Kategorien
Interview

Alex Barbian

"Wenn ein Nazi auf Rap­per macht, wer­de ich ihm nicht den Gefal­len tun, ihn nur schlecht zu rezen­sie­ren wie irgend­je­man­den, den ich als Rap­per aner­ken­ne." – Alex Bar­bi­an in unse­rer Interview-​Serie mit Deutschrap-​Journalisten über rap­pen­de Nazis, sei­ne Lie­be zu Sub­kul­tu­ren und sei­ne Vorbilder.

Deutschrap-​Journalismus. Schon über das Wort lässt sich strei­ten. Die einen mei­nen, "rich­ti­ger" Jour­na­lis­mus im deut­schen Rap exis­tie­re doch gar nicht. Außer­dem kön­ne ja jeder selbst bes­se­re Arti­kel schrei­ben als "die­se Prak­ti­kan­ten". Die ande­ren fin­den, jeder, der im deut­schen Rap jour­na­lis­ti­sche Tätig­kei­ten aus­führt, sei auch ein Jour­na­list. Die nächs­ten füh­ren auf: Ja, im deut­schen Rap sind Redak­teu­re unter­wegs – aber kei­nes­falls Jour­na­lis­ten. Zusam­men­fas­sen lässt sich: Fast jeder hat zumin­dest eine Mei­nung dazu. Aber wie steht es um die Mei­nung der Jour­na­lis­ten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Dazu soll unse­re Serie die­nen – eine klei­ne Inter­view­rei­he mit aktu­ell rele­van­ten und akti­ven Jour­na­lis­ten der deut­schen Rap­sze­ne. Dabei möch­ten wir dar­über reden, war­um die Deutschrap-​Medien von so vie­len Sei­ten – auch von der der Künst­ler – immer wie­der unter Beschuss ste­hen und wie die Jour­na­lis­ten die­se Sei­ten­hie­be per­sön­lich emp­fin­den. Wir bespre­chen, wie ein­zel­ne Jour­na­lis­ten ihren Platz in der Rap­sze­ne wahr­neh­men und ob deut­scher Rap­jour­na­lis­mus in Gossip-​Zeiten noch kri­tisch ist. Wir möch­ten erfah­ren, ob sie die Sze­ne noch unter dem Kultur-​Begriff ver­ste­hen oder das Gan­ze für sie aus­schließ­lich ein Beruf (gewor­den) ist. Es kom­men Fra­gen auf, ob es ver­ein­bar ist, in die­sem Auf­ga­ben­be­reich Geld zu ver­die­nen und wie der aktu­el­le Deutschrap-​Journalismus und sei­ne Ent­wick­lung gese­hen wird. Und: Wie steht es über­haupt um die Ent­wick­lung der Rap­sze­ne an sich? Das und vie­les mehr wer­den wir in über zehn Inter­views bespre­chen, in wel­chen es ver­ständ­li­cher­wei­se immer nur um einen Teil­be­reich die­ser gro­ßen The­men­welt gehen kann. Unser nächs­ter Gesprächs­part­ner Alex Bar­bi­an hat bei rap​.de ange­fan­gen und arbei­tet inzwi­schen für ver­schie­dens­te Medi­en mit Rang und Namen. Er war unter ande­rem Host bei der Neu­auf­la­ge der Kult­sen­dung Yo! MTV Raps, hat Inter­views für DIFFUS und Das Wet­ter geführt und im ver­gan­ge­nen Jahr viel für Deutsch­land­funk Kul­tur gear­bei­tet. Der Wahl­ber­li­ner ist außer­dem ein gro­ßer Ver­fech­ter der Jah­res­rück­bli­cke. Wir haben uns des­we­gen ver­ab­re­det, um sein musi­ka­li­sches und beruf­li­ches Jahr 2020 sowie eini­ge Ent­wick­lun­gen in der Sze­ne Revue pas­sie­ren zu lassen.

MZEE​.com: Zu dei­nem Beruf gehört weit­aus mehr als die Lie­be zu Hip­Hop – eine gewis­se Fas­zi­na­ti­on, wür­de ich sagen. Was fas­zi­niert dich so an die­ser Welt? Und ist es immer noch das­sel­be, das dich zu dei­nem Job gebracht hat? 

