Kaum ein Faktor hat so nachhaltig zur Entwicklung der deutschen Rap-Landschaft beigetragen und drückt ihr nach wie vor seinen Stempel auf wie die Verbreitung des Internets. Auch wenn berechtigterweise nicht jeder ein Fan der digitalen Welt ist, lässt sich nicht abstreiten, dass das Internet eine Vielzahl neuer Möglichkeiten für die HipHop-Szene geboten hat und immer noch bietet. Insbesondere Social Media ist heute nicht mehr wegzudenken, auch wenn die verschiedenen Plattformen längst nicht nur positiv zu Gestalt und Inhalt der hiesigen Kultur beitragen. Zeit, diese zwiespältige, komplexe und einflussreiche Beziehung genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das Internet sprengte in den letzten knapp 20 Jahren sämtliche Grenzen der klassischen Medien, insbesondere im Hinblick auf Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten. In Deutschland stieg der Anteil der Nutzer zwischen 2001 und 2019 von 37 auf über 86 Prozent. Es ist klar, dass dieser Einfluss auch vor der deutschen HipHop-Szene nicht Halt macht. Noch bis Ende der 90er Jahre war eine breite Außenwahrnehmung von HipHop schwer zu erreichen und nur in Einzelfällen möglich. Zu nennen sind hier unter anderem die Fantastischen Vier, die Beginner, Fettes Brot und Freundeskreis. Diese konnten alle mindestens einen Song in den Top 20 der deutschen Singlecharts unterbringen und wurden somit in der damals noch wichtigen Radiolandschaft gespielt. Sämtliche andere Gruppen oder Solokünstler flogen größtenteils unter dem Radar des breiten Mainstreams. Wer sich für HipHop interessierte, musste selbst auf Konzerten, Jams oder Partys vor Ort sein, um neue Künstler zu entdecken und die Musik seiner Lieblingskünstler auf Tape, CD oder in seltenen Fällen auf Vinyl zu erwerben. Mit etwas Glück gab es dann auf den Veranstaltungen bereits Infos für die nächsten Konzerte und Jams, um auf dem Laufenden zu bleiben, sofern nicht sowieso schon eine Bekanntschaft oder Freundschaft zu den Künstlern der damals relativ kleinen Szene bestand. Sowohl Medienpräsenz als auch der Vertrieb waren in den wenigsten Fällen professionell oder dauerhaft gesichert. Auch Szene-intern hielt sich die Vielfalt an HipHop-Magazinen in Grenzen. Während die Erstausgabe von BACKSPIN zum Beispiel 1994 erschien, trat das JUICE-Magazin sogar erst im Jahr 1997 auf die Bildfläche.
Die deutsche HipHop-Szene war also nicht nur relativ klein, sondern größtenteils auch ziemlich laienhaft organisiert. Dies sollte sich Mitte bis Ende der 90er Jahre ändern. Eine Vielzahl an Künstlern wurde entweder bei Major oder kleineren Indie Labels gesignt. Nur kurze Zeit später eröffnete sich dank des Internets von Anfang bis Mitte der 2000er dann eine scheinbar unendliche Bandbreite an Möglichkeiten für die deutsche HipHop-Landschaft. Viele Teile der Szene gründeten eigene Labels und vermarkteten sich selbst, was vor der Digitalisierung noch praktisch unmöglich schien. Nach und nach standen sämtliche Formulare der GEMA und des Patent- oder Ordnungsamts zum Download zur Verfügung und auch die Finanzierung der Labelgründung erleichterte sich. Denn die deutsche Rapszene hatte bereits eine Größe erreicht, durch welche die Finanzierungshilfen für Gewerbescheine oder die Codes zum digitalen und physischen Musikvertrieb besser möglich wurden. Zwar waren auch in den 90er Jahren schon einige Labels am Start, wie 58Beats, Yo Mama oder Eimsbush Entertainment, allerdings entstanden die meisten heute noch aktiven HipHop-Labels – wie etwa 385idéal, Aggro Berlin, Alles oder Nix Records und Jakarta Records – erst zwischen 2000 und 2015. Auch der Vertrieb der eigenen Musik wurde durch das Internet enorm vereinfacht. Denn im digitalen Kosmos