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Interview

sadi. – ein Gespräch über Kunstfreiheit

"Es geht immer dar­um, wie man es macht. Wenn gegen Men­schen gehetzt wird, dann ist es für mich ganz schlimm und kei­ne Kunst mehr." – sadi. im Inter­view unter ande­rem über den Sinn von Kunst­frei­heit, die Paralel­len zur Mei­nungs­frei­heit und Verbote.

Frau­en­feind­lich­keit, Ver­herr­li­chung von Dro­gen und das Ver­brei­ten von Ver­schwö­rungs­theo­rien pas­siert in der deut­schen Rap­sze­ne lei­der viel zu häu­fig. Eine The­ma­ti­sie­rung oder kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung fin­det sel­ten statt und wenn, dann wird oft mit Kunst­frei­heit argu­men­tiert. Außer­dem insze­nie­ren sich Rap­per oft als Kunst­fi­gur, um eine Distanz zwi­schen rea­ler Per­son und ihrer Kunst her­zu­stel­len und ver­su­chen sich damit ein Stück weit aus der Ver­ant­wor­tung zu zie­hen. Wo ver­läuft die Gren­ze zwi­schen dem, was man mit Kunst­frei­heit oder Image recht­fer­ti­gen kann und was nicht? Der Rap­per sadi. ver­fasst authen­ti­sche und per­sön­li­che Tex­te, die den Künst­ler nah­bar machen. Dadurch fällt die Tren­nung zwi­schen Kunst­fi­gur und rea­ler Per­son beson­ders schwer. Außer­dem setzt er sich in sei­ner Musik mit phi­lo­so­phi­schen und gesell­schaft­li­chen The­men aus­ein­an­der. Auf dem Song "Mee­se" rappt der Ber­li­ner: "Doch mei­ner Krea­ti­vi­tät sind kei­ne Gren­zen gesetzt, noch nicht ein­mal in der schlimms­ten Gefäng­nis­zel­le der Welt." – Wenn jeman­dem sei­ne künst­le­ri­sche Aus­drucks­form so viel bedeu­tet, dass man sie nicht ein­mal in Gefan­gen­schaft ein­schrän­ken wol­len wür­de, dann hat der­je­ni­ge mit Sicher­heit auch ein eige­nes Ver­ständ­nis von Kunst­frei­heit. Woher rührt die­se Betrach­tungs­wei­se? Wir haben sadi. zum Gespräch gebe­ten, um das her­aus­zu­fin­den. Außer­dem ging es um die Bedeu­tung von Kunst­frei­heit im Hip­Hop, sei­ne Mei­nung zu Ver­bo­ten und unter­schied­li­che Her­an­ge­hens­wei­sen an Kunst.

MZEE​.com: Auf dei­nem Album "Mint­gold" fin­det sich der Song "Mee­se" mit PTK und Her­zog. Der Künst­ler Jona­than Mee­se ist auf­grund sei­ner Insze­nie­run­gen von Hit­ler in Per­for­man­ces und Hakenkreuz-​Symbolik in sei­nen Kunst­wer­ken umstrit­ten. Wo ziehst du für dich per­sön­lich die Gren­ze: Was darf Kunst und was nicht?

sadi.: Es ist für mich größ­ten­teils eine Geschmacks­fra­ge. Wenn es ein­fach nur ein Angriff ist und nicht die Absicht hat, sich mit dem The­ma aus­ein­an­der­zu­set­zen, ist es für mich nicht als Kunst zu erken­nen. Das ist geschmack­los und bescheu­ert. Da den­ke ich an jeman­den wie Chris Ares, der auf­grund der aktu­el­len Ras­sis­mus­de­bat­te ab und zu genannt wird und lei­der zu viel Auf­merk­sam­keit bekommt. Ich habe Zei­len von dem gele­sen und das ist für mich kei­ne Kunst, son­dern grenzt an Het­ze. Da fin­de ich es fast schon legi­tim, so etwas zu ver­bie­ten. Wobei ich grund­sätz­lich kein Freund von Ver­bo­ten bin, weil ich mir den­ke, dass sich sol­che Leu­te selbst ins Bein schie­ßen. Ich hof­fe, dass die Gesell­schaft sowas regelt, aber es ist gefähr­lich, weil vie­le sol­chen Men­schen blind fol­gen und sei­ne Zei­len einen nega­ti­ven Ein­fluss haben. Das ist sehr grenz­wer­tig und grund­sätz­lich ein schwe­res The­ma. Bei sowas hört es bei mir auf jeden Fall auf.