Alex Bar­bi­an: Die Fas­zi­na­ti­on, die sich durch­zieht, ist, dass ich mich zu Sub­kul­tu­ren hin­ge­zo­gen füh­le. Das betrifft nicht nur mei­ne Affi­ni­tät zu Hip­Hop – das ist etwas Grund­sätz­li­ches. In der Klein­stadt, in der ich auf­ge­wach­sen bin, gab es einen ehe­mals besetz­ten Häu­ser­trakt, der mich schon als Kind magne­tisch ange­zo­gen hat. Es sind ein paar Jah­re ver­gan­gen, bis ich die­se Tür­schwel­le über­tre­ten habe, aber dort bin ich zum ers­ten Mal voll auf­ge­blüht. Aus dem Punk-​Rock und viel­leicht auch der Fas­zi­na­ti­on für Ver­bo­te­nes resul­tier­te mein Zugang zu Hip­Hop. Dort habe ich gese­hen, dass es Spaces gibt, in denen man sich aus­to­ben kann. Man muss­te rich­tig tief gra­ben, weil es das nicht alles bei Saturn gab. Du konn­test dir einen extra Mailorder-​Katalog bestel­len und so Zeug. Aus die­sem Spi­rit her­aus kam ich an die ers­ten Aggro-​Releases, die im Schul­bus hin- und her­ge­du­ckelt wur­den, und die No Nation-​Samplerreihe, bei der Songs von Untergrund-​Rappern durch eine Ber­li­ner Antifa-​Gruppe gesam­melt wur­den. Das war mein Ein­stieg in die Mate­rie. Bis heu­te inter­es­siert es mich am meis­ten, tief nach den ver­rück­ten Ver­kno­tun­gen oder Samples zu gra­ben. Die Kom­po­nen­te, die Hip­Hop und Punk schluss­end­lich ver­bin­det, ist, dass es erst mal jeder machen kann und es so viel zu ent­de­cken gibt. Heu­te ist die Per­spek­ti­ve natür­lich eine ande­re, weil man ein Teil davon gewor­den ist und sich eini­ge Din­ge ent­zau­bert haben. Die Musik höre ich aber immer noch so eupho­risch wie frü­her, wenn mir etwas gefällt.

MZEE​.com: Was muss ein Künst­ler mit­brin­gen, damit er dich fesselt? 

Alex Bar­bi­an: (über­legt) Es klingt viel­leicht blöd, aber das Wich­tigs­te ist für mich der Moment, wenn ein Künst­ler die Büh­ne betritt. Ent­we­der emp­fin­de ich dann etwas oder nicht. Das ver­bin­det Rap­per aus allen mög­li­chen Sub­gen­res, die ich per­sön­lich feie­re. Da geht es viel um Aus­strah­lung und ein gewis­ses Ignoranz-​Level, das mich begeis­tern kann. Nicht Igno­ranz im Sin­ne von "Ich batt­le alle weg und bin der Kras­ses­te", son­dern im Sin­ne von "Ich fah­re hier mei­nen Film und wenn es dir nicht passt, passt es dir halt nicht, aber das wird mei­nen Film nicht ver­än­dern". Das ist ein Ele­ment, das für mich den frü­hen Favo­ri­te, den Tua von heu­te, Edo Sai­ya, Cas­per und Opti Mane mit­ein­an­der ver­bin­det. Weißt du, was ich meine?

MZEE​.com: Auf jeden Fall. Um das mal auf die letz­ten bei­den Jah­re zu bezie­hen: 2019 war das Jahr der gro­ßen Solo- und Debüt­al­ben. 2020 hin­ge­gen war für mich das Jahr der gefühlt nie enden­den New­co­mer, die direkt sehr vie­le Leu­te erreicht und begeis­tert haben. Wie hast du das empfunden?

Alex Bar­bi­an: Genau­so wie du. Ich gehe davon aus, dass sehr viel mehr gute Musik ent­stan­den ist, als wir ken­nen. Eini­ge Leu­te haben 2019 gut einen abge­feu­ert und die machen jetzt natür­lich kein Album ins Lee­re. Das soll­te dann schon mit einer Tour in Ver­bin­dung ste­hen. Dass die­se Leu­te nicht releast haben, ist uns 2020 ein biss­chen auf die Füße gefal­len. Und dann hat­ten wir eben, wie du sagst, die­se Newcomer-​Bubble – die gan­zen 3-​Singles-​Major-​Signings. Da gab es lei­der nicht vie­le, die mir etwas gege­ben haben, aber es gab auch Gegen­bei­spie­le. bad­mómzjay war für mich ein über­kras­ser Licht­blick. Der habe ich über das Jahr hin­weg rich­tig ger­ne zuge­schaut. Aber das Lebens­ge­fühl, dass alles auf Eis liegt, hat sich in der Sze­ne wider­ge­spie­gelt. Man muss auch dazu­sa­gen, dass ich letz­tes Jahr weni­ger Mög­lich­kei­ten hat­te, mich über die Musik aus­zu­tau­schen. Des­we­gen kann ich eini­ges gar nicht rich­tig ein­schät­zen. Vie­les ist vor sich hin­ge­plät­schert und das Hör­ver­hal­ten war ganz anders. Man hat wahr­schein­lich weni­ger neue Leu­te ent­deckt und häu­fi­ger die neu­en Releases der Künst­ler gehört, die man schon kann­te. Ansons­ten hat man oft­mals den Kopf über Sachen geschüt­telt, die man in der Deutschrap Brandneu-​Playlist ange­spielt hat. Das war eher Quä­le­rei. (lacht) Das ist natür­lich Meckern auf hohem Niveau. Es ging schon viel, aber was den zeit­lo­sen Stuff angeht, war 2020 nach mei­nem Emp­fin­den ein schlech­tes Jahr.

