"Ach, die rappen doch eh alle nur über teure Klunker, schnelle Autos oder Sex." – Sätze wie diese hört man häufig, wenn man sich mit Menschen unterhält, die sich weniger intensiv mit deutschem Rap auseinandersetzen. Und wer will es ihnen übel nehmen? Hat doch die Szene über Jahre hinweg dafür gesorgt, dass ein solches Klischee entsteht. Viele der erfolgreichsten Tracks der vergangenen Jahre sind geprägt von oberflächlichen und materialistischen Lyrics, wodurch sich das Bild des emotionslosen, meist hypermaskulinen Künstlers in den Köpfen gefestigt hat. Aber wie das eben so ist mit Klischees, bilden sie meist nicht die ganze Wahrheit ab. Rap mit Tiefgang existiert nämlich durchaus, er ist einfach nur nicht so omnipräsent im Mainstream. Einer, der nicht ausschließlich mit Statussymbolen prahlen muss, um seine Texte mit Inhalt zu füllen, ist Savvy. Der Newcomer überzeugt vor allem durch reflektierte und authentische Texte, die dem Hörer tiefe Einblicke in sein Seelenleben gewähren. Er hat keine Probleme damit, Emotionen zuzulassen und Gefühle sind für ihn kein Zeichen von Schwäche. Grund genug, um uns mit dem Berliner über den Stellenwert und die Bedeutung von Selbstreflexion zu unterhalten. Außerdem verrät er uns, was es braucht, um in der Rapwelt auf dem Boden zu bleiben und wie seine nachdenkliche und zugleich ehrliche Art seinen Schreibprozess beeinflusst.
MZEE.com: Vereinfacht gesagt bedeutet Selbstreflexion, über sich selbst nachzudenken. Mit dem Ziel, sein Denken, Fühlen und Handeln zu analysieren oder zu hinterfragen, um mehr über sich selbst herauszufinden. Bist du ein reflektierter Mensch?
Savvy: Ich glaube schon. Selbstreflexion ist ein Prozess, den man erlernen muss. Dafür braucht es aber eine Phase, in der man nicht so reflektiert ist. So war es auch bei mir. In meiner Jugend war ich – wie viele andere – eher unreflektiert. Mit der Zeit habe ich aber mehr über meine Taten und mich selbst nachgedacht. Ich hatte dabei den Anspruch, auf einen Nenner zu kommen, der zu Selbstzufriedenheit führt und etwas nach außen trägt. Wenn man Sachen reflektiert, kann man viel mehr nach außen wiedergeben und so in seiner Musik Erkenntnisse weitertragen. Ich glaube, mittlerweile habe ich gelernt, zu reflektieren oder bin gerade in dem Prozess.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass man diesen Prozess irgendwann abschließt?
Savvy: Das glaube ich nicht, nein. Deswegen bin ich vielleicht auch eher ein reflektierender Mensch und kein reflektierter. Reflexion und Selbstreflexion sind meiner Meinung nach Prozesse, die sich durch das ganze Leben ziehen. Wenn man das erlernen kann, bringt man sich selbst weiter. Deswegen ist das meines Erachtens nach ein Prozess, der nicht aufhört oder nicht aufhören sollte.
MZEE.com: Woran erkennst du einen reflektierten Menschen?
Savvy: Ich weiß gar nicht, ob man das von außen erkennen kann. Ich denke aber, dass ein Merkmal die Aufmerksamkeit des Gegenübers während eines Gesprächs ist. Ich denke, reflektierte Menschen sind nicht unbedingt diejenigen, die viel reden. Man kann das aber nicht verallgemeinern. Ich weiß nicht, ob es genaue Merkmale gibt. Dadurch, dass Reflexion ein fortlaufender Prozess ist, erlernt man Eigenschaften, die einen dazu bringen, reflektiert zu denken oder reflektiert zu sein. Das muss jeder für sich selbst erkennen.
MZEE.com: Warum findest du es wichtig, sich zu hinterfragen?
