"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Sommer 2012 – die Sprache auf den Schulhöfen verändert sich. Lehrer, Lehrerinnen und Eltern können schon seit Haftbefehls "Kanackiş" nicht mehr mitreden. Generell versteht kaum mehr jemand, wovon die Jogginghose-und-Nike-Kappe-Fraktion schwafelt. Pflichtbewusst, wie sie sind, gehen Celo "aka Doktor Professor ultralingual Wortakrobat" und Abdi "aka Oberstudienrat" das Problem schnurstracks an und erklären "Jargon auf Deutsch für Franz und Hans". Sprachlich bedienen sie sich dabei an allem, was Frankfurt als Schmelztiegel der Kulturen zu bieten hat: Arabisch, Türkisch, Bosnisch, Französisch, Hochdeutsch und dem dazwischen.
Che&A haben mit "Hinterhofjargon" eine Bildfläche für diejenigen geschaffen, die sonst in den dunkelsten Seitenstraßen des Frankfurter Bahnhofsviertels vergessen werden. Ganz nebenbei ist es eines meiner Lieblingsalben geworden. Keine Frage: "Franz und Hans" sind genauso erwünscht wie "der Rakle mit dem Duba". Hier darf ohne Blatt vor dem Mund alles gesagt werden, was gesagt werden muss. Hier kann jeder unerwartet Hops genommen werden. Klar werden hier Drogen und Waffen verkauft, auf romantisierende 08/15-Dealer-Didaktik braucht man sich aber nicht einzustellen. Stattdessen bringt "Hinterhofjargon" so viel politischen Mehrwert mit wie kaum ein vergleichbares Album. Hier wird der Gesellschaft – in aller Härte und ohne jegliche Scham – der Spiegel vorgehalten. Von Hummer, Kaviar und Hunger in Afrika. Von der unantastbaren Würde des Menschen und dem Genozid in Ruanda. Oder dem ewigen Kampf von Integration und deutscher Leitkultur. Aus den Straßen Frankfurts in die Welt.
Rückblickend hätte das Album wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn wer sich mit der Encodierung dieses Betonklassikers beschäftigt, dem sollte schnell auffallen, dass "Hinterhofjargon" weitaus facettenreicher daher kommt als die meisten der vergleichbaren Releases. An Systemkritik, Wortwitz und miesen Bars fehlt es jedenfalls nicht. Mir bleibt nur zu sagen: Danke.
(Jonas Jansen)