verschwammen die Grenzen zwischen Independent- und Major-Vertrieben. Dies lag insbesondere an der kostengünstigen Möglichkeit, Musik auf Download-Portalen anzubieten – auch ohne große finanzielle Rücklagen. Zusätzlich entwickelten Künstler und Labels eigene Online-Shops für Merch und Tonträger, durch die sich wesentlich mehr Gewinn erzielen ließ als über den "klassischen" Musikvertrieb. Bis zuletzt ergaben sich neue Möglichkeiten des Vertriebs im Internet, sei es durch die Monetarisierung von Musikvideos auf Videoportalen oder durch Streaming-Plattformen. Zwischen 2001 und 2007 wuchs der Umsatzanteil von Internetverkäufen an Musikmedien von 6,6 Prozent auf 18,3 Prozent. Von der Käuferschicht der 10- bis 19-Jährigen wurde etwa ein Drittel der Downloads im Jahr 2007 dem Bereich "Dance" zugeordnet, zu welchem Rap damals noch gehörte. Diese Entwicklung spiegelt auch aktuelle Hörgewohnheiten wider. Laut jährlichen Umfragen des Musikinformationszentrums beträgt die Rap-Hörerschaft seit 2009 mindestens 70 Prozent der 14- bis 19-Jährigen und immerhin noch mindestens 50 Prozent bei den 20- bis 29-Jährigen.
Die HipHop-Community fand im Internet gänzlich neue Wege, sich zu vernetzen und auszubreiten. War die Online-Piraterie selbstverständlich für Künstler, Labels und Vertriebe ein großes Problem, stand sie gleichzeitig auch für eine wachsende HipHop-Gemeinschaft. Circa 30 Prozent der Downloads in den 2000ern fanden illegal statt und auch gekaufte CDs wurden im Schnitt etwa dreimal kopiert beziehungsweise gebrannt. Diese Entwicklung kam nicht von ungefähr. So waren in den neuen Online-Foren Künstler und Fans verschiedener Städte bestens darüber informiert, was in den jeweiligen anderen Städten so ging. Hier wurden nicht nur Musiktipps ausgetauscht, sondern auch MP3s verschickt oder "gute" Download-Portale verlinkt. Niemand war mehr zwingend an den Mainstream oder das eigene Umfeld gebunden. Auch wenn viele Foren bis heute existieren und zum Teil auch noch rege genutzt werden, wurden sie Ende der 2000er von den sozialen Netzwerken abgelöst. Die Möglichkeiten der Nutzung zur Connection zwischen Künstlern und Hörern haben sich durch Social Media nochmals vervielfacht. Auch die Promotion der eigenen Musik ist durch die sozialen Netzwerke wesentlich einfacher geworden. Speziell der schon in den 90ern beliebte Battlerap erhielt in den sozialen Netzwerken noch mal enormen Aufschwung und gewann Fans dazu. So erfreute sich Ende der 2000er, zusätzlich zum "klassischen" Battlerap, eine Vielzahl neuer Videobattle-Turniere an enormer Beliebtheit in den sozialen Medien. Einige Protagonisten der Videobattle-Szene wurden sogar so groß, dass sie eigene Labelverträge erhielten, wie zum Beispiel Lance Butters oder Weekend. Diese haben ihre Musik zuvor primär nur auf Social Media ohne großen Einfluss von Labels oder Medien beworben. So werden die neuen Informationskanäle heute vor allem als Beispiel für mehr Unabhängigkeit der Künstler von Labels, Medien und Veranstaltern betrachtet. Künstler, die keine Lust auf Zusammenarbeit mit Labels haben oder eben noch zu keinem Label gehören, können sich hier besser denn je präsentieren. Der Kostenaufwand ist dabei maximal gering und es bedarf nicht zwingend großem Aufwand. Sowohl das Informieren von Fans als auch die Kommunikation mit potenziellen Hörern geschieht nahezu in Echtzeit. Dies ist besonders effektiv, denn die Hauptzielgruppe gehört zu den sogenannten "Digital Natives" und nutzt Social Media-Angebote täglich. Doch auch wenn auf den ersten Blick viele positive neue Aspekte für Künstler und Fans durch die sozialen Netzwerke hinzugekommen sind, ist der problematische Rattenschwanz vielleicht genauso groß.