MZEE​.com: Lass uns zu dei­nem beruf­li­chen Jahr kom­men. Es ist viel pas­siert bei dir: Yo! MTV Raps wird nicht wei­ter gedreht, nice­try gibt es nicht mehr, es kam das Zer­würf­nis mit rap​.de und dem Ver­lag dahin­ter, dafür aber auch neue For­ma­te auf dem splash!-Kanal. Wie geht es dir damit? Schaust du mit einem posi­ti­ven Blick Rich­tung Zukunft, weil sich vie­le neue Mög­lich­kei­ten erge­ben, oder plagt dich als frei­er Jour­na­list vor allem die Existenzangst? 

Alex Bar­bi­an: Es ist ein biss­chen was von bei­dem. Exis­tenz­angst ver­spürt man als Frei­be­ruf­ler sowie­so immer, aber in die­sen Zei­ten sicher­lich mehr. Das Jahr wäre ohne Coro­na natür­lich smoot­her ver­lau­fen. Gleich­zei­tig muss man aber sagen, dass der Bruch mit rap​.de durch die Kri­se nur aus­ge­löst wur­de. Ich hat­te dort vie­le mei­ner Zie­le bereits erreicht und es hat mich oft über­for­dert, dass das im letz­ten Jahr immer par­al­lel zu ande­ren Pro­jek­ten mit­lief. Inso­fern wäre 2020 wahr­schein­lich eh ein Jahr der Umbrü­che gewor­den. Zusätz­lich war es ein­fach ner­vig, dass die Bedin­gun­gen für Vide­os so schlecht waren. Ich ver­mis­se das Dre­hen an sich, mit einer Grup­pe von Leu­ten, das Tref­fen mit Rap­pern und Rap­pe­rin­nen, das Rum­rei­sen. Das war 2019 alles über­prä­sent und plötz­lich nicht mehr da. Es ist natür­lich scha­de, dass sich die Medi­en­land­schaft all­ge­mein so aus­dünnt. Das trifft ande­re aber durch­aus här­ter, des­we­gen wäre es schei­ße, rum­zu­heu­len. Ich habe viel für den Deutsch­land­funk gemacht, das hät­te ich im vor­he­ri­gen Jahr nicht geschafft. Und ich habe auch viel mehr geschrie­ben, zum Bei­spiel Lieb­ha­ber­sa­chen für ALL GOOD, und mei­ne eige­nen Kanä­le mehr bespielt.

MZEE​.com: Du hast erwähnt, dass dir das Dre­hen fehlt. Was gibt es dir, vor der Kame­ra zu stehen? 

Alex Bar­bi­an: Mich reizt dar­an, glau­be ich, dass es etwas von einem Spiel hat. Es ist kein nor­ma­les Gespräch, aber du simu­lierst eines. Du sitzt in einer aus­ge­leuch­te­ten Ecke, drum­her­um sind vie­le Men­schen und dann hast du eine Stun­de Zeit und musst lie­fern. Das Thea­ter­stück­ar­ti­ge dar­an fin­de ich irgend­wie cool. In die­ser Stun­de muss eine opti­ma­le Dra­ma­tur­gie abge­han­delt wer­den. Es pas­sie­ren Din­ge, die völ­lig uner­war­tet sind. Man ist auf­ge­regt und trifft viel­leicht auch noch ein Idol von frü­her, aber man hat sich gut vor­be­rei­tet. Und dann geht das Gespräch plötz­lich in eine Rich­tung, die du nie­mals hät­test vor­be­rei­ten kön­nen. Das macht es erst gut, weil das den Kit­zel aus­macht. Weni­ger, dass es am Ende Leu­te sehen – das und das Feed­back sind mir meis­tens gar nicht so wich­tig. Außer mei­ne Arbeit wird ver­nich­tend kaputt gere­det, aber das ist eigent­lich noch nie vorgekommen.

