Konstruktive Kritik oder diskriminierender Hate? – über die Scheinheiligkeit der Kritik an Rappern
An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen, die woanders keinen Platz finden. Dabei kommt nicht nur die MZEE.com Redaktion zu Wort, sondern auch andere Szene-affine Persönlichkeiten wie Rapper, Veranstalter oder Produzenten. Wer sich also mitteilen möchte, soll hier auch die Möglichkeit haben, dies zu tun. Die jeweils dargestellte Meinung entspricht jedoch nicht zwangsläufig der unserer Redaktion – wir sehen aber ebenfalls nicht die Notwendigkeit, diesen Stimmen ihren Raum zu nehmen.
Im Folgenden beschäftigt sich unsere Redakteurin Kira mit der Art und Weise, wie in der deutschen Rapszene Kritik geäußert wird.
Wer sich in den letzten Wochen auf Twitter aufgehalten hat, konnte kaum übersehen, dass Loredana und Sinan-G besonders viel Aufmerksamkeit bekommen haben – aber nicht die der positiven Art. Loredana sollte wegen der Betrugsvorwürfe boykottiert werden und über Sinan-G wurde sich aufgrund eines geleakten Masturbationsvideos lustig gemacht. Man sollte meinen, dass es zwei unterschiedliche Fälle sind, doch eins haben die beiden gemeinsam: Es ist interessant, zu beobachten, wie und woran Kritik geäußert wird. Denn das sind meist gar nicht mehr die Inhalte der Diskussion, sondern Oberflächlichkeiten.
Aber eins nach dem anderen – was hat Loredana angestellt? Die Rapperin soll mit ihrem Bruder ein Rentnerpaar um eine hohe Geldsumme betrogen haben. Bekannt wurde der Fall bereits 2019, durch ein Interview mit dem Opfer wurde die Diskussion jedoch wieder aufgerollt. Vorweg: Es geht mir in diesem Kommentar nicht darum, das, was sie getan haben soll, mit dem, was ihr an Kritik widerfährt, aufzuwiegen. Bewahrheiten sich die Vorwürfe zu den Geschehnissen, sind diese nicht zu entschuldigen. Sie soll die Existenz zweier Menschen zerstört haben, das kann nicht mit ein paar Hate-Kommentaren verglichen werden. Es geht hier darum, auf welche Art und Weise diese sogenannte Kritik geäußert wird. Vorwürfe, dass sie eine "elendige Fremdgeherin" und "Rabenmutter" sei, haben in der Diskussion nichts zu suchen und verdrängen die eigentliche Tat. Dass Kriminialität bei anderen Rappern sogar gefeiert wird, zeigt außerdem, wie viel Doppelmoral und Sexismus in der berechtigten Kritik an ihr steckt. Wir wissen, dass es viele Rapper gibt, die ihre Gewalttaten und sexuellen Übergriffe verherrlichen – die wenigsten davon werden boykottiert. Das heißt keineswegs, dass man Loredana nicht boykottieren sollte. Man sollte nur alle gleichermaßen für ihre Taten bestrafen. Es wäre außerdem angebracht, stumpfe Beleidigungen, wie sie oben genannt wurden, zu unterlassen – das bringt keinen weiter. Viele gehen mit gutem Beispiel voran und sammeln Spenden für die Geschädigten der Tat. Vielleicht sollte man sich selbst auch fragen, ob man Loredana wegen der vorgeworfenen Tat an den Pranger stellt oder sexistische Beweggründe dahinterstecken.
Dass ein humaner Diskurs in der Szene kaum möglich zu sein scheint, sieht man nicht nur bei Loredana, sondern auch bei Sinan-G. Dieser geriet dieses Jahr mehrere Male ins Visier der Twittergemeinde. Zunächst, weil er Sex mit einer Transfrau hatte und anschließend wegen einer gefakten Rolex. Und nun wurde ein Masturbationsvideo von ihm veröffentlicht, was für ordentlich Hate gesorgt hat. "ich habe offiziell nen größeren schwanz als sinan g, wild" – Kommentare dieser Art füllen Twitter aufgrund des Videos. Neben solchen Kommentaren kursiert der Vorwurf, dass das Video von einer Minderjährigen aus einem Privatchat stammt. Sollten diese Vorwürfe nicht stimmen, hat man damit Schaden angerichtet. Wenn sie stimmen, sollte Sinan-G definitiv dafür belangt werden. Er selbst sagte in seinem Statement zu dem Video, dass die Gerüchte nicht stimmen. Genauer bezieht er keine Stellung. Doch diese Vorwürfe sind meist gar nicht Inhalt der Diskussion um Sinan-G. Statt sinnvolle Kritik zu äußern, wird sich über seine Penisgröße amüsiert. Es sollte einem bewusst sein, dass es abstoßend ist, sich über die Körpermerkmale einer Person lustig zu machen, für die sie nichts kann. Das gilt für jedes Geschlecht. Zusätzlich sollte man sich darüber einig sein, dass es nicht nur strafbar, sondern ebenso abstoßend ist, solche Dateien einer Person zu veröffentlichen und auf Social Media-Kanälen zu verbreiten. Dass der Rapper auf so eine Art gehatet wird, passiert nicht das erste Mal. Das gleiche geschah, als rauskam, dass er mit einer Transfrau geschlafen hat. Dies sorgte für ähnliche Kommentare, die außerdem transphobische Äußerungen beinhalteten. Obwohl es schon ein paar Monate her ist, seitdem Sinan-G dafür im Netz gehatet wurde, droppte Sun Diego vor Kurzem einen Song mit folgender Zeile: "Rapper ficken Transen wie bei Hangover." Den angeblichen Vorfall für einen Diss zu verwenden, verdeutlicht darüber hinaus die transfeindliche Haltung der Szene. Und die Menschen machen sich immer noch darüber lustig. Besonders amüsiert es sie, dass sich Sinan-G in seiner Musik als Gangster darstellt, dann aber mit einer Transfrau schläft. Das Gangster-Image kann man gutheißen oder nicht – Sex mit einer Transfrau sollte die Kredibilität eines Künstlers jedoch nicht untergraben.
Worin ähneln sich nun die beiden Fälle? Loredana und Sinan-G werden für Dinge verurteilt, die nichts mit der eigentlichen Diskussion zu tun haben oder nicht kritisiert werden sollten. Wir haben ein Problem damit, sinnvolle Kritik zu äußern und das wird immer deutlicher. Dass diese "Kritik" dann transphobe oder sexistische Äußerungen beinhaltet, darf nicht sein. Denn das ist nicht nur verletzend und respektlos den Betroffenen gegenüber, sondern auch überhaupt nicht zielführend. Dadurch verlieren wir den tatsächlichen Hintergrund der Diskussion aus den Augen und angebrachte Kritik geht verloren. Es ist traurig zu sehen, wie eine Szene genau die Weltoffenheit, für die sie sich selbst gerne rühmt, sofort vergisst, sobald jemand Mist baut. Wir sollten aufhören, uns an Äußerlichkeiten aufzuhalten und uns auf das Wesentliche konzentrieren. Und erst recht nicht anfangen, diskriminierende Inhalte in Form von Kritik rechtfertigen zu wollen.
(Sicko)
(Titelbild von Daniel Fersch)