Deutschrap-Journalismus. Schon über das Wort lässt sich streiten. Die einen meinen, "richtiger" Journalismus im deutschen Rap existiere doch gar nicht. Außerdem könne ja jeder selbst bessere Artikel schreiben als "diese Praktikanten". Die anderen finden, jeder, der im deutschen Rap journalistische Tätigkeiten ausführt, sei auch ein Journalist. Die nächsten führen auf: Ja, im deutschen Rap sind Redakteure unterwegs – aber keinesfalls Journalisten. Zusammenfassen lässt sich: Fast jeder hat zumindest eine Meinung dazu. Aber wie steht es um die Meinung der Journalisten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Dazu soll unsere Serie dienen – eine kleine Interviewreihe mit aktuell relevanten und aktiven Journalisten der deutschen Rapszene. Dabei möchten wir darüber reden, warum die Deutschrap-Medien von so vielen Seiten – auch von der der Künstler – immer wieder unter Beschuss stehen und wie die Journalisten diese Seitenhiebe persönlich empfinden. Wir besprechen, wie einzelne Journalisten ihren Platz in der Rapszene wahrnehmen und ob deutscher Rapjournalismus in Gossip-Zeiten noch kritisch ist. Wir möchten erfahren, ob sie die Szene noch unter dem Kultur-Begriff verstehen oder das Ganze für sie ausschließlich ein Beruf (geworden) ist. Es kommen Fragen auf, ob es vereinbar ist, in diesem Aufgabenbereich Geld zu verdienen und wie der aktuelle Deutschrap-Journalismus und seine Entwicklung gesehen wird. Und: Wie steht es überhaupt um die Entwicklung der Rapszene an sich? Das und vieles mehr werden wir in über zehn Interviews besprechen, in welchen es verständlicherweise immer nur um einen Teilbereich dieser großen Themenwelt gehen kann. Unser nächster Gesprächspartner Alex Barbian hat bei rap.de angefangen und arbeitet inzwischen für verschiedenste Medien mit Rang und Namen. Er war unter anderem Host bei der Neuauflage der Kultsendung Yo! MTV Raps, hat Interviews für DIFFUS und Das Wetter geführt und im vergangenen Jahr viel für Deutschlandfunk Kultur gearbeitet. Der Wahlberliner ist außerdem ein großer Verfechter der Jahresrückblicke. Wir haben uns deswegen verabredet, um sein musikalisches und berufliches Jahr 2020 sowie einige Entwicklungen in der Szene Revue passieren zu lassen.
MZEE.com: Zu deinem Beruf gehört weitaus mehr als die Liebe zu HipHop – eine gewisse Faszination, würde ich sagen. Was fasziniert dich so an dieser Welt? Und ist es immer noch dasselbe, das dich zu deinem Job gebracht hat?
Alex Barbian: Die Faszination, die sich durchzieht, ist, dass ich mich zu Subkulturen hingezogen fühle. Das betrifft nicht nur meine Affinität zu HipHop – das ist etwas Grundsätzliches. In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es einen ehemals besetzten Häusertrakt, der mich schon als Kind magnetisch angezogen hat. Es sind ein paar Jahre vergangen, bis ich diese Türschwelle übertreten habe, aber dort bin ich zum ersten Mal voll aufgeblüht. Aus dem Punk-Rock und vielleicht auch der Faszination für Verbotenes resultierte mein Zugang zu HipHop. Dort habe ich gesehen, dass es Spaces gibt, in denen man sich austoben kann. Man musste richtig tief graben, weil es das nicht alles bei Saturn gab. Du konntest dir einen extra Mailorder-Katalog bestellen und so Zeug. Aus diesem Spirit heraus kam ich an die ersten Aggro-Releases, die im Schulbus hin- und hergeduckelt wurden, und die No Nation-Samplerreihe, bei der Songs von Untergrund-Rappern durch eine Berliner Antifa-Gruppe gesammelt wurden. Das war mein Einstieg in die Materie. Bis heute interessiert es mich am meisten, tief nach den verrückten Verknotungen oder Samples zu graben. Die Komponente, die HipHop und Punk schlussendlich verbindet, ist, dass es erst mal jeder machen kann und es so viel zu entdecken gibt. Heute ist die Perspektive natürlich eine andere, weil man ein Teil davon geworden ist und sich einige Dinge entzaubert haben. Die Musik höre ich aber immer noch so euphorisch wie früher, wenn mir etwas gefällt.
