Frauenfeindlichkeit, Verherrlichung von Drogen und das Verbreiten von Verschwörungstheorien passiert in der deutschen Rapszene leider viel zu häufig. Eine Thematisierung oder kritische Auseinandersetzung findet selten statt und wenn, dann wird oft mit Kunstfreiheit argumentiert. Außerdem inszenieren sich Rapper oft als Kunstfigur, um eine Distanz zwischen realer Person und ihrer Kunst herzustellen und versuchen sich damit ein Stück weit aus der Verantwortung zu ziehen. Wo verläuft die Grenze zwischen dem, was man mit Kunstfreiheit oder Image rechtfertigen kann und was nicht? Der Rapper sadi. verfasst authentische und persönliche Texte, die den Künstler nahbar machen. Dadurch fällt die Trennung zwischen Kunstfigur und realer Person besonders schwer. Außerdem setzt er sich in seiner Musik mit philosophischen und gesellschaftlichen Themen auseinander. Auf dem Song "Meese" rappt der Berliner: "Doch meiner Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, noch nicht einmal in der schlimmsten Gefängniszelle der Welt." – Wenn jemandem seine künstlerische Ausdrucksform so viel bedeutet, dass man sie nicht einmal in Gefangenschaft einschränken wollen würde, dann hat derjenige mit Sicherheit auch ein eigenes Verständnis von Kunstfreiheit. Woher rührt diese Betrachtungsweise? Wir haben sadi. zum Gespräch gebeten, um das herauszufinden. Außerdem ging es um die Bedeutung von Kunstfreiheit im HipHop, seine Meinung zu Verboten und unterschiedliche Herangehensweisen an Kunst.
MZEE.com: Auf deinem Album "Mintgold" findet sich der Song "Meese" mit PTK und Herzog. Der Künstler Jonathan Meese ist aufgrund seiner Inszenierungen von Hitler in Performances und Hakenkreuz-Symbolik in seinen Kunstwerken umstritten. Wo ziehst du für dich persönlich die Grenze: Was darf Kunst und was nicht?
sadi.: Es ist für mich größtenteils eine Geschmacksfrage. Wenn es einfach nur ein Angriff ist und nicht die Absicht hat, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist es für mich nicht als Kunst zu erkennen. Das ist geschmacklos und bescheuert. Da denke ich an jemanden wie Chris Ares, der aufgrund der aktuellen Rassismusdebatte ab und zu genannt wird und leider zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Ich habe Zeilen von dem gelesen und das ist für mich keine Kunst, sondern grenzt an Hetze. Da finde ich es fast schon legitim, so etwas zu verbieten. Wobei ich grundsätzlich kein Freund von Verboten bin, weil ich mir denke, dass sich solche Leute selbst ins Bein schießen. Ich hoffe, dass die Gesellschaft sowas regelt, aber es ist gefährlich, weil viele solchen Menschen blind folgen und seine Zeilen einen negativen Einfluss haben. Das ist sehr grenzwertig und grundsätzlich ein schweres Thema. Bei sowas hört es bei mir auf jeden Fall auf.
MZEE.com: Was hältst du von Jonathan Meese?
sadi.: Ich finde es spannend, wie er an Kunst herangeht. Deswegen haben wir in dem Song "Meese" ein Zitat von ihm in der Hook gesamplet: "Machen, machen, machen." Er geht ohne Grenzen im Kopf an Sachen ran – wie ein Kind. Das macht es interessant, weil man nie weiß, was als Nächstes kommt. Nicht nachzudenken, sondern einfach raussprudeln zu lassen, hat mich inspiriert. Wenn du zu viel nachdenkst, schränkst du dich ein. Meese ist eine kuriose Gestalt. Der malt in seinem Atelier Bilder und seine Mutter läuft da als Muse herum. Er ist ein Paradiesvogel. Natürlich macht er auch viele Sachen, die nicht cool sind. Ich muss nicht alles davon mögen. Aber er ist eine wichtige Persönlichkeit im Kunstbereich. Vielleicht sollten sich Leute von seiner Herangehensweise an Kunst inspirieren lassen. Das haben einige Künstler im deutschsprachigen Bereich auch gut gemacht, zum Beispiel Yung Hurn. Vieles von dem finde ich ganz spannend, obwohl das nichts mit der Musik zu tun hat, die ich selbst mache. Seine Arbeit ist für mich ästhetisch und deshalb ist sie auch als Kunst anzusehen. Man sollte sich freier und lockerer machen und nicht alles streng und verkopft sehen, sondern intuitiv rangehen. Das ist mein Verständnis von Kunst. Dann kommen die unterbewussten Sachen zum Vorschein. Man muss nicht alles, was man raussprudeln lässt, der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ich schreibe 20 Songs, von denen ich sieben niemals rausbringen werde. Es ist trotzdem gut, dass ich die geschrieben hab', weil es ein Prozess ist.
