"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Von Anfängen und Enden: "Ganz normaler Wahnsinn" war die erste Rap-Platte, die ich mir von meinem hart verdienten Taschengeld gekauft habe. Gleichzeitig war es das letzte Album, das Fabian Römer unter dem Namen F.R. veröffentlicht hat. Seitdem geht seine Musik eher in eine andere, poppigere Richtung. Auch deswegen hat die Platte eine besondere Bedeutung für mich, denn was danach kam, konnte ich nur noch bedingt feiern.
Ich finde es völlig nachvollziehbar und okay, wenn ein Künstler, der bereits vor dem Schulabschluss mehr Songs veröffentlicht hat als so manch anderer Rapper insgesamt, sich musikalisch weiterentwickelt und umorientiert. Nur konnte ich den Schritten von F.R. – dem Wunderkind, das schon als Teenager Touren gespielt hat – bis zur inhaltlichen und soundtechnischen Seichtheit des Fabian Römers nur noch sehr beschränkt folgen. Deswegen ist "Ganz normaler Wahnsinn" ein schöner Kompromiss, denn es geht in seinen Songs zwar schon in eine poppige Richtung, doch das Album kombiniert Bläser, Gesang und eben auch Rap, ohne in die belanglose Popschiene zu rutschen. Der Rapper, damals knapp über 20, beschäftigt sich auf seinen Tracks mit Themen, die mich als Jugendlicher auch umtrieben. Es dreht sich um Zukunftsängste oder sein Leben zwischen vorgeschriebenen Bahnen und Künstlerdasein. Im Gegensatz zu heute geht es aber ebenso um drastischere Themen, zum Beispiel auf "Russisch Chatroulette". Der Song über eine 13-Jährige und einen Pädophilen beschreibt mit einer realistischen Härte die Abgründe des Internets und ist damit nach wie vor ein geniales Storytelling-Meisterwerk.
Ja, das Leben geht weiter und alten Zeiten nachzutrauern bringt nichts. F.R. ist seinen Weg bekannterweise gegangen und macht heute andere Musik. Genau deswegen muss "Ganz normaler Wahnsinn" bei spontan aufkommenden Nostalgieschüben herhalten. Und dafür ist das Album perfekt. Hooks, die im Ohr bleiben, kraftvolle Beats, die nicht zu dick auftragen und ab und zu eine Portion Rap vom Genie himself.
(Jakob Zimmermann)