MZEE.com: Was muss ein Künstler mitbringen, damit er dich fesselt?
Alex Barbian: (überlegt) Es klingt vielleicht blöd, aber das Wichtigste ist für mich der Moment, wenn ein Künstler die Bühne betritt. Entweder empfinde ich dann etwas oder nicht. Das verbindet Rapper aus allen möglichen Subgenres, die ich persönlich feiere. Da geht es viel um Ausstrahlung und ein gewisses Ignoranz-Level, das mich begeistern kann. Nicht Ignoranz im Sinne von "Ich battle alle weg und bin der Krasseste", sondern im Sinne von "Ich fahre hier meinen Film und wenn es dir nicht passt, passt es dir halt nicht, aber das wird meinen Film nicht verändern". Das ist ein Element, das für mich den frühen Favorite, den Tua von heute, Edo Saiya, Casper und Opti Mane miteinander verbindet. Weißt du, was ich meine?
MZEE.com: Auf jeden Fall. Um das mal auf die letzten beiden Jahre zu beziehen: 2019 war das Jahr der großen Solo- und Debütalben. 2020 hingegen war für mich das Jahr der gefühlt nie endenden Newcomer, die direkt sehr viele Leute erreicht und begeistert haben. Wie hast du das empfunden?
Alex Barbian: Genauso wie du. Ich gehe davon aus, dass sehr viel mehr gute Musik entstanden ist, als wir kennen. Einige Leute haben 2019 gut einen abgefeuert und die machen jetzt natürlich kein Album ins Leere. Das sollte dann schon mit einer Tour in Verbindung stehen. Dass diese Leute nicht releast haben, ist uns 2020 ein bisschen auf die Füße gefallen. Und dann hatten wir eben, wie du sagst, diese Newcomer-Bubble – die ganzen 3-Singles-Major-Signings. Da gab es leider nicht viele, die mir etwas gegeben haben, aber es gab auch Gegenbeispiele. badmómzjay war für mich ein überkrasser Lichtblick. Der habe ich über das Jahr hinweg richtig gerne zugeschaut. Aber das Lebensgefühl, dass alles auf Eis liegt, hat sich in der Szene widergespiegelt. Man muss auch dazusagen, dass ich letztes Jahr weniger Möglichkeiten hatte, mich über die Musik auszutauschen. Deswegen kann ich einiges gar nicht richtig einschätzen. Vieles ist vor sich hingeplätschert und das Hörverhalten war ganz anders. Man hat wahrscheinlich weniger neue Leute entdeckt und häufiger die neuen Releases der Künstler gehört, die man schon kannte. Ansonsten hat man oftmals den Kopf über Sachen geschüttelt, die man in der Deutschrap Brandneu-Playlist angespielt hat. Das war eher Quälerei. (lacht) Das ist natürlich Meckern auf hohem Niveau. Es ging schon viel, aber was den zeitlosen Stuff angeht, war 2020 nach meinem Empfinden ein schlechtes Jahr.
MZEE.com: Lass uns zu deinem beruflichen Jahr kommen. Es ist viel passiert bei dir: Yo! MTV Raps wird nicht weiter gedreht, nicetry gibt es nicht mehr, es kam das Zerwürfnis mit rap.de und dem Verlag dahinter, dafür aber auch neue Formate auf dem splash!-Kanal. Wie geht es dir damit? Schaust du mit einem positiven Blick Richtung Zukunft, weil sich viele neue Möglichkeiten ergeben, oder plagt dich als freier Journalist vor allem die Existenzangst?