MZEE.com: Da ist man selbst eine wichtige Instanz. Sobald man die Musik der Öffentlichkeit zugänglich macht, muss man dahinterstehen und auch dafür geradestehen, wenn sie jemand kritisiert.
sadi.: Es gibt genug Artists, die Musik herausgebracht haben, die sie heute nicht mehr rausbringen würden oder für die sie sich im Nachhinein schämen.
MZEE.com: Wie siehst du es, wenn Künstler in ihrer Musik das N-Wort verwenden?
sadi.: Das finde ich überhaupt nicht vertretbar. Damals hab' ich das noch anders gesehen, wie viele andere auch. Ich denke da zum Beispiel an alte Savas-Tracks. Dadurch, dass er bei Westberlin Maskulin mit Taktloss zusammen war, hat man das in einem ganz anderen Kontext verstanden und nie als einen Angriff gesehen. Man hat ihm abgenommen, dass er damit aufgewachsen sei und nicht die Weitsicht hätte, dass er damit jemanden angreift. Wenn jemand dieses Wort heute sagt, muss man dem unterstellen, dass er ein totaler Vollidiot ist und den Schuss nicht gehört hat oder eventuell rassistische Tendenzen vertritt. Das ist komplett daneben, weil es Menschen extrem verletzt. Wenn People of Color oder Schwarze das Wort benutzen oder sagen, finde ich das persönlich auch nicht mehr so nice, aber da kann ich nicht mitreden. Ich höre sehr viel Rap aus den Staaten und da ist das üblich. Es gibt dort auch Rapper, denen man ihren farbigen Background nicht so direkt ansieht. Die benutzen das Wort, werden aber trotzdem toleriert, weil sie so aufgewachsen sind und mit Schwarzen chillen. Ich denke da an Lil Pump. Er ist, glaube ich, ein Latino, aber ich weiß es nicht genau. Grundsätzlich ist es meiner Meinung nach nicht richtig.
MZEE.com: Was ist für dich der Sinn von Kunstfreiheit?
sadi.: Für mich ist Kunst immer gesellschaftskritisch, so gehe ich an meine Musik heran. Selbst wenn man nur schildert, was man beobachtet, spiegelt das die Gesellschaft wider. Auch Sachen, die komplett überzogen sind, wie zum Beispiel von K.I.Z. Sie machen damit auf Probleme aufmerksam. Das finde ich interessant und das hat für mich einen Mehrwert. Allerdings entscheide ich nicht darüber, was Kunst ist und was nicht. Das ist ja total subjektiv. Es gibt dafür keine Regel. Aber da ich mich schon mein ganzes Leben mit Kunst in jeglichen Formen und Farben beschäftige, gibt es für mich zwei Punkte. Zum einen hat Kunst eine Berechtigung, wenn sie eine Diskussion über etwas anstößt. Zum anderen ist mir Ästhetik sehr wichtig. Es muss gut gemacht und schön sein.