MZEE​.com: Was hältst du von Jona­than Meese?

sadi.: Ich fin­de es span­nend, wie er an Kunst her­an­geht. Des­we­gen haben wir in dem Song "Mee­se" ein Zitat von ihm in der Hook gesam­plet: "Machen, machen, machen." Er geht ohne Gren­zen im Kopf an Sachen ran – wie ein Kind. Das macht es inter­es­sant, weil man nie weiß, was als Nächs­tes kommt. Nicht nach­zu­den­ken, son­dern ein­fach raus­spru­deln zu las­sen, hat mich inspi­riert. Wenn du zu viel nach­denkst, schränkst du dich ein. Mee­se ist eine kurio­se Gestalt. Der malt in sei­nem Ate­lier Bil­der und sei­ne Mut­ter läuft da als Muse her­um. Er ist ein Para­dies­vo­gel. Natür­lich macht er auch vie­le Sachen, die nicht cool sind. Ich muss nicht alles davon mögen. Aber er ist eine wich­ti­ge Per­sön­lich­keit im Kunst­be­reich. Viel­leicht soll­ten sich Leu­te von sei­ner Her­an­ge­hens­wei­se an Kunst inspi­rie­ren las­sen. Das haben eini­ge Künst­ler im deutsch­spra­chi­gen Bereich auch gut gemacht, zum Bei­spiel Yung Hurn. Vie­les von dem fin­de ich ganz span­nend, obwohl das nichts mit der Musik zu tun hat, die ich selbst mache. Sei­ne Arbeit ist für mich ästhe­tisch und des­halb ist sie auch als Kunst anzu­se­hen. Man soll­te sich frei­er und locke­rer machen und nicht alles streng und ver­kopft sehen, son­dern intui­tiv ran­ge­hen. Das ist mein Ver­ständ­nis von Kunst. Dann kom­men die unter­be­wuss­ten Sachen zum Vor­schein. Man muss nicht alles, was man raus­spru­deln lässt, der Öffent­lich­keit zugäng­lich machen. Ich schrei­be 20 Songs, von denen ich sie­ben nie­mals raus­brin­gen wer­de. Es ist trotz­dem gut, dass ich die geschrie­ben hab', weil es ein Pro­zess ist.

MZEE​.com: Da ist man selbst eine wich­ti­ge Instanz. Sobald man die Musik der Öffent­lich­keit zugäng­lich macht, muss man dahin­ter­ste­hen und auch dafür gera­de­ste­hen, wenn sie jemand kritisiert.

sadi.: Es gibt genug Artists, die Musik her­aus­ge­bracht haben, die sie heu­te nicht mehr raus­brin­gen wür­den oder für die sie sich im Nach­hin­ein schämen.

MZEE​.com: Wie siehst du es, wenn Künst­ler in ihrer Musik das N-​Wort verwenden?

sadi.: Das fin­de ich über­haupt nicht ver­tret­bar. Damals hab' ich das noch anders gese­hen, wie vie­le ande­re auch. Ich den­ke da zum Bei­spiel an alte Savas-​Tracks. Dadurch, dass er bei West­ber­lin Mas­ku­lin mit Taktloss zusam­men war, hat man das in einem ganz ande­ren Kon­text ver­stan­den und nie als einen Angriff gese­hen. Man hat ihm abge­nom­men, dass er damit auf­ge­wach­sen sei und nicht die Weit­sicht hät­te, dass er damit jeman­den angreift. Wenn jemand die­ses Wort heu­te sagt, muss man dem unter­stel­len, dass er ein tota­ler Voll­idi­ot ist und den Schuss nicht gehört hat oder even­tu­ell ras­sis­ti­sche Ten­den­zen ver­tritt. Das ist kom­plett dane­ben, weil es Men­schen extrem ver­letzt. Wenn Peo­p­le of Color oder Schwar­ze das Wort benut­zen oder sagen, fin­de ich das per­sön­lich auch nicht mehr so nice, aber da kann ich nicht mit­re­den. Ich höre sehr viel Rap aus den Staa­ten und da ist das üblich. Es gibt dort auch Rap­per, denen man ihren far­bi­gen Back­ground nicht so direkt ansieht. Die benut­zen das Wort, wer­den aber trotz­dem tole­riert, weil sie so auf­ge­wach­sen sind und mit Schwar­zen chil­len. Ich den­ke da an Lil Pump. Er ist, glau­be ich, ein Lati­no, aber ich weiß es nicht genau. Grund­sätz­lich ist es mei­ner Mei­nung nach nicht richtig.

