Es ist kalt, es ist grau, es gibt immer noch Corona. Die ideale Zeit also, um Tag für Tag bei unserem Adventskalender mitzufiebern. Wieder werfen wir einen Blick zurück auf die letzten 24 Jahre: Welche Meilensteine gab es? Welche Momente sorgten dafür, dass deutscher Rap einflussreicher wurde denn je? Weil uns Alben zu einfach sind (und wir sie schon hatten, siehe hier), haben wir uns dieses Jahr drangemacht und den jeweils einen Track gesucht, der die Szene über sein Erscheinungsjahr hinaus entscheidend geprägt hat. Jeden Tag stellen wir Euch somit – angefangen 1997 – einen Song vor, der entweder durch seinen Sound, seinen Inhalt oder seine Form unserem Lieblingsgenre seinen Stempel aufgedrückt hat.
Nur Originale, kein Duplikat, Standard – 44, 36, Altona, Standard.
Weg von Majorlabels hin zur Unabhängigkeit – 2018 war der "DIY"-Gedanke im HipHop deutlich zu spüren. Denn wer braucht noch bindende Verträge, wenn es Streaming und Social Media gibt? Exemplarisch dafür steht auch "Standard". Independent releast und mit viralem Erfolg in den sozialen Medien verkörpert der Track die Vibes einer neuen Generation.
Mit Trettmann, Gringo, Ufo361 und Gzuz versammelt sich eine vielseitige Konstellation an Rappern auf einem Song. Vier völlig unterschiedliche Styles auf einem harten Dancehall-Rhythm – eine vielversprechende Idee des Produzenten-Kollektivs KitschKrieg. Gemeinsam mit Trettmann ließen sie bereits das Album "#DIY" entstehen. "Do it yourself": ein Gedanke, der auch "Standard" zum Erfolg führte – angefangen mit Gringos amüsantem "Aua, oh oh, Gringo ist sauer"-Opener. Sein einzigartiger Flow gepaart mit einem Aufzählen von aneinandergereihten Stichwörtern bringt neue Vibes mit sich. Ufo361 zeigt, wie sehr er es verstanden hat, atmosphärisch zu performen. Melodisch treibt er seinen Part nach vorne. Und dann ist da Gzuz, von dem auch das "Standard"-Vocalsample aus der Hook stammt. Seit jeher steht der Rapper wegen seiner oft problematischen Texte und Fehltritte abseits der Musik vollkommen zurecht in der Kritik. Durch seinen harten Rapstil und bellenden 16er gelingt es ihm hier, musikalisch zu überzeugen und einen Kontrast zu seinen Mitstreitern zu schaffen. Die Krönung kommt mit Trettmann, der mit unglaublichem Flavour und cloudy Flow auf dem pumpenden, glasklar produzierten Instrumental die Hook abreißt. Das Endprodukt katapultierte sich zum Ohrwurm des Jahres und war aus sämtlichen Playlists nicht mehr wegzudenken. Ein einnehmender Beat, ein Signature-Wort wie "Standard", Streaming-Könige und Retro-Dancehall – das Erfolgskonzept ist so vielseitig wie HipHop in 2018.
Wie sehr die Kollabo den Geist der Zeit traf, zeigt auch, dass sich der Track knapp 30 Wochen in den deutschen Singlecharts hielt. Der Querschnitt durch die erfolgreichsten Teile der Szene setzte also neue Maßstäbe und entwickelte sich zur innovativen Erfolgsformel. Und sobald der Beat einsetzt, fühlt man auch heute noch die Vibes großer Visionen.
(Melanie Floßmann)
(Grafik von Daniel Fersch)