MZEE.com: Dadurch, dass etwas in der Kunst zum Nachdenken anregen soll, zum Beispiel durch eine überspitzte Darstellung, werden viele Sachen legitimiert, die außerhalb der Kunst nicht legitimiert werden. Man sollte auch den Kontext miteinbeziehen.
sadi.: Wenn man es so sagt, muss man auch darüber nachdenken, ob jemand durch bemitleidenswerte Umstände so sozialisiert wurde, dass er extrem rechts ist – beispielsweise ein Chris Ares – und das in seiner Musik eigentlich nur schildert. Es geht immer darum, wie man es macht. Wenn gegen Menschen gehetzt wird, dann ist es für mich ganz schlimm und keine Kunst mehr. Wenn es aber jemand ist, der aus seiner Perspektive berichtet und viele sehen und merken, wie bescheuert das ist, dann ist es anders. Damit zeigt man, dass es so etwas auch gibt. Wenn man das verbieten würde, würde man das nicht wahrnehmen. Wenn man etwas nicht sieht und es trotzdem stattfindet, finde ich das fast noch gefährlicher. Ich bin total gegen Verbote. Würde man mich fragen, ob ich Drogen verbieten würde, würde ich das verneinen. Es gibt keine einzige Droge, die ich verbieten wollen würde. Ich wünsche mir, dass das System, in dem wir leben, die Wurzel erkennt. Wenn man mehr in Sachen Aufklärung leisten würde, hätte es keine negativen Konsequenzen, wenn alles frei zugänglich wäre.
MZEE.com: Verbote machen es auch reizvoller.
sadi.: Wenn etwas offen gezeigt wird, kann man dagegen vorgehen, indem man die Ursachen bekämpft. Man macht es sichtbar, wenn Menschen Dinge tun, die gar nicht klargehen. Das ist ein komplexes und sensibles Thema. Da muss ich auch gerade vorsichtig sein, was ich sage. Man hat eine Meinung und weiß, was man komplett scheiße findet. Aber wenn man das verbieten würde, müsste man schauen, was noch darunter fällt und sich fragen, ob man das dann auch verbieten müsste. Die Konsequenz wäre kontrollierte und überwachte Kunst, die dann vielleicht gar keine Kunst mehr ist, weil sie nicht anecken darf.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass Kunstfreiheit dasselbe ist wie Meinungsfreiheit?
sadi.: Das ist eine gute Frage.
MZEE.com: Wo liegen in deinen Augen die Unterschiede?
sadi.: Du kannst eine Meinung haben und sie äußern. Kunst muss noch eine zusätzliche Finesse haben. Es ist wichtig, dass sich jeder so ausdrücken kann, wie er es für sinnvoll hält. Eine Meinung an sich ist zwar noch keine Kunst – wenn man es allerdings schafft, ein gewisses Gefühl zu vermitteln, geht es in die Richtung. Kunst ist für mich immer ein Gefühl. Wenn ich an Songs rangehe oder ein Bild male, möchte ich ein Gefühl festhalten. Wenn man da etwas verbietet, würde man beim Texteschreiben darüber nachdenken, ob man etwas so sagen darf. Dadurch geht ganz viel verloren, was ich unter Kunst verstehe.
MZEE.com: Gilt im Rap für dich eine andere Kunstfreiheit als beispielsweise in der Malerei? Im Battlerap darf man zum Beispiel Leute beleidigen.
sadi.: Ich bin auf jeden Fall ein Fan von Battlerap und verfolge das. Wenn man den Rahmen nutzt, um seinem Hass freien Lauf zu lassen, weil alles unter dem Deckmantel der Kunst gerechtfertigt wird, finde ich das schwierig. Merke ich aber, dass jemand sich total den Kopf gemacht hat, das in einer Story verpackt und einem bewusst ist, dass derjenige kein homophober Mensch oder ausländerfeindlich ist, ist es für mich noch vertretbar. Es gibt sehr viele Lines im Battlerap, die ich superunpassend finde, aber ich würde sie nicht verbieten. Wenn ich nur noch solche Lines in Battles hören würde, würde ich darauf verzichten, weil es mir nichts gibt. Das ist dann wieder Hetze. Das muss jeder für sich selbst unterscheiden und da geht es um gesunden Menschenverstand. Es gab ein paar Vorfälle, bei denen antisemitische Lines im Battle benutzt wurden. Das ist uncool. Allerdings sagen viele, dass im Rap alles erlaubt sei. Für mich hat das nichts mehr mit Kunst zu tun, aber wenn es genug Leute gibt, die das hören wollen, hat es eine Berechtigung. Das ist ein schmaler Grat. Was wäre, wenn die Mehrheit Nazi-Rap hören möchte? Dann würde man sich wünschen, dass so etwas verboten wäre. Es ist ein komplexes Thema, bei dem man sich im Kreis dreht. Es ist auch superschwer greifbar. Ich hatte schon mit den verschiedensten Leuten Diskussionen über Verbote und habe gemerkt, dass es ein sehr sensibles Thema ist. Wenn andere gute Argumente haben, lasse ich mich da gerne überzeugen. Ich kann hier nur meine Meinung wiedergeben: Ich finde, dass man das meiste im Rahmen von Kunst sagen darf.
