Das Internet und Social Media sind für Juicy Gay das, was für die Rapper der 80er, 90er und 2000er die Jams und Freestyle-Battles waren. Im Swag Mob auf Facebook wurde der junge Rapper musikalisch sozialisiert, ein dort entstandenes Feature mit Money Boy war sein erstes Karriere-Highlight. In der Zwischenzeit ist Social Media zu einem immer größeren Teil des öffentlichen Lebens und ebenso der Rap-Szene geworden. Sinnfreie Tweefs, aber auch politische Diskussionen und Movements auf Twitter und Instagram sind an der Tagesordnung und bestimmen teilweise die Nachrichten. Juicy Gay selbst ist zur Twitter-Koryphäe geworden und verteilt Liebe über Instagram. Welche Rolle haben das Internet und Social Media aus seiner Sicht für seine Karriere gespielt? Was ist der Unterschied zwischen unseren Online- und Offline-Persönlichkeiten? Und wie förderlich oder toxisch ist die Diskussionskultur auf Twitter wirklich? Über diese Fragen und noch viele mehr haben wir mit Juicy gesprochen.
MZEE.com: Erinnerst du dich noch an deinen ersten Kontakt mit dem Internet und Social Media?
Juicy Gay: Meine älteren Cousins haben mir damals die ersten Seiten gezeigt. Mit elf Jahren kam YouTube und so weiter dazu, von da an hat es mich gefesselt. (lacht)
MZEE.com: Hattest du damals auch schon große YouTube-Pläne?
Juicy Gay: Ich hatte tausende Pläne und dachte schon, als ich ganz klein war, ich werde ein YouTube-Star. Das war komplett dumm. Ich hab' mir irgendwelche Videos aus dem Internet runtergeladen und die dann auf YouTube gestellt. Und ich dachte wirklich, dass ich damit für den Rest meines Lebens mein Geld verdienen werde. (lacht) Das erfolgreichste hatte, glaube ich, so 10 000 Klicks. Da bricht jemand irgendwo ein, legt sich die ganze Zeit auf die Fresse und geht dann mit leeren Händen. Mit 13 oder 14 habe ich dann angefangen, Musik zu machen und auf YouTube hochzuladen.
MZEE.com: Wie wichtig war das Internet für deine musikalischen Anfänge?
Juicy Gay: Es war extrem wichtig für meinen Musikkonsum. Ich habe alles über das Internet gehört. Von 2007 bis 2009 hat man sich so viele Alben runtergeladen, auch wenn das scheiße war. Man hat sich jede Woche alles gezogen, was es gab. Das war wie eine Sucht. Ich hab' parallel aber auch Zeitungen ausgeteilt und 30 Euro oder so im Monat verdient. Das habe ich immer für Rap ausgegeben, zwei CDs oder eine Box. (lacht) Das Programm, mit dem ich selbst Musik gemacht habe, kannte ich von meinem Cousin. Ich habe richtig viele Tutorials geschaut.
MZEE.com: Du hast auch viele musikalische Kontakte über das Internet geknüpft.
Juicy Gay: Während der Swag Mob-Zeit ging alles über das Internet. Plötzlich haben sich total viele Leute aus dieser Gruppe auch im Real Life getroffen, das war verrückt.
MZEE.com: Dadurch hat sich deine Musik auch stilistisch geändert, oder? Zu Beginn hast du eher auf Boom bap-Beats gerappt.
Juicy Gay: Ja, voll. Das hat damit angefangen, dass ich in dieser Gruppe auf Facebook war. Im Prinzip war das eine Gruppe von Money Boy-Fans. Alle dort haben irgendetwas Kreatives gemacht. Viele haben gerappt. Money Boy hat, wenn er eine Single rausgebracht hat, dort gefragt, ob ihm jemand das Cover malen kann. Darauf haben sich hundert Leute gemeldet. Es war richtig geil, sich dort untereinander auszutauschen und sich auch zu treffen. Du lernst eben Menschen kennen, die die gleichen Interessen haben. Das ist im Freundeskreis aus der Schule oder so nicht immer gegeben. Ich hab' mich Juicy Gay genannt, Songs in die Gruppe gepostet und dachte, dass das vielleicht ein paar Leute cool finden. Dann hat Money Boy für ein Feature angefragt. Das war für mich damals das Krasseste, das jemals passieren konnte. Im Endeffekt ist es nach ein paar Tagen passiert. (grinst)
MZEE.com: Der Künstler Juicy Gay ist schon sehr eng mit dieser Thematik verbunden, oder?