MZEE​.com: Was ist für dich der Sinn von Kunstfreiheit?

sadi.: Für mich ist Kunst immer gesell­schafts­kri­tisch, so gehe ich an mei­ne Musik her­an. Selbst wenn man nur schil­dert, was man beob­ach­tet, spie­gelt das die Gesell­schaft wider. Auch Sachen, die kom­plett über­zo­gen sind, wie zum Bei­spiel von K.I.Z. Sie machen damit auf Pro­ble­me auf­merk­sam. Das fin­de ich inter­es­sant und das hat für mich einen Mehr­wert. Aller­dings ent­schei­de ich nicht dar­über, was Kunst ist und was nicht. Das ist ja total sub­jek­tiv. Es gibt dafür kei­ne Regel. Aber da ich mich schon mein gan­zes Leben mit Kunst in jeg­li­chen For­men und Far­ben beschäf­ti­ge, gibt es für mich zwei Punk­te. Zum einen hat Kunst eine Berech­ti­gung, wenn sie eine Dis­kus­si­on über etwas anstößt. Zum ande­ren ist mir Ästhe­tik sehr wich­tig. Es muss gut gemacht und schön sein.

MZEE​.com: Dadurch, dass etwas in der Kunst zum Nach­den­ken anre­gen soll, zum Bei­spiel durch eine über­spitz­te Dar­stel­lung, wer­den vie­le Sachen legi­ti­miert, die außer­halb der Kunst nicht legi­ti­miert wer­den. Man soll­te auch den Kon­text miteinbeziehen.

sadi.: Wenn man es so sagt, muss man auch dar­über nach­den­ken, ob jemand durch bemit­lei­dens­wer­te Umstän­de so sozia­li­siert wur­de, dass er extrem rechts ist – bei­spiels­wei­se ein Chris Ares – und das in sei­ner Musik eigent­lich nur schil­dert. Es geht immer dar­um, wie man es macht. Wenn gegen Men­schen gehetzt wird, dann ist es für mich ganz schlimm und kei­ne Kunst mehr. Wenn es aber jemand ist, der aus sei­ner Per­spek­ti­ve berich­tet und vie­le sehen und mer­ken, wie bescheu­ert das ist, dann ist es anders. Damit zeigt man, dass es so etwas auch gibt. Wenn man das ver­bie­ten wür­de, wür­de man das nicht wahr­neh­men. Wenn man etwas nicht sieht und es trotz­dem statt­fin­det, fin­de ich das fast noch gefähr­li­cher. Ich bin total gegen Ver­bo­te. Wür­de man mich fra­gen, ob ich Dro­gen ver­bie­ten wür­de, wür­de ich das ver­nei­nen. Es gibt kei­ne ein­zi­ge Dro­ge, die ich ver­bie­ten wol­len wür­de. Ich wün­sche mir, dass das Sys­tem, in dem wir leben, die Wur­zel erkennt. Wenn man mehr in Sachen Auf­klä­rung leis­ten wür­de, hät­te es kei­ne nega­ti­ven Kon­se­quen­zen, wenn alles frei zugäng­lich wäre.

MZEE​.com: Ver­bo­te machen es auch reizvoller.

sadi.: Wenn etwas offen gezeigt wird, kann man dage­gen vor­ge­hen, indem man die Ursa­chen bekämpft. Man macht es sicht­bar, wenn Men­schen Din­ge tun, die gar nicht klar­ge­hen. Das ist ein kom­ple­xes und sen­si­bles The­ma. Da muss ich auch gera­de vor­sich­tig sein, was ich sage. Man hat eine Mei­nung und weiß, was man kom­plett schei­ße fin­det. Aber wenn man das ver­bie­ten wür­de, müss­te man schau­en, was noch dar­un­ter fällt und sich fra­gen, ob man das dann auch ver­bie­ten müss­te. Die Kon­se­quenz wäre kon­trol­lier­te und über­wach­te Kunst, die dann viel­leicht gar kei­ne Kunst mehr ist, weil sie nicht anecken darf.

MZEE​.com: Wür­dest du sagen, dass Kunst­frei­heit das­sel­be ist wie Meinungsfreiheit?

sadi.: Das ist eine gute Frage.

