"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wenn Künstler sich aus der Szene zurückziehen, bekomme ich das nicht immer mit. Anders war es bei Herr von Grau. Als Benny und Kraatz bekannt gaben, dass sie keine Musik mehr zusammen machen werden, war ich ziemlich entrüstet. Nicht zuletzt, weil mich gerade das Album "Heldenplätze" enorm mitgerissen hat.
Schon die Beats sind durch ihren ausgefallenen Sound für mich etwas ganz Besonderes. Ich liebe die meist scheppernden Drums, zu denen sich eine breite Palette an anderen Instrumenten gesellt, die ab und an mit Distortionseffekten versehen sind. Neben jazzigen Samples kommen schräge Synthies, teilweise verstimmt klingende Bläser sowie Aufnahmen von Geräuschen wie Regen zum Einsatz. Durch diesen Mix liefern die Instrumentals immer den passenden Background für die Tracks. Aber nicht nur die Beats sind speziell, sondern auch Bennys vielfältige Lyrics. Durch die vielen Wortspiele, seinen eingängigen Flow und seine prägnante Stimme bohren sich die Worte auf eine positive Art nahezu in meinen Kopf hinein. Vor allem beim Song "Nicht jeder" bin ich fasziniert, wie versiert Benny textlich und ideentechnisch ist. Er verweist in dem Track gekonnt auf die Komplexität unserer Sprache, denn "nicht jedes Wesen ist auch automatisch verwest". Die meisten Songs auf der Platte sind einfallsreiche Storyteller, die auch mal außergewöhnlichere Themen wie Phobien behandeln. Bei diesen gefällt mir vor allem die Spannung innerhalb der Tracks, die durch das Zusammenspiel von Instrumentals und tiefschürfenden Lyrics entsteht. Das erzeugt beim Hören Bilder in meinem Kopf, die wie kleine Filme ablaufen. Besonders stark ist dieses Feeling beim erzählerischen Track "Herbst". Für mich gibt es bis heute keinen Song, der das Gefühl von Melancholie derart passend abbildet.
"Heldenplätze" ist ein Album, das durch seine eigensinnige Machart überzeugt. Ich mag die Mischung aus Normalität und kuriosen Geschichten in den Lyrics, die mit viel Liebe zum Detail gespickt sind. Deshalb ist auch elf Jahre später so mancher Titel immer noch in meiner Playlist.
(Dzermana Schönhaber)