Zufriedenheit: ein sehr großes Wort. Wie oft kann man von sich behaupten, richtig zufrieden zu sein? Ist das vielleicht auch eine Entscheidung? Meistens lässt man sich doch schon von den alltäglichen Lappalien aus der Ruhe bringen. Aber keiner von uns hat stets gute Tage, auch wenn es ein paar Menschen gibt, die so scheinen. Es gibt diese Sympathieträger, die immer Sonnenschein in einen Raum bringen – dazu würde ich auch Joy Denalane zählen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob sie in persona oder durch ihre Musik in Erscheinung tritt. Doch nicht nur das zeichnet sie meiner Meinung nach aus. Auch das Nicht-Zufriedengeben mit bestehenden gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten ist etwas, für das sie steht. Manchmal kommt das durch Aktionen wie die Zusammenarbeit mit Viva con Agua zum Tragen. Oft zeigt sie das aber auch durch ihre Songs wie "Im Ghetto von Soweto" oder ihre Aussagen in der Öffentlichkeit. Deswegen wollte ich mich mit der langjährigen Künstlerin, deren aktuelles Soul-Album "Let Yourself Be Loved" auf dem legendären Label Motown erschien, unbedingt zu einem Gespräch treffen. Sie erklärte mir, wie Selbstverwirklichung und Zufriedenheit zusammenhängen, wie man sich den Erwartungen an eine Mutter entgegenstellen kann und was Rassismus mit ihrem Gefühl von Sicherheit macht.
MZEE.com: Im August wurden du und Ilgen-Nur, zwei weibliche PoCs, für die Rolling Stone-Coverstory vorgesehen und kurzfristig durch Bruce Springsteen ersetzt. Das ist eine Situation, die dir so oder so ähnlich bestimmt nicht zum ersten Mal passiert ist. Macht dich sowas noch wütend und traurig oder fühlt man sich einfach nur bestätigt?
Joy Denalane: Es ist eine Mischung. Ich kann nicht behaupten, dass ich richtig wütend war. Man muss dazusagen, dass sich der Rolling Stone – so wie jedes andere Magazin, das ein Cover-Shooting plant – vorbehält, unter Umständen eine andere Titelstory zu wählen. Die Hintertür bleibt immer offen. Sie haben uns das also nicht hoch und heilig versprochen und dann aus unerfindlichen Gründen doch eine andere Entscheidung getroffen, sondern klar formuliert, dass es durchaus sein kann, dass wir nicht drauf sein werden. Ich möchte dem Rolling Stone auch zugutehalten, dass sie unser Interview so abgedruckt haben, wie es geführt wurde. Es ist ein sehr kritisches Interview, das insbesondere am Rolling Stone Kritik übt. Letztendlich hat es mich bei diesem Magazin vermutlich nicht so getroffen wie vielleicht bei anderen, weil mich diese Zeitschrift nie in irgendeiner Form angesprochen oder repräsentiert hat. Sie spielt in meiner musikalischen Laufbahn keine Rolle. Es war mir nie wichtig, dort besprochen und abgebildet zu werden, weil dieses Magazin schon immer an mir und Leuten wie mir vorbeigesendet hat. Zumindest der deutsche Rolling Stone. Das muss man sehr klar unterscheiden. Der amerikanische ist ganz anders gebaut und verhandelt auch andere, viel diversere Musikgeschichten. Hier ist das schon sehr stark auf weiß, männlich und Ü-30 angelegt. Das soll kein Altersshaming sein, sondern eher eine Kategorisierung. Es war sicherlich leicht enttäuschend, aber auch erwartbar.
MZEE.com: Ja, wenn man sich die anderen Cover anschaut, war das vermutlich keine Überraschung.
Joy Denalane: Die Mühe habe ich mir tatsächlich gemacht. Bevor das Interview geführt wurde, bin ich jede einzelne Ausgabe des Rolling Stones seit 1996 durchgegangen. Es waren knapp 300 Ausgaben und davon 22 mit PoC auf dem Cover. Und die Schwarzen Menschen, die auf dem deutschen Rolling Stone abgebildet wurden, waren vornehmlich bereits verstorbene Musiker. Es ist einfach ein Male White Magazine.