Alex Barbian: Es ist ein bisschen was von beidem. Existenzangst verspürt man als Freiberufler sowieso immer, aber in diesen Zeiten sicherlich mehr. Das Jahr wäre ohne Corona natürlich smoother verlaufen. Gleichzeitig muss man aber sagen, dass der Bruch mit rap.de durch die Krise nur ausgelöst wurde. Ich hatte dort viele meiner Ziele bereits erreicht und es hat mich oft überfordert, dass das im letzten Jahr immer parallel zu anderen Projekten mitlief. Insofern wäre 2020 wahrscheinlich eh ein Jahr der Umbrüche geworden. Zusätzlich war es einfach nervig, dass die Bedingungen für Videos so schlecht waren. Ich vermisse das Drehen an sich, mit einer Gruppe von Leuten, das Treffen mit Rappern und Rapperinnen, das Rumreisen. Das war 2019 alles überpräsent und plötzlich nicht mehr da. Es ist natürlich schade, dass sich die Medienlandschaft allgemein so ausdünnt. Das trifft andere aber durchaus härter, deswegen wäre es scheiße, rumzuheulen. Ich habe viel für den Deutschlandfunk gemacht, das hätte ich im vorherigen Jahr nicht geschafft. Und ich habe auch viel mehr geschrieben, zum Beispiel Liebhabersachen für ALL GOOD, und meine eigenen Kanäle mehr bespielt.
MZEE.com: Du hast erwähnt, dass dir das Drehen fehlt. Was gibt es dir, vor der Kamera zu stehen?
Alex Barbian: Mich reizt daran, glaube ich, dass es etwas von einem Spiel hat. Es ist kein normales Gespräch, aber du simulierst eines. Du sitzt in einer ausgeleuchteten Ecke, drumherum sind viele Menschen und dann hast du eine Stunde Zeit und musst liefern. Das Theaterstückartige daran finde ich irgendwie cool. In dieser Stunde muss eine optimale Dramaturgie abgehandelt werden. Es passieren Dinge, die völlig unerwartet sind. Man ist aufgeregt und trifft vielleicht auch noch ein Idol von früher, aber man hat sich gut vorbereitet. Und dann geht das Gespräch plötzlich in eine Richtung, die du niemals hättest vorbereiten können. Das macht es erst gut, weil das den Kitzel ausmacht. Weniger, dass es am Ende Leute sehen – das und das Feedback sind mir meistens gar nicht so wichtig. Außer meine Arbeit wird vernichtend kaputt geredet, aber das ist eigentlich noch nie vorgekommen.
MZEE.com: Wie unterscheiden sich Interviews in Schrift- und Videoform für dich? Sind es andere Kriterien, die ein erfolgreiches Gespräch ausmachen?
Alex Barbian: Der Spirit und die Gesprächskultur sind auf jeden Fall ganz anders. Selbst wenn man 300-mal vor einer Kamera stand, kann man diese nicht ausblenden. Es ist ja üblich, dass man bei einem YouTube-Videodreh auch mal neu ansetzen muss, weil man sich verhaspelt hat oder so. Das sind Elemente, die ein normales Gespräch, wie wir es jetzt führen, nicht beinhaltet. Du musst die Fragen bei einem Videointerview auch viel präziser stellen, dasselbe gilt für die Antworten. Man muss on point sein und alles krass runterbrechen. Aus einem Textinterview ist also am Ende wahrscheinlich viel mehr Essenz rauszuholen. Oder du bist halt ein richtiger King vor der Kamera und hast den Dreh raus. Aber ich weiß gar nicht, ob wir im deutschen Rap überhaupt eine Person haben, die das so beherrscht. Markus Kavka oder Klaus Fiehe kriegen das hin. Die sind vielleicht die GOATs in der Hinsicht.
MZEE.com: Vorbild ist ein großes Wort, aber gibt es Menschen, an denen du dich orientiert hast oder von denen du beim Zusehen etwas gelernt hast?