Savvy: Für mich ist es sehr wichtig, um in meinem Kopf Klarheit zu schaffen und mich nicht zu sehr in Sachen zu verbeißen. Beispielsweise hilft es mir bei Fehlern, die ich gemacht habe, nicht vorschnell zu handeln und meine Emotionen zu bändigen. Angenommen, man hat einen Konflikt und schafft es nicht, diesen zu reflektieren: Dann kann es sein, dass man ihn nicht lösen kann und am Ende unzufrieden bleibt – daran kann ganz viel kaputt gehen. Wenn man sich jedoch die Zeit nimmt, Dinge zu reflektieren, kommt man viel näher an einen Punkt, der zu einem schöneren Resultat führt.
MZEE.com: Kann es irgendwann ungesund werden, zu viel über sich selbst nachzudenken?
Savvy: Ja, auf jeden Fall. Selbstreflexion ist keine Sache, auf die man sich die ganze Zeit konzentrieren sollte. Ab einem gewissen Punkt passiert das von alleine. Es ist nichts, das man erzwingen kann. Es entwickelt sich aus dem, was man erlebt. Ich hatte auch eine Zeit, in der ich viel zu viel über Sachen nachgedacht habe. Das kann sehr ungesund sein. In meinem engeren Familienkreis gibt es eine Person, die mit einer Depression zu kämpfen hat. Bei ihr liegt das unter anderem daran, dass sie sehr viel nachdenkt und bestimmte Sachen nicht mehr so wahrnehmen kann, wie sie vielleicht sind und sich zu sehr darin verbeißt. Man muss einen Abstand herstellen können, sonst kann es ungesund werden.
MZEE.com: Manchmal kann es hilfreich sein, sich bei Rückschlägen eine Meinung von außen zu holen, weil man in seiner subjektiven Sichtweise gefangen ist.
Savvy: Voll! Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Selbstreflexion hat viel damit zu tun, sich von anderen betrachten zu lassen, eine Meinung einzuholen und sich zu besprechen, um daraus seine Erkenntnis zu ziehen. Selbstreflexion hat deswegen tatsächlich nicht nur etwas mit einem selbst zu tun. Das, was man von außen an Meinung und Input bekommt, spielt ebenfalls eine Rolle.
MZEE.com: Wir haben dir folgendes Zitat der Autorin Ruth Seliger mitgebracht: "Selbstreflexion ist ein besonderes Kunststück. Man muss, wie in der Muppet Show, auf der Bühne stehen und singen und zugleich am Balkon sitzen und sich selbst dabei zusehen." – Was denkst du über diese Aussage?
Savvy: Da ist auf jeden Fall was dran. Dieses Bild, dass man auf einer Bühne steht, sein Ding macht und sich von außen betrachtet, kann auf die Musik bezogen gefährlich werden, da man sich keine Gedanken darüber machen sollte, wie die Show aussieht. Das Wichtige ist, dass man sich in der Musik erkennt. Dafür muss man ungefähr wissen, wo man hin will und wer man ist. Das Zitat bestätigt das. Man muss sich selbst beobachten und gleichzeitig das tun, was man für richtig hält, um dann abzuwägen, ob das richtig oder falsch war. Man muss das aber nicht so kritisch sehen, es gibt nicht nur die beiden Extreme.
MZEE.com: Auf deiner EP "35mm" stellst du auf sehr ehrliche und authentische Art deine Lebensrealität dar. Es wirkt teilweise fast so, als würde man einen Auszug aus deinem Tagebuch vorgelegt bekommen. Passiert das in deinem Schreibprozess automatisch?
Savvy: Ja, tatsächlich schon. Ich mache mir konzeptionell niemals wirklich Gedanken über Tracks. Meistens höre ich ein Instrumental von den Jungs und steige dann auf den Vibe ein. Meine Musik ist ein Teil meiner Selbstreflexion. Ich reflektiere in meiner Musik viel darüber, was bei mir los ist. Es ist ganz schön, wie du das mit dem Auszug aus meinem Tagebuch formuliert hast, weil meine Musik das auch eigentlich ist. Natürlich gibt es Tracks, die anders entstehen. Die Songs, die mir am Herzen liegen, sind jedoch meistens genau die, die einfach erzählen, was bei mir gerade passiert. Im Alter von 19 bis 23 ist viel Wegweisendes bei mir vorgefallen. Da fließt ganz viel aus der Realität mit ein.
