Kategorien
Interview

Milli Dance – ein Gespräch über Protest

"Beim NSU ist nie­mand von denen auf die Stra­ße gegan­gen. Es hat sie nicht gestört, dass es eine rechts­ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung gibt, bei der zu Tei­len der Ver­fas­sungs­schutz mit drin hängt." – Mil­li Dance im Inter­view unter ande­rem über die Fra­ge, wel­che Gefüh­le Querdenker-​Demos in ihm auslösen.

Waving the Guns hal­ten seit Jah­ren die Fah­ne für den anti­fa­schis­ti­schen Wider­stand hoch. Die Tex­te von Rap­per Mil­li Dance sind geprägt vom Pro­test gegen Ras­sis­mus, Sexis­mus, Klas­sis­mus und Tur­bo­ka­pi­ta­lis­mus. Auch abseits der Musik posi­tio­nie­ren sich Mil­li und sein Pro­du­zent Dub Dylan regel­mä­ßig poli­tisch ‒ egal, ob durch Gigs auf Demons­tra­tio­nen oder das Auf­merk­samm­a­chen auf aktu­el­le Gescheh­nis­se und Aktio­nen auf den Social Media-​Kanälen des Duos. Wir spra­chen mit Mil­li Dance im Inter­view dar­über, wie Pro­test aus­se­hen soll­te, damit er erfolg­reich ist. Was ist sei­ne Mei­nung über Pro­test im Inter­net, Online-​Aktivismus und des­sen Rol­le in der gesell­schaft­li­chen Dis­kus­si­on? Und wel­che Gefüh­le lösen die Quer­den­ker in jeman­dem aus, der nicht gegen das Tra­gen einer Mas­ke, son­dern für die Rech­te ande­rer auf die Stra­ße geht? Die­se und vie­le wei­te­re Fra­gen klär­ten wir im Gespräch. 

MZEE​.com: Kannst du dich dar­an erin­nern, wann du das ers­te Mal aktiv gegen etwas pro­tes­tiert hast?

Mil­li Dance: Ich hab' mich bei einer Unter­su­chung im Kin­der­gar­ten gewei­gert, mich aus­zu­zie­hen. Ich woll­te das nicht und wur­de auch nicht unter­sucht. (lacht) In der Pro­vinz, in der ich auf­ge­wach­sen bin, sind wir Skate­board gefah­ren und dadurch regel­mä­ßig in Kon­flik­te mit dem Ord­nungs­amt gera­ten. Das war auch eine Art Pro­test. Es gab nichts, des­halb haben wir uns selbst etwas gebaut und wur­den wie­der weggeschickt.

MZEE​.com: In einem Inter­view mit der VICE hast du erzählt, dass der Ursprung dei­ner Poli­ti­sie­rung dar­in liegt, dass du von Nazis umge­ben warst und auf kei­nen Fall dazu­ge­hö­ren woll­test.

Mil­li Dance: Das war ein­fach ziem­lich früh ein The­ma. In der sechs­ten, sieb­ten Klas­se hast du gemerkt, wer aus dei­ner Sicht ein Nazi war. Dann hat sich gefun­den, was nicht rechts war bezie­hungs­wei­se alter­na­tiv, grob gesagt. Viel mehr poli­ti­sche Aus­de­fi­nie­rung war da noch nicht.

MZEE​.com: Wel­che Demons­tra­ti­on war dei­ne erste?

Mil­li Dance: Das war die "Game over Kraut"-Demo zum Tag der Befrei­ung 2004 in Rostock.

MZEE​.com: Stand der poli­ti­sche Hin­ter­grund damals bereits im Vor­der­grund oder bist du mehr oder weni­ger durch dein Umfeld dort gelandet?

