Was für ein Mensch möchte ich gerne sein? Und was muss ich dafür tun? Mit diesen Fragen hat sich wahrscheinlich der Großteil von uns schon einmal beschäftigt. Viele vertrauen beim Thema Selbstfindung auf ihren Glauben, die Ratschläge von Freunden, der Familie und anderen Vorbildern – oder auch auf Einflüsse, die sie aus der Musik ziehen. Mit GReeeN haben wir jemanden interviewt, der nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich einen klaren Weg vor Augen hat, den er gehen möchte. Im Gespräch mit uns erzählte er unter anderem, wie er bereits früh als Kind allein zurechtkommen musste und welchen Einfluss Rap auf seine persönlichen Entwicklung hatte.
MZEE.com: Wir möchten heute mit dir über das Thema Selbstfindung sprechen. Wir sind darauf gekommen, weil du in deiner öffentlichen Darstellung immer so wirkst, als hättest du dich vollkommen gefunden und seist mit dir im Reinen. Ist das wirklich so oder schätzen wir dich völlig falsch ein?
GReeeN: Ich muss schon sagen, dass ich ein sehr geerdeter und glückseliger Mensch bin. Trotzdem habe ich meine kleinen Dämonen in mir, die ich bekämpfen muss. Ich habe immer wieder auch schlechte Tage und feile an meinem Charakter, zum Beispiel, wenn es um Fleiß geht. Aber an sich bin ich sehr zufrieden.
MZEE.com: Lass uns zu Beginn erst mal eine gemeinsame Basis bestimmen. Wir haben dafür eine Definition mitgebracht: "Selbstfindung beschreibt einen in der Pubertät beginnenden Prozess, durch den ein Mensch versucht, sich in Eigenheiten und Zielen zu definieren, vor allem in Abgrenzung von der Gesellschaft und ihren Einflüssen." – Was heißt Selbstfindung für dich persönlich?
GReeeN: Das Zitat hat es bereits ziemlich gut auf den Punkt gebracht. Ich selbst versuche immer, darauf zu scheißen, was andere von mir halten. Dass ich so geworden bin, wie ich bin, liegt, glaube ich, daran, dass ich mein Leben lang allein war und mit mir selbst zurechtkommen musste. Ich habe nie einen Beruf ausgeführt, wo ich morgens hingegangen bin und Arbeitskollegen um mich herum hatte. Das war nur während meiner Ausbildung so.
MZEE.com: War das Alleinsein eine Begleiterscheinung vom Musikmachen oder eine ganz bewusste Entscheidung?
GReeeN: In meiner Jugendzeit gab es keinen Tag, den ich nicht mit Freunden verbracht habe. Morgens hat man sich in der Schule gesehen und danach zusammen Fußball gespielt oder gekifft. Mit 17 bin ich dann in ein ziemliches Kaff gezogen und habe dort nicht mehr wirklich Anschluss gefunden. Das war aber auch nicht weiter schlimm, da zu diesem Zeitpunkt Rap in mein Leben kam. Ich habe mich die meiste Zeit zu Hause eingeigelt und nur noch am Wochenende etwas mit meinen Freunden gemacht. Jedes Mal, wenn ich dann zum Beispiel feiern war, wollte ich nach Hause und an meiner Karriere arbeiten. Ich konnte nicht einmal in Ruhe Urlaub machen. Es war also eine bewusste Entscheidung, allein zu sein.
MZEE.com: Wann hast du dich zum ersten Mal bewusst mit dem Thema "Selbstfindung" auseinandergesetzt?
GReeeN: Das müssten die Situationen gewesen sein, in denen ich mit meiner Mutter Streit hatte. In solchen Momenten konnte ich sehr laut werden und ich hasse es, wenn ich rumschreie. In den letzten zehn Jahren habe ich diese Eigenschaft so gut wie ausradiert. Ich habe gelernt, ruhig zu bleiben, auch wenn mein Gegenüber mich anfaucht.
MZEE.com: Wenn du auf dein gesamtes Leben zurückblickst: Gab es bestimmte Phasen oder Ereignisse, die einen besonderen Einfluss auf die Bildung deiner Persönlichkeit hatten?
GReeeN: Als ich acht Jahre alt war, haben sich meine Eltern scheiden lassen. Ich glaube, dass ich deshalb auch so selbstständig bin. Meine Mutter war ständig arbeiten und ich musste mich um den Haushalt kümmern. Deshalb habe ich schon früh gelernt, allein zurechtzukommen und den Karren notfalls selbst aus dem Dreck zu ziehen. Mit zehn Jahren habe ich zum Beispiel angefangen, Kirschen zu sammeln und sie bei mir im Dorf zu verkaufen. Ein weiteres prägendes Ereignis war die Erkrankung meiner Schwester, als sie 13 war. Solche Erfahrungen haben mir gezeigt, dass das Leben hart sein kann, die Sonne am Ende aber doch wieder scheint. Ich habe eine passende Metapher dazu: "Manche Menschen verlieren sich in der Dunkelheit. Andere fangen an zu leuchten."