MZEE.com: Generell fällt die Ehrlichkeit in deinen Texten auf. Wie war das am Anfang für dich? Ist es dir schwergefallen, die Karten auf den Tisch zu legen?
Savvy: Schwergefallen ist es mir nicht, weil das genau der Grund war, weswegen ich angefangen habe. Ich hab' das für mich als Mittel entdeckt, um mir über gewisse Sachen klar zu werden und Ansichten zu teilen. Anfangs war es nur ein Sprachrohr für mich, das ich aber beibehalten habe, weil ich gemerkt habe, dass viele Leute etwas damit anfangen können. Manchen fällt es, glaube ich, nicht so leicht, sich bestimmten Dingen zu stellen. Wenn meine Musik diesen Menschen hilft, ist das natürlich eine schöne Sache. In erster Linie ist das allerdings etwas, das ich für mich mache.
MZEE.com: Im Track "Vogelperspektive" zeigst du dem Hörer deinen Blick auf eine Szene, in der "jeder lieber blind und taub aus Angst vor Emotionen" ist. Wie stellst du sicher, dass das bei dir nicht der Fall ist?
Savvy: Ich glaube, dass ich früher Angst vor Emotionen hatte – nur eben nicht davor, mich darüber auszudrücken. Manchmal hatte ich aber Angst davor, mich abseits der Musik damit zu beschäftigen, das zuzulassen und mir darüber Gedanken zu machen. Mittlerweile habe ich gelernt, Emotionen zuzulassen und als gute und schöne Sache zu empfinden. Gefühle zu zeigen, wird immer wieder als schwach empfunden, auch in der Rapwelt. Ich denke, wenn man sich traut, Schwäche zu zeigen, ist man nicht angreifbar und verliert die Hemmung davor, sich so mitzuteilen, wie man fühlt. Ich habe keine Angst mehr vor Emotionen, weil ich gecheckt habe, dass mich das nur aufhält. Das ist etwas, das ich auch nach außen tragen möchte und sehr wichtig finde. Man sollte aufgrund seiner Emotionen nicht die Befürchtung haben, bewertet zu werden und sie einfach zulassen, weil man viel über sich lernen kann.
MZEE.com: Was braucht es, um in der Rapwelt auf dem Boden zu bleiben?
Savvy: Ich glaube, man muss die richtigen Leute um sich haben, Kritik zulassen und sich selber treu bleiben. Man sollte nicht mit dem Anspruch da rangehen, unbedingt ein Riesen-Star zu werden. Es ist wichtig, sein Ding zu machen und Menschen um sich zu haben, die einen auf dem Boden halten. Sowas braucht man. Bei mir persönlich sehe ich schon die Gefahr, dass es schwer für mich werden könnte, damit umzugehen, falls das alles mal groß wird. Nicht in der Hinsicht, dass ich abheben würde, sondern eher, dass ich mit der Aufmerksamkeit nicht so gut klarkomme. Deswegen ist es wichtig, sich mit ehrlichen Leuten zu umgeben. Die habe ich gefunden und dafür bin ich sehr dankbar. Ich versuche auch, diesen Kreis so klein wie möglich zu halten. Das ist mein Rezept dafür, das bis jetzt ganz gut funktioniert.
MZEE.com: Hast du Angst davor, dass du mit deiner Musik irgendwann so erfolgreich bist, dass du dich mit solchen Problemen auseinandersetzen musst?
