"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Es gibt sie noch: Rapper, die auf gepflegte Social Media-Accounts verzichten. Rapper, die nichts von endlosen Promophasen oder vollgepackten Premiumboxen halten. Rapper, die ihre Musik einfach nur aus einem Grund machen: weil sie Bock darauf haben. Harry Quintana ist einer dieser bedrohten Art. Es verwundert daher auch nicht, dass die breite Öffentlichkeit weitestgehend nichts von seiner Anfang 2019 veröffentlichten EP "RARO" mitbekommen hat. Eine Tatsache, die es zu ändern gilt, denn auf meiner Favoritenliste steht sie ganz weit oben.
Einer der Hauptgründe dafür ist sicherlich, dass Zurückhaltung ein Attribut ist, das man zwar dem Künstler, nicht aber der Kunstfigur zuschreiben kann. Quintana spielt mit Klischees und stellt sich selbst gern als verzogenes Kind der Oberschicht dar, das "nur auf den Rat von Leuten mit einem Ferrari" hört. Mit ignoranten Wortspielen und pointierten Punchlines untermalt er dieses Image ebenso wie mit seiner Vortragsweise, bei der man immer ein wenig das Gefühl hat, als wäre ihm alles komplett egal. Quintana kann aber auch anders, wie die zweite Hälfte seiner Platte zeigt. Tracks wie "Ingolstadt Village" oder "Weiter" sind durchzogen von Melancholie und rücken sein Alter Ego sukzessive in den Hintergrund. Er zeigt sich von einer persönlicheren Seite, bei der die vorangegangene Überheblichkeit durch Lines wie "Diese scheiß Mittelmäßigkeit killt mich" abgelöst wird. Dieser Bruch führt dazu, dass man bis zum Schluss an jedem Song kleben bleibt. Und genau diese Mischung macht für mich den Charme der Musik aus.
Mit "RARO" liefert Harry Quintana acht Songs, die einerseits extrem unterhaltsam, andererseits ungemein fesselnd sind. Zu verdanken ist dies vor allem seinem einzigartigen Stil, durch den er sich von der breiten Masse abhebt. In einem seiner wenigen Interviews hat der Münchner einmal gesagt, dass er nur durch seine Lyrik etwas Eigenständiges schaffen könne. Ein Talent, das er definitiv einzusetzen versteht.
(Thomas Linder)