Mil­li Dance: Wir waren mit ein paar Leu­ten aus dem Umfeld dort, aber es gab kei­ne Antifa-​Gruppen oder so. Es war eher ein all­ge­mei­nes Inter­es­se dafür, irgend­wie links zu sein. Es war Sams­tag, wir hat­ten Zeit und haben uns das mal ange­guckt. Wir hat­ten kei­ne Erfah­rung und übel Schiss vor den Bul­len, die sich auf ein­mal Hel­me auf­ge­setzt haben. Wahr­schein­lich stand ich da und hab' das Peace-​Zeichen gezeigt. (lacht) Das war eine ganz ent­spann­te Demo, es gab kei­nen direk­ten Geg­ner. Wobei, irgend­wel­che Nazis haben Papier­schiff­chen in den Schwa­nen­teich gelas­sen und eine Trau­er­fei­er ver­an­stal­tet. Ansons­ten ist man eher für sich gelau­fen, die Demo an sich hat mich schon mitgeprägt.

MZEE​.com: Haben Demos danach einen grö­ße­ren Teil dei­ner Frei­zeit­ge­stal­tung ausgemacht?

Mil­li Dance: Bis 2008 war ich nicht auf vie­len Demos. Man war beim G8-​Gipfel und hat sich ange­guckt, wie es geschep­pert hat und war kom­plett über­for­dert. Aber wir waren nicht son­der­lich orga­ni­siert und jede Woche auf einer Demo. Poli­ti­sches stand auch noch nicht im Vor­der­grund, außer dass Nazis kacke sind und wir unse­re Ruhe vor denen haben wollten.

MZEE​.com: Wann ist das Poli­ti­sche mehr in den Vor­der­grund gerückt?

Mil­li Dance: Mit mei­nem Umzug nach Ros­tock und dem Anschluss an neue Leu­te. Das war eine inten­si­ve Zeit, in der wir viel auf Demos gefah­ren sind. Wir waren Anfang 20 und natür­lich auch erlebnisorientiert.

MZEE​.com: Anders als du poli­ti­sie­ren sich vie­le jun­ge Men­schen heu­te im Inter­net. Pro­test fin­det online statt ‒ über Insta­gram, Twit­ter und Peti­tio­nen. Du betei­ligst dich über ver­schie­de­ne Kanä­le eben­falls dar­an. Wie viel lässt sich dei­ner Mei­nung nach durch Online-​Protest bewirken?

Mil­li Dance: Das ist eine gute Fra­ge, die ich mir auch stel­le. Es ist immer schwer, ein­zu­schät­zen, wie viel etwas aus­macht. Das ist mit Musik genau­so. Ich wer­de auch gefragt, wie wich­tig Musik mit einer Mes­sa­ge ist und wie viel sie bewir­ken kann. Kei­ne Ahnung. Ich den­ke nicht, dass es nichts bewirkt. Alles ist ein Zahn­rad im Gesam­ten. Zu sagen, dass Pro­test im Inter­net nicht echt sei, fin­de ich des­halb bescheu­ert. Guck dir an, wie viel bis jetzt im Ara­bi­schen Früh­ling online pas­siert. Man soll­te es auch nicht über­hö­hen, son­dern rea­lis­tisch und mit einer gewis­sen Demut betrach­ten. Etwas zu tei­len, kann die Reich­wei­te ver­grö­ßern, aber es kann genau­so gut unter­ge­hen. Das ist kei­ne Hel­den­tat. Natür­lich füt­tert man immer ein biss­chen die eige­ne Bubble. Ich glau­be eigent­lich nicht, dass ich vie­le Men­schen errei­che, die nicht sowie­so auf einem ähn­li­chen Trich­ter sind. Aller­dings bekom­me ich manch­mal auch Nach­rich­ten von Leu­ten, bei denen ich mich fra­ge, wie sie auf uns gekom­men sind. Wir haben mit Waving the Guns eine Reich­wei­te von unge­fähr 20 000 Men­schen und wol­len die nut­zen, um Inhal­te, die wir wich­tig fin­den, zu tei­len. Für man­che Leu­te ist das aber auch alles, die fin­den nur im Inter­net statt. Ich will nie­man­dem abspre­chen, sich im rich­ti­gen Leben gera­de zu machen, aber online ist es natür­lich auch schnell Selbst­dar­stel­lung und Identität.

MZEE​.com: Klar, es ist offen­sicht­lich beque­mer, eine Sto­ry zu machen, als auf die Stra­ße zu gehen. Aber ich den­ke auch, dass auf Insta­gram aktu­ell viel Con­tent pro­du­ziert wird, der für vie­le Men­schen ein guter Ein­stieg zum Bei­spiel in anti­ras­sis­ti­sche Arbeit oder Queer-​Themen ist.