MZEE.com: Kann man gegen Problematiken wie Diskriminierung, Rassismus und Sexismus ankämpfen und trotzdem ein zufriedenes Leben führen?
Joy Denalane: (überlegt) Ich denke nicht, dass das trennbar ist. Es strahlt vielleicht nicht jeden Tag in den privaten Lebensbereich hinein. Je nach individueller Konstitution kann man es besser oder schlechter abschirmen. Wenn man als Beispiel Hanau – nicht George Floyd, darüber können wir aber auch gerne sprechen – nimmt: Hanau war greifbar nah, das hat mein persönliches Sicherheitsgefühl extrem angekratzt. Da habe ich auf einmal gemerkt, dass Leute wie ich, die augenscheinlich nicht in das Bild der Weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland passen, davon betroffen sind. Dadurch wird es ganz persönlich, man kann nicht einfach darüber hinwegsehen und diese Dinge mit einem Strahlen weglächeln.
MZEE.com: Es ist auch bezeichnend, dass Hanau eher den von Rassismus betroffenen Menschen sehr nahegegangen ist und die breite Bevölkerung erst vom Fall George Floyd so bestürzt war, weil dieser viral gegangen ist.
Joy Denalane: Es ist auf jeden Fall interessant, wie das im Verhältnis steht. Eine Geschichte, die im Ausland passiert ist, hat das getriggerte Gefühl noch mal potenziert. Sie ist natürlich grausam. Das ist überhaupt keine Frage und auch nicht verhandelbar. Die gefilmte Ermordung und die festgehaltene Grausamkeit, von der man sich nicht hat abwenden können und über die man nicht hinwegsehen konnte, haben maßgeblich dazu beigetragen. Das war ein Trigger, der durch die Bebilderung unglaublich potenziert wurde. Aber natürlich kann man sich fragen: Wieso hat ein tragisches Ereignis wie Hanau bei uns nicht das Potenzial, bei der Gesamtbevölkerung eine ähnliche Reaktion hervorzurufen?
MZEE.com: Eigentlich hätte es vor Hanau schon genug Potenzial dafür in Deutschland gegeben. Zum Beispiel den NSU und dessen bis heute nicht vollständige Aufklärung.
Joy Denalane: Ja, oder die Zustände beim KSK (Anm. d. Red.: Kommando Spezialkräfte) … Ich hoffe aber, ich habe deine ursprüngliche Frage beantwortet. Das Engagement oder das Sichgerademachen für etwas ist nicht von dem Gefühl zu trennen, das man abends mit nach Hause nimmt.
MZEE.com: Glaubst du, dass es so etwas wie vollkommene Zufriedenheit überhaupt gibt?
Joy Denalane: Das ist wie mit allen Emotionen. Egal, ob Glück, Zufriedenheit, Sicherheit oder Geborgenheit – all diese Gefühle sind so intensiv, weil es Momente sind. Das ist nichts, das man durchgehend erlebt. Ein Glücksgefühl ist ein Augenblick, den man als so erhebend empfindet, weil er kein Dauerzustand ist. Sondern im besten Fall ein wiederkehrender Moment, den man erkennt und aus dem man so Freude schöpfen kann. Wäre das Glück etwas Dauerhaftes, würde man es, glaube ich, nicht empfinden.
MZEE.com: Sowohl auf deinem neuen Album "Let Yourself Be Loved" als auch auf denen davor spielen deine Wurzeln und die Ursprünge deiner Musik eine große Rolle. Sind die Aufarbeitung und das Reflektieren deiner Geschichte für dich ein wichtiger Punkt beim Musikmachen?
Joy Denalane: Ja, klar. Das ist ein total tolles Instrumentarium – der Text an sich und auch die Musik. Sozusagen die Intensität oder Dynamik, die man bauen kann, um seinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu verleihen. Die Beschäftigung mit meiner Rolle in der Gesellschaft war für mich persönlich sehr wichtig. Deswegen hat sich das auch immer in die Auseinandersetzung in meinen Liedern übertragen.