MZEE​.com: Wo lie­gen in dei­nen Augen die Unterschiede?

sadi.: Du kannst eine Mei­nung haben und sie äußern. Kunst muss noch eine zusätz­li­che Fines­se haben. Es ist wich­tig, dass sich jeder so aus­drü­cken kann, wie er es für sinn­voll hält. Eine Mei­nung an sich ist zwar noch kei­ne Kunst – wenn man es aller­dings schafft, ein gewis­ses Gefühl zu ver­mit­teln, geht es in die Rich­tung. Kunst ist für mich immer ein Gefühl. Wenn ich an Songs ran­ge­he oder ein Bild male, möch­te ich ein Gefühl fest­hal­ten. Wenn man da etwas ver­bie­tet, wür­de man beim Tex­te­schrei­ben dar­über nach­den­ken, ob man etwas so sagen darf. Dadurch geht ganz viel ver­lo­ren, was ich unter Kunst verstehe.

MZEE​.com: Gilt im Rap für dich eine ande­re Kunst­frei­heit als bei­spiels­wei­se in der Male­rei? Im Batt­ler­ap darf man zum Bei­spiel Leu­te beleidigen.

sadi.: Ich bin auf jeden Fall ein Fan von Batt­ler­ap und ver­fol­ge das. Wenn man den Rah­men nutzt, um sei­nem Hass frei­en Lauf zu las­sen, weil alles unter dem Deck­man­tel der Kunst gerecht­fer­tigt wird, fin­de ich das schwie­rig. Mer­ke ich aber, dass jemand sich total den Kopf gemacht hat, das in einer Sto­ry ver­packt und einem bewusst ist, dass der­je­ni­ge kein homo­pho­ber Mensch oder aus­län­der­feind­lich ist, ist es für mich noch ver­tret­bar. Es gibt sehr vie­le Lines im Batt­ler­ap, die ich superun­pas­send fin­de, aber ich wür­de sie nicht ver­bie­ten. Wenn ich nur noch sol­che Lines in Batt­les hören wür­de, wür­de ich dar­auf ver­zich­ten, weil es mir nichts gibt. Das ist dann wie­der Het­ze. Das muss jeder für sich selbst unter­schei­den und da geht es um gesun­den Men­schen­ver­stand. Es gab ein paar Vor­fäl­le, bei denen anti­se­mi­ti­sche Lines im Batt­le benutzt wur­den. Das ist uncool. Aller­dings sagen vie­le, dass im Rap alles erlaubt sei. Für mich hat das nichts mehr mit Kunst zu tun, aber wenn es genug Leu­te gibt, die das hören wol­len, hat es eine Berech­ti­gung. Das ist ein schma­ler Grat. Was wäre, wenn die Mehr­heit Nazi-​Rap hören möch­te? Dann wür­de man sich wün­schen, dass so etwas ver­bo­ten wäre. Es ist ein kom­ple­xes The­ma, bei dem man sich im Kreis dreht. Es ist auch super­schwer greif­bar. Ich hat­te schon mit den ver­schie­dens­ten Leu­ten Dis­kus­sio­nen über Ver­bo­te und habe gemerkt, dass es ein sehr sen­si­bles The­ma ist. Wenn ande­re gute Argu­men­te haben, las­se ich mich da ger­ne über­zeu­gen. Ich kann hier nur mei­ne Mei­nung wie­der­ge­ben: Ich fin­de, dass man das meis­te im Rah­men von Kunst sagen darf.

MZEE​.com: Es ist schwer mess­bar. Man kann das nicht quantifizieren.

sadi.: Genau. Es gibt kei­ne Instanz, die Regeln auf­stellt, wann etwas zu weit geht. Das fin­de ich auch gut. Mein Vater ist nach der Revo­lu­ti­on aus dem Iran geflüch­tet. Unter ande­rem aus dem Grund, dass die Reli­gi­on einen so stark ein­ge­schränkt hat. Das hat­te gar nichts mehr mit dem Glau­ben zu tun. Reli­gi­on ist für mich tole­rant und akzep­tiert ande­re For­men von Reli­gi­on. Dort nimmt es seit Jah­ren ganz schlim­me Aus­ma­ße an. Es gibt dort kei­ne Kunst­frei­heit. Musik­ma­chen wird nicht akzep­tiert und fast ver­bo­ten, es sei denn, du singst posi­tiv über das Sys­tem. Sobald du Kri­tik äußerst, wirst du dafür hart bestraft. Die meis­ten Künst­ler lan­den im Exil und kön­nen nie wie­der ihre Hei­mat besu­chen. Das The­ma beschäf­tigt mich von klein auf. Vie­le groß­ar­ti­ge Künst­ler, die das Land ver­las­sen muss­ten, leben jetzt in L.A. und machen von dort aus Musik für den per­si­schen Markt. Die wer­den dort vom Volk gefei­ert und haben eine Fan­ba­se, sind aber vom Sys­tem ver­bo­ten und dür­fen das Land nicht mehr besu­chen. Da sieht man, wohin es füh­ren kann, wenn man anfängt, irgend­was zu ver­bie­ten. Ich bin dank­bar, dass man hier Kri­tik äußern darf. Denn vie­les, das man unter­drückt, kommt dop­pelt und drei­fach zurück. Dort gibt es rie­si­ge Unter­grund­sze­nen. Es pas­siert auch viel Schlim­mes, denn wenn etwas ver­bo­ten wird, wird es erst recht stär­ker. Dar­an sieht man, dass das nicht för­der­lich für eine Gesell­schaft ist. Nicht nur Musi­ker, son­dern alle mög­li­chen Künst­ler wie Autoren, Schrift­stel­ler, Poe­ten und Maler sind davon betrof­fen. Es ist total trau­rig und ein­fach unbegreiflich.