Juicy Gay: Ich war wirklich ein richtiges Internet-Kid, bin ich immer noch. Alle Themen rund um Rap, die viral gegangen sind, habe ich aufgesogen und Songs darüber gemacht. Ich habe ja auch eine EP mit dem Namen "Internet" gemacht.
MZEE.com: Was ist deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen der Online- und Offline-Welt?
Juicy Gay: Du kannst dir online deine eigene Welt aufbauen. Wenn du den Twitter-Grind einer Person verfolgst, verfestigt sich ein Bild von ihr in deinem Kopf. Wenn du die Leute im Real Life triffst, hast du danach manchmal einen ganz anderen Eindruck. Für mich sind das schon zwei verschiedene Sachen.
MZEE.com: Hast du eine Online-Persönlichkeit?
Juicy Gay: Ich glaube schon. Mit der Zeit entwickeln sich wahrscheinlich bestimmte Ecken und Kanten, die zu meiner Online-Persönlichkeit gehören. Zum Großteil bildet sie aber einfach ab, wie ich bin. Aber natürlich ist es megaschwierig, sich selbst im Internet zu präsentieren, weil jeder Mensch so viele verschiedene Seiten hat. Du kannst das nicht komplett abbilden, ist mein Gefühl. Aber der Grundriss ist vorhanden.
MZEE.com: Gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen deiner "echten" und deiner Online-Persönlichkeit?
Juicy Gay: Ich bin jemand, der Menschen online Power geben möchte. Wenn ich merke, dass ich gerade Kraft habe oder mir etwas Lustiges einfällt, mache ich eine Story. Aber natürlich bin ich auch oft traurig oder gestresst wie wahrscheinlich jeder Mensch. Diese Seiten präsentiert man im Internet einfach nicht. Außer auf Twitter, da ist es teilweise schon sehr durchsichtig. Es gab Zeiten, in denen ich dort einfach geschrieben habe, was ich gefühlt habe. Das ist aber immer weniger geworden.
MZEE.com: Ich habe das Gefühl, dass der Content auf Twitter teilweise viel ungefilterter ist als zum Beispiel auf Instagram.
Juicy Gay: Das liebe ich an Twitter. Man kann so oft mit Tweets relaten. Es ist eine gute Plattform, um zu zeigen, was man gerade denkt. Meiner Meinung nach ist das total interessant.
MZEE.com: Auf Twitter finden sowohl viel sinnloser Content als auch gesellschaftliche Diskussionen statt. Wie förderlich beziehungsweise gesund nimmst du die Diskussionskultur auf Twitter wahr?
Juicy Gay: Ich finde, dass es extrem förderlich ist, andere Perspektiven zu sehen und zu diskutieren. Das halte ich für sehr wichtig. Das hat früher wahrscheinlich viel in Foren stattgefunden. In Threads stoßen Bubbles aufeinander, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Das habe ich selbst schon gemerkt. Wenn ich gegen AfD-Leute schieße, kommen die plötzlich alle angeflogen. In anderen Fällen ist es aber auch okay, verschiedene Meinungen und Standpunkte zu diskutieren, das ist Politik. Das Internet gibt natürlich auch richtig vielen Vollidioten eine Stimme, die können ruhig auf Facebook bleiben.
MZEE.com: Auf Twitter kursieren häufig kurze Ausschnitte aus Videos oder Podcasts. Teilweise wird aus meiner Sicht zurecht kritisiert, dass der Kontext dieser Ausschnitte nicht beachtet wird. Wenn der Begriff "Cancel Culture" angebracht wird, habe ich allerdings meist das Gefühl, dass von der wirklichen thematischen Problematik abgelenkt wird.
Juicy Gay: Es ist manchmal echt schwierig. Jeder muss gucken, wo er seine moralischen Grenzen zieht. Ich sage nicht, dass ich Leute cancele. Aber ich höre mir nicht die Musik von 187 an, weil bestimmte Dinge passiert sind. Das kann ich nicht mit mir vereinbaren. Deshalb hasse ich diese Menschen nicht abgrundtief, aber ich will die einfach nicht supporten, wenn ich stattdessen andere unterstützen kann, die coole Sachen machen. Ich finde es allgemein wichtig, dass die Leute miteinander kommunizieren. Ich bin kein Fan davon, jemanden zu canceln, weil er einmal Scheiße baut. Jeder Mensch lernt dazu. Es gibt aber natürlich Fälle, in denen Grenzen überschritten werden.