Mil­li Dance: Das geht mir auch so und will ich gar nicht leug­nen. Ich bekom­me durch die­se Kanä­le Input und kann ande­re Blick­win­kel einnehmen.

MZEE​.com: Denkst du, dass es ein Pro­blem ist, dass sich zu vie­le Men­schen auf Online-​Protest aus­ru­hen? Oder hast du das Gefühl, dass sich auch dadurch mehr Men­schen poli­ti­sie­ren und auf die Stra­ße gehen?

Mil­li Dance: Kei­ne Ahnung, ich ken­ne die­se Instagram-​Leute ja nicht. Ich weiß nicht, was die sonst machen. Du kannst aber gene­rell fra­gen, wie die aktu­el­le Dis­kurs­ver­schie­bung nach rechts pas­siert: Durch stän­di­ges Wie­der­ho­len von Nar­ra­ti­ven. Die wer­den in die Kom­men­tar­spal­ten gefeu­ert und ich hab' kei­nen Bock, mir Gefech­te mit die­sen Leu­ten zu lie­fern. Wenn du Kom­men­ta­re liest, hast du den Ein­druck, dass es nur noch Rech­te gibt. Von daher kannst du nicht sagen, dass es Quatsch sei, sich online zu enga­gie­ren. Ganz reell fin­de ich es natür­lich gut, täg­lich Con­tent zu pro­du­zie­ren, der fort­schritt­li­che The­men behan­delt, in dem über den NSU und ande­re Nazi-​Aktivitäten auf­ge­klärt wird. Wenn die­ser Raum nicht dadurch aus­ge­füllt wird, neh­men ihn nur die Rech­ten ein. Sozia­le Medi­en sind ein­fach zu wich­tig und des­halb muss das pas­sie­ren, Punkt.

MZEE​.com: Man muss sich immer wie­der bewusst machen, dass nur ein klei­ner Pro­zent­satz der Bevöl­ke­rung über­haupt im Inter­net kommentiert.

Mil­li Dance: Das stimmt, es ist auch bei vie­len von denen ein rei­ner Online-​Aktivismus. Ich ken­ne das ja selbst: Bei Nach­rich­ten zu Mord­de­lik­ten oder Anschlä­gen schaue ich gar nicht mehr in die Kom­men­ta­re, weil ich weiß, dass dar­un­ter über die Natio­na­li­tät des Täters spe­ku­liert wird. Ich wür­de eher die Fra­ge stel­len, ob es ein Mann war. Ist mei­ner Mei­nung nach eine bes­se­re Kate­go­rie, um ein­zu­ord­nen, wer kri­mi­nell wird. Aber wie gesagt: Das ist deren Akti­vis­mus, vie­le die­ser Kom­men­tie­ren­den haben noch nie etwas ande­res gemacht. Das soll es nicht run­ter­spie­len, es ist trotz­dem total ernst zu neh­men. Aber es ist eine Inter­net­bla­se, die es nor­ma­ler­wei­se nicht ins rea­le Leben schafft. Außer jetzt bei den Querdenker-​Idioten, von denen 40 000 durch Leip­zig lau­fen. Da sieht man, dass es doch mög­lich ist. Aber die­se Grup­pe ist so dif­fus, dass es für sie, glau­be ich, schwie­rig wird, kon­kre­te Gemein­sam­kei­ten zu fin­den, wenn es nicht mehr um Coro­na geht.

MZEE​.com: Wie du schon sagst, fin­det bei die­sen Men­schen gera­de eine Poli­ti­sie­rung statt. Was löst es in dir aus, dass Leu­te, die sonst ver­mut­lich kaum für oder gegen etwas demons­triert haben, jetzt gegen die Corona-​Maßnahmen auf die Stra­ße gehen?