MZEE​.com: Wie unter­schei­den sich Inter­views in Schrift- und Video­form für dich? Sind es ande­re Kri­te­ri­en, die ein erfolg­rei­ches Gespräch ausmachen? 

Alex Bar­bi­an: Der Spi­rit und die Gesprächs­kul­tur sind auf jeden Fall ganz anders. Selbst wenn man 300-​mal vor einer Kame­ra stand, kann man die­se nicht aus­blen­den. Es ist ja üblich, dass man bei einem YouTube-​Videodreh auch mal neu anset­zen muss, weil man sich ver­has­pelt hat oder so. Das sind Ele­men­te, die ein nor­ma­les Gespräch, wie wir es jetzt füh­ren, nicht beinhal­tet. Du musst die Fra­gen bei einem Video­in­ter­view auch viel prä­zi­ser stel­len, das­sel­be gilt für die Ant­wor­ten. Man muss on point sein und alles krass run­ter­bre­chen. Aus einem Text­in­ter­view ist also am Ende wahr­schein­lich viel mehr Essenz raus­zu­ho­len. Oder du bist halt ein rich­ti­ger King vor der Kame­ra und hast den Dreh raus. Aber ich weiß gar nicht, ob wir im deut­schen Rap über­haupt eine Per­son haben, die das so beherrscht. Mar­kus Kav­ka oder Klaus Fie­he krie­gen das hin. Die sind viel­leicht die GOATs in der Hinsicht.

MZEE​.com: Vor­bild ist ein gro­ßes Wort, aber gibt es Men­schen, an denen du dich ori­en­tiert hast oder von denen du beim Zuse­hen etwas gelernt hast? 

Alex Bar­bi­an: Ich habe damals natür­lich nicht Fern­se­hen geguckt in der Vor­aus­schau, spä­ter mal selbst zu mode­rie­ren. Aber ich habe auf jeden Fall eine Lieb­lings­mo­de­ra­to­rin: Sarah Kutt­ner. Ihre Atti­tü­de und sym­pa­thi­sche, rea­le, boden­stän­di­ge Art habe ich immer krass gefei­ert. Auch, wie sie Sachen for­mu­liert, der Witz und wie sie dabei guckt. Sie ist viel­leicht eine Art Vor­bild. Und aus dem Rap-​Umfeld ist das wohl Staiger, weil ich ihn immer für sei­ne kon­fron­ta­ti­ve Art geschätzt habe. Sicher­lich ist er manch­mal dar­auf bedacht, dass es knal­len soll, aber dabei wer­den State­ments gesetzt und sta­bi­le Stand­punk­te ver­tre­ten. Ich hät­te Rap­jour­na­lis­mus ohne Staiger nie so inter­es­sant gefun­den. Es ist schön, dass er wie­der vie­le sol­cher For­ma­te hat.

MZEE​.com: Er äußert Kri­tik auf Augen­hö­he und nicht von oben her­ab. Man merkt, dass er die Men­schen vor sich respek­tiert. Das macht viel aus. 

Alex Bar­bi­an: Ja, voll. Ich glau­be nicht, dass Staiger beson­ders krass recher­chiert. Die Inter­views leben sehr von der Situa­ti­on, aber das hat ja auch einen gei­len Spi­rit. Er hat gezeigt, dass man in die­sem Kos­mos auch über­le­ben kann, wenn man sich mehr Fein­de als Freun­de macht. Er hat so oft Leu­ten – auch vor der Kame­ra – ans Bein gepisst und kann trotz­dem Fler zu sich ein­la­den und ein Gespräch auf Augen­hö­he füh­ren. Das fin­de ich sehr beacht­lich. Mein Vor­bild ist also wahr­schein­lich eine Mischung aus der Atti­tü­de von Sarah Kutt­ner und dem inhalt­li­chen Staiger.

MZEE​.com: Wenn man sich die Rap­me­di­en all­ge­mei­ner anschaut, fällt auf, dass die­se sich inzwi­schen fast aus­schließ­lich über Gesich­ter und ihre Jour­na­lis­ten ver­mark­ten. Glaubst du, dass das etwas Gutes ist? Oder ist es viel­leicht auch hin­der­lich für objek­ti­ve und kri­ti­sche Bericht­erstat­tung, wenn der Jour­na­list eine eige­ne Mar­ke ist, die nicht an Wert ver­lie­ren darf? 