MZEE.com: Denkst du, dass man irgendwann in seinem Leben eine feste Definition von sich selbst hat, die dann für immer bleibt? Oder findet man sich immer wieder im Laufe des Lebens neu?
GReeeN: Interessante Frage. Mein Vater hat immer gesagt, dass der Mensch im Kern immer gleich bleibt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich dem zustimmen würde. Ich war zum Beispiel als Kind sehr introvertiert, wenn ich jemanden kennengelernt habe. Heutzutage ist das nicht mehr so, was auch mit meiner Karriere als Musiker zu tun hat. Vielleicht bleibt der kleinste Kern in einem immer gleich und man hat trotzdem die Möglichkeit, seine Charaktereigenschaften zu erweitern.
MZEE.com: Ist deine erlernte Selbstständigkeit etwas, das dein Leben lang bleiben wird?
GReeeN: Das geht nicht mehr weg. Das klingt jetzt vielleicht hart, aber ich brauche niemanden für mein Glück. Ich liebe meine Freunde und bin froh, sie zu haben. Trotzdem brauche ich sie nicht, um mich glückselig zu fühlen. Auch im beruflichen Bereich könnte mir jetzt jeder den Rücken zukehren. Ich würde wahrscheinlich erst mal weinen, aber am nächsten Tag dann das Beste aus der Situation machen. Unter meiner ersten großen Trennung habe ich auch sehr gelitten. Trotzdem bin ich optimistisch geblieben und habe gedacht, dass mir irgendwann eine Frau über den Weg läuft, die noch besser zu mir passt. Mein Glück mache ich nicht abhängig von einer Person, auch wenn diese Person mich glücklich macht.
MZEE.com: Kennst du diese alles infrage stellenden Momente, in denen man urplötzlich innehält und sich fragt: "Wer zur Hölle bin ich eigentlich? Was mache ich hier? Und was soll das alles?"
GReeeN: Ja, das kenne ich auch so in der Art. In der Vergangenheit hatte ich karrierebedingt große Probleme mit Verträgen, die ich unterschrieben habe. Doch immer, wenn ich dann draußen in der Natur war, habe ich gemerkt, dass all meine Probleme dort keine Existenzberechtigung haben.
MZEE.com: Fragst du dich in solchen Momenten manchmal auch, ob das eigene Leben überhaupt das Richtige ist?
GReeeN: Solche Gedankengänge habe ich auch, obwohl ich einen Beruf gefunden habe, der mich sehr erfüllt. Ich wollte schon immer etwas machen, das mir Spaß macht. Bevor Musik in mein Leben kam, dachte ich, dass ich mal bei der Polizei anfange. Die Abwechslung in diesem Berufsfeld fehlt mir in meinem Leben etwas – besonders jetzt, wo keine Konzerte stattfinden können.
MZEE.com: Bleiben wir bei der aktuellen Corona-Lage: Glaubst du, dass die Isolation vielen Menschen bei der Selbstfindung geholfen hat?
GReeeN: Ich glaube, da gibt es zwei Richtungen: Die Menschen, die Stärke aus der Situation ziehen und diejenigen, die daran kaputtgehen. Das Witzige daran ist, dass die meisten Menschen in den letzten Monaten das Leben hatten, das ich schon die letzten zehn Jahre geführt habe. Ich war finanziell oft nicht gut aufgestellt und hatte die meiste Zeit Homeoffice. Eigentlich wollte ich letztes Jahr mal eine Pause machen, um zu reisen, neue Menschen kennenzulernen und an meiner Musik oder meinem eigenen Buch zu arbeiten. Leider hat mir Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht.
MZEE.com: Sprechen wir über dich als Rapper und die Kunstfigur GReeeN. War die Schöpfung dieser Figur oder deines Images auch eine Art Definitions- und Findungsprozess?
GReeeN: Auf jeden Fall. GReeeN und Pascal sind ein und dieselbe Person. Ich habe mich durch mein Songwriting selbst psychologisch betreut. Es gibt natürlich einzelne Tracks, auf denen ich nur Blödsinn rede und meine Hörer in eine Fantasiewelt entführe.
MZEE.com: Wie sieht es mit deiner zweiten Künstlerfigur Grinch Hill aus?
GReeeN: Die ist komplett konstruiert und dient als eine Art Boxsack. Ich bin ein sehr impulsiver Mensch mit viel Energie, die auch mal ins Negative umschlägt. In solchen Momenten möchte ich dann über die Welt meckern und dafür ist Grinch Hill mein Ventil.