Alex Barbian: Ich habe damals natürlich nicht Fernsehen geguckt in der Vorausschau, später mal selbst zu moderieren. Aber ich habe auf jeden Fall eine Lieblingsmoderatorin: Sarah Kuttner. Ihre Attitüde und sympathische, reale, bodenständige Art habe ich immer krass gefeiert. Auch, wie sie Sachen formuliert, der Witz und wie sie dabei guckt. Sie ist vielleicht eine Art Vorbild. Und aus dem Rap-Umfeld ist das wohl Staiger, weil ich ihn immer für seine konfrontative Art geschätzt habe. Sicherlich ist er manchmal darauf bedacht, dass es knallen soll, aber dabei werden Statements gesetzt und stabile Standpunkte vertreten. Ich hätte Rapjournalismus ohne Staiger nie so interessant gefunden. Es ist schön, dass er wieder viele solcher Formate hat.
MZEE.com: Er äußert Kritik auf Augenhöhe und nicht von oben herab. Man merkt, dass er die Menschen vor sich respektiert. Das macht viel aus.
Alex Barbian: Ja, voll. Ich glaube nicht, dass Staiger besonders krass recherchiert. Die Interviews leben sehr von der Situation, aber das hat ja auch einen geilen Spirit. Er hat gezeigt, dass man in diesem Kosmos auch überleben kann, wenn man sich mehr Feinde als Freunde macht. Er hat so oft Leuten – auch vor der Kamera – ans Bein gepisst und kann trotzdem Fler zu sich einladen und ein Gespräch auf Augenhöhe führen. Das finde ich sehr beachtlich. Mein Vorbild ist also wahrscheinlich eine Mischung aus der Attitüde von Sarah Kuttner und dem inhaltlichen Staiger.
MZEE.com: Wenn man sich die Rapmedien allgemeiner anschaut, fällt auf, dass diese sich inzwischen fast ausschließlich über Gesichter und ihre Journalisten vermarkten. Glaubst du, dass das etwas Gutes ist? Oder ist es vielleicht auch hinderlich für objektive und kritische Berichterstattung, wenn der Journalist eine eigene Marke ist, die nicht an Wert verlieren darf?
Alex Barbian: Ich glaube, es ist beides. Einerseits ist es total positiv, dass vernünftige Leute in diesem Medienkosmos unterwegs sind und repräsentativ für das Genre in der Öffentlichkeit stehen und dabei ernst genommen werden. Für die Medienportale selbst ist es natürlich schlecht, weil der Fokus dadurch wegrückt. Und ich glaube, dass es ganz schwer ist, da eine gute Balance zu finden. Die einzigen, die es wirklich geschafft haben, Character zu schleifen und gleichzeitig als Medium und Marke unabhängig zu bleiben, sind für mich Hiphop.de. Zumindest, wenn ich spontan darüber nachdenke. Rooz, Aria, Toxik, Helen und Clark stehen alle für sich und haben ihr Feld abgesteckt. Parallel dazu hat man aber trotzdem immer die Plattform, die auch als solche adressiert wird. Bei rap.de war das nach meinem Gefühl ab einem gewissen Zeitpunkt ein bisschen verschoben. Man hat dann das Problem, dass Leute als Freiberufler dort arbeiten, zu den Gesichtern werden und irgendwann weiterziehen. Das ist ja auch kacke für den Laden. Gleichzeitig fand ich es immer nervig, für Texte adressiert zu werden, die ich nie gesehen habe und die Leute mit Festanstellung im Büro geschrieben haben, deren Meinung ich teilweise überhaupt nicht geteilt habe. Es ist aber auch schwierig, all das hinzubekommen, gleichzeitig ein kritisches Medium zu sein und trotzdem einen Namen zu haben, der es sich nicht mit allen verkackt hat. (lacht)
MZEE.com: Welche Rolle innerhalb der Rapszene würdest du gerne in Zukunft einnehmen?
