Und wieder neigt sich ein prall gefülltes HipHop-Jahr dem Ende zu. Um es gebührend abzuschließen, stellten wir relevanten Persönlichkeiten der deutschen HipHop-Szene vier Fragen zu den vergangenen Monaten. Egal, ob Journalist, Rapper, Produzent oder andere, dem HipHop nahestehende Künstler – sie alle verraten uns ihre persönlichen Highlights aus 2019. Zudem beantworteten sie uns eine weitere Frage, um auch das vergangene Jahrzehnt noch einmal Revue passieren zu lassen. Somit lassen wir nicht nur ein einzelnes Jahr, sondern gleich eine ganze Dekade feierlich ausklingen. Wir wünschen unseren Lesern sowie allen Liebhabern und Protagonisten der Kultur eine besinnliche Weihnachtszeit.
Roger Rekless
MZEE.com: Welches Album aus diesem Jahr war dein absoluter Favorit?
Roger Rekless: "Wer Sagt Denn Das?" von Deichkind – und das hat nichts damit zu tun, dass ich den Jungs nächstes Jahr live zur Seite stehe. Es ist ein so unfassbar gutes und erwachsenes Album. Witzig, unterhaltsam, kritisch und dabei musikalisch einfach saugut! Lieblingsbasslines: "Alles Außer Sunshine" und "Knallbonbon". Lieblingssongs: "Richtig Gutes Zeug", "Ich Bin Ein Geist" und "Endlich Autonom".
MZEE.com: Und wer ist deine Persönlichkeit des Jahres der deutschen Rapszene?
Roger Rekless: Chefket, weil er eine öffentliche Diskussion über Rassismus auch in einer vermeintlich offenen Bewegung wie dem Umweltschutz angestoßen hat. Das war so wichtig. Erst zwei Wochen vor seinen Posts hatte ich mit einer afrodeutschen Landtagswahlkandidatin der Grünen über genau das Thema gesprochen. Sie hatte mir erzählt, dass sie innerhalb der Partei unglaublich starke rassistische Strukturen überwinden muss. Und das, weil den Menschen nicht bewusst ist, wie ausschließend manche Aktionen sind. Sie begreifen sich als völlig befreit von Rassismus. Deshalb fand ich das so wichtig. Danke Chefket!
MZEE.com: Von welchem Newcomer 2019 wird man in den nächsten Jahren noch viel hören?
Roger Rekless: John Known ist zwar schon länger around als zwölf Monate, aber macht gerade erst den Anfang hörbar von allem, was da noch kommt.
MZEE.com: Welche Empfehlung aus dem Jahr 2019 kannst du unseren Lesern vor Ende des Jahres noch geben?
Roger Rekless: Wie Prinz Pi sich als weißer, privilegierter und erfolgreicher Mann rausnimmt, zu sagen, es gäbe keinen strukturellen Rassismus im Rap und Musikbusiness. Und es dann Rassismus nennt, wenn Mine ihm sagt, er könne dies aus seiner Position nicht beurteilen – womit sie komplett recht hat. Diese Haltung ist gefährlich und unreflektiert, denn sie marginalisiert rassistische Diskriminierung, mit der People of Color – innerhalb und außerhalb der Musikindustrie – zu kämpfen haben.
MZEE.com: Mit 2019 endet auch gleichzeitig eine Dekade. Was waren deine liebsten drei Alben aus den 2010er Jahren?
Roger Rekless: Absoluter Instant Classic ist für mich "Malibu" von Anderson .Paak. Die Platte wird in meiner Liste der besten Alben ever in den nächsten Dekaden noch seinen Platz behalten. Außerdem für mich mit dabei " The Good Vibe Tribe" von Audio Push. Die Inland Empire-Crew hat mich mit dem 2015er-Release so abgeholt und mir gezeigt, wie moderner, intelligenter, gut geflowter Rap sein kann. Ich hab' die Jahre davor fast nur Hardcore, Jazz und Metal gehört, aber diese Platte hat mich so begeistert und gepusht, dass ich ohne sie wahrscheinlich nicht so selbstbewusst weiter Musik hätte machen können. Dann wäre da noch "Section.80" von Kendrick Lamar. Ich weiß, ich weiß: "To Pimp A Butterfly" und "good kid, m.A.A.d city" waren auch unfassbar gut, aber für mich ist "Section.80" der direkte Einblick in die Lebenswelt eines jungen Künstlers, der so präzise beobachtet und diese Beobachtungen unfassbar gut in Songs packt. Da ist alles sehr direkt und man merkt schon, was er sich musikalisch traut. Mein favourite Song darauf ist "No Make-Up".
CONNY
MZEE.com: Welches Album aus diesem Jahr war dein absoluter Favorit?
CONNY: Auch wenn ich es mir als Künstler anders wünschen würde, kann ich mich nicht davon frei machen, dass ich Musik immer seltener im Format "Album" konsumiere. Das Deutschrap-Album, das ich dieses Jahr am wenigsten auf Playlists oder in einige wenige Lieblingssongs aufgeteilt habe, war "Orsons Island" von den Orsons. Ich mag die Produktionen sehr und vor allem auch, dass es so viel Pop- und so wenig Rap-Album ist. Wenn ich noch ein Werk außerhalb des Deutschrap-Kosmos nennen darf, dann ist das "Hypersonic Missiles" von Sam Fender. Ein wundervolles Indie-Album, das unter anderem mit dem Track "Dead Boys" eine extrem wichtige, politische Thematik aufgreift und musikalisch auf eine Art und Weise verarbeitet, die mich neidisch macht.
MZEE.com: Und wer ist deine Persönlichkeit des Jahres der deutschen Rapszene?
CONNY: Mit seinem Solo-Album und den Produktionen auf dem Orsons-Album ist es definitiv Tua. Dieser Name ist sicher für viele der "cheap way out", weil man ihn in so vielen Kategorien nennen kann. Es gibt wenige Deutschrap-Künstler, die mir die