MZEE.com: Und inwiefern hat Rap allgemein bei der Entwicklung deiner privaten Persönlichkeit eine Rolle gespielt?
GReeeN: Mit 13 habe ich begonnen, HipHop zu hören. Angefangen hat alles mit Tupac, Wu-Tang und Cypress Hill, kurze Zeit später kam Aggro Berlin dazu. Ich habe sowohl den gesamten Lifestyle als auch die Kunstform an sich geliebt. Als ich dann angefangen habe, selbst zu rappen, habe ich – bis auf englischsprachigen HipHop – nichts mehr davon gehört. Plötzlich fand ich Gesang, Reggae und leichte elektronische Musik interessant. Ich glaube, dass ich meinen eigenen Stil kreieren konnte, weil ich durch deutschen Rap nicht beeinflusst wurde. Heutzutage höre ich zwar immer wieder mal in aktuelle Sachen rein, pumpe sie aber nicht aktiv im Auto oder wenn ich spazieren gehe.
MZEE.com: Apropos Rap – Curse rappte bereits vor 19 Jahren in seinem Track "Verantwortung": "[…] wenn ich weiß, was den Kopf blockiert, doch die Mittel fehlen, um's zu bannen. Manchmal les' ich dann, versuch', in den Schriften Einsicht zu sichten, verleibe mir, was andere denken, ein, wo's doch eigentlich doch um mich ging. […] Doch das beste Buch beschreibt auch nicht das, was ich letztlich such'. So buch' ich den nächsten Flug, weil ich hör', wie die Ferne ruft, zieh' mich zurück aus dem entrückenden Leben zwischen Verrückten und reduzier' mich auf Hütten aus Lehm und Dächern mit Lücken. In Anbetracht dessen, dass Strand und Wasser mir weiterhelfen, mein Hauptproblem zu verstehen, muss ich feststellen, dass ich es selber bin." – Hilft es bei der Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen Problemen manchmal, den Ort zu wechseln? Sodass man sich rein mit den eigentlichen Themen und nicht dem ewigen Lärm von außen beschäftigen kann, auch wenn man dann vielleicht feststellt, dass die Probleme hausgemacht sind und man sich oft selbst im Weg steht?
GReeeN: Geiles Zitat. Die Message unterschreibe ich zu 100 Prozent. Deshalb finde ich im Wald immer meine Ruhe und zu mir selbst. Die Natur zeigt einem, dass man selbst oft das größte Problem ist. Wir malen Geister an die Wand und machen uns damit das Leben schwer.
MZEE.com: Kommen wir zum Thema "Religion": Viele Menschen sind auf Basis ihres Glaubens beeinflusst, was zum Beispiel Werte, Einstellungen und Moral angeht. Gehören Religion und Selbstfindung für dich zusammen?
GReeeN: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, dass Religion sogar dazu führen kann, dass du dich von dir selbst entfernst. Wenn du die Religion aber richtig auslebst und nicht immer nur an bestimmte Dogmen glaubst, kannst du auch zu dir selbst finden.
MZEE.com: Du hast in einem anderen Interview mit uns mal angeschnitten, dass du religiös bist. Was für eine Rolle spielt dein Glaube in deinem Leben?
GReeeN: Ich würde mich als sehr religiös bezeichnen, aber nicht in dem Sinne, wie viele Religion verstehen. Ich ziehe mir immer einzelne Aspekte raus, die ich befürworte – zum Beispiel, dass wir schöpferisch sind und jeder von uns einen Funken Gottes in sich hat. Man muss sich nur mal vor Augen führen, was für eine Welt wir erschaffen haben. Durch unseren Geist, unsere Intelligenz und Naturwissenschaften können wir quasi Dinge aus dem Nichts kreieren und so in kleinster Form Gott spielen. Für mich ist Wissenschaft auch auf eine gewisse Weise Religion.
MZEE.com: Zum Abschluss eine ganz banale Frage: Was würdest du jedem empfehlen, um sich weniger Gedanken zu machen, grundsätzlich mehr bei sich zu sein und einfach mal zur Ruhe zu kommen?
GReeeN: Mir hilft regelmäßige Bewegung und frische Luft. Ich hasse es, zu Hause zu arbeiten, weil mir dann sehr schnell die Decke auf den Kopf fällt. Ich bin ein großer Freund davon, tagsüber irgendwo hinfahren zu müssen und erst abends wiederzukommen. Wenn man keinen Grund hat, nach draußen zu gehen, muss man sich einen suchen. Am besten geht man eine Runde spazieren oder macht Sport, auch wenn man keine Lust hat. Das wird die Welt zwar nicht verändern, kann aber dabei helfen, aus einem kleinen Loch wieder rauszukommen.
(Florence Bader & Moritz Friedenberg)
(Fotos von Oliver Topf)