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Tarek K.I.Z – Golem

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Tarek K.I.Z mit "Golem".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künst­ler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der Gesprächs­part­ner ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Ich hat­te immer ein biss­chen Angst vor einer Tarek-Solo­plat­te. Weil ich befürch­tet habe, dass das K.I.Z-Mit­glied, das ich musi­ka­lisch immer ein biss­chen wei­ter vor­ne als sei­ne Band­mit­glie­der gese­hen hat­te, dadurch das Kol­lek­tiv zer­rei­ßen wür­de. Die Ankün­di­gung des Releases habe ich dem­entspre­chend mit gemisch­ten Gefüh­len wahr­ge­nom­men. Aber als der "Golem" dann letz­ten Endes vor mir stand, brauch­te ich mich auch nicht mehr vor ihm verstecken.

Und er hat mich über­wäl­tigt. Ich wuss­te, dass mich kein klas­si­sches K.I.Z-Album erwar­ten wür­de und ich mich eher auf die Deep­ness ein­zu­stel­len hat­te, die bereits auf dem Solo­tra­ck "Frei­er Fall" des letz­ten Lang­spie­lers ange­deu­tet wur­de. Aber dar­auf, dass musi­ka­lisch etwas ganz ande­res pas­siert als auf den Plat­ten mit den Kol­le­gen, war ich nicht vor­be­rei­tet. Neben dem von Tarek bis­her gewohn­ten Rap fin­den auch zeit­ge­nös­si­sche Trapflows ihren Platz, sound­tech­nisch lässt sich "Golem" jedoch über­wie­gend – so auch vom Künst­ler selbst – als düs­te­re Pop­mu­sik mit ganz viel Auto­tu­ne bezeich­nen. Die­ser ist dabei stets so wohl­do­siert, dass der kraft­vol­le und emo­tio­na­le Gesang noch an zusätz­li­cher Tie­fe gewinnt. Dabei gelingt es dem "nubi­schen Prinz", die Brü­cke zwi­schen dem typi­schen K.I.Z-Humor und per­sön­li­chen, emo­tio­na­len The­men wie der eige­nen Kind­heit und dem Ver­lust des Vaters zu schla­gen. Und mei­ne Angst davor, dass es danach kei­ne Klos­ter­schü­ler im Zöli­bat mehr gibt? Die wird mir durch ein gemein­sa­mes Bekennt­nis zur Grup­pe mit Nico und Maxim genom­men: "K.I.Z für immer".

Ich habe lan­ge kein Album mehr so inten­siv rauf und run­ter gehört wie Tareks "Golem". Obwohl ich nie danach gefragt hat­te, habe ich mich sofort mit dem Koloss ange­freun­det und ihn zu mei­nem ste­ti­gen Beglei­ter gemacht. Das spä­ter erschie­ne­ne Rework mit Orchester-​Begleitung wer­tet die Plat­te in mei­nen Augen noch ein­mal auf. "Golem" ist für mich das Album des Jah­res 2020 und wird noch lan­ge sei­nes­glei­chen suchen.

(Micha­el Collins)