"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Supergroups wie N.W.A. oder der Wu-Tang-Clan faszinierten mich schon immer. In Deutschland ist M.O.R. für mich die Kombo schlechthin. Getrieben von ihrer Rebellion gegen die Szene haben sie mit "NLP" einen zeitlosen Klassiker geschaffen und ganz nebenbei Rap in Deutschland revolutioniert.
Dabei hatte ich stets das Gefühl, dass die Berliner Crew gar nicht zur Szene gehören, sondern sich über jene beschweren wollte. Als das Album im April 2001 erschien, war ich gerade im Teenager-Alter. Eventuell war auch das der Grund, weshalb ich ebendieses rebellische Mindset so gut nachvollziehen konnte. Es ging darum, sich abzugrenzen. Bestehende und teilweise lächerlich erscheinende Strukturen galt es, aufzubrechen und damit einen eigenen Weg zu gehen. "Denn ich kack' auf alles: Sakko, Fliege, Industrie und Meeting, du glaubst wirklich, dein kopierter Beat kann Preemo überbieten", stellt Kool Savas so passend fest. Die Idee, die Szene von unten aus aufzurollen, stieß bei mir direkt auf Gegenliebe und offene Ohren. Und dann ist da noch der überragende Sound: Die Beats von Melbeatz, Ronald Mack Donald, Fumanschu, Illo und Essah sind Weltklasse. Und die Revolution lässt sich schließlich besser feiern, wenn sie musikalisch mitreißt. Genau wie die unterschiedlichen Rap-Styles von Fuat, Fumanschu, Illo, Jack Orsen, Justus Jonas, Kool Savas, Martin B. und Ronald Mack Donald passen sie perfekt zusammen und kommen dabei ohne roten Faden aus. Diese Dynamik des ständigen Wechsels, gepaart mit der Kompromisslosigkeit gegenüber der Wackness aus Rest-Deutschland, begeistert mich noch heute. Dass M.O.R. unter anderem mit Lakmann und Azad zusätzlich perfekte Feature-Gäste auf ihrer Debütplatte hatten, ist die Kirsche auf der Sahnetorte.
Seit meiner Jugend bin ich von dem Wunsch getrieben, etwas in der Welt zu verändern. Mit "NLP" habe ich dafür den perfekten Soundtrack gefunden. Die Parts der acht MCs sind motivierend und frech. Sie vermitteln Kraft und genug Ignoranz, um zu denken, dass sich alles verändern lässt.
(Blan P)