Aber wie nutzen die verschiedenen Protagonisten der Szene die sozialen Medien heute überhaupt? Edgar Wasser zum Beispiel verwendet seine Social Media-Kanäle entweder gar nicht oder lediglich, um knapp die eigene Musik zu bewerben. Dies passiert zwar, passend zu seiner Kunst, zumeist ironisch, viel mehr lässt sich auf seinen Profilen jedoch nicht entdecken. Werbetechnisch hat dies Vor- und Nachteile für ihn. Einerseits läuft er keine Gefahr, in Skandale verwickelt zu werden und lässt nur seine Kunst für sich sprechen, andererseits generiert er kein sonderliches Potenzial für mehr Reichweite seiner Musik. Im Gegensatz dazu liefert Fatoni nahezu dauerhaft Content. Während die beiden sich textlich oft ähneln, kann man das über ihre Social Media-Nutzung nicht behaupten. Im Vergleich zu Edgar Wasser besteht der Content von Fatoni auf Instagram und Co. nicht nur aus der eigenen Musik. Es erscheint fast so, als würden seine Fotos, Videos und Captions Teil seiner Kunst und Kunstfigur sein. Speziell die Masse an täglichem Fatoni-Content erleichtert das Verschwimmen zwischen Kunst beziehungsweise Kunstfigur und Privatperson in den Augen einiger Fans. Mit dieser Art der Nutzung ist er kein Einzelfall, sondern gehört zu einer großen Gruppe von Künstlern, wie Juicy Gay, Haiyti oder LGoony. Gerade von LGoony könnten einige "One-liner"-Tweets auch Teil von Songtexten sein, denn "andere rapper können dreipacken minus zweipacken (einpacken)". Die Frage, inwieweit Kunst und Kunstfigur von der Person dahinter zu trennen sind, erhält durch Social Media eine zusätzliche Dimension. Diese wird besonders deutlich, wenn der Content sich nicht mehr nur auf die eigene Kunst beschränkt, sondern auch "private" Inhalte geteilt werden.
Das Verschwimmen von Privatperson und Kunst kann dabei zu einem überaus positiven Faktor werden. Dies wird besonders deutlich bei Künstlern mit einer sozialen oder politischen Message, deren Gruppe in den letzten Jahren enorm gewachsen ist. Zu nennen sind unter anderem Amewu, Antilopen Gang, Nura, Ebow, Fettes Brot, Roger Rekless, K.I.Z, Audio88 & Yassin, Zugezogen Maskulin oder Marteria. Auf den Social Media-Kanälen findet man nicht nur Musik oder andere Formen des künstlerischen Ausdrucks, sondern auch Infos zur Teilnahme oder Veranstaltung von Solidaritätskonzerten, wie von K.I.Z mit dem Konzert "Nur für Frauen", Fettes Brot bei "Fridays for Future" oder dem geplanten Benefizkonzert für Frauenhäuser der Antilopen Gang. Hinzukommen Aufrufe an Hörer und Fans zur Teilnahme an Demonstrationen, Workshops, Diskussionsrunden, Petitionen oder Spendensammlungen, unter anderem von Nura, welche sich in ihren Texten zumeist eher anderen Themen widmet. Außerdem findet man häufig Statements zu aktuellen politischen oder sozialen Entwicklungen, insbesondere von Amewu oder Roger Rekless. Roger Rekless ermöglicht zum Beispiel auf seinem Instagram-Profil eine Vielzahl an Interaktionsmöglichkeiten für Rap-Hörer, aber auch generell für Fans des politischen Diskurses. Zu Beginn des Covid-19-Shutdowns startete er eine Livestream-Reihe über "Interviewdinge" und "Lesen gegen rechts". Dabei geht er nicht nur auf Fragen und Anmerkungen aus dem Chat ein, sondern verweist bei eigenen politischen oder wissenschaftlichen Äußerungen stets auf entsprechende Quellen. Er ist damit ein Vorreiter der Social Media-Welt, in der das Angeben von Quellen bis heute von vielen Influencern und Prominenten vermieden wird. Wer sich nun fragt, was diese Formate überhaupt mit HipHop zu tun haben, dem sei gesagt, dass Livestreams von Roger Rekless grundsätzlich mit einem Freestyle beginnen und auch seine Interviewpartner sich häufig im HipHop-Kosmos bewegen.