Alex Barbian: Das frage ich mich auch oft in letzter Zeit. Ich bin noch nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Gerade fühle ich mich ganz wohl damit, eine beobachtende Perspektive zu haben und nicht so drinnen mitzumischen. Das gibt mir die Möglichkeit, an gewissen Stellen kritisch zu sein und dabei keinen Stress befürchten zu müssen. Das liegt aber auch daran, dass ich nicht jede Woche Rapper zum Interview treffe. Ansonsten ist das, glaube ich, viel Projektion. Ich weiß nicht, für welchen Teilbereich der Szene ich wichtig bin. Vielleicht bin ich es für gar keinen und das ist auch okay. Aber ich plane nicht, in die Industrie zu gehen oder so. Es könnte langfristig so laufen, dass ich mich journalistisch breiter aufstelle und mehr in Richtung Pop- und Subkultur allgemein gehe. Das kommt auch darauf an, welche Konzepte sich in der Zukunft ergeben, da bin ich gespannt. Ich finde es sehr geil, dass wir ein Nischen-Kulturmedien-Zweig sind, in dem so viel junges Potenzial gewachsen ist. Es gibt viele Leute, die sich jetzt schon Plattformen aufgebaut haben, prinzipiell überall hinkönnen und sich sicherlich nicht die nächsten 30 Jahre nur mit Rap beschäftigen werden. Ich glaube, das weiß man erst zu schätzen, wenn man sich mit Journos aus anderen Genres unterhält, die zum Beispiel sagen: "Ich bin allein auf weiter Flur und so ziemlich die einzige progressive, junge Figur, die hier was auf dem Kasten hat und sich mit Metal beschäftigt." Das ist bei uns anders und es ist absurd, aber auch logisch, dass das im Rap passiert ist.
MZEE.com: Du hast im April ein Statement zu einem Interview verfasst, das ein kleines Medium mit einem Nazi-Rapper geführt hat. Dabei hast du diesem Medium natürlich keine Plattform gegeben, aber auch den Namen des Rappers nicht genannt. Aus welchen Gründen?
Alex Barbian: Wir haben uns bei rap.de schon immer viel mit dem Nazi-Rap-Untergrund beschäftigt, weil wir das problematische Potenzial schon sehr früh gepeilt haben, würde ich behaupten. Wir hatten vor ungefähr drei Jahren einen Praktikanten, der sich tiefgreifender mit dem Thema beschäftigt hat und einen Longread darüber geschrieben hat. Da haben wir alle bei der Recherche geholfen. Gleichzeitig habe ich viel Kontakt zu linken Recherche-Gruppen. Also wenn besagter Rapper etwas rausgebracht hat, wurde ich oft von links bombardiert, dass ich dazu mal was machen soll. Irgendwann war ein Höhepunkt erreicht, bei dem ich das Gefühl hatte, dass ganz viele Leute dahin abwandern und die Tore sich immer weiter geöffnet haben. Wir hatten bei rap.de aber immer den Kodex, dass wir Nazi-Rapper zitieren, sie widerlegen, sie angreifen und versuchen, sie argumentativ an die Wand zu spielen. Aber wenn sie die Plattform bei rap.de bekommen, indem wir ihre Namen nennen, spielt es ihnen in die Karten. Egal, wie negativ – es ist trotzdem Promo. Das heißt jeder, der das am Ende liest, hat hoffentlich ein noch schlechteres Bild von Nazi-Rappern, kann sie aber erst mal nicht googlen, weil er die Namen nicht hat. Das war immer die Marschroute und ich habe es nicht bereut, das in diesem Fall wieder so gemacht zu haben. Allerdings muss man sagen, dass dieser Rapper das trotzdem für sich genutzt hat. Darüber hatte ich vorher nicht richtig nachgedacht und es ging dann auch überraschend schnell.
MZEE.com: Inwiefern?
Alex Barbian: Er hat schon ein paar Stunden, nachdem das online gegangen ist, in einem Live-Stream darauf reagiert. Damit kann ich leben, kein Problem. Aber ich habe natürlich mehrere Tage lang den übertriebensten Fascho-Shitstorm bekommen. Das war relativ heftig. Er konnte mich natürlich argumentativ null widerlegen, hat er auch gar nicht versucht, aber er hat einfach eine gute Masse an Leuten mitgebracht und auf unsere Kanäle gezerrt. Das hat mir wieder gezeigt, dass es gut war, seinen Namen nicht zu nennen. Es hat ihn nämlich krass gewurmt, dass er angegriffen wird, ohne genannt zu werden. Was den Shitstorm angeht, bin ich eigentlich ziemlich resistent und auch ein Stück weit abgehärtet. Ich komme aus einer Stadt, in der es normal war, dass man Nazi-Stress hat, sobald man in einem besetzten Haus abhängt. Das war an der Tagesordnung. Da ist ein Internet-Shitstorm nicht unbedingt nachhaltig beeindruckend. Aber natürlich gab es auch ein paar Nachrichten, die mich geschockt haben, weil sie im Droh-Szenario so drüber und krass waren, dass man sich schon Sorgen gemacht hat. Es gab aber auch ganz viel Support und ich habe einen ähnlichen Text noch mal im Antifa-Infoblatt veröffentlicht.