MZEE.com: Es gibt auch immer Negatives, das einen prägt. Wie schaffst du es, schlechten Gefühlen keinen zu großen Platz in deinem Leben zu geben?
Joy Denalane: Bestimmte Dinge von meinem täglichen Lebensgefühl zu separieren, ist eine grundsätzliche Fähigkeit, die ich durchaus besitze. Das heißt aber nicht, dass diese Dinge nicht an anderer Stelle wieder herauskommen. Ich finde nicht, dass man alles in einem Fluss durch sich durchgehen lassen sollte, damit es wieder ausgespült wird. Es ist durchaus wichtig, dass man aus bestimmten negativen Erfahrungen oder Gefühlen, die man im Leben gesammelt hat, lernt und sie wertschätzt. Für mich ist es nicht interessant, immer alles durchzuwinken und zu sagen: "Ja, ist mir mal passiert. So war es halt. So war die Person. Das war keine gute Konstellation. Aber gut ist, weitermachen." Das ist einfach nicht meine Lebensausrichtung. Ich kann es mir aber schon gut gehen lassen, sehr viel Freude empfinden und aus den kleinen Dingen viel für mich ziehen. Und ich mag Menschen. Deswegen sieht man mich oft strahlend, wenn ich in einem Interview sitze oder Menschen begegne, die freundlich sind. Das finde ich immer bereichernd und schön und deswegen lache ich, glaube ich, für die Leute da draußen gefühlt so viel. (lacht)
MZEE.com: Hat das Genießen von Momenten manchmal etwas mit Verdrängung zu tun, weil man seinen Stress für einen Augenblick beiseiteschiebt?
Joy Denalane: Hm … Das weiß ich nicht so genau. Ja, vielleicht manchmal. Aber ich glaube nicht, dass es mein Prinzip ist, über alles, was negativ ist, bloß nicht nachzudenken. Eigentlich eher das Gegenteil. Ich gehöre zu den Menschen, die es nicht ertragen, so zu tun, als wäre immer alles in Ordnung. Ich werde förmlich ungenießbar, wenn ich das Gefühl habe, dass es eine ungeklärte Situation gibt und die gegenüberliegende Partei so tut, als gäbe es kein Problem. Elefanten im Raum kann ich nur schwer übersehen.
MZEE.com: Die Gesellschaft stellt vermutlich an wenige Rollen so einen hohen Anspruch wie an die einer Mutter. Schaffst du es, dich davon freizumachen und mit deiner Rolle als Mutter glücklich zu sein?
Joy Denalane: Ich glaube, ich konnte die Rolle der Mutter immer ganz gut ausfüllen, ohne mich wahnsinnig benachteiligt zu fühlen. Im traditionellen Sinne war ich ja gar nicht die klassische Mutter, weil ich immer gearbeitet habe. Egal, wie jung und klein meine Kinder waren. Ich habe das immer verbinden können. Auch weil ich das Privileg hatte, dass sich jemand gekümmert hat, wenn ich im Studio war oder auf der Bühne stand. Ich habe das gern gemacht und bin dem Beispiel meiner eigenen Mutter gefolgt, die immer sagte: "Man muss einfach versuchen, sich als Frau so zu verwirklichen, wie man es für richtig hält. Das kann in alle möglichen Richtungen gehen. Eigentlich ist alles erlaubt. Man muss natürlich immer eine gesunde Portion an Kritikfähigkeit auch in Bezug auf sich selbst beibehalten und nicht blind, ohne Rücksicht auf Verluste, durch die Welt gehen. Aber man soll genau darauf hören, was man aus seiner persönlichen Sicht braucht, um glücklich zu werden." Das fand ich so einen guten Rat! Dem bin ich wirklich mit blindem Vertrauen gefolgt. Und ich glaube, das war nicht unbedingt schlecht.
MZEE.com: Hattest du das Gefühl, von außen signalisiert zu bekommen, dass es nicht normal ist, dass eine Mutter ihre eigenen Ziele verfolgt?
Joy Denalane: Jein. Ich habe meine Kinder ja großteils in Berlin aufgezogen. Das zweite Kind ist schon in Berlin geboren, das erste noch in Stuttgart. Und in Baden-Württemberg fand ich es, zumindest vor 20 Jahren, interessant, wie anders die Rolle der Mutter bekleidet oder gesehen war. Zum Beispiel habe ich eine Betreuung gesucht, weil ich schon während der Schwangerschaft an meiner Platte "Mamani" gearbeitet habe. Dann kam mein Kind und ich wollte eigentlich schnell weiter daran arbeiten. Als mein Sohn vier Monate alt war, war ich wieder im Studio und habe angefangen, die Platte aufzunehmen. Es war nicht möglich, eine offizielle Tageseinrichtung zu finden. Es gab zwar Tagesmütter, aber keine Kinderkrippen – auch nicht, als mein Sohn schon ein Jahr alt war. Und die Einrichtungen, die es gab, waren nur bis zwölf Uhr mittags offen. Das kannte ich gar nicht. Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen und unsere Mutter hat jedes einzelne ihrer sechs Kinder nach sechs Wochen in den Kindergarten gebracht, um wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Ich bin, wie meine fünf Geschwister auch, ein sogenanntes Krippenkind. Wir sind im Kindergarten groß geworden und ich würde ganz fest behaupten, dass uns das nicht geschadet hat. Das war das Gefühl, mit dem ich aufwuchs. Ich hatte eine Mutter, die immer gearbeitet hat, voll berufstätig war und trotzdem war bei uns alle drei Jahre ein Baby da. In Berlin habe ich keine schiefen Blicke von Außenstehenden bekommen. Aber in Stuttgart hatte ich schon das Gefühl, man rümpft eher die Nase darüber, dass ich so früh an den Arbeitsplatz zurückgekehrt bin.
MZEE.com: Wollen Mütter immer öfter alles perfekt machen und einem bestimmten Bild entsprechen?
Joy Denalane: Ich würde jeder jungen Mutter empfehlen, auf ihre innere Stimme zu hören und dieser Platz zu geben. Nur, weil man an einem Punkt X mal etwas gesagt hat, muss man nicht daran festhalten, wenn man im Verlauf der Zeit spürt, dass man doch etwas anderes möchte. Das ist in Ordnung und legitim. Der Mensch ist eine weiche Masse, die sich die ganze Zeit entwickelt und sich den äußeren und inneren Umständen anpassen können muss. Das ist, glaube ich, wichtig. Prinzipienreiterei halte ich für gefährlich. Gerade, wenn man zum ersten Mal Mutter wird und mit vielen Vorsätzen an die Sache rangeht. Man sollte das so leben, wie man möchte. Wenn man irgendwann spürt, dass es sich nicht mehr richtig anfühlt, sollte man diesem Gefühl Raum geben und anfangen, darüber nachzudenken, wie man die Situation ändern kann. Und da zitiere ich wieder meine Mutter: "Man ist eigentlich nur dann wirklich in der Lage, viel Glück zu empfinden, wenn man seiner Vorstellung von sich selbst Raum gibt und ihr nachgeht." Manchmal sehe ich Leute, die sich quälen, weil sie sich an ihren eigenen Vorsätzen und Prinzipien abarbeiten. Aber wir und die Welt verändern uns stetig. Da wäre es doch ein bisschen viel verlangt, wenn man selbst da stehen bleibt, wo man irgendwann mal losging, während sich alles um einen herum verändert.
MZEE.com: Damit würde ich schon zu meiner letzten Frage kommen: Könntest du ohne Musik ein zufriedenes Leben führen?
Joy Denalane: Ich kann es mir nicht vorstellen. Ein Leben ohne Musik … Eine Welt ohne Kunst und Kultur ist eine weniger schöne.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Ulrike Rindermann)