"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Saarbrücken bringt einige Untergrund-Rapper hervor, die man nicht übersehen sollte. Das fiel mir erst vergangenes Jahr wieder auf, als ich die Freche Gesellschaft für mich entdeckt habe. Die Crew besteht aus zahlreichen markanten Stimmen, eine hat es mir aber besonders angetan: die tiefe, kettensägenartige von Schmutz.
"Mädchen" aus dem Sommer 2019 stellt dabei das erste deutschsprachige Solo-Release des Saarbrückers dar. Und das hat es direkt in sich. Schmutz hat eine kratzige, aber vor allem sehr tiefe Stimme, die mich enorm in den Bann zieht. Und wenn er neben den Reibeisen-Parts plötzlich noch eingängige, zum Teil clean gesungene Hooks abliefert, ist es komplett um mich geschehen. Mit seinen damals Anfang 20 schafft er es, seine eigene Zerrissenheit schon allein durch seine Stimme zu vermitteln. Denn "Mädchen" handelt genau davon – vom eigenen, unbefriedigenden Leben des Rappers. Man kann nicht anders, als seinen Schmerz mitzufühlen, wenn er davon rappt, wie er versucht, sich selbst zu betäuben. Mit Alkohol. Mit Pharmazeutika. Und trotz allem ist er stets bedacht, genau dies nicht zu glorifizieren, wie Zeilen wie "Kannste leben wie 'n Schwein, kannste sterben auf der Schlachtbank" beweisen. Abgerundet wird die düstere Stimmung dabei nicht zuletzt von den Beats, die von Schmutz selbst stammen. Mit scheppernden Drums, gerne mit der Gitarre unterlegt, aber auch mal psychedelisch anmutend, verstärkt er mit den Produktionen die Inhalte.
"Mädchen" ist rundum perfekt für mich – persönlich, emotional und hart. Spätestens, wenn "U30" läuft, gebe ich mich komplett der aufkommenden Melancholie hin. Hier fasst Schmutz noch mal all die Scheiße in seinem Leben zusammen und schließt ab mit: "Will die 30 gar nicht seh'n, weil's keinen Spaß macht." Gefährlicher Stoff in Zeiten einer globalen Pandemie samt Lockdowns. Dennoch hat mich lange kein Release mehr so mitgenommen wie dieses.
(Lukas Päckert)