MZEE.com: Im Juli kam es zu dem Punkt, dass die Musik dieses Rappers von Streaming-Plattformen gelöscht wurde. Dafür war es förderlich, dass sein Name in den Medien kursiert ist. Glaubst du, dass es auch so weit kommen kann, wenn wir die Leute nicht beim Namen nennen?
Alex Barbian: Wir sprechen hier von Nazis. Aus meiner persönlichen und emotionalen Perspektive ist das etwas anderes, als wenn mir zum Beispiel ein Song von Bass Sultan Hengzt nicht gefällt. Da werde ich mich nicht scheuen, Namen zu nennen. Aber wenn ein Nazi auf Rapper macht, werde ich ihm nicht den Gefallen tun, ihn nur schlecht zu rezensieren wie irgendjemanden, den ich als Rapper anerkenne. Ich glaube, es muss beides passieren. Er wurde von Nicht-Rap-Medien outgecallt. Das finde ich total in Ordnung, denn das hat ihm seine Wege sicherlich noch schwerer gemacht. Aber ich bleibe dabei, dass es gut war, sich als renommiertes Rapmedium nicht darauf einzulassen, auf üblicher Ebene szeneintern zu diskutieren.
MZEE.com: In dem Fall kann man wirklich mal von "canceln" sprechen und das ist auch zurecht so passiert. Trotzdem ist es so, dass seine Musik zwar von der Bildfläche verschwunden ist, das Problem aber weiter besteht. Ist das ausschließlich förderlich?
Alex Barbian: Ich glaube, dass es weiterhin Leute geben wird, die das auf dem Schirm haben. Zum Beispiel gibt es einen Twitter-Account, der immer wieder interessante Einblicke in das Umfeld von diesen Leuten gegeben hat. Das wird sicherlich auch weiter passieren. Und es ist der Szene zumindest jedes Mal wieder eine Diskussion wert, wenn Tendenzen bemerkt werden, die im Interpretationsspielraum hinsichtlich Nationalismus und regressiven Standpunkten in eine problematische Richtung gehen. Ich glaube, wir schieben die Probleme in Bezug auf den Rechtsruck weniger weg als der Großteil der Gesellschaft. Es wird stark thematisiert, wenn problematische Dinge passieren. In seinem Fall hat es nicht alle interessiert, aber das ist auch okay. Es haben ausreichend Leute darüber berichtet, dass er ein Wolf im Schafspelz ist.
MZEE.com: Auch Verschwörungen und die Präsenz von Rappern auf entsprechenden Demos waren in den letzten Monaten ein großes Thema. Wie sollte man damit umgehen – zum Beispiel in Bezug auf Damion Davis?
Alex Barbian: Dazu muss ich sagen: Das hat mir richtig wehgetan, weil ich ihn immer sehr progressiv gelesen habe. Ganz schwierig … Wie geht man damit um? Sagt man ihm "Ey, dein Aktivismus und deine Identifikation mit der Berliner Protestkultur in allen Ehren, aber Berliner Protestkultur in ihrer Tradition bedeutet nicht, mit Faschos den Bundestag stürmen zu wollen, sondern anderweitig auf Missstände aufmerksam zu machen"? Ich weiß nicht, wie er das bewertet. Aber diese ganze Querdenker-Bewegung ist ein Element, das ich blockieren will und mich wird man auf der Gegendemo sehen. Es ist schade, wenn ich Künstler, die ich sehr schätze, auf der gegenüberliegenden Seite sehe.