Alex Bar­bi­an: Ich glau­be, es ist bei­des. Einer­seits ist es total posi­tiv, dass ver­nünf­ti­ge Leu­te in die­sem Medi­en­kos­mos unter­wegs sind und reprä­sen­ta­tiv für das Gen­re in der Öffent­lich­keit ste­hen und dabei ernst genom­men wer­den. Für die Medi­en­por­ta­le selbst ist es natür­lich schlecht, weil der Fokus dadurch weg­rückt. Und ich glau­be, dass es ganz schwer ist, da eine gute Balan­ce zu fin­den. Die ein­zi­gen, die es wirk­lich geschafft haben, Cha­rac­ter zu schlei­fen und gleich­zei­tig als Medi­um und Mar­ke unab­hän­gig zu blei­ben, sind für mich Hip​hop​.de. Zumin­dest, wenn ich spon­tan dar­über nach­den­ke. Rooz, Aria, Toxik, Helen und Clark ste­hen alle für sich und haben ihr Feld abge­steckt. Par­al­lel dazu hat man aber trotz­dem immer die Platt­form, die auch als sol­che adres­siert wird. Bei rap​.de war das nach mei­nem Gefühl ab einem gewis­sen Zeit­punkt ein biss­chen ver­scho­ben. Man hat dann das Pro­blem, dass Leu­te als Frei­be­ruf­ler dort arbei­ten, zu den Gesich­tern wer­den und irgend­wann wei­ter­zie­hen. Das ist ja auch kacke für den Laden. Gleich­zei­tig fand ich es immer ner­vig, für Tex­te adres­siert zu wer­den, die ich nie gese­hen habe und die Leu­te mit Fest­an­stel­lung im Büro geschrie­ben haben, deren Mei­nung ich teil­wei­se über­haupt nicht geteilt habe. Es ist aber auch schwie­rig, all das hin­zu­be­kom­men, gleich­zei­tig ein kri­ti­sches Medi­um zu sein und trotz­dem einen Namen zu haben, der es sich nicht mit allen ver­kackt hat. (lacht)

MZEE​.com: Wel­che Rol­le inner­halb der Rap­sze­ne wür­dest du ger­ne in Zukunft einnehmen? 

Alex Bar­bi­an: Das fra­ge ich mich auch oft in letz­ter Zeit. Ich bin noch nicht wirk­lich zu einem Ergeb­nis gekom­men. Gera­de füh­le ich mich ganz wohl damit, eine beob­ach­ten­de Per­spek­ti­ve zu haben und nicht so drin­nen mit­zu­mi­schen. Das gibt mir die Mög­lich­keit, an gewis­sen Stel­len kri­tisch zu sein und dabei kei­nen Stress befürch­ten zu müs­sen. Das liegt aber auch dar­an, dass ich nicht jede Woche Rap­per zum Inter­view tref­fe. Ansons­ten ist das, glau­be ich, viel Pro­jek­ti­on. Ich weiß nicht, für wel­chen Teil­be­reich der Sze­ne ich wich­tig bin. Viel­leicht bin ich es für gar kei­nen und das ist auch okay. Aber ich pla­ne nicht, in die Indus­trie zu gehen oder so. Es könn­te lang­fris­tig so lau­fen, dass ich mich jour­na­lis­tisch brei­ter auf­stel­le und mehr in Rich­tung Pop- und Sub­kul­tur all­ge­mein gehe. Das kommt auch dar­auf an, wel­che Kon­zep­te sich in der Zukunft erge­ben, da bin ich gespannt. Ich fin­de es sehr geil, dass wir ein Nischen-​Kulturmedien-​Zweig sind, in dem so viel jun­ges Poten­zi­al gewach­sen ist. Es gibt vie­le Leu­te, die sich jetzt schon Platt­for­men auf­ge­baut haben, prin­zi­pi­ell über­all hin­kön­nen und sich sicher­lich nicht die nächs­ten 30 Jah­re nur mit Rap beschäf­ti­gen wer­den. Ich glau­be, das weiß man erst zu schät­zen, wenn man sich mit Jour­nos aus ande­ren Gen­res unter­hält, die zum Bei­spiel sagen: "Ich bin allein auf wei­ter Flur und so ziem­lich die ein­zi­ge pro­gres­si­ve, jun­ge Figur, die hier was auf dem Kas­ten hat und sich mit Metal beschäf­tigt." Das ist bei uns anders und es ist absurd, aber auch logisch, dass das im Rap pas­siert ist.