MZEE.com: Es ist schwer messbar. Man kann das nicht quantifizieren.
sadi.: Genau. Es gibt keine Instanz, die Regeln aufstellt, wann etwas zu weit geht. Das finde ich auch gut. Mein Vater ist nach der Revolution aus dem Iran geflüchtet. Unter anderem aus dem Grund, dass die Religion einen so stark eingeschränkt hat. Das hatte gar nichts mehr mit dem Glauben zu tun. Religion ist für mich tolerant und akzeptiert andere Formen von Religion. Dort nimmt es seit Jahren ganz schlimme Ausmaße an. Es gibt dort keine Kunstfreiheit. Musikmachen wird nicht akzeptiert und fast verboten, es sei denn, du singst positiv über das System. Sobald du Kritik äußerst, wirst du dafür hart bestraft. Die meisten Künstler landen im Exil und können nie wieder ihre Heimat besuchen. Das Thema beschäftigt mich von klein auf. Viele großartige Künstler, die das Land verlassen mussten, leben jetzt in L.A. und machen von dort aus Musik für den persischen Markt. Die werden dort vom Volk gefeiert und haben eine Fanbase, sind aber vom System verboten und dürfen das Land nicht mehr besuchen. Da sieht man, wohin es führen kann, wenn man anfängt, irgendwas zu verbieten. Ich bin dankbar, dass man hier Kritik äußern darf. Denn vieles, das man unterdrückt, kommt doppelt und dreifach zurück. Dort gibt es riesige Untergrundszenen. Es passiert auch viel Schlimmes, denn wenn etwas verboten wird, wird es erst recht stärker. Daran sieht man, dass das nicht förderlich für eine Gesellschaft ist. Nicht nur Musiker, sondern alle möglichen Künstler wie Autoren, Schriftsteller, Poeten und Maler sind davon betroffen. Es ist total traurig und einfach unbegreiflich.
MZEE.com: Gerade im HipHop gibt es mehrere Beispiele, bei denen die Grenzen des Legalen überschritten werden, wie etwa beim Graffiti oder Sampling. Gegen Moses Pelham läuft diesbezüglich ein Prozess. Siehst du die Freiheit von Kunst in der HipHop-Szene bedroht?
sadi.: Ich hab' den Prozess nicht richtig verfolgt, aber ich hab' ein bisschen die Hoffnung, dass er etwas Gutes mit sich bringt. Moses Pelham hat ja ein Sample von Kraftwerk benutzt und die verklagen ihn jetzt dafür. Ich hoffe, dass er nicht belangt werden kann. Für mich hat er etwas total Neues aus dem Ding gemacht. Das sollte als eine Bereicherung für die Musik gesehen werden, solange er nicht plump die Sachen klaut und eins zu eins den gleichen Song macht. Man wird inspiriert und erschafft dadurch ein Stück neue Kunst, die dann wiederum zu etwas Neuem verwurstet werden kann. Das ist für mich der Gedanke von HipHop. Das ist aus einer Not heraus entstanden, weil man sich bestimmte Sachen nicht leisten konnte. Viele Produzenten wollen Musik machen, aber haben nicht die monetären Mittel, das umzusetzen. Wenn man das beschneidet, tötet das für mich vieles. Für mich ist kulturell einiges verloren gegangen. Die wenigsten, die jetzt mit Rap aufwachsen, wissen, wo es herkommt und wie es entstanden ist. Das finde ich schade. Es ist Pop und keine Nische mehr. Jeder Produzent, der einen Schnipsel von irgendeinem anderen Song benutzt und einen Beat daraus gebaut hat, fischt im Trüben. Wenn bei dem Prozess herauskommt, dass man das überhaupt nicht darf, dann sehe ich die Kunstfreiheit bedroht. Es gab ja schon oft irgendwelche Regeln, wie zum Beispiel die Anzahl der Sekunden, die die Musikabfolge lang sein darf oder dass man es nachspielen muss, aber zwei Noten verändern soll. Es ist viel Grauzone. Wenn das Sampling komplett verboten wird, dann stirbt ein Stück weit HipHop, wie er entstanden ist. Ich hoffe, dass man sich dann etwas anderes einfallen lässt. Denn selbst wenn es verboten wird, wird es trotzdem gemacht und so entfremdet werden, dass man es nicht raushört. Dann geht man das Risiko trotzdem ein.
