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Gestürzte Denkmäler – Haftbefehl als Alternative für Bismarck?

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen, die woan­ders kei­nen Platz fin­den. In unse­rem neu­en Kom­men­tar beschäf­tigt sich unser Redak­teur Wen­de mit der Fra­ge, inwie­fern Haft­be­fehl ein alter­na­ti­ver Stra­ßen­na­me für Bis­marck ist.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen, die woan­ders kei­nen Platz fin­den. Dabei kommt nicht nur die MZEE​.com Redak­ti­on zu Wort, son­dern auch ande­re Szene-​affine Per­sön­lich­kei­ten wie Rap­per, Ver­an­stal­ter oder Pro­du­zen­ten. Wer sich also mit­tei­len möch­te, soll hier auch die Mög­lich­keit haben, dies zu tun. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ent­spricht jedoch nicht zwangs­läu­fig der unse­rer Redak­ti­on – wir sehen aber eben­falls nicht die Not­wen­dig­keit, die­sen Stim­men ihren Raum zu nehmen.

Im Fol­gen­den beschäf­tigt sich unser Redak­teur Wen­de mit der Fra­ge, inwie­fern Haft­be­fehl ein alter­na­ti­ver Stra­ßen­na­me für Bis­marck sein kann.

 

Im Zuge der Black Lives Matter-​Bewegung wer­den Denk­mä­ler gestürzt, Namen wer­den ange­foch­ten und sol­len ersetzt oder abge­hängt wer­den. Aktu­ell setzt sich in Offen­bach die Initia­ti­ve "HAFTBEFEHL GEGEN BISMARCK" dafür ein, die Bis­marck­stra­ße umzu­be­nen­nen. Der Stra­ßen­na­me steht hier im über­tra­ge­nen Sin­ne für ein Denk­mal Bis­marcks. Anlie­gen der Peti­ti­on ist vor allem, sei­ne Rol­le für die deut­sche Kolo­ni­al­po­li­tik auf­zu­zei­gen und des­halb den Namen zu ändern. Ein umfang­rei­ches Urteil über die Kolo­ni­al­po­li­tik Bis­marcks und des deut­schen Rei­ches nach 1871 ist hier in Kür­ze nicht mög­lich, aber sicher­lich wur­den nach heu­te all­ge­mein aner­kann­ten Wert­maß­stä­ben gra­vie­ren­de Feh­ler began­gen. Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der deut­schen Kolo­ni­al­po­li­tik ist enorm wich­tig. Sie fin­det unter His­to­ri­kern schon län­ger und end­lich auch in wei­te­ren Tei­len der Öffent­lich­keit statt, so eben auch in Offen­bach. Als Alter­na­ti­ve zu Bis­marck soll die Bis­marck­stra­ße ent­we­der nach dem ers­ten Schwar­zen deut­schen Fußball-​Nationalspieler Erwin Kos­ted­de oder aber nach Aykut Anhan aka Haft­be­fehl benannt wer­den. Damit wer­den zwei Namen vor­ge­schla­gen, die laut der Initia­ti­ve für eine pro­gres­si­ve und offe­ne Welt ste­hen sol­len. Obwohl die Urteils­fin­dung zu Bis­marcks gesam­tem Wir­ken nicht ein­deu­tig ent­schie­den und wei­ter­hin im Pro­zess ist, soll sein Name vom Stra­ßen­schild besei­tigt und poten­zi­ell durch den von Haft­be­fehl ersetzt werden.

Doch wofür steht Haft­be­fehl? Einer­seits steht er für einen ein­zig­ar­ti­gen Rap-​Stil und kom­mer­zi­el­len Erfolg. Über­dies müs­sen sei­ne mah­nen­den Hin­wei­se auf die Situa­ti­on der Migran­ten und das Leben in sozia­len Brenn­punk­ten gewür­digt wer­den. Die Feuil­le­tons waren voll des Lobes. Ande­rer­seits sah sich der Künst­ler mit dem Vor­wurf des Anti­se­mi­tis­mus kon­fron­tiert. Haft­be­fehl scheint somit in sei­nem Œu­v­re gegen Wer­te zu ver­sto­ßen, die auf einem brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens beru­hen. Sei­ne Leis­tung soll nicht geschmä­lert wer­den – einen dis­kus­si­ons­wür­di­gen Stra­ßen­na­men jedoch zu ent­fer­nen und den eines sei­ner­seits in der Kri­tik ste­hen­den Rap­pers ein­zu­fü­gen, ist nicht überzeugend.