MZEE​.com: Gera­de im Hip­Hop gibt es meh­re­re Bei­spie­le, bei denen die Gren­zen des Lega­len über­schrit­ten wer­den, wie etwa beim Graf­fi­ti oder Sam­pling. Gegen Moses Pel­ham läuft dies­be­züg­lich ein Pro­zess. Siehst du die Frei­heit von Kunst in der HipHop-​Szene bedroht?

sadi.: Ich hab' den Pro­zess nicht rich­tig ver­folgt, aber ich hab' ein biss­chen die Hoff­nung, dass er etwas Gutes mit sich bringt. Moses Pel­ham hat ja ein Sam­ple von Kraft­werk benutzt und die ver­kla­gen ihn jetzt dafür. Ich hof­fe, dass er nicht belangt wer­den kann. Für mich hat er etwas total Neu­es aus dem Ding gemacht. Das soll­te als eine Berei­che­rung für die Musik gese­hen wer­den, solan­ge er nicht plump die Sachen klaut und eins zu eins den glei­chen Song macht. Man wird inspi­riert und erschafft dadurch ein Stück neue Kunst, die dann wie­der­um zu etwas Neu­em ver­wurs­tet wer­den kann. Das ist für mich der Gedan­ke von Hip­Hop. Das ist aus einer Not her­aus ent­stan­den, weil man sich bestimm­te Sachen nicht leis­ten konn­te. Vie­le Pro­du­zen­ten wol­len Musik machen, aber haben nicht die mone­tä­ren Mit­tel, das umzu­set­zen. Wenn man das beschnei­det, tötet das für mich vie­les. Für mich ist kul­tu­rell eini­ges ver­lo­ren gegan­gen. Die wenigs­ten, die jetzt mit Rap auf­wach­sen, wis­sen, wo es her­kommt und wie es ent­stan­den ist. Das fin­de ich scha­de. Es ist Pop und kei­ne Nische mehr. Jeder Pro­du­zent, der einen Schnip­sel von irgend­ei­nem ande­ren Song benutzt und einen Beat dar­aus gebaut hat, fischt im Trü­ben. Wenn bei dem Pro­zess her­aus­kommt, dass man das über­haupt nicht darf, dann sehe ich die Kunst­frei­heit bedroht. Es gab ja schon oft irgend­wel­che Regeln, wie zum Bei­spiel die Anzahl der Sekun­den, die die Musik­ab­fol­ge lang sein darf oder dass man es nach­spie­len muss, aber zwei Noten ver­än­dern soll. Es ist viel Grau­zo­ne. Wenn das Sam­pling kom­plett ver­bo­ten wird, dann stirbt ein Stück weit Hip­Hop, wie er ent­stan­den ist. Ich hof­fe, dass man sich dann etwas ande­res ein­fal­len lässt. Denn selbst wenn es ver­bo­ten wird, wird es trotz­dem gemacht und so ent­frem­det wer­den, dass man es nicht raus­hört. Dann geht man das Risi­ko trotz­dem ein.

MZEE​.com: Rich­tig. Man kann es nicht ver­bie­ten. Dann ent­wi­ckelt es sich in eine ande­re Richtung.

sadi.: Das ist genau­so, wie wenn man einem Kind etwas ver­bie­tet. Dann macht es das trotz­dem. Wenn ich ein Kind hät­te, wür­de ich alles dafür tun, es ver­nünf­tig auf­zu­klä­ren. Ich wür­de ihm sagen: Wenn du gewis­se Sachen aus­pro­bie­ren willst, dann in mei­ner Gegen­wart. Ich wür­de es nicht ver­bie­ten, weil ich sonst gar kei­nen Bezug mehr zu mei­nem Kind hät­te. Wenn man den Staat als Vater sieht, Vater Staat qua­si, und durch vie­le Ver­bo­te den Bezug zur Gesell­schaft ver­liert, dann pas­siert das nur in grö­ße­rem Aus­maß. Man soll­te lie­ber einen offe­nen Dis­kurs führen.