Der angesprochene Diskurs rund um Covid-19 kann und ist allerdings auch in ganz andere Richtungen verlaufen. Es ist besonders erschreckend, welch positive Resonanz Verschwörungstheorien von einigen Protagonisten der Szene erhalten. Xavier Naidoos geleakte Videos machen Anfang März die Runde. Nachdem sich Visa Vie kurz darauf extrem kritisch gegenüber Xavier Naidoo in Insta-Storys äußert, schließen sich ihr eine Vielzahl Künstler an, unter anderem Nura und Megaloh, und geben Statements ab. Einige andere Künstler wiederum, die mit Xavier Naidoo zusammengearbeitet haben, äußern sich entweder gar nicht oder unterstützen sein zurückruderndes Statement auf Instagram zu den geleakten Videos, wie zum Beispiel Juju, Samy Deluxe, Afrob, Nico Suave oder MoTrip. In diesem Fall wirkt die Social Media-Stille fast doppelt schwer, weil Xavier Naidoos einstiges Projekt, die Brothers Keepers, in eine völlig andere Richtung ging als seine Äußerungen der letzten Jahre. "Wir fallen dort ein, wo ihr auffallt. Gebieten eurer braunen Scheiße endlich Aufhalt!" heißt es in der Hook von "Adriano (Letzte Warnung)", dem Song, der aufgrund des rassistischen Angriffs auf Alberto Adriano entstand. Knapp 20 Jahre später singt Xavier Naidoo in dem geleakten Video hingegen: "Ich hab' fast alle Menschen lieb, aber was, wenn fast jeden Tag ein Mord geschieht, bei dem der Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt." Insbesondere in den letzten Monaten erhalten seine Telegram-Gruppen regen Zulauf und auch einige Protagonisten der deutschen Rap-Szene springen auf den Zug der Verschwörungstheoretiker mit auf, wie zum Beispiel Fler, Massiv, Sido, Kollegah, B-Lash oder Leon Lovelock. Die Verschwörungstheorien werden zumeist ohne etwaige Quellen verbreitet und kommentarlos in den eigenen Content eingearbeitet.