Eine Stra­ße umzu­be­nen­nen, ist ein wir­kungs­mäch­ti­ges Sym­bol, aber viel wich­ti­ger ist eine ernst­haft kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der deut­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te. Man kann Denk­mä­ler stür­zen oder Stra­ßen­na­men ändern, aber damit wer­den Taten aus der Ver­gan­gen­heit nicht getilgt. Sie blei­ben bestehen. Wenn man sich gegen­wär­tig auf ande­re Wer­te einigt, dann soll­te man bes­ser die Denk­mä­ler umge­stal­ten. In die­sem Fal­le könn­te man unter dem Stra­ßen­na­men sowohl einen Hin­weis auf Bis­marcks posi­ti­ve Leis­tun­gen anbrin­gen – man den­ke etwa an die Sozi­al­ge­setz­ge­bung – aber auch sei­ne Rol­le in der Kolo­ni­al­po­li­tik kri­tisch kom­men­tie­ren. So könn­te der Name Bis­marck­stra­ße als Mah­nung erhal­ten blei­ben. Damit blie­be die Erin­ne­rung an Unrecht in der Ver­gan­gen­heit sowie die Mah­nung, sich dafür ein­zu­set­zen, dass nie wie­der ein Kon­ti­nent und damit Men­schen unter­drückt, aus­ge­beu­tet und ermor­det wer­den. Eine ähn­li­che Argu­men­ta­ti­on könn­te man auch für die Ver­wen­dung des Namens Haft­be­fehl nut­zen. Einer­seits sei­ne Leis­tun­gen her­vor­he­ben, aber auch kri­tisch erläu­tern. Zwi­schen die­sen bei­den Per­sön­lich­kei­ten bestehen aber gra­vie­ren­de Unter­schie­de. Der Ein­fluss und das Wir­ken Bis­marcks ist für die deut­sche Geschich­te erheb­lich, auch wenn die Kolo­ni­al­po­li­tik sicher­lich zu ver­ur­tei­len und die Innen­po­li­tik wohl nicht ein­deu­tig zu bewer­ten ist. So ste­hen hier zwei Namen gegen­über, die kaum ver­gleich­bar erschei­nen und bei­de Anlass zu Kri­tik bie­ten. Wenn jedoch der Name schon geän­dert wer­den soll, dann doch in einen, dem die über­wie­gen­de Mehr­heit zustim­men kann – oder man einigt sich auf neu­tra­le Namen.

Wenn Denk­mä­ler gestürzt oder wie hier Namen ersetzt wer­den sol­len, geht es um eine kri­ti­sche Betrach­tung der Ver­gan­gen­heit. Ein wei­te­rer Gesichts­punkt dabei ist, den Opfern von Ras­sis­mus ein stück­weit Gerech­tig­keit zukom­men zu las­sen und ihr Lei­den anzu­er­ken­nen. Dabei soll­te dar­auf geach­tet wer­den, dass nicht eine rei­ne Sym­bol­po­li­tik betrie­ben wird. Genau die­sen Ein­druck kann man jedoch gele­gent­lich gewin­nen. Die Wut der­je­ni­gen, die ras­sis­tisch dis­kri­mi­niert wer­den, ist nicht nur berech­tigt, son­dern auch nötig, damit sich etwas ändert. Der Akt der Umbe­nen­nung ist eine kon­kre­te Tat und ein Sym­bol, aber letzt­lich muss sich in der Denk- und Hand­lungs­wei­se bei einem gro­ßen Teil unse­rer Gesell­schaft etwas ändern. Dies ent­steht eher im Dis­kurs und des­halb soll­te man den Namen bei­be­hal­ten und einen deut­li­chen Hin­weis auf Bis­marcks Kolo­ni­al­po­li­tik geben. Der Name samt den Hin­wei­sen bleibt als Mah­nung und als Gesprächs- und Dis­kus­si­ons­an­lass erhal­ten. Kri­ti­ker könn­ten ein­wen­den, dass wohl nur die wenigs­ten sich beim Hören eines Stra­ßen­na­mens mit der Geschich­te aus­ein­an­der­set­zen. Hier ist es Auf­ga­be der Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und Medi­en, genau die­ses Bewusst­sein zu schaf­fen. Wenn das his­to­ri­sche Urteil ein­deu­tig ist, etwa wenn das Denk­mal eines  Skla­ven­händ­lers oder eines men­schen­ver­ach­ten­den Dik­ta­tors gestürzt wird, ist dies eine ange­mes­se­ne Reak­ti­on. Bis­marck ist als his­to­ri­sche Figur so ein­deu­tig nicht zu beur­tei­len und des­halb soll­te der Name blei­ben und kri­tisch erläu­tert wer­den. Inwie­fern Haft­be­fehl als Stra­ßen­na­me oder Denk­mal in Zukunft taug­lich erscheint, hängt auch von sei­nem wei­te­ren Wer­de­gang ab.

(Wen­de)
(Titel­bild Jani­na Steffes)