MZEE​.com: Das ist ein guter Über­gang zur nächs­ten Fra­ge. Du rappst auf dei­nem aktu­el­len Album übers Fei­ern, Alko­hol und ande­re Dro­gen wie zum Bei­spiel auf "Licht": "Flieg' durch die Nacht, zieh' am Blunt und geb' ein' Fick auf was sie reden." – Fin­dest du, dass du Dro­gen und Alko­hol in dei­ner Musik romantisierst?

sadi.: Ich fin­de, es ist immer eine Kri­tik dabei raus­zu­hö­ren. Das ist mei­ne grund­sätz­li­che Mei­nung dazu. Es ist ein Teil unse­rer Gene­ra­ti­on und auch ein Teil mei­nes Life­styl­es. Es sind Momen­te, die ich fest­hal­ten will. Wenn ich die ver­schwei­gen wür­de, fän­de ich das stran­ge, denn ich möch­te authen­ti­sche Musik machen. Ich erzäh­le kei­ne Mär­chen und fin­de nicht, dass ich irgend­wel­che Din­ge glo­ri­fi­zie­re oder roman­ti­sie­re. Mei­nes Erach­tens schwingt da immer etwas Melan­cho­li­sches und Selbst­zer­stö­re­ri­sches mit. Manch­mal stel­le ich es auch so über­trie­ben dar, dass man es eigent­lich nicht cool fin­den kann. Wenn es am Ende trotz­dem jemand so sieht, dann ist es so. Das ist auf jeden Fall nicht mei­ne Absicht. Es gibt genug Leu­te, die das glo­ri­fi­zie­ren, das feie­re ich auch nicht. Für mich ist es eine Facet­te mei­nes Lebens. Es ist nichts, was mei­nen All­tag bestimmt. Der Song "Die Dosis macht das Gift" mit Her­zog zeigt, wie vor­sich­tig man mit gewis­sen Sub­stan­zen umge­hen soll­te und wie gefähr­lich das grund­sätz­lich ist. Es ist trau­rig, wenn man sich da total rein­fal­len lässt und die Kon­trol­le ver­liert. Ich mag es, zu fei­ern und einen Rausch zu genie­ßen – aber in Maßen. Es kommt dar­auf an, dass es nicht aus­ufert. Das ist das glei­che wie mit Ziga­ret­ten oder Alko­hol. Für mich sind das genau­so gefähr­li­che Dro­gen. Nur weil sie gesell­schaft­lich in der Kul­tur ver­an­kert sind, wer­den sie als nicht so schlimm ange­se­hen. Jede Dro­ge hat etwas Gefähr­li­ches. Das Bedürf­nis, sich in eine ande­re Welt zu flüch­ten, ist nor­mal. Eine Welt, in der man sei­ne Sor­gen aus­schal­ten und sei­ne Pro­ble­me hin­ter sich las­sen kann. Es geht um Gebrauch und Miss­brauch. Die­se Wor­te sind ent­schei­dend. An einem Gebrauch ist nichts Schlim­mes, aber Miss­brauch ist gefähr­lich. Selbst in der Tier­welt gibt es dafür Bei­spie­le. Del­fi­ne berau­schen sich an Kugel­fi­schen. Genau­so wie Koa­la­bä­ren durch Euka­lyp­tus einen Rausch erle­ben. Das ist nichts Schlim­mes. Aber ich habe in mei­nem Leben schon vie­le Leu­te gese­hen, die abge­rutscht sind. Das ist für mich immer wie­der eine War­nung. Da muss man ein­fach vor­sich­tig sein. Ich ver­ur­tei­le nie­man­den, der Dro­gen mal gebraucht und möch­te dafür selbst auch nicht ver­ur­teilt werden.