Diese problematischen "Einzelfälle" scheinen auf den ersten Blick keinen großen Einfluss auf die gesamte Szene und Hörerschaft zu haben. Doch sie bilden ein Problemfeld, welches sich insbesondere auf Jugendliche und Kinder auswirkt. "Das wird man ja noch sagen dürfen, solang die uns're Fahne fürchten, auf dem Gehweg Platz machen, komm' ich klar mit Türken" rappt Audio88 sarkastisch auf "Schellen". Fans seiner Musik wissen die Zeile einzuordnen und im Gesamtkontext des Songs und seiner Musik zu verstehen. Ähnliches gilt auch für K.I.Z-Texte oder Retrogott, der sich mittlerweile von seinen alten rassistischen und sexistischen Battlerap-Texten distanziert. Diese Haltung teilen längst nicht alle HipHop-Künstler, denn viele verbreiten weiterhin rassistische, sexistische oder homophobe Inhalte, welche sich auch durch Kontextualisierung nicht legitimieren lassen. "Im Apple Store warst du ein Slave, bei mir dann Django Unchained" ist nur eine von vielen Zeilen auf dem neuen Fler-Album, die rassistisch und diskriminierend sind. Sie richtet sich eindeutig gegen seinen Ex-Labelkollegen Jalil. Ebendiese Inhalte finden sich auch auf den Social Media-Kanälen der Künstler wieder und beeinflussen die eigene Hörerschaft. Erst jüngst erhielt Sylabil Spill vermehrt rassistische Direktnachrichten auf Instagram von Fler-Hörern, die sich mit dessen Haltung und Texten brüsten. Trotz Veröffentlichung der rassistischen Nachrichten bezog Fler dazu keine Stellung und blockierte stattdessen lediglich Sylabil Spill auf Instagram. In diesem Zusammenhang erscheinen auch die Richtlinien vieler Plattformen und ihre Durchsetzung schwach. Höchst selten werden Inhalte oder Profile gesperrt, oftmals erst lange nachdem die Inhalte und Profile mehrfach gemeldet wurden. Diese Problematik ist allerdings kein alleiniges HipHop-Phänomen, generell verläuft die Rechtsprechung im Bereich Social Media noch viel zu träge. Auch wenn es bereits einige Klagen gegen vereinzelte Social Media-Inhalte gab, waren diese nur sehr selten erfolgreich und verliefen zumeist auch viel zu langsam. Betrachtet man das Paradebeispiel Gzuz, so erscheint es fast schon unmöglich, mehr skandalöse Inhalte auf seinen Kanälen zu verbreiten. Trotz Kritik von verschiedensten Seiten erhält er einen riesigen Rückhalt seiner Fans. Er wird nicht nur weiterhin gefeaturet, sondern landet mit seinem letzten Album "Gzuz" sogar auf Platz eins der Charts. Dies ist besonders problematisch, da gerade jüngere Hörer in ihren Lieblingskünstlern Vorbilder sehen. Sämtliche Fehltritte werden verziehen oder sogar auf Instagram und Co. verteidigt.
Dieses Verhalten der Hörer und Fans lässt sich auch aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive erklären und verstehen. Denn während Bild, Musik und Film zumeist einseitig konsumiert werden, findet durch Social Media eine Vernetzung von Künstlern und Fans statt, welche sich auch aus der dauerhaften Kommunikation über Instagram und Twitter ergibt. Ein ähnlicher Habitus der Künstler und Fans ist hier besonders hilfreich, um Missverständnisse und falsche Interpretationen des Contents zu vermeiden. Der Begriff Habitus bezeichnet dabei eine Art individuelle Persönlichkeitsstruktur, die sich im Denken, Handeln und Auftreten einer Person widerspiegelt. Die Darstellung des eigenen Habitus im Social Media-Bereich wirkt sich dann auf das Verhalten von Fans und anderen Künstlern aus, bei denen dann ein ähnlicher Habitus entstehen kann. Natürlich lässt sich dieser vergleichbare Habitus durch die sogenannte vierte Wand nur mit Abstrichen erkennen. Um bei dem Beispiel der bereits erwähnten Fler-Hörer zu bleiben: Deren Instagram-Storys werden von Fler regelmäßig geteilt, sofern sie ihn darin markieren. In den geteilten Storys finden sich eine Reihe von Verhaltensweisen und Symbolen, die immer wieder auftauchen. Sei es das bewusste Präsentieren von Statussymbolen, wie einer Uhr oder dem eigenen Auto, oder das Tragen von Ghetto Sport-Kleidung, der Modemarke von Fler.