Savvy: Angst davor habe ich nicht. Im Gegenteil: Ich würde mich natürlich freuen, wenn sich das Ganze weiterhin positiv entwickelt und bin gespannt darauf, was passiert und sich verändert. Es gibt immer einen Weg. Momentan macht es Spaß und das wird es auch weiterhin machen. Mein Anspruch ist nicht, berühmt und reich dadurch zu werden. Natürlich wäre es schön, wenn man davon das Brot auf den Tisch bringen kann. Aber wenn nicht, dann hat es bis dahin Spaß gemacht.
MZEE.com: Lass uns allgemein über den Stellenwert von selbstreflektierter Musik in der Szene reden. Ist es deiner Ansicht nach möglich, Erfolg auf der einen Seite und reflektiertes Handeln auf der anderen unter einen Hut zu bringen?
Savvy: Ich denke schon. Angesichts der aktuellen Lage im deutschen Rap ist jetzt vielleicht noch nicht der Zeitpunkt dafür. So wie ich das beobachte, will besonders die Generation, die nachrückt – und die Hörer sind nun mal immer ein bisschen jünger – wieder Musik, mit der sie sich auseinandersetzen kann und die ihr etwas gibt. Wenn ich generell den deutschen Untergrund betrachte, sehe ich viele Künstler, bei denen es wieder mehr darum geht, was von Herzen kommt. Das kann sich natürlich ändern. Daher wird es auch Leute geben, die sich für einen anderen Weg entscheiden. Aber man sieht ja, dass es funktionieren kann. Das hat lange nicht mehr im deutschen Rap stattgefunden, aber ich denke, dass es mal wieder Zeit dafür sein könnte.
MZEE.com: In den Charts findet sich oft Musik, die die Frage aufkommen lässt, ob sich die Künstler keine kritischen Gedanken darüber machen, was sie in ihrer Musik thematisieren.
Savvy: Auf jeden Fall. Ich sehe das ebenfalls sehr kritisch. Man sieht, dass die Masse den Hype, den Mainstream und die Popmusik ausmacht. Meiner Meinung nach ist Rap zu Popmusik geworden. Es ist einfach populär. Was die Streamingzahlen und den Erfolg betrifft, gibt Rap in Deutschland den Ton an. Leider ist es so, dass der Erfolg oft damit zusammenhängt, dass polarisiert wird. Sexismus, Gewalt, Drogen und falsche Wertvorstellungen sind die Inhalte, die mitgegeben werden. Ich finde das falsch und sympathisiere nicht mit solchen Künstlern. Ich würde mir wünschen, dass auch wichtigere und tiefgründigere Themen in der breiten Masse funktionieren. Aber natürlich kann Rap auch nicht nur ernst sein. Deswegen ist jedem, der ehrlich dafür arbeitet, sein Erfolg auch gegönnt.
MZEE.com: Zum Abschluss: In einem Interview bei DIFFUS hast du gesagt, dass du vor drei Jahren angefangen hast, alles ernster zu nehmen. Was hast du seitdem über dich selbst herausgefunden?
Savvy: Vor allem habe ich herausgefunden, was ich als meinen Weg sehe. Ich habe vorher eine Ausbildung im Medienbereich gemacht und dort auch als Selbstständiger gearbeitet. Das Musikding habe ich nebenbei gemacht, bis es eine immer größere Rolle gespielt hat. Als ich mich dazu entschieden habe, das ernster zu nehmen, ist alles andere weggefallen und nur die Musik stand im Vordergrund. Das hat aber auch viele Probleme mit sich gebracht und wegweisende Entscheidungen gefordert. Da hab' ich sehr viel über mich gelernt: was mir wichtig ist, dass im Endeffekt alles möglich und kein Versuch verschwendet ist und man sich Sachen trauen sollte. Egal, ob es um Selbstreflexion geht oder darum, Emotionen zu akzeptieren. Es ist wichtig, Freiheit zuzulassen und zu erkennen, dass Freiheit nicht bedeutet, alles tun zu können, was man möchte. Sie bedeutet eher, dass man sich durch die Sachen, die man nicht ändern kann, nicht einschränken lässt und seinen Fokus richtig legt.
(Thomas Linder & Sicko)
(Fotos von Akutphoto)