist, reicht nicht aus – er soll ja auch gehört werden. Hier kommt ein sehr teurer Trend ins Spiel: Playlists. Alben rücken als Format in den Hintergrund, die meisten Hörer konsumieren mittlerweile Playlists. Gerade die bekanntesten können Liedern und Künstlern einen ordentlichen Push geben. Sie werden entweder von Spotify selbst, Labels und Vertrieben oder sogenannten "Kuratoren" erstellt. Letztere sind die "Influencer" im Streaming-Geschäft. Für Untergrundmusiker ohne Label kommen aufgrund ihrer limitierten finanziellen Möglichkeiten und fehlenden Vernetzung im Endeffekt nur die von Kuratoren erstellten Playlists in Frage. Und diese lassen sich einen Platz in ihrer Playlist gut bezahlen. Kontakte zu den Kuratoren entstehen meist über WhatsApp. Für die Aufnahme eines einzigen Songs bezahlt man durchaus mehr als 100 Euro je nach Beliebtheit der Playlist. Eine bestimmte Anzahl an monatlichen Hörern muss über einen längeren Zeitraum erreicht werden, damit sich diese Investition lohnt. Allein die Aufnahme in eine Playlist garantiert jedoch noch lange keinen Erfolg. Ein weiterer Aspekt ist die Werbung. Auf Facebook, Instagram und Co. sollte man Anzeigen schalten, um Klicks zu generieren. Eine Garantie auf die zukünftigen Klicks gibt es allerdings nie, es gleicht einem Glücksspiel.
Hier wird der Klassencharakter dieses Systems deutlich. Es entsteht selbst für Hobbymusiker ein ökonomischer Druck, der in den Vordergrund rückt. Nicht mehr das Erstellen der Musik steht im Fokus, sondern ihre Vermarktung. Jeder Dienst hat zudem seine Eigenheiten und benutzt seine eigenen Algorithmen – meist ein undurchsichtiges System –, über dessen Funktionsweise man sich erst mal ausführlich informieren muss, wenn man überhaupt eine Chance haben will. Man findet auf demselben "Marktplatz" wie die ganz Großen in direkter Konkurrenz zu ihnen statt. Allerdings haben die großen Labels geschultes Personal, ausgefeiltere Werkzeuge und eine Menge mehr an Budget. Dadurch haben sie von vornherein einen großen Vorteil.
Künstler ohne Label werden im Endeffekt dazu gezwungen, nach den Regeln des Mainstreams zu spielen. Jedoch ohne dieselben Voraussetzungen zu haben. Ich persönlich als ungesignter Künstler habe daran jedenfalls keine Freude und ich kenne viele, denen es genauso geht. HipHop ist eine Kultur, die selbst aus dem Untergrund kam. Ob Graffiti, Breakdance, Producing oder Rap – Künstler ohne Vertrag spielten Jahrzehnte lang eine sehr wichtige Rolle. Mittlerweile ist der Mainstream im HipHop angekommen und räumt ökonomisch auf; was sich finanziell nicht lohnt, muss weg. Doch wenn der Untergrund geht, geht mit ihm eine wichtige Quelle der Innovation. Darüber hinaus: Ein solches System macht es für den Nachwuchs unserer Szene unglaublich schwer, Fuß zu fassen und entdeckt zu werden. Es ist unmöglich für eine Untergrund-Kultur, sich unter diesen Umständen so zu entwickeln, wie sie es sollte.
(Christof Mager)
(Grafik von Daniel Fersch)