MZEE​.com: Man muss ein­fach wis­sen, wo die Gren­ze ist.

sadi.: Wenn man sich selbst gut ein­schät­zen kann und eine gefes­tig­te Per­sön­lich­keit hat, dann kann und soll­te man selbst ent­schei­den dür­fen, was man in wel­chem Aus­maß macht. Dar­an ist auch nie­mand anders schuld. Es ist zu ein­fach, zu sagen, dass zum Bei­spiel die Inhal­te, die ein Rap­per ver­mit­telt, schuld dar­an sind. Die­se Argu­men­ta­ti­on funk­tio­niert für mich nicht. Dann kannst du Kunst ver­bie­ten. Wenn du einen Künst­ler ver­herr­lichst, weil er Dro­gen nimmt, dann ist das nicht gut. Aber schuld ist nicht der Künst­ler, da ist jeder selbst für sich verantwortlich.

MZEE​.com: Dei­ne Songs sind sehr per­sön­lich und du rappst viel über dei­ne Emo­tio­nen. Wo fängt für dich die Kunst­fi­gur sadi. an und wo hört dei­ne pri­va­te Per­son auf?

sadi.: Das ist eine sehr gute Fra­ge. (lacht) Im Grun­de genom­men bin ich schon die Per­son. Mein Umfeld nennt mich Sadi. Ich mache extrem authen­ti­sche, sehr per­sön­li­che Musik. Mir ist es auch wich­tig, dass das mit mir als Mensch in Ver­bin­dung gebracht wird. Wenn man mei­ne Musik hört und kon­su­miert, weiß man, dass ich eine gewis­se Hal­tung hab'. Ich gehe sehr phi­lo­so­phisch und spi­ri­tu­ell an vie­le Sachen ran. Das bin wirk­lich ich. Es ist aber auch so, dass ich in mei­ner Kunst von ganz vie­len Sachen inspi­riert wer­de. Dazu kommt, dass es eben Musik ist. Es ist nicht das­sel­be wie eine Unter­hal­tung mit jeman­dem. Im Grun­de ver­schwimmt die Gren­ze. Da kann ich kei­nen kon­kre­ten Cut zwi­schen der Kunst­fi­gur sadi. und mir im wah­ren Leben machen.

MZEE​.com: Gibt es Din­ge, die du nicht preis­ge­ben würdest?

sadi.: Klar. Wenn es ganz per­sön­lich wird. Zum Bei­spiel Gesprä­che oder Erleb­nis­se mit engen Freun­den, Strugg­le und Pro­ble­me von Fami­li­en­mit­glie­dern. Lieb­schaf­ten wür­de ich auch nicht preis­ge­ben. Wenn es dar­um geht, ande­re Leu­te zu expo­sen, bin ich sehr sen­si­bel. Ich kann offen über mich reden, aber gewis­se Din­ge gehö­ren nicht an die Öffent­lich­keit. Das Schö­ne dar­an ist, dass man das beim Musik­ma­chen selbst ent­schei­den kann. Mei­ne Hörer müs­sen nicht alles über mei­nen Weg, mei­ne Erfah­run­gen und prä­gen­den Erleb­nis­se, die mit ande­ren Leu­ten zu tun haben, wis­sen. Ich fas­se oft zusam­men. Wenn es um Lieb­schaf­ten, Bezie­hun­gen und Affä­ren geht, ver­su­che ich, auch ihre Gefüh­le mit­ein­zu­be­zie­hen. Natür­lich schil­de­re ich manch­mal kon­kre­te Erleb­nis­se, aber die kann man nicht mehr ein­deu­tig der Per­son zuord­nen. Sobald es zu intim ist, bin ich aus Respekt ein­fach vor­sich­tig. Ich fän­de es auch selbst nicht so cool, wenn das jemand ande­res über mich machen würde.

MZEE​.com: Du rappst auf dem Song "XO_​PLANET": "Wer sind die schon, dass die mei­nen, mei­ne Kunst bewer­ten zu müs­sen?" – Wie gehst du mit Kri­tik um?

sadi.: Es gibt kon­struk­ti­ve und destruk­ti­ve Kri­tik. Als Künst­ler – und da spre­che ich, glau­be ich, für 90% aller Künst­ler – ist man sehr sen­si­bel. Es ver­letzt, wenn man destruk­ti­ve Kri­tik bekommt. Auch kon­struk­ti­ve Kri­tik ist mit Vor­sicht zu genie­ßen, weil sie ver­let­zend sein kann. Ich wür­de mir wün­schen, dass Kri­ti­ker an ihre Tex­te einen Dis­clai­mer hän­gen, dass es nur ihre Mei­nung ist. Vie­le äußern sich abso­lut und belei­di­gend. Das kann man als Künst­ler nicht ernst neh­men. Wenn ich mer­ke, dass eine Kri­tik Hand und Fuß hat, kann ich selbst dar­über nach­den­ken und über­le­gen, ob sie berech­tigt ist oder nicht. Und im bes­ten Fall kann man aus Kri­tik lernen.