MZEE.com: Ich ertappe mich selbst dabei, auf kurze Ausschnitte zu stoßen, die gerade meine Meinung über etwas bestätigen. Das nimmt man schnell einfach so auf. Man sollte schon weiter recherchieren, bevor man sich seine Meinung bildet.
Juicy Gay: Klar, das pusht einen dann hoch. Ich glaube, dass sich vieles unterbewusst festsetzt, weil man es sich nur nebenbei anguckt. Die ersten Reaktionen werden leider gespeichert. Ich scrolle auf Twitter oft nur durch und frühstücke das ab.
MZEE.com: Ich denke allerdings, dass wir uns in dieser Hinsicht nicht zu sehr selbst kritisieren sollten. Dass man sich über Dinge "zu sehr aufregt" ist nämlich genau so ein Argument, das du von konservativer und rechter Seite hörst. Das verschiebt den Diskurs, wenn sich eben zurecht aufgeregt wird.
Juicy Gay: Das kann ich zum Teil kaum aushalten. Ich wurde schon auf Twitter gesperrt, weil mich André Poggenburg von der AfD so krass provoziert hat, dass ich eben ausgerastet bin. Ich hab' letztens getweetet, dass mein Gegenüber gefälligst die Deutschlandfahne aus seinem Profil nehmen soll, wenn er mit mir redet. Es haben so viele Leute Deutschlandflaggen unter diesen Tweet gepostet, dass ich mich echt gefragt habe, woher die plötzlich alle kommen. Die Profile von denen waren kaum auszuhalten. Es gibt diese Menschen eben. Da geht es um politische und systemische Dinge, die falsch laufen. Da könnten wir lange diskutieren. Man darf nicht vergessen, dass das häufig einfach Boomer sind. Man muss auch mal Props an unsere Generation geben, weil vieles zurzeit sehr gut läuft, glaube ich. Ich habe das Gefühl, dass viele Dinge sich bessern.
MZEE.com: Auf jeden Fall muss man auf seinen Twitter-Konsum aufpassen. Es kann sich schon auf die Laune auswirken, dass dort alle so gern und viel meckern.
Juicy Gay: Definitiv. Man kommt schnell selbst in dieses Muster. Aber eigentlich ist es auch geil, dass es eine Plattform gibt, auf der sich jeder über alles und jeden abfucken kann. Das kann man im Real Life nicht machen.
MZEE.com: Aber das kann schon toxisch sein.
Juicy Gay: Es kann supertoxisch sein, zum Teil ist es ganz schlimm. Dann muss man sich davon befreien. Man darf sich nicht zu sehr hineinsteigern.
MZEE.com: Würdest du denn sagen, dass du dich auf Twitter in einer Bubble aufhältst?
Juicy Gay: Ich habe das Gefühl, dass ich in mehreren Bubbles bin. Auch in politischen Bubbles, die mit der Humor- oder Rap-Bubble gar nichts zu tun haben. Mein Content ist dann eine Mischung aus allem. Das, was ich konsumiere, verwurschtel' ich da weiter.
MZEE.com: Wie sieht dein Internet und Social Media-Konsum an sich aus? Würdest du sagen, dass du süchtig bist?
Juicy Gay: Laut meinem Handy habe ich eine Displayzeit von durchschnittlich sechs Stunden am Tag. Das ist schon unnormal viel, wenn man darüber nachdenkt. Ich fühle mich gerade richtig schlecht deswegen. (lacht) Das waren auch schon mal acht Stunden. Klar, ich bin süchtig, safe. Ich gucke immer aufs Handy.
MZEE.com: Ich glaube, dass das ein krasses gesellschaftliches Thema ist. Handysucht wird immer noch nicht wirklich ernstgenommen. Eine Sucht ist ja nicht nur da, wenn sie gerade ausgelebt wird.
Juicy Gay: Das Ding ist, dass du so unnormale Endorphinschübe bekommst. So entsteht Sucht. Du willst immer neue Highlights. Deswegen ist TikTok auch so eine schlimme App. Du scrollst immer hoch und runter und willst etwas Neues sehen. Deshalb sind die ganzen Kinder so süchtig danach. Das ist megaschlimm. Wenn ich ein Kind hätte und das auf TikTok grinden würde … Man muss total auf seinen Endorphin-Haushalt achten. Ich glaube nicht, dass das gesund ist.