Mil­li Dance: Eine Mischung aus Besorg­nis, der Erkennt­nis, wie das alles damals pas­sie­ren konn­te, Kopf­schüt­teln und rei­ner Ver­ach­tung. Juri Stern­burg hat sinn­ge­mäß geschrie­ben: "Was für Wohl­stands­boo­mer da unter­wegs sind, hat man gese­hen, als der ers­te sanft von der Poli­zei geschubst wur­de und sie den Poli­zis­ten mit abso­lut ehr­li­cher Empö­rung ange­guckt haben." Das fand ich ziem­lich pas­send. Es löst viel Wut in mir aus. Es gibt so vie­le rea­le "Ver­schwö­run­gen". Die sind natür­lich medi­al weni­ger prä­sent als Coro­na. Kei­ner der Idio­ten, die jetzt mon­tags rum­lau­fen und für "Frie­den, Frei­heit und Grund­rech­te" demons­trie­ren, erwähnt das neue Ver­fas­sungs­schutz­ge­setz oder das neue Sicherheits- und Ord­nungs­ge­setz in Mecklenburg-​Vorpommern. Da wer­den mas­si­ve Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen mög­lich und mei­nes Erach­tens nach wird teil­wei­se die Tren­nung zwi­schen Judi­ka­ti­ve und Exe­ku­ti­ve auf­ge­ho­ben. Die Poli­zei kann ein­fach ent­schei­den, irgend­wo rein­zu­ge­hen. Sol­che Din­ge sind da nicht auf der Tages­ord­nung, son­dern ob man eine Mas­ke trägt, damit Oma nicht drauf­geht. Natür­lich ist es ein biss­chen kom­ple­xer, wie Men­schen da lan­den. Aber beim NSU ist nie­mand von denen auf die Stra­ße gegan­gen. Es hat sie nicht gestört, dass es ganz offen­sicht­lich eine rechts­ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung gibt, bei der zu gro­ßen Tei­len der Ver­fas­sungs­schutz mit drin hängt. Die Leu­te reden von Über­wa­chung, Dik­ta­tur und davon, dass demo­kra­ti­sche Prin­zi­pi­en aus­ge­he­belt wür­den. Das mag zum Teil sogar stim­men, aber es wird so getan, als wür­de es kei­ne Debat­ten im Bun­des­tag dar­über geben. Es gibt ja Kri­tik dar­an, dass so viel am Par­la­ment vor­bei ent­schie­den wur­de. Es ist ein­fach krass rück­sichts­los gegen­über ande­ren Men­schen. Ich fah­re mei­ne Oma nicht besu­chen und hof­fe, dass das bald wie­der mög­lich ist und die Voll­idio­ten lau­fen hier rum und tun so, als gäb's das alles nicht. Was seid ihr für ver­wöhn­te, igno­ran­te und ego­is­ti­sche Arschlöcher?

MZEE​.com: Die Gesell­schaft spal­tet sich gefühlt immer mehr, auch nach rechts und links. Dia­log ist häu­fig kaum mög­lich, oft gibt es für lin­ke Pro­test­the­men von der kon­ser­va­ti­ven Sei­te kein Ver­ständ­nis. Fehlt hier ein­fach der Wil­le, sich weiterzubilden?