MZEE​.com: Zum Abschluss habe ich noch eine Fra­ge zum Kern­the­ma. Manch­mal ist es erfolg­reich, Gren­zen zu über­schrei­ten. Fri­days for Future hat durch Schul­schwän­zen einen gesell­schaft­li­chen Dis­kurs ange­sto­ßen und gro­ße Auf­merk­sam­keit bekom­men. In über­tra­ge­nem Sin­ne: Glaubst du, dass wir die Kunst­frei­heit ent­spre­chend unse­rer Mög­lich­kei­ten genug ausnutzen?

sadi.: Das ist etwas sehr Sub­jek­ti­ves. Kunst hat nicht immer etwas Beleh­ren­des oder Bezwe­cken­des. Sie kann auch ein­fach nur ästhe­tisch sein. Des­halb habe ich mir über die­se Fra­ge noch nie Gedan­ken gemacht. Ich beob­ach­te oft, dass etwas beson­ders auf­fällt, weil es plump und geschmack­los ist. Für mich ist nicht alles, was laut und schrill ist, sofort Kunst. Für jemand ande­ren viel­leicht schon, dar­über könn­te man sehr lan­ge dis­ku­tie­ren. Die Fri­days for Future-​Bewegung fin­de ich super­wich­tig, aber sie hat für mich nicht viel mit Kunst zu tun. Kunst kann zwar auch auf gewis­se Pro­ble­me auf­merk­sam machen, aber sie muss es nicht. Ich mache kei­ne Kunst, um etwas zu bezwe­cken. Ande­re viel­leicht schon. Aber dann sind Demons­tra­tio­nen, kon­kre­te Aktio­nen oder Gesprä­che ein bes­se­rer Rah­men. Musik, die dich mit dem Zei­ge­fin­ger beleh­ren will, kann ich nur schwer genie­ßen. Ich mag es, wenn Kunst einen gewis­sen Vibe und Leich­tig­keit hat. Des­halb ach­te ich dar­auf, dass mei­ne Musik nicht zu beleh­rend ist, eine Per­spek­ti­ve zeigt und dadurch nichts Abso­lu­tes hat. Das wird sonst zu anstren­gend. Ich fin­de, bei Musik und gera­de im Rap geht es ganz viel um Instru­men­ta­les und Melo­dien, um ein Fein­ge­fühl und Ästhe­tik für Rei­me und für Flows. Auch die Pau­sen dazwi­schen sind wich­tig. Das ist für mich wert­vol­ler, als eine Mis­si­on zu haben, die man den Leu­ten auf­ti­schen möchte.

MZEE​.com: Musik kann Gefüh­le aus­lö­sen und etwas in einem bewe­gen. Sowohl auf musi­ka­li­scher als auch auf lyri­scher Ebe­ne. Man kann Musik machen, die Leu­te zum Nach­den­ken anregt, ohne dass man kon­tro­ver­se The­sen aufstellt.

sadi.: Ich ver­su­che in mei­nen Tex­ten oft, abs­trak­te Bil­der zu malen, bei denen man viel­leicht gar nicht ver­steht, wor­um es gera­de geht, die aber einen poe­ti­schen Ansatz haben. Wenn man sie wir­ken lässt, kann man für sich etwas dar­aus zie­hen, das einen inspi­riert. Auf dem Song "Wüs­te aus Kris­tall" beschrei­be ich abs­trakt mei­ne Gefühls­welt. Dazu habe ich viel Feed­back bekom­men. Es kamen ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­tio­nen, die ich alle irgend­wie rich­tig fin­de. Es regt die Leu­te dazu an, dar­über nach­zu­den­ken und sich selbst etwas aus­zu­ma­len. Dadurch ent­steht etwas Neu­es. Des­we­gen fin­de ich es schwie­rig, wenn ein Track nur dar­auf aus­ge­legt ist, ein bestimm­tes Pro­gramm runterzurappen.

MZEE​.com: Wenn man eine gefes­tig­te Per­sön­lich­keit hat, kann man Hal­tung auch rüber­brin­gen, ohne dass man den Zei­ge­fin­ger hebt.

sadi.: Das ver­su­che ich immer und ich hof­fe, dass die Leu­te das in mei­ner Kunst sehen und schätzen.

(Malin Tee­gen)
(Fotos von Felix Vollman)