MZEE.com: Richtig. Man kann es nicht verbieten. Dann entwickelt es sich in eine andere Richtung.
sadi.: Das ist genauso, wie wenn man einem Kind etwas verbietet. Dann macht es das trotzdem. Wenn ich ein Kind hätte, würde ich alles dafür tun, es vernünftig aufzuklären. Ich würde ihm sagen: Wenn du gewisse Sachen ausprobieren willst, dann in meiner Gegenwart. Ich würde es nicht verbieten, weil ich sonst gar keinen Bezug mehr zu meinem Kind hätte. Wenn man den Staat als Vater sieht, Vater Staat quasi, und durch viele Verbote den Bezug zur Gesellschaft verliert, dann passiert das nur in größerem Ausmaß. Man sollte lieber einen offenen Diskurs führen.
MZEE.com: Das ist ein guter Übergang zur nächsten Frage. Du rappst auf deinem aktuellen Album übers Feiern, Alkohol und andere Drogen wie zum Beispiel auf "Licht": "Flieg' durch die Nacht, zieh' am Blunt und geb' ein' Fick auf was sie reden." – Findest du, dass du Drogen und Alkohol in deiner Musik romantisierst?
sadi.: Ich finde, es ist immer eine Kritik dabei rauszuhören. Das ist meine grundsätzliche Meinung dazu. Es ist ein Teil unserer Generation und auch ein Teil meines Lifestyles. Es sind Momente, die ich festhalten will. Wenn ich die verschweigen würde, fände ich das strange, denn ich möchte authentische Musik machen. Ich erzähle keine Märchen und finde nicht, dass ich irgendwelche Dinge glorifiziere oder romantisiere. Meines Erachtens schwingt da immer etwas Melancholisches und Selbstzerstörerisches mit. Manchmal stelle ich es auch so übertrieben dar, dass man es eigentlich nicht cool finden kann. Wenn es am Ende trotzdem jemand so sieht, dann ist es so. Das ist auf jeden Fall nicht meine Absicht. Es gibt genug Leute, die das glorifizieren, das feiere ich auch nicht. Für mich ist es eine Facette meines Lebens. Es ist nichts, was meinen Alltag bestimmt. Der Song "Die Dosis macht das Gift" mit Herzog zeigt, wie vorsichtig man mit gewissen Substanzen umgehen sollte und wie gefährlich das grundsätzlich ist. Es ist traurig, wenn man sich da total reinfallen lässt und die Kontrolle verliert. Ich mag es, zu feiern und einen Rausch zu genießen – aber in Maßen. Es kommt darauf an, dass es nicht ausufert. Das ist das gleiche wie mit Zigaretten oder Alkohol. Für mich sind das genauso gefährliche Drogen. Nur weil sie gesellschaftlich in der Kultur verankert sind, werden sie als nicht so schlimm angesehen. Jede Droge hat etwas Gefährliches. Das Bedürfnis, sich in eine andere Welt zu flüchten, ist normal. Eine Welt, in der man seine Sorgen ausschalten und seine Probleme hinter sich lassen kann. Es geht um Gebrauch und Missbrauch. Diese Worte sind entscheidend. An einem Gebrauch ist nichts Schlimmes, aber Missbrauch ist gefährlich. Selbst in der Tierwelt gibt es dafür Beispiele. Delfine berauschen sich an Kugelfischen. Genauso wie Koalabären durch Eukalyptus einen Rausch erleben. Das ist nichts Schlimmes. Aber ich habe in meinem Leben schon viele Leute gesehen, die abgerutscht sind. Das ist für mich immer wieder eine Warnung. Da muss man einfach vorsichtig sein. Ich verurteile niemanden, der Drogen mal gebraucht und möchte dafür selbst auch nicht verurteilt werden.
