An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Simon mit dem Einfluss, den die Firma Platincasino auf die Musik deutscher Rapper nimmt.
Ich bin in meinem Freundeskreis wahrscheinlich einer der letzten unironischen Azad-Fans. Seit ich als kleiner Racker "Phoenix" auf MTV sah, freue ich mich auf jedes Album und jedes Feature vom Frankfurter. Ein Azad-Album zu hören, ist immer ein bisschen wie "John Wick" schauen: Man weiß ganz genau, was einen erwartet, aber technisch ist das in aller Regel sehr gut gemacht und so überzeugend vorgetragen, dass man sich trotzdem bereitwillig auf die neuesten Stories aus der Nordi (respektive aus dem Leben als Auftragskiller) einlässt. Im aktuellen Album "Goat" finden sich dementsprechend die gleichen Reime und Inhalte, auf die ich mich seit 15 Jahren freue: Es geht um den Block, den Hustle, Drogen, Gewalt und darum, der Beste und Echteste zu sein. Neu ist auf dem Album, dass erstaunlich viel gezockt wird: Es wird "ans Limit gepusht", das "Mega-Mula" gejagt und am Ende freut man sich, endlich "hood-rich" zu sein. Das passiert alles nicht an der Börse oder mit Kilopaketen aus Nador, sondern "wie bei Platincasino". Grüße an BossXplosive an dieser Stelle. Jene inhaltliche Neuerung kommt ziemlich plötzlich und wirkt nicht sonderlich authentisch. Seit wann gehört es denn zum Leben als Straßenrapper, Geld im Internet zu verlieren und sich auch noch darüber zu freuen?
Um die Thematik zu kontextualisieren, ein kleiner Exkurs zu Glücksspiel im Allgemeinen und Platincasino im Speziellen: Der Umsatz mit Glücksspiel betrug allein in Deutschland 2018 über 46 Milliarden Euro und produzierte neben jeder Menge Geld, laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, auch circa 400 000 Spieler mit "Spielverhalten im kritischen Bereich". Spielsucht ist eine potenziell Existenzen zerstörende Sucht wie so viele andere auch, gehört aber zusammen mit Tabak und Alkohol zu den wenigen staatlich geduldeten. Platincasino selbst bietet verschiedene simulierte Glücksspielautomaten an, die man so ähnlich auch an der Dönerbude um die Ecke finden könnte. Allerdings findet das Zocken hier online statt. Platincasino gehört zu Red Rhino Limited, einer Firma mit Sitz in Malta – wo auch sonst – und ganzen drei (!) Mitarbeitern weltweit. Diese drei Personen müssen wahre Arbeitstiere sein, denn sie schaffen es, die 19 Firmen der Unternehmensfamilie gleichzeitig zu managen. Richtig gut bezahlt werden sie anscheinend auch nicht für ihre heldenhafte Leistung. Red Rhino Limited erwirtschaftete 2017, laut eigenen Angaben, gerade mal circa 100.000 Euro weltweit. Man muss nicht Sherlock Holmes sein, um den Verdacht zu haben, dass da steuerlich möglicherweise einiges im dunkelgrauen Bereich abläuft. Wer sich mit der Thematik weiter beschäftigen möchte, dem sei die Arbeit von Daphne Caruana Galizia nahegelegt. Die Journalistin wurde 2017 in Malta ermordet. Zuvor hatte sie immer wieder Korruption und Steuerhinterziehungen in der maltesischen Politik, auch im Zusammenhang mit Glückspielfirmen, offengelegt. Der bisher einzige im Zusammenhang mit dem Attentat Angeklagte ist ein Geschäftsmann, dessen Unternehmen unter anderem in der Glücksspielbranche tätig ist.
Jetzt kann es natürlich nur Zufall sein, dass Azad ausgerechnet dieses einwandfreie und ehrenwerte Unternehmen andauernd in seinen Texten erwähnt und Geld mit Sucht scheffelt (auch im neuen Song mit Celo & Abdi, "Director's Cut"). Vielleicht zockt er einfach gerne und denkt, genau diese Seite wäre nun einmal die beste. Die plötzliche Häufigkeit der Nennungen aber spricht jedoch genauso gegen diese Vermutung wie die Tatsache, dass er längst nicht der einzige Rapper ist, der andauernd Platincasino sagen muss: Farid Bang, Bonez MC, Mert, 18 Karat – die Liste der Fans des Unternehmens ist so lang wie prominent. Auch Vega zeigt gerne mal in Insta-Stories, wie er enthusiastisch auf der Maus rumdrückt. Der Verdacht liegt zumindest sehr nahe, dass Platincasino lukrative Werbedeals mit den jeweiligen Rappern abschließt und dafür auf Social Media und in Songs Erwähnung findet.
Problematisch ist die Thematik aus mehreren Gründen: Dieses komplett unreflektierte Glorifizieren von Glücksspiel, ohne ein einziges Mal negative Seiten aufzuzeigen, muss für jeden Spielsüchtigen wie ein Schlag in die Magengrube sein. Jede Wette, dass zudem alle der Genannten mehr als eine Person kennen, die glücksspielsüchtig ist. Fraglich, wie man dann ganz locker Glücksspiel abfeiern kann. Ohne den mahnenden Zeigefinger heben zu wollen, stellt sich die Frage nach der Verantwortung: Natürlich wird niemand nur durch Rap glücksspielsüchtig, aber Rap ist nun mal das Genre Nummer eins in Deutschland. Zumal mit einer Hörerschaft, die immer noch überwiegend minderjährig ist. Sind "Verzock dein Geld, aber verzock's nicht irgendwo, sondern auf Platincasino" wirklich Werte, die diese Rapper vertreten wollen? Auch beim Lieblingsthema aller (Straßen-)Rapper, Authentizität, stellen sich einige Fragen: Wie viel ist dir die Unabhängigkeit als Künstler und die "Realness" eigentlich wert, wenn irgendeine Firma kommen kann und du für einen Scheck direkt deine Kunst anpasst? Es ist ein Unterschied, sich artig für die neuesten Gratis-Shirts auf Instagram zu bedanken oder aber den musikalischen Katalog zu einer Werbeplattform verkommen zu lassen. Insbesondere auch deshalb, weil hier nicht darauf aufmerksam gemacht wird, dass es sich um Product Placement handelt, sondern Platincasino als immanenter Teil des verkörperten Lifestyles verkauft wird. Streaming und diese ganzen anderen "Binisses" (Grüße an Shirin David) laufen doch anscheinend gut. Warum also noch für Kohle die eigenen Texte, die ja immer authentisch und direkt aus dem Herzen sind, verkaufen? Und das obendrein noch für ein Unternehmen, das mit Werten und Anstand wahrscheinlich so viel zu tun hat wie Staiger mit der FDP?
Glücksspiel ist scheiße und wenn du darüber in deinen Texten reden willst, dann sag wenigstens ab und zu, dass Glücksspiel scheiße ist. Und wenn dir deine Kunst wirklich am Herzen liegt und du ernst meinst, was du in deinen Songs erzählst, dann verkauf dich doch nicht. Und verkauf dich erst recht nicht an eine Firma, die Glücksspiel-Geld verdient. Aber klar, du kannst natürlich auch den Knossi-Move machen, dein Geschäftsmodell nur noch auf Rumschreien beim Zocken reduzieren und komplett auf Integrität verzichten. Dann bist du halt aber ein unangenehmer erwachsener Mann mit Plastikkrone auf dem Kopf, der trotzdem von halb Rapdeutschland hofiert wird. Keine Grüße gehen raus an Sido.
(Simon Back)
(Grafik von Daniel Fersch)