MZEE​.com: Du hast im April ein State­ment zu einem Inter­view ver­fasst, das ein klei­nes Medi­um mit einem Nazi-​Rapper geführt hat. Dabei hast du die­sem Medi­um natür­lich kei­ne Platt­form gege­ben, aber auch den Namen des Rap­pers nicht genannt. Aus wel­chen Gründen? 

Alex Bar­bi­an: Wir haben uns bei rap​.de schon immer viel mit dem Nazi-​Rap-​Untergrund beschäf­tigt, weil wir das pro­ble­ma­ti­sche Poten­zi­al schon sehr früh gepeilt haben, wür­de ich behaup­ten. Wir hat­ten vor unge­fähr drei Jah­ren einen Prak­ti­kan­ten, der sich tief­grei­fen­der mit dem The­ma beschäf­tigt hat und einen Longread dar­über geschrie­ben hat. Da haben wir alle bei der Recher­che gehol­fen. Gleich­zei­tig habe ich viel Kon­takt zu lin­ken Recherche-​Gruppen. Also wenn besag­ter Rap­per etwas raus­ge­bracht hat, wur­de ich oft von links bom­bar­diert, dass ich dazu mal was machen soll. Irgend­wann war ein Höhe­punkt erreicht, bei dem ich das Gefühl hat­te, dass ganz vie­le Leu­te dahin abwan­dern und die Tore sich immer wei­ter geöff­net haben. Wir hat­ten bei rap​.de aber immer den Kodex, dass wir Nazi-​Rapper zitie­ren, sie wider­le­gen, sie angrei­fen und ver­su­chen, sie argu­men­ta­tiv an die Wand zu spie­len. Aber wenn sie die Platt­form bei rap​.de bekom­men, indem wir ihre Namen nen­nen, spielt es ihnen in die Kar­ten. Egal, wie nega­tiv – es ist trotz­dem Pro­mo. Das heißt jeder, der das am Ende liest, hat hof­fent­lich ein noch schlech­te­res Bild von Nazi-​Rappern, kann sie aber erst mal nicht goog­len, weil er die Namen nicht hat. Das war immer die Marsch­rou­te und ich habe es nicht bereut, das in die­sem Fall wie­der so gemacht zu haben. Aller­dings muss man sagen, dass die­ser Rap­per das trotz­dem für sich genutzt hat. Dar­über hat­te ich vor­her nicht rich­tig nach­ge­dacht und es ging dann auch über­ra­schend schnell.

MZEE​.com: Inwie­fern?

Alex Bar­bi­an: Er hat schon ein paar Stun­den, nach­dem das online gegan­gen ist, in einem Live-​Stream dar­auf reagiert. Damit kann ich leben, kein Pro­blem. Aber ich habe natür­lich meh­re­re Tage lang den über­trie­bens­ten Fascho-​Shitstorm bekom­men. Das war rela­tiv hef­tig. Er konn­te mich natür­lich argu­men­ta­tiv null wider­le­gen, hat er auch gar nicht ver­sucht, aber er hat ein­fach eine gute Mas­se an Leu­ten mit­ge­bracht und auf unse­re Kanä­le gezerrt. Das hat mir wie­der gezeigt, dass es gut war, sei­nen Namen nicht zu nen­nen. Es hat ihn näm­lich krass gewurmt, dass er ange­grif­fen wird, ohne genannt zu wer­den. Was den Shit­s­torm angeht, bin ich eigent­lich ziem­lich resis­tent und auch ein Stück weit abge­här­tet. Ich kom­me aus einer Stadt, in der es nor­mal war, dass man Nazi-​Stress hat, sobald man in einem besetz­ten Haus abhängt. Das war an der Tages­ord­nung. Da ist ein Internet-​Shitstorm nicht unbe­dingt nach­hal­tig beein­dru­ckend. Aber natür­lich gab es auch ein paar Nach­rich­ten, die mich geschockt haben, weil sie im Droh-​Szenario so drü­ber und krass waren, dass man sich schon Sor­gen gemacht hat. Es gab aber auch ganz viel Sup­port und ich habe einen ähn­li­chen Text noch mal im Antifa-​Infoblatt veröffentlicht.

MZEE​.com: Im Juli kam es zu dem Punkt, dass die Musik die­ses Rap­pers von Streaming-​Plattformen gelöscht wur­de. Dafür war es för­der­lich, dass sein Name in den Medi­en kur­siert ist. Glaubst du, dass es auch so weit kom­men kann, wenn wir die Leu­te nicht beim Namen nennen? 