MZEE.com: Ich merke das, wenn ich mal eine Zeit lang Social Media-Detox mache. Man schmeißt vielleicht Instagram vom Handy, denkt dann aber doch mal an die App und nutzt sie dann bewusst nicht. Das zeigt ja, dass es eine Suchtproblematik gibt.
Juicy Gay: Ich hab' es schon ein paar Mal versucht, zwei oder drei Tage drauf zu verzichten. Ich schaffe nicht mal einen Tag. Es ist ganz schlimm. Ich habe das Gefühl, sonst alles zu verpassen.
MZEE.com: Ich bin gespannt, ob wir einen wirklich guten Umgang damit finden. Ich glaube, dass wir das noch lernen müssen vor dem Hintergrund, dass es Smartphones noch gar nicht so lange gibt.
Juicy Gay: Ich habe das Gefühl, dass es bei der neuen Generation ganz schlimm ist. Ich fühle mich dabei wie so ein Boomer, der die jungen Menschen hatet. Aber in meiner subjektiven Wahrnehmung sind die Kinder viel zu viel am Handy. Die sind gefühlt gar nicht mehr draußen oder so. Eigentlich ist es auch nice, dass die sich die ganze Zeit Memes und so auf ihren Handys zeigen. Aber ich glaube, dass die zum Teil einen totalen Realitätsverlust haben. Es wird sich weiterentwickeln und wir werden sehen, was noch passiert.
MZEE.com: Denkst du, du wärst genauso aktiv auf Twitter und Instagram, wenn deine Fans diesbezüglich keine Erwartungshaltung an dich hätten?
Juicy Gay: Ja, auf jeden Fall. Zurzeit mache ich das genau so, wie ich Bock habe. Manchmal mache ich ohne Ende Storys, manchmal ein, zwei Tage gar nichts. Man muss darauf achten, die Arbeit und das Private nicht komplett zu vermischen. Ich liebe das ja auch, lebe mich gerne kreativ aus und lade Ideen hoch. Sonst würde ich es nicht machen. Ich denke in Tweets. Das ist mittlerweile verwurzelt. Aber ich kenne auch diesen Gedanken, dass man eine Single promoten muss oder so. Dann ist es einfach Arbeit. Das ist aber auch cool, man darf das nicht immer nur negativ betrachten. Arbeit ist auch nice, das gehört dazu. Rap ist auf jeden Fall ein harter Job. (grinst)
MZEE.com: Du und auch MC Smook setzen im Internet und mit Songs immer wieder politische Statements, die teilweise größere Reichweite erlangen. Denkst du, es ist für jeden von uns durch Social Media einfacher, politisch aktiv zu sein?
Juicy Gay: Ich denke schon. Wir haben ja vorhin schon darüber gesprochen, dass du dich mit sehr vielen Menschen dort austauschen kannst. Du kannst im Internet total viel recherchieren und viele Infos bekommen. Ich hab' das Gefühl, dass die neue Generation immer mehr Bewusstsein darüber schafft, was auf der Welt passiert.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass das Internet dich politisiert hat?
Juicy Gay: Gute Frage. Ich weiß nicht, wie es ohne das Internet abgelaufen wäre. Aber ich hatte im Real Life nicht viele politische Freunde. Im Dorf hatten einige Leute eher rechte Ansichten, damit konnte ich mich nicht identifizieren. Da habe ich im Internet eher Gleichgesinnte gefunden.
MZEE.com: Es politisiert, die Erfahrungsberichte anderer Menschen zu hören. Wenn man bereit dazu ist, zuzuhören.
Juicy Gay: Ja, voll. Du kannst dir alle möglichen Informationen holen, die du ansonsten in deiner Bubble im Real Life nicht erhältst. Viele Meinungen sind so verfestigt, weil die Leute nicht anderweitig recherchieren.
MZEE.com: Letzte Frage: Könntest du eher ein Jahr ohne Internet oder ein Jahr ohne Musik leben?
Juicy Gay: Ein Jahr ohne Internet, auf jeden Fall. Ohne Musik geht wirklich gar nicht. Ich höre und mache den ganzen Tag Musik. Ein Jahr ohne Internet stelle ich mir eigentlich geil vor. Ein Jahr ohne Musik … Die Vorstellung ist eine Katastrophe.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Leon Hahn)