An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
In unserem aktuellen Kommentar beschäftigt sich unser Redakteur Christof mit zunehmendem Missmut gegenüber HipHop-Medien.
Kunst und Kultur finden nicht in luftleerem Raum statt – Kunst und Kultur spiegeln gesellschaftliche Verhältnisse wider. Lange Zeit haben sich viele HipHopper eingeredet, ihre Szene wäre irgendwie anders als sonstige Subkulturen: weltoffener, geistreicher, multikultureller, frei von Vorurteilen. Doch wenn man sich die Reaktion der breiten HipHop-Masse auf Kritik an Rappern ansieht, kommt man entweder auf den Boden der Tatsachen zurück oder ist blind gegenüber einem großen Problem.
Beispielhaft dafür ist die Auseinandersetzung zwischen Cashmo und Hiphop.de. Einige Medien und Blogger haben über diesen Fall berichtet. Fast all diese Berichte bieten eine offene Kommentarspalte, in der sich ein großes Grauen offenbart: Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Nationalismus. Diese Posts sind leider keine Einzelfälle mehr. In den Kommentaren sind unzählige Beleidigungen, Hetze und Morddrohungen gegen Toxik, den Chefredakteur von Hiphop.de, zu finden. Ebenfalls wird behauptet, dass deutsche HipHop-Medien mit der "Mainstream-Presse" zusammenhängen und gar mächtige Personen wie George Soros ihre Finger mit im Spiel hätten. Als Falk Schacht und Jule Wasabi über die Auseinandersetzung berichteten, wurden auch hier Beleidigungen und Drohungen gegen die Podcaster ausgesprochen. Ihnen wird unterstellt, dass ihre Sendung als Teil des öffentlichen Rundfunks ein Werkzeug der "links-grünen" Indoktrination wäre. Es gibt mittlerweile sogar eine Petition, die die Absetzung von Jule Wasabi fordert. Was das Ganze besonders brisant macht, ist die Zusammenstellung der Empörten: Nachdem ein reichweitenstarkes rechtes Magazin zum Shitstorm gegen Hiphop.de aufgerufen hatte, mischten sich HipHop-Fans und Rechtsextreme in den Kommentarspalten zusammen. In ihrer Ausdrucksweise und Art der Argumentation waren sie nicht wesentlich zu unterscheiden, höchstens noch durch ihre Profilbilder. Die einen mit New Era-Cap, die anderen mit den Reichsfarben schwarz, weiß, rot.
Man muss sich das vor Augen führen: HipHop-Medien, die kritisch über ein Musikvideo berichten, wird beispielsweise unterstellt, sie würden mit einem ungarischen, jüdischen Medien-Milliardär unter einer Decke stecken, um eine linke Agenda durchzudrücken. Wer so etwas schreibt, hat ein wahnhaftes Weltbild. Dass solche Posts nicht selten vorkommen und nicht wenige Likes bekommen, ist beängstigend. Dazu kommt, dass Rapper meist nicht einmal von allein auf die Idee kommen, dazu Stellung zu beziehen oder die Kommentare überhaupt zu moderieren. Erst wenn Medien kritisch berichten, passiert etwas. Nur wird das dann häufig nicht als Denkanstoß genutzt, sondern es folgt die Flucht in Abwehrhaltung und Opferrolle. "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" ist ein Motto, unter dem gerne Shitstorms gegen Medien geführt werden, bei denen gleichzeitig versucht wird, diese an ihrer Berichterstattung zu hindern. Dabei könnte es für Rapper sowie deren Fans ziemlich einfach sein: Wenn man nicht will, dass man als Teil eines "rechten Mobs" bezeichnet wird, dann sollte man aufhören, sich wie ein rechter Mob zu verhalten.
Was mir besonders auffällt und Sorgen bereitet, ist die nicht vorhandene Reflexion deutscher Rapper, die sich nach dem Erscheinen des Hiphop.de-Artikels mit Cashmo solidarisierten. Der Gedanke ist schon absurd: Ein Artikel erscheint, in dem ein Musikvideo kritisiert wird und Rapper fangen an, Solidaritätsbekundungen auszusprechen. Als gäbe es zwei Seiten und man müsse sich für eine entscheiden. Es wurden klare Linien auf den Boden gemalt: Hier stehen wir Rapper, dort steht ihr, die "Lügenpresse", dazwischen gibt es nichts. Sido twitterte zum Beispiel "#teamcashmo", andere Rapper taten es ihm gleich.
Ein "Wir gegen die"-Gedanke bestimmt das Geschehen. Dass ein einzelner Autor eine Einzelperson wegen bestimmter Dinge kritisiert, ist unvorstellbar. Es muss immer gleich um das große Ganze gehen. Anstatt dass man kritische HipHop-Medien wie die Freunde behandelt, die sie eigentlich sein sollten – denn wir sind zusammen Teil einer Szene –, werden "die Medien" als Teil eines Systems gesehen, das darauf ausgelegt ist, für Unterdrückung und "Gehirnwäsche" zu sorgen. Eine Ausnahme scheinen Rapper und Fans bei HipHop-Boulevardmedien zu machen, die sich kaum kritisch äußern und oft auch für ihre Kumpelei bekannt sind. Damit wird innerhalb der Szene ein Bild von den Medien gezeichnet, das auch außerhalb von Verschwörungstheoretikern und Rechten benutzt wird. Die Energie, die aufgewendet wurde, um ihm zu schaden, sei besser aufgehoben, wenn man sie in den Kampf gegen Nazis steckt, sagte Toxik in einem Statement. Das ist ein Satz, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Denn ich sehe im Moment das genaue Gegenteil passieren.
Es bleibt die Frage: Woher kommt das? Meines Erachtens liegt es nicht bloß daran, dass Rapper keine Kritik vertragen und dann überschnappen. Ich denke, es zeigt sich hier ein größeres gesellschaftliches Problem, das sich auch innerhalb der HipHop-Szene finden lässt. Wenn ökonomische Unsicherheiten zunehmen, verschärfen sich ideologische Unstimmigkeiten und es entstehen zunehmend Konflikte, die dann auch Einzug in Kunst und Kultur halten. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass HipHopper in erster Linie Menschen sind, die selbstverständlich auch am restlichen Leben der Gesellschaft teilnehmen. Die Hiphop.de-Redaktion sagt, dass Cashmo ein Publikum anzieht, das wir im HipHop nicht haben wollen. Ich hingegen bin der Ansicht, dass der gesamte Fall ein Verhalten offenlegt, das wir im HipHop lange nicht wahrhaben wollten.
(Christof Mager)
(Grafik von Daniel Fersch)