Alex Bar­bi­an: Wir spre­chen hier von Nazis. Aus mei­ner per­sön­li­chen und emo­tio­na­len Per­spek­ti­ve ist das etwas ande­res, als wenn mir zum Bei­spiel ein Song von Bass Sul­tan Hengzt nicht gefällt. Da wer­de ich mich nicht scheu­en, Namen zu nen­nen. Aber wenn ein Nazi auf Rap­per macht, wer­de ich ihm nicht den Gefal­len tun, ihn nur schlecht zu rezen­sie­ren wie irgend­je­man­den, den ich als Rap­per aner­ken­ne. Ich glau­be, es muss bei­des pas­sie­ren. Er wur­de von Nicht-​Rap-​Medien out­ge­callt. Das fin­de ich total in Ord­nung, denn das hat ihm sei­ne Wege sicher­lich noch schwe­rer gemacht. Aber ich blei­be dabei, dass es gut war, sich als renom­mier­tes Rap­me­di­um nicht dar­auf ein­zu­las­sen, auf übli­cher Ebe­ne sze­nein­tern zu diskutieren.

MZEE​.com: In dem Fall kann man wirk­lich mal von "can­celn" spre­chen und das ist auch zurecht so pas­siert. Trotz­dem ist es so, dass sei­ne Musik zwar von der Bild­flä­che ver­schwun­den ist, das Pro­blem aber wei­ter besteht. Ist das aus­schließ­lich förderlich? 

Alex Bar­bi­an: Ich glau­be, dass es wei­ter­hin Leu­te geben wird, die das auf dem Schirm haben. Zum Bei­spiel gibt es einen Twitter-​Account, der immer wie­der inter­es­san­te Ein­bli­cke in das Umfeld von die­sen Leu­ten gege­ben hat. Das wird sicher­lich auch wei­ter pas­sie­ren. Und es ist der Sze­ne zumin­dest jedes Mal wie­der eine Dis­kus­si­on wert, wenn Ten­den­zen bemerkt wer­den, die im Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum hin­sicht­lich Natio­na­lis­mus und regres­si­ven Stand­punk­ten in eine pro­ble­ma­ti­sche Rich­tung gehen. Ich glau­be, wir schie­ben die Pro­ble­me in Bezug auf den Rechts­ruck weni­ger weg als der Groß­teil der Gesell­schaft. Es wird stark the­ma­ti­siert, wenn pro­ble­ma­ti­sche Din­ge pas­sie­ren. In sei­nem Fall hat es nicht alle inter­es­siert, aber das ist auch okay. Es haben aus­rei­chend Leu­te dar­über berich­tet, dass er ein Wolf im Schafs­pelz ist.

MZEE​.com: Auch Ver­schwö­run­gen und die Prä­senz von Rap­pern auf ent­spre­chen­den Demos waren in den letz­ten Mona­ten ein gro­ßes The­ma. Wie soll­te man damit umge­hen – zum Bei­spiel in Bezug auf Dami­on Davis?

Alex Bar­bi­an: Dazu muss ich sagen: Das hat mir rich­tig weh­ge­tan, weil ich ihn immer sehr pro­gres­siv gele­sen habe. Ganz schwie­rig … Wie geht man damit um? Sagt man ihm "Ey, dein Akti­vis­mus und dei­ne Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der Ber­li­ner Pro­test­kul­tur in allen Ehren, aber Ber­li­ner Pro­test­kul­tur in ihrer Tra­di­ti­on bedeu­tet nicht, mit Faschos den Bun­des­tag stür­men zu wol­len, son­dern ander­wei­tig auf Miss­stän­de auf­merk­sam zu machen"? Ich weiß nicht, wie er das bewer­tet. Aber die­se gan­ze Querdenker-​Bewegung ist ein Ele­ment, das ich blo­ckie­ren will und mich wird man auf der Gegen­de­mo sehen. Es ist scha­de, wenn ich Künst­ler, die ich sehr schät­ze, auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te sehe.

MZEE​.com: Soll­te man hier ins Gespräch gehen oder ist da schon ein Punkt erreicht, an dem du kei­ne Platt­form mehr geben möchtest? 