Mil­li Dance: Ich den­ke, dass Ideo­lo­gie eine gro­ße Rol­le spielt, über­all. Ich strei­te mich auch mit Lin­ken, so ist es ja nicht. Und auch da sind vie­le ver­bohrt, bla­siert und abso­lut davon über­zeugt, zu wis­sen, wie es läuft. Es ist mir bei­spiels­wei­se häu­fig zu undif­fe­ren­ziert, wenn es um Bul­len geht, obwohl ich abso­lut kein Freund die­ser Insti­tu­ti­on bin. Den­noch muss man sach­lich blei­ben und unter­schei­den. Auch in der Lin­ken gibt es ein­fa­che Ant­wor­ten zu kom­ple­xen Sach­ver­hal­ten. Jeder ord­net sich irgend­ei­ner Rich­tung zu und die wenigs­ten akzep­tie­ren, dass es kras­se Kon­flik­te sind, an die man mit etwas Demut und dem Ein­ge­ständ­nis, dass man auch nicht alles weiß, her­an­ge­hen soll­te. Man soll­te sei­ne Grund­sät­ze haben und dann schau­en, inwie­weit die mit Din­gen über­ein­stim­men. Um zu Kon­ser­va­ti­ven und die­sem Fest­hal­ten an alten Wer­ten zu kom­men: Da fal­len mir The­men wie Gen­dern und das Sicht­bar­ma­chen von Mar­gi­na­li­sie­run­gen ein. Wie­so wird sich so dage­gen gesträubt, über Ras­sis­mus zu reden? Auch, wenn es um die Wirt­schaft geht: Die Ideo­lo­gie des frei­en Mark­tes, der alles regelt, ist so krass über­ge­ord­net. Und zwar bei genau den Leu­ten, die Lin­ken vor­wer­fen, ideo­lo­gisch an alles her­an­zu­ge­hen. Die­se Markt­ra­di­ka­li­tät steht über jeder Ver­nunft. Es wird total dicht gemacht, wenn du das infra­ge stellst. Ich bin bei­spiels­wei­se bereit, anzu­er­ken­nen, dass die Pri­vat­wirt­schaft im Woh­nungs­markt Dyna­mi­ken frei­setzt, die es in einem staat­lich gere­gel­ten Markt nicht gibt. Natür­lich sah hier alles bes­ser aus, nach­dem es die DDR nicht mehr gab. Aber womit geht das ein­her? Gäbe es da nicht viel­leicht einen Kom­pro­miss, um die Dyna­mi­ken sozia­ler zu nut­zen? Ich wür­de mir wün­schen, dass Leu­te offen für Argu­men­te sind. Jeder kann sich, was das angeht, ändern und jeder rennt sich mal fest. Man soll­te die Ein­stel­lung nicht zur Iden­ti­tät erhe­ben. Wenn dei­ne poli­ti­sche Aus­rich­tung dein gesam­tes Selbst­bild defi­niert, kommt nie­mand mehr wirk­lich an dich ran. Jedes Argu­ment ist dann ein Angriff auf dich.

MZEE​.com: Ich den­ke, dass Pro­test für Akti­vis­ten sehr frus­trie­rend sein kann, wenn kei­ne Ergeb­nis­se erreicht wer­den, bei­spiels­wei­se an den Außen­gren­zen der EU oder in Moria. Kennst du die­ses Gefühl?

Mil­li Dance: Ich bin nicht mit dem Boot auf dem Mit­tel­meer unter­wegs gewe­sen, aber das Gefühl, nicht gehört zu wer­den und dass es eigent­lich kei­nen inter­es­siert, kennt man. Das ist sicher noch bit­te­rer, wenn man wirk­lich vor Ort ist und direkt sieht, was pas­siert, man aber den Ein­druck hat, dass das allen egal ist. "Ent­we­der ret­ten wir die Men­schen oder sie ertrin­ken und außer uns wird nie­mand kom­men." Im Zwei­fel wer­den sie von euro­päi­schen Staa­ten aufs Meer hin­aus­ge­scho­ben. Ich glau­be, dass die Resi­gna­ti­on dann noch sehr viel grö­ßer wird als bei jeman­dem wie mir, der in Deutsch­land sitzt und jeden Tag Mucke machen kann. Aber das Gefühl, fas­sungs­los dazu­ste­hen, ken­nen alle Leu­te, mit denen ich mich unterhalte.

MZEE​.com: Die Alter­na­ti­ve kann natür­lich nicht sein, nichts zu machen, dann hat man ver­lo­ren. Ich habe gro­ßen Respekt davor, aber ich fra­ge mich manch­mal, wie es Akti­vis­ten schaf­fen, sich zu moti­vie­ren, wenn sie gegen Wind­müh­len kämp­fen. Bei­spiels­wei­se bei der Beset­zung von Wäl­dern, die gero­det wer­den sollen. 