Insbesondere die Darstellung der eigenen Gedanken vereinfacht die Entstehung von sogenannten Filterblasen im Social Media-Bereich – denn wer umgibt sich schon gerne mit Dingen, die er selbst als irrelevant, sinnlos oder sogar falsch ansieht. Künstler und Fans bewegen sich dann in einer gemeinsamen Komfortzone. Rapper müssen ihre Einstellungen, Positionen und Äußerungen zumeist nicht rechtfertigen, da sie von ihren Fans geteilt werden. Dies macht auch Promophasen für viele wesentlich einfacher, da sie nicht gezwungen sind, auf Kritik oder Nachfragen zu reagieren – wie zum Beispiel in einer Interview-Situation. Ganz im Gegenteil, Kommentarspalten können nach Belieben aussortiert werden und ganze Beiträge verschwinden bei Kritik "plötzlich" von den Plattformen.
Selbstverständlich sind Künstler nicht dazu verpflichtet, nur bestimmte Inhalte zu verbreiten. Trotzdem wird gerade den besonders Follower-starken Künstlern eine Vorbildfunktion zugewiesen, welche sich aus der Dauerpräsenz im Alltag der Fans, also vieler Kinder und Jugendlicher, ergibt. Somit ist es nicht unwichtig, den Content dementsprechend zu gestalten. Dieser wird eben nicht bloß konsumiert wie Musik, sondern ist Teil eines sozialen Vernetzungsprozesses. Umso wichtiger ist es, dass sich Künstler eindeutig positionieren wie im angesprochenen Beispiel von Xavier Naidoo. Dabei müssen sie ihm die künstlerischen Fähigkeiten zwar nicht absprechen, seine "politische" Haltung jedoch eindeutig verurteilen.
Denn gerade wenn sich Künstler zu verschiedensten Themen positionieren oder kritisch äußern, können spannende Diskurse und Debatten entstehen. Insbesondere, weil die Künstler dann ihre Komfortzone auf Social Media zumeist verlassen müssen. Leider kann sich dies sowohl negativ als auch positiv auswirken. Kürzlich kommentierte MC Bomber einen Instagram-Post von Helen Fares mit extrem sexistischen Inhalten und erhielt dafür insbesondere aus der linken Filterblase enormen Gegenwind. Hier scheinen Textinhalte und persönliche Einstellung von MC Bomber wohl näher beieinander zu liegen, als bisher von einigen Hörern angenommen. Anders sieht es da bei einigen anderen Künstlern aus, die textlich eigentlich nicht gerade für politische oder sozialkritische Inhalte bekannt sind. So riefen BHZ jüngst eine Spendenkampagne bezüglich der unmenschlichen Flüchtlingssituation an den griechischen Grenzen ins Leben, während Azzi Memo seine Rapkollegen zu einem gemeinsamen Charity-Song im Gedenken an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau einlud.
Die Übertragung klassischer HipHop-Werte in den digitalen Kosmos ist, insbesondere im Social Media-Bereich, also durchaus möglich. Denn insgesamt nehmen die Kommunikation und die daraus resultierenden Diskurse und Debatten in den sozialen Medien eine tragende Rolle ein. Sie sind seit einigen Jahren das Kernstück der Vernetzungsprozesse der HipHop-Szene und haben damit sowohl Jams, Konzerte, Foren als auch Mainstream-Medien hinter sich gelassen. Gleichzeitig können sie aber auch das genaue Gegenteil bewirken, indem sich einzelne Filterblasen explizit abgrenzen und vom Rest der Szene distanzieren. Dieser Vorgang ist nicht zwingend problematisch, wenn sich zum Beispiel von diskriminierenden Inhalten distanziert wird. Allerdings werden bis heute unter anderem im Bereich der Mainstream-Medien stets einzelne Künstler oder Filterblasen als Repräsentanten der gesamten Szene benutzt. Eine Bürde, die kaum eine andere Musikrichtung in dieser Form tragen muss. Doch gerade hier liegt heute der große Vorteil von Social Media für die HipHop-Community: Zumindest der Vernetzungsprozess ist nicht mehr von vielen äußeren Faktoren wie den Mainstream-Medien oder Konzerten abhängig. Denn innerhalb kürzester Zeit kann mit einfachsten Mitteln eine Vielzahl an Menschen in den sozialen Netzwerken erreicht werden.
(Alec Weber)
(Titelbild von Janina Steffes)