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Kommentar

Auf Kuschelkurs – wie deutscher Rap die Diskussion scheut

Wäh­rend You­Tuber zuneh­mend die Rol­le der "klas­si­schen" HipHop-​Medien über­neh­men, gera­ten ernst­haf­te Gesprä­che mehr und mehr ins Abseits. Über die Fra­ge, war­um es wich­tig ist, kri­ti­sche Inter­views zu füh­ren und was uns ohne sie ver­lo­ren geht.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des Autors und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den beschäf­tigt sich unser Redak­teur Simon mit der Fra­ge, wes­halb Rap­per immer weni­ger ernst­haf­te Inter­views geben.

 

Ein Rap­per ver­öf­fent­licht ein neu­es Album und gibt dazu Inter­views. Das ist erst mal nichts Beson­de­res: Man möch­te schließ­lich Pro­mo machen und Inter­views bie­ten sich dafür an. Doch auf­fäl­lig ist, dass Inter­views inzwi­schen viel aus­ge­wähl­ter gege­ben wer­den als noch vor eini­gen Jah­ren. Hip​hop​.de, BACKSPIN – vie­le der alt­ein­ge­ses­se­nen Deutschrap-​Medien erhal­ten auf­fal­lend weni­ger Besuch von den erfolg­rei­chen Künst­lern. An ihrer Stel­le haben sich mehr und mehr You­Tuber wie Mar­vin Cali­for­nia oder Mr. Rap eta­bliert, bei denen häu­fig eine sehr kum­pel­haf­te Atmo­sphä­re vor­herrscht. Man quatscht ein biss­chen, lacht über die Wit­ze des ande­ren, zieht gemein­sam über die "links­extre­men gro­ßen Nach­rich­ten­sen­der" (Mar­vin Cali­for­nia) her und ist sich des Wohl­wol­lens und der Sym­pa­thie des Gegen­übers sicher. Ins­ge­samt gibt es in letz­ter Zeit ver­mehrt Zusam­men­schlüs­se von Rap­pern mit You­Tubern, die eher Wert auf lus­ti­gen Con­tent legen und in ihren Inter­ak­tio­nen vor allem auf Har­mo­nie bedacht sind. Für die Sze­ne ist dies eine besorg­nis­er­re­gen­de Entwicklung.

Als Rap­per ist es ein­fach nicht mehr not­wen­dig, sich mit pro­fes­sio­nel­len Jour­na­lis­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen. Wenn sie sich in Inter­views bege­ben, dann aber auch nur mit Leu­ten, die sowie­so Fans oder Freun­de sind und von denen sie ohne­hin kei­ne kri­ti­schen Fra­gen zu befürch­ten haben. Wozu auch anders damit umge­hen? Wenn ich mei­nen Fans sagen möch­te, wer mein Album pro­du­ziert hat, mit wel­chen Fea­tures ein Lebens­traum erfüllt wur­de und war­um nach die­sem Album deut­scher Rap nicht mehr so sein wird wie zuvor, kann ich auch ein­fach auf Insta­gram live gehen und eine Fra­ge­run­de machen. Die per­fek­te Fan­bin­dung hat man damit gleich noch abge­früh­stückt. Die Inhal­te die­ser Sto­rys wer­den ohne­hin von ande­ren flei­ßig wei­ter­ver­brei­tet. Das Geschäfts­mo­dell von Mr. Rap bei­spiels­wei­se basier­te anfäng­lich aus­schließ­lich dar­auf. Um Pro­mo muss man sich dies­be­züg­lich also kaum Sor­gen machen. Auch wenn es nicht nur um das schlich­te Ver­brei­ten rele­van­ter Infor­ma­tio­nen geht, also wel­che Musik wann und wie ver­öf­fent­licht wird, gibt es inzwi­schen genug Mög­lich­kei­ten, sich den Fans als nah­ba­rer und sym­pa­thi­scher Mensch zu prä­sen­tie­ren, des­sen Deluxe-​Box man ger­ne zwei­mal vor­be­stellt. Als beson­ders beliebt hier­für haben sich diver­se YouTube- und Twitch-​Formate her­aus­ge­stellt. Ob beim Kochen, Rap­quiz spie­len, jedes erdenk­li­che Gesell­schafts­spiel aus­pro­bie­ren oder gleich einen gemein­sa­men Song auf­neh­men: Rap­per tref­fen sich ger­ne für jed­we­de Akti­vi­tät mit ihren YouTube-​Freunden. Die Vor­tei­le dafür lie­gen pri­mär im gegen­sei­ti­gen Pro­fi­tie­ren von der jewei­li­gen Fan­ba­se und der damit ein­her­ge­hen­den erhöh­ten Reich­wei­te. In der Regel sind die­se For­ma­te aber vor allem inhalt­lich erschre­ckend harm­los. Sie sind aus­ge­legt auf ober­fläch­li­chen Spaß, bei dem nie­mand ernst­haft nach­den­ken muss. Zudem ken­nen und mögen sich alle Betei­lig­ten in der Regel, es will also nie­mand dem ande­ren auf die Füße tre­ten. Die­ser Trend, sich nur noch mit Leu­ten zusam­men­zu­set­zen, mit denen man ohne­hin kom­plett auf einer Wel­len­län­ge ist, fin­det sich im Übri­gen auch bei fast allen Pod­casts mit HipHop-​Bezug wie­der. Aus­nah­men gibt es nur noch in ver­ein­zel­ten TV Strassensound-​Interviews oder manch­mal bei der wun­der­sa­men Rap­wo­che (und natür­lich bei MZEE​.com).