MZEE.com: Man muss einfach wissen, wo die Grenze ist.
sadi.: Wenn man sich selbst gut einschätzen kann und eine gefestigte Persönlichkeit hat, dann kann und sollte man selbst entscheiden dürfen, was man in welchem Ausmaß macht. Daran ist auch niemand anders schuld. Es ist zu einfach, zu sagen, dass zum Beispiel die Inhalte, die ein Rapper vermittelt, schuld daran sind. Diese Argumentation funktioniert für mich nicht. Dann kannst du Kunst verbieten. Wenn du einen Künstler verherrlichst, weil er Drogen nimmt, dann ist das nicht gut. Aber schuld ist nicht der Künstler, da ist jeder selbst für sich verantwortlich.
MZEE.com: Deine Songs sind sehr persönlich und du rappst viel über deine Emotionen. Wo fängt für dich die Kunstfigur sadi. an und wo hört deine private Person auf?
sadi.: Das ist eine sehr gute Frage. (lacht) Im Grunde genommen bin ich schon die Person. Mein Umfeld nennt mich Sadi. Ich mache extrem authentische, sehr persönliche Musik. Mir ist es auch wichtig, dass das mit mir als Mensch in Verbindung gebracht wird. Wenn man meine Musik hört und konsumiert, weiß man, dass ich eine gewisse Haltung hab'. Ich gehe sehr philosophisch und spirituell an viele Sachen ran. Das bin wirklich ich. Es ist aber auch so, dass ich in meiner Kunst von ganz vielen Sachen inspiriert werde. Dazu kommt, dass es eben Musik ist. Es ist nicht dasselbe wie eine Unterhaltung mit jemandem. Im Grunde verschwimmt die Grenze. Da kann ich keinen konkreten Cut zwischen der Kunstfigur sadi. und mir im wahren Leben machen.
MZEE.com: Gibt es Dinge, die du nicht preisgeben würdest?
sadi.: Klar. Wenn es ganz persönlich wird. Zum Beispiel Gespräche oder Erlebnisse mit engen Freunden, Struggle und Probleme von Familienmitgliedern. Liebschaften würde ich auch nicht preisgeben. Wenn es darum geht, andere Leute zu exposen, bin ich sehr sensibel. Ich kann offen über mich reden, aber gewisse Dinge gehören nicht an die Öffentlichkeit. Das Schöne daran ist, dass man das beim Musikmachen selbst entscheiden kann. Meine Hörer müssen nicht alles über meinen Weg, meine Erfahrungen und prägenden Erlebnisse, die mit anderen Leuten zu tun haben, wissen. Ich fasse oft zusammen. Wenn es um Liebschaften, Beziehungen und Affären geht, versuche ich, auch ihre Gefühle miteinzubeziehen. Natürlich schildere ich manchmal konkrete Erlebnisse, aber die kann man nicht mehr eindeutig der Person zuordnen. Sobald es zu intim ist, bin ich aus Respekt einfach vorsichtig. Ich fände es auch selbst nicht so cool, wenn das jemand anderes über mich machen würde.
