An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Simon mit der ausbleibenden Kritik bei beliebten Rappern.
"Ich scheiß auf Alice Schwarzer, Harvey Weinstein ist mein Vater", rappt Tarek K.I.Z auf dem spontan von K.I.Z veröffentlichten Album "Und das Geheimnis der unbeglichenen Bordellrechnung". Er findet das wahrscheinlich ziemlich witzig und wenn man sich in den entsprechenden Social Media-Bubbles umschaut, geht das vielen anderen auch so. Zeilen wie diese finden sich auf dem Album zuhauf. Nicht immer ganz so plump, aber den sexistischen Höhepunkt stellt diese Line auch nicht dar. Jetzt könnte man fragen, wo hier genau der Witz ist. Und warum ist es noch mal ein Schenkelklopfer, den Hinterbliebenen zu sagen, wo man die Tochter vergewaltigt und vergraben hat (Nico in "Berghainschlange")? Selbst wenn es hier darum gehen soll, zu schocken und gesellschaftliche Konventionen zu brechen, warum trauen sich die drei dann nicht, zum Beispiel rassistische Lines wie am Fließband rauszuhauen? Offensichtlich haben sie ja verstanden, dass solche Zeilen vielleicht nicht ganz so nice sind. Für Sexismus scheint das nicht zu gelten. K.I.Z machen auf "Und das Geheimnis der unbezahlten Bordellrechnung" misogyne, gewaltverherrlichende Witze, häufig ohne in irgendeiner Form eine weitere Ebene herzustellen, die diese Zeilen irgendwie in einen kritischen Kontext setzt oder wenigstens relativiert. Die Vergewaltigung ist der Witz, das war's. Und kaum jemand scheint sich so wirklich daran zu stören.
"Aber K.I.Z können doch gar nicht sexistisch sein, immerhin haben sie vor fünf Jahren einen erfolgreichen Song mit Henning May gemacht und spielen jedes Jahr ein Konzert nur für Frauen. Außerdem sind die doch voll links und das ist nur ein Spaß-Album und überhaupt glaube ich, dass du den Humor einfach nicht checkst, du kennst die wahrscheinlich nicht seit damals schon …", denkt so mancher Fan und weiß eigentlich selbst, dass diese Argumente ziemlich halbgar sind.
Bei dem Album und den Reaktionen darauf lässt sich unter dem Brennglas ein Phänomen beobachten, das im deutschen Rap eher der Normalfall als die Ausnahme ist: Kritisiert wird selektiv nach Sympathie und nicht prinzipiell nach Inhalten. Wie sonst ist es zu erklären, dass bei OG Keemo "Sluggies" ausschließlich als nettes Statussymbol herhalten und Haftbefehl ohne Ende "Nutten druff" schicken kann, ohne dass die beiden dafür wirklich Gegenwind aus der Szene bekommen? Bei Majoe und Kurdo zum Beispiel (und der Reaktion auf das Album "Blanco") hat das ja – vollkommen zurecht – auch funktioniert.
Eine Erklärung hierfür scheint darin zu liegen, dass Sexismus weiterhin nicht wirklich ernst genommen wird. Inzwischen werden bei vielen anderen Themen, die in eine diskriminierende Richtung gehen, relativ konsequent Grenzen gezogen. Bei Sexismus läuft das Ganze noch sehr schleppend. Die Sensibilisierung diesbezüglich scheint einfach noch nicht so weit fortgeschritten zu sein, wie man es sich wünschen würde. In diesem Zusammenhang ist es wenig verwunderlich, dass sowohl die laut.de-Rezension als auch der BACKSPIN Podcast, in dem die Platte zum Album der Woche erkoren wurde, von männlichen Kollegen stammt. Das Problem der fehlenden Betroffenenperspektive gibt es immer wieder (auch bei diesem Artikel). Sexismus, der einfach nur um des Spruches willen diskriminiert, ohne irgendeinen doppelten Boden zu haben oder gesellschaftliche Zustände zu hinterfragen, muss aber ebenso als Nicht-Betroffener erkannt und benannt werden.
Generell ist es natürlich nachvollziehbar, dass man die oben genannten feiert. OG Keemo ist nun mal einer der besten Rapper, die es in Deutschland aktuell gibt, "Das weiße Album" von Haftbefehl vielleicht das stärkste Album des Jahres und K.I.Z haben oft genug gezeigt, dass sie richtig starke (und witzige) Songs schreiben können. Irgendwie logisch, dann ein Auge zudrücken zu wollen, auch um das eigene Hörerlebnis nicht zu stören. Dass gerade K.I.Z Everybody's Darling in den Redaktionen und privat bei vielen Meinungsmachern sind, wird wahrscheinlich auch nicht schaden. Gut zu rappen oder eigentlich total sympathisch zu sein, erhebt dich aber nicht über jeden Zweifel. Und wichtiges politisches, privates oder künstlerisches Engagement bei bestimmten Themen immunisiert nicht gegen diskriminierendes Verhalten an anderer Stelle. Das gilt natürlich bei Weitem nicht nur für die genannten Künstler, sondern ist ein allgemeines Problem, das wahrscheinlich jeder bei sich selbst schon erlebt hat.
Dass jedoch Kritik an Künstlern ausbleibt, sobald sich nur genug "wichtige" Menschen auf sie geeinigt haben, führt zu zwei Problemen: Zum einen wird die offensichtlich dringend notwendige Sensibilisierung mit der Thematik nicht weitergetrieben. Mit Sicherheit werden sich K.I.Z irgendwann für viele dieser Zeilen schämen. Fragt mal Kool Savas, was er heute von einigen seiner alten Songs hält. Es wäre schön, wenn das jetzt schon passiert und sie nicht erst noch drei Pre-Album-Mixtapes dafür brauchen. Zum anderen verliert die wichtige Kritik an diskriminierenden Strukturen und Aktionen, die an anderer Stelle absolut berechtigt ist, ein Stück ihrer Legitimation. Warum sollte ich es als Fan ernst nehmen, wenn Staiger und Mauli sich über die Pornoindustrie aufregen und welche Auswirkungen diese auf die Konsumenten hat, wenn "Und das Geheimnis der unbeglichenen Bordellrechnung" zwei Wochen später einfach nur als superwitzig dargestellt wird und nicht ein kritischer Satz dazu fällt? Doppelte Standards schwächen den eigenen Standpunkt.
Zeigt Rückgrat und kritisiert, wo Kritik angebracht ist. Gerade wenn ihr die Person hinter dem Song feiert, sorgt doch dafür, dass ihr nicht bei einzelnen Zeilen weghören und so tun müsst, als hätte es sie nie gegeben. Das hilft Künstlern sowie Fans und tut der Vorfreude auf "Rap über Hass" mit Sicherheit keinen Abbruch.
(Simon Back)
(Grafik von Daniel Fersch)