Ein wirk­li­ches Inter­es­se der Prot­ago­nis­ten an ernst­haf­ten Gesprä­chen oder kri­ti­schen Dis­kus­sio­nen scheint immer weni­ger vor­han­den zu sein und wird wahr­schein­lich sogar bewusst gescheut. Die­se Ent­wick­lung ist aus dop­pel­ter Sicht scha­de. Zum einen sind es doch genau die Gesprä­che, bei denen nicht alles Frie­de, Freu­de, Eier­ku­chen ist, die wirk­lich im Gedächt­nis blei­ben und die sze­nein­ter­ne Dis­kus­sio­nen vor­an­brin­gen. Wenn Rap­per nicht auf pro­ble­ma­ti­sche Lyrics ange­spro­chen wer­den, dann kann natür­lich kein Umden­ken bei sexis­ti­schen, anti­se­mi­ti­schen oder ande­ren pro­ble­ma­ti­schen Inhal­ten ent­ste­hen. Wenn Manu­ell­sen von Mache­ten schwa­dro­nie­ren kann, die er Leu­ten in den Kopf haut und das im Inter­view unwi­der­spro­chen bleibt, führt das eben dazu, dass "die Mache­te zücken" auf ein­mal zur ernst­haf­ten Alter­na­ti­ve erho­ben wird. Die­se Art der Dis­kurs­ver­schie­bung, dass vor­her unsag­ba­re Din­ge durch zu viel unkri­tisch gebo­te­ne Platt­form auf ein­mal sag­bar wer­den, betreibt bei­spiels­wei­se die rechts­extre­me AfD gezielt seit Jah­ren im poli­ti­schen Kon­text. Und auch wenn es um den rei­nen Entertainment-​Faktor geht, sind unter­schied­li­che Mei­nun­gen doch auch immer inter­es­san­ter als Ein­heits­brei. Alle ken­nen das BACKSPIN-​Interview von Fler und Niko über Kol­le­gah, aber kann sich noch irgend­je­mand an irgend­ein Leon Lovelock-​Interview erin­nern? Zum ande­ren lernt man den Künst­ler ja nicht wirk­lich ken­nen, wenn nur lus­ti­ge Spie­le gespielt wer­den. Die Gesprä­che blei­ben dann ober­fläch­lich und nie­mand bekommt die Mög­lich­keit, wirk­lich etwas von sich preis­zu­ge­ben. Hip­Hop lebt wahr­schein­lich mehr als jede ande­re Musik­form davon, dass Per­son und Musik ein stim­mi­ges Bild erge­ben. Das funk­tio­niert aber nur, wenn mir die Per­son auch die Mög­lich­keit gibt, sie ken­nen­zu­ler­nen – abge­se­hen von Aus­nah­men, die die Regel bestä­ti­gen. Rest in Peace, MF Doom.

Traut euch doch hin und wie­der aus eurer Kom­fort­zo­ne her­aus und unter­hal­tet euch mit Leu­ten, die nicht immer nur "Ja und Amen" sagen. Im Ide­al­fall springt da näm­lich deut­lich mehr für alle Betei­lig­ten raus als bei dem nächs­ten belie­bi­gen Promo-​Termin mit Mois oder 2Bough.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)