MZEE.com: Sollte man hier ins Gespräch gehen oder ist da schon ein Punkt erreicht, an dem du keine Plattform mehr geben möchtest?
Alex Barbian: In dem Fall würde ich sagen, dass ich für einen Dialog offen wäre, wenn es dazu kommen würde. Nur weil jemand an diesem Tag vor dem Brandenburger Tor stand oder komische Aussagen trifft, ist er für mich noch nicht Xavier Naidoo oder Attila Hildmann. Ich finde es wichtig, in einer Zeit, in der so eine Spaltung stattfindet, zu differenzieren. Es gibt nämlich Graustufen. Das hat mich schon an dem Sido-Gate genervt. Dass man ihn nach einem Fehltritt direkt mit diesen Leuten in einen Topf geworfen hat. Da dachte ich mir: "Ihr habt aber auch Bock, Leute zu canceln!" Er sollte das selbstverständlich reflektieren und einordnen, aber dann ist auch gut. Und natürlich geht man bis zu einem gewissen Punkt in einen Dialog. Damion Davis hat ewig progressive Mucke gemacht, die Tapefabrik und sowas moderiert. Es wäre irgendwie erbärmlich, gegen ihn zu pöbeln und sich dann nicht mit ihm hinzusetzen, wenn es die Möglichkeit gibt.
MZEE.com: Hast du manchmal das Gefühl, dass es gewisse Leute gibt, die lange dabei sind, sehr viel für HipHop getan haben und man ihnen deswegen auf irgendeine Weise etwas schuldig ist?
Alex Barbian: Ich glaube schon, dass es bei gewissen Künstlern schmerzhafter ist, einen Strich drunter zu ziehen. Bei Xavier Naidoo beispielsweise waren wir alle zu lange nachlässig – inklusive mir. Ich habe mir immer wieder eingeredet, dass er auf einem besseren Weg sei, weil er zum Beispiel bei der neuen Version von "Adriano" mitgemacht hat. Ich habe auch mit Juju im Interview noch sehr schonend und gutmütig über das Feature gesprochen. Das war natürlich im Nachhinein betrachtet ein Fehler. Einigen Kindheits- und Jugendhelden verzeiht man mehr Dinge, das ist in einem wissenschaftlichen Diskurs aber fatal, weil man alle Leute gleich behandeln muss. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich es letztes Jahr einmal versucht habe, auf neutralem Boden in so ein Gespräch reinzugehen. Und zwar mit einem Künstler, von dem ich lange Zeit Fan war und der meiner Meinung nach auf Abwegen ist. Da hat der ganze gute Wille nichts genützt. Wir haben eine Stunde aneinander vorbeigeredet und dann beschlossen, dass das für keinen Zuschauer bereichernd ist und abgebrochen. Ich habe voll Bock auf den Dialog und ich finde die gesellschaftliche Tendenz, dass alle zu Hause sitzen, in 280 Zeichen twittern und gegeneinander schießen, total problematisch. Allerdings demotiviert einen der Dialog am Ende oft noch mehr, weil jeder bei seiner Position bleibt.
MZEE.com: Lass uns zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft werfen: Was sind deine beruflichen Pläne? Gibt es Leute, die du gerne noch interviewen würdest?
Alex Barbian: Bald kommt ein neues YouTube-Format, bei dem ich mich mit verschiedenen Rappern treffe. Ich wollte ein bisschen aus meiner Komfortzone raus und mit jungen Künstlern sprechen, die ich noch gar nicht persönlich kenne. Außerdem wird es ein neues Format mit $ick geben sowie eine sehr nerdige, in sich geschlossene Spotify-Podcast-Reihe mit jemandem. Die drei Projekte stehen jetzt erst mal an. In der Zukunft würde ich gerne Casper interviewen, weil wir uns noch nie im Rahmen eines journalistischen Projekts unterhalten haben. Ich hätte richtig Lust, seine ganze Diskografie mit ihm durchzuarbeiten. Ansonsten sind meine Life-Goals eher außerhalb des Raps angesiedelt. Zum Beispiel würde ich sehr gerne mal etwas mit Campino und Frittenbude machen.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Peter Sebastian Sander)