MZEE.com: Du rappst auf dem Song "XO_PLANET": "Wer sind die schon, dass die meinen, meine Kunst bewerten zu müssen?" – Wie gehst du mit Kritik um?
sadi.: Es gibt konstruktive und destruktive Kritik. Als Künstler – und da spreche ich, glaube ich, für 90% aller Künstler – ist man sehr sensibel. Es verletzt, wenn man destruktive Kritik bekommt. Auch konstruktive Kritik ist mit Vorsicht zu genießen, weil sie verletzend sein kann. Ich würde mir wünschen, dass Kritiker an ihre Texte einen Disclaimer hängen, dass es nur ihre Meinung ist. Viele äußern sich absolut und beleidigend. Das kann man als Künstler nicht ernst nehmen. Wenn ich merke, dass eine Kritik Hand und Fuß hat, kann ich selbst darüber nachdenken und überlegen, ob sie berechtigt ist oder nicht. Und im besten Fall kann man aus Kritik lernen.
MZEE.com: Zum Abschluss habe ich noch eine Frage zum Kernthema. Manchmal ist es erfolgreich, Grenzen zu überschreiten. Fridays for Future hat durch Schulschwänzen einen gesellschaftlichen Diskurs angestoßen und große Aufmerksamkeit bekommen. In übertragenem Sinne: Glaubst du, dass wir die Kunstfreiheit entsprechend unserer Möglichkeiten genug ausnutzen?
sadi.: Das ist etwas sehr Subjektives. Kunst hat nicht immer etwas Belehrendes oder Bezweckendes. Sie kann auch einfach nur ästhetisch sein. Deshalb habe ich mir über diese Frage noch nie Gedanken gemacht. Ich beobachte oft, dass etwas besonders auffällt, weil es plump und geschmacklos ist. Für mich ist nicht alles, was laut und schrill ist, sofort Kunst. Für jemand anderen vielleicht schon, darüber könnte man sehr lange diskutieren. Die Fridays for Future-Bewegung finde ich superwichtig, aber sie hat für mich nicht viel mit Kunst zu tun. Kunst kann zwar auch auf gewisse Probleme aufmerksam machen, aber sie muss es nicht. Ich mache keine Kunst, um etwas zu bezwecken. Andere vielleicht schon. Aber dann sind Demonstrationen, konkrete Aktionen oder Gespräche ein besserer Rahmen. Musik, die dich mit dem Zeigefinger belehren will, kann ich nur schwer genießen. Ich mag es, wenn Kunst einen gewissen Vibe und Leichtigkeit hat. Deshalb achte ich darauf, dass meine Musik nicht zu belehrend ist, eine Perspektive zeigt und dadurch nichts Absolutes hat. Das wird sonst zu anstrengend. Ich finde, bei Musik und gerade im Rap geht es ganz viel um Instrumentales und Melodien, um ein Feingefühl und Ästhetik für Reime und für Flows. Auch die Pausen dazwischen sind wichtig. Das ist für mich wertvoller, als eine Mission zu haben, die man den Leuten auftischen möchte.
MZEE.com: Musik kann Gefühle auslösen und etwas in einem bewegen. Sowohl auf musikalischer als auch auf lyrischer Ebene. Man kann Musik machen, die Leute zum Nachdenken anregt, ohne dass man kontroverse Thesen aufstellt.
sadi.: Ich versuche in meinen Texten oft, abstrakte Bilder zu malen, bei denen man vielleicht gar nicht versteht, worum es gerade geht, die aber einen poetischen Ansatz haben. Wenn man sie wirken lässt, kann man für sich etwas daraus ziehen, das einen inspiriert. Auf dem Song "Wüste aus Kristall" beschreibe ich abstrakt meine Gefühlswelt. Dazu habe ich viel Feedback bekommen. Es kamen verschiedene Interpretationen, die ich alle irgendwie richtig finde. Es regt die Leute dazu an, darüber nachzudenken und sich selbst etwas auszumalen. Dadurch entsteht etwas Neues. Deswegen finde ich es schwierig, wenn ein Track nur darauf ausgelegt ist, ein bestimmtes Programm runterzurappen.
MZEE.com: Wenn man eine gefestigte Persönlichkeit hat, kann man Haltung auch rüberbringen, ohne dass man den Zeigefinger hebt.
sadi.: Das versuche ich immer und ich hoffe, dass die Leute das in meiner Kunst sehen und schätzen.
(Malin Teegen)
(Fotos von Felix Vollman)