Alex Bar­bi­an: In dem Fall wür­de ich sagen, dass ich für einen Dia­log offen wäre, wenn es dazu kom­men wür­de. Nur weil jemand an die­sem Tag vor dem Bran­den­bur­ger Tor stand oder komi­sche Aus­sa­gen trifft, ist er für mich noch nicht Xavier Naidoo oder Atti­la Hild­mann. Ich fin­de es wich­tig, in einer Zeit, in der so eine Spal­tung statt­fin­det, zu dif­fe­ren­zie­ren. Es gibt näm­lich Grau­stu­fen. Das hat mich schon an dem Sido-​Gate genervt. Dass man ihn nach einem Fehl­tritt direkt mit die­sen Leu­ten in einen Topf gewor­fen hat. Da dach­te ich mir: "Ihr habt aber auch Bock, Leu­te zu can­celn!" Er soll­te das selbst­ver­ständ­lich reflek­tie­ren und ein­ord­nen, aber dann ist auch gut. Und natür­lich geht man bis zu einem gewis­sen Punkt in einen Dia­log. Dami­on Davis hat ewig pro­gres­si­ve Mucke gemacht, die Tape­fa­brik und sowas mode­riert. Es wäre irgend­wie erbärm­lich, gegen ihn zu pöbeln und sich dann nicht mit ihm hin­zu­set­zen, wenn es die Mög­lich­keit gibt.

MZEE​.com: Hast du manch­mal das Gefühl, dass es gewis­se Leu­te gibt, die lan­ge dabei sind, sehr viel für Hip­Hop getan haben und man ihnen des­we­gen auf irgend­ei­ne Wei­se etwas schul­dig ist? 

Alex Bar­bi­an: Ich glau­be schon, dass es bei gewis­sen Künst­lern schmerz­haf­ter ist, einen Strich drun­ter zu zie­hen. Bei Xavier Naidoo bei­spiels­wei­se waren wir alle zu lan­ge nach­läs­sig – inklu­si­ve mir. Ich habe mir immer wie­der ein­ge­re­det, dass er auf einem bes­se­ren Weg sei, weil er zum Bei­spiel bei der neu­en Ver­si­on von "Adria­no" mit­ge­macht hat. Ich habe auch mit Juju im Inter­view noch sehr scho­nend und gut­mü­tig über das Fea­ture gespro­chen. Das war natür­lich im Nach­hin­ein betrach­tet ein Feh­ler. Eini­gen Kindheits- und Jugend­hel­den ver­zeiht man mehr Din­ge, das ist in einem wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs aber fatal, weil man alle Leu­te gleich behan­deln muss. Gleich­zei­tig muss ich sagen, dass ich es letz­tes Jahr ein­mal ver­sucht habe, auf neu­tra­lem Boden in so ein Gespräch rein­zu­ge­hen. Und zwar mit einem Künst­ler, von dem ich lan­ge Zeit Fan war und der mei­ner Mei­nung nach auf Abwe­gen ist. Da hat der gan­ze gute Wil­le nichts genützt. Wir haben eine Stun­de anein­an­der vor­bei­ge­re­det und dann beschlos­sen, dass das für kei­nen Zuschau­er berei­chernd ist und abge­bro­chen. Ich habe voll Bock auf den Dia­log und ich fin­de die gesell­schaft­li­che Ten­denz, dass alle zu Hau­se sit­zen, in 280 Zei­chen twit­tern und gegen­ein­an­der schie­ßen, total pro­ble­ma­tisch. Aller­dings demo­ti­viert einen der Dia­log am Ende oft noch mehr, weil jeder bei sei­ner Posi­ti­on bleibt.

MZEE​.com: Lass uns zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft wer­fen: Was sind dei­ne beruf­li­chen Plä­ne? Gibt es Leu­te, die du ger­ne noch inter­view­en würdest? 

Alex Bar­bi­an: Bald kommt ein neu­es YouTube-​Format, bei dem ich mich mit ver­schie­de­nen Rap­pern tref­fe. Ich woll­te ein biss­chen aus mei­ner Kom­fort­zo­ne raus und mit jun­gen Künst­lern spre­chen, die ich noch gar nicht per­sön­lich ken­ne. Außer­dem wird es ein neu­es For­mat mit $ick geben sowie eine sehr nerdi­ge, in sich geschlos­se­ne Spotify-​Podcast-​Reihe mit jeman­dem. Die drei Pro­jek­te ste­hen jetzt erst mal an. In der Zukunft wür­de ich ger­ne Cas­per inter­view­en, weil wir uns noch nie im Rah­men eines jour­na­lis­ti­schen Pro­jekts unter­hal­ten haben. Ich hät­te rich­tig Lust, sei­ne gan­ze Dis­ko­gra­fie mit ihm durch­zu­ar­bei­ten. Ansons­ten sind mei­ne Life-​Goals eher außer­halb des Raps ange­sie­delt. Zum Bei­spiel wür­de ich sehr ger­ne mal etwas mit Cam­pi­no und Frit­ten­bu­de machen.

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Fotos von Peter Sebas­ti­an Sander)