Mil­li Dance: Natür­lich ist es manch­mal Aktio­nis­mus, weil du irgend­was machen musst. Es ist eine Form von Selbst­er­mäch­ti­gung und im Zwei­fel auch ein Weg, dem Ohn­machts­ge­fühl zu ent­flie­hen. Es gibt dir ein gutes Gefühl, dich aktiv für eine Sache ein­zu­set­zen. Und wenn du nur einen Pres­se­text redi­gierst oder Ähn­li­ches. Du bist nicht kom­plett pas­siv und macht­los, zumin­dest gefühlt. Das ist auf der einen Sei­te total gut, auf der ande­ren Sei­te muss man dar­auf auf­pas­sen, nicht nur in Aktio­nis­mus zu ver­fal­len. Wenn du etwas um der Akti­on wil­len tust, kannst du dich auch ver­hei­zen. Ich wür­de jun­gen Leu­ten raten, schlau zu sein und genau zu über­le­gen, was man macht. Repres­sio­nen sind dol­ler gewor­den. Aktu­ell soll jemand für zwei­ein­halb Jah­re in Haft, weil die Fens­ter­schei­be eines Poli­zei­fahr­zeugs kaputt gegan­gen ist. NSU-​Unterstützer lau­fen wäh­rend­des­sen frei her­um, in Ros­tock haben Nordkreuz-​Mitglieder Lei­chen­sä­cke gekauft und Lis­ten geführt, auf denen Men­schen ste­hen, die ich ken­ne. Also: Ver­bau dir nicht aus purem Aktio­nis­mus und einer Anti-​Haltung alles, son­dern sei schlau. Ich ken­ne das Gefühl, dass man etwas tun möch­te. Aber im Zwei­fel kann es nach­hal­ti­ger sein, dass dein Füh­rungs­zeug­nis sau­ber ist. Aktio­nen wie im Dan­nen­rö­der Forst oder im Ham­bi wie­der­um erre­gen gro­ße Auf­merk­sam­keit, das kann man nicht abspre­chen. Ich hab' auch Respekt davor. Wozu reden wir über Umwelt­po­li­tik, wenn die­se Wäl­der abge­holzt wer­den? Das kommt dann auch bei mir an. Es ist schon etwas erreicht, wenn dar­über gespro­chen wird, ob poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen von vor lan­ger Zeit nicht viel­leicht doch umkehr­bar sind. Damit kom­men wir wie­der zum Anfang: Man kann nicht immer sagen, was wie viel bringt. Des­halb ist es im Zwei­fel bes­ser, etwas zu tun, als nichts zu tun. Irgend­wann hat sich eine Frau in einem Bus gewei­gert, ihren Platz zu ver­las­sen und dar­aus ist etwas Kras­ses ent­stan­den. Ver­heiz dich nur nicht für Bull­shit, mach dich nicht zum Mär­ty­rer, wenn es nicht sein muss.

MZEE​.com: Karl Marx hat ein­mal gesagt: "Alle Revo­lu­tio­nen haben bis­her nur eines bewie­sen, näm­lich, dass sich vie­les ändern lässt, bloß nicht die Men­schen." – Denkst du, dass die Unge­rech­tig­kei­ten auf der Welt wirk­lich am Wesen des Men­schen lie­gen? Dann gäbe es ja recht wenig Hoffnung.

Mil­li Dance: Das ist natür­lich eine grund­sätz­lich anthro­po­lo­gi­sche Fra­ge. Ich den­ke, dass das Zitat stimmt. Dar­aus wür­de ich schluss­fol­gern, dass der Mensch prin­zi­pi­ell zu allem fähig ist, sowohl zu guten als auch zu schlech­ten Din­gen. Ohne guten Ein­fluss wird er nicht bes­ser. Da geht es um Erzie­hung und Vor­bild­hal­tung. Wel­che erstre­bens­wer­ten Zie­le ver­mit­telt eine Gesell­schaft? Ich glau­be stark an Insti­tu­tio­nen und Instan­zen. Wenn du wirk­lich willst, dass Men­schen gut zusam­men­le­ben, darfst du nicht dar­auf hof­fen, dass der Mensch sich ändert und gut wird. Ich hal­te Aus­sa­gen wie "Jeder Ein­kaufs­zet­tel ist ein Wahl­zet­tel!" für tota­len Blöd­sinn. Ich will den Ein­zel­nen nicht von Ver­ant­wor­tung frei­spre­chen, aber man muss an der Wirt­schaft anset­zen. Da darf es ja bloß kei­ne Ein­schrän­kun­gen geben, das schränkt unse­re Frei­heit ein. Es wer­den stän­dig Frei­hei­ten ein­ge­schränkt, bloß nie die der Wirt­schaft zuguns­ten von ande­ren. Man darf sich auch als Lin­ker nicht dar­auf aus­ru­hen, dass der Mensch zu Gutem fähig ist. Ist er, aber es gibt genau­so vie­le Wich­ser. Ich fol­ge­re aus die­sem Zitat, dass es Insti­tu­tio­nen und Kon­troll­in­stan­zen braucht, die den Men­schen auf einen wün­schens­wer­ten Weg brin­gen, auf dem er sich ent­fal­ten kann. Ich stim­me ja der deut­schen Poli­zei­ge­werk­schaft zu: Poli­zis­ten sind auch Men­schen. Haar­ge­nau. Und dar­aus folgt, dass man sie ham­mer­hart über­wa­chen muss. Das sind Men­schen wie alle ande­ren und des­we­gen feh­ler­haft. Und des­halb nei­gen sie dazu, sich über ande­re Men­schen zu erhe­ben und schei­ße zu wer­den. Auch die Lin­ke muss sich damit aus­ein­an­der­set­zen, wie eine Gesell­schaft nach ihren Vor­stel­lun­gen aus­se­hen soll. Da ist vie­les ein biss­chen ein­fach gedacht. Stell dir vor, es wür­de der Sozia­lis­mus aus­ge­ru­fen. Die Men­schen in der DDR waren nicht auf ein­mal alle Anti­ras­sis­ten oder links. Für die alte deut­sche Lin­ke war Anti­ras­sis­mus auch nicht das obers­te The­ma. Das waren vie­le Pro­le­ta­ri­er mit wenig Bildung.

MZEE​.com: Lass uns noch mal zurück zum Anfang des Inter­views und zum The­ma Pro­test kom­men. Wie muss die­ser dei­ner Mei­nung nach aus­se­hen, damit er erfolg­reich ist?

Mil­li Dance: Ich muss dazu tan­zen kön­nen. (lacht) Nein, schwer zu sagen. Er soll­te kon­kre­te The­men haben und nicht zu dif­fus sein. Und er soll­te mög­lichst inklu­die­rend sein, auch für die Leu­te, die noch nicht Teil des Pro­tests sind. Ich brau­che nicht durch irgend­ei­ne Klein­stadt lau­fen, "Nazis raus" rufen und mich dann wie­der ver­pis­sen. Was soll das brin­gen, außer dass die Leu­te den­ken, dass wir wahr­schein­lich sie mei­nen? Es muss ernst zu neh­men und so gestal­tet sein, dass Men­schen dar­an Anschluss fin­den kön­nen. Ich hab' auch schon gese­hen, dass nach einem Nazi­an­griff Hip­pies auf Demos bar­fuß rum­tan­zen. Die sol­len sich was Ordent­li­ches anzie­hen. Das klingt doof, aber du musst Leu­te anspre­chen und ernst genom­men wer­den kön­nen. Das ist zwar ein biss­chen anma­ßend gera­de, aber wie errei­che ich denn Leu­te? Ich muss so wir­ken, als könn­te man mit mir reden. Und all­ge­mein muss Pro­test so sein, wie es die Situa­ti­on erfor­dert. Es gibt Pro­tes­te, die gewalt­tä­tig sein müs­sen, weil es anders nicht geht und du sonst weg­ge­räumt wirst. Was willst du aktu­ell in Bela­rus machen, außer dich kör­per­lich zu weh­ren? Gewalt soll­te nicht Selbst­zweck sein, aber du musst schau­en, was not­wen­dig ist. Man­che Städ­te hat­ten nur ein paar Jah­re Ruhe, weil sich alle zusam­men­ge­tan und die Nazis weg­ge­kloppt haben. Da hat der Staa­­t nicht gehol­fen. Und genau die­se Leu­te, die als ein­zi­ge wirk­li­chen anti­fa­schis­ti­schen Wider­stand geleis­tet haben, wer­den als Links­extre­me dif­fa­miert und mit Nazis gleich­ge­setzt. Das ist abso­lu­ter Wahn­sinn und eine kras­se Frechheit.

(Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von David Hen­sel­der & Mal­te Körge)