An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Wende mit der Frage, inwiefern die HipHop-Partei Die Urbane. eine glaubwürdige Alternative zu den etablierten Parteien darstellt.
Man schreibt das Jahr 2017. Es ist Winter in Berlin und während die etablierten Parteien im Bundestag in endlosen Diskussionen, Streitgesprächen und Anträgen ihren Teil zur Zukunft Deutschlands beitragen wollen, sitzt zur gleichen Zeit Raphael Hillebrand vor seinem Laptop in seiner Wohnung und will genau das Gleiche. Er ist HipHopper und sieht diese Kultur auch als Mittel zur gewaltfreien Konfliktlösung. Damit nicht genug, denn Hillebrand und seine Mitstreiter empfinden HipHop als globale Kultur, die für "Repräsentanz, Identifikation, Teilhabe, individuelle Selbstentfaltung, kreativen Wettstreit und machtkritische Perspektive" steht. Genug Argumente, um eine Partei zu gründen. Sie trägt den Namen Die Urbane. Nur eine Spinnerei oder doch eine ernst gemeinte Initiative?
HipHop als Mittel zur gewaltfreien Konfliktlösung klingt erst mal etwas romantisch, aber genau betrachtet geht es in einem Rapbattle ja darum. Konflikte werden mit Wörtern, Tanz, einem DJ-Set oder einer Wall gelöst und eben nicht mit physischer Gewalt. Diese Aspekte zu vermitteln und weiterzutragen, könnte ein sehr lohnendes Ziel sein. Im Kleinen mag dies funktionieren. Ob jedoch die großen Themen, etwa der Klimaschutz, die Sozial- oder Bildungspolitik, damit gelöst werden, ist mehr als fraglich. Hier geht es vermutlich eher um die Einstellung als die tatsächliche Aktion: ein Diskurs, eine Streiterei für eine akzeptable Lösung und dem zustimmen, was die überzeugenderen Argumente bietet. Dazu gehört dann auch, sich eine Niederlage einzugestehen oder besser noch, dem anderen für seine Leistung oder sein Argument zu gratulieren.
Betrachtet man die sinkenden Mitgliederzahlen der etablierten Parteien und eine zunehmende Parteienverdrossenheit, gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, so könnten die Urbanen genau diese Gruppen ansprechen. Einige engagieren sich außerparlamentarisch, ob bei Fridays for Future oder Extinction Rebellion, aber Gesetze werden halt immer noch im Bundestag beschlossen und um dabei mitzuwirken, braucht es eine Partei. Gerade weil die Urbanen aus einer Jugendkultur hervorgehen, die für Offenheit und ganz deutlich für Antirassismus steht, könnten weiterhin explizit diejenigen Bevölkerungsgruppen angesprochen werden, die von Ausgrenzung und Rassismus betroffen sind.
Weitere Argumente, die HipHop für politische Teilhabe und eine Partei liefert, nämlich "Repräsentanz, Identifikation, Teilhabe, individuelle Selbstentfaltung, kreativen Wettstreit und machtkritische Perspektive", könnten genau diejenigen sein, die wir gerade brauchen. Gegenwärtig erleben wir, auch bedingt durch die Covid-19-Pandemie, eine starke Zersplitterung der Gesellschaft. Und ich meine damit nicht nur die Schwurbler. Die wirtschaftlichen und damit auch die sozialen Folgen werden wir vermutlich erst in den kommenden Monaten oder vielleicht sogar Jahren spüren. Vielleicht bietet hier Die Urbane. mit ihren Idealen einigen Menschen eine politische Heimat, Mut zum Gestalten und Zukunftsaussichten.
Die Idee erscheint etwas pathetisch, ist es aber meines Erachtens nicht. Eine neue Partei, die für eine globale und verbindende Kultur steht, kann gerade gegenwärtig eine glaubwürdige Alternative sein. Diese Partei könnte mehr als nur ein frisches Lüftchen in der Parteienlandschaft werden. Die Urbane. ist mehr als ein Projekt und ja, bisher sind die Wahlerfolge übersichtlich und das Parteiprogramm ist in Teilen etwas idealisiert. Aber eine Partei kann in ihrer Gründungsphase nicht unbedingt sofort die Fünf-Prozent-Hürde knacken und an Gesetzen mitwirken. Jedoch ist gerade auf lokaler Ebene die politische Partizipation auch außerhalb von Parlamenten für kleinere Parteien möglich, bei Initiativen zum Beispiel für den Erhalt von Jugend- und Kulturzentren oder Demonstrationen gegen Rassismus. Die ersten Schritte sind bereits gegangen. So wirkten die Urbanen etwa bei der Demo zum Gedenken an die Opfer des rechten Terrors in Hanau mit und aktuell tritt Achim "Waseem" Seger in München für Die Urbane. bei der nächsten Kommunalwahl an. Als sich die Grünen gründeten, war das Gelächter groß. Vermutlich werden die Urbanen auch von der ein oder anderen Seite belächelt. Wer weiß, wie die folgenden Wahlen aussehen – die Entscheidung, ob Die Urbane. mehr als nur ein Projekt ist, trifft jeder für sich.
(Wende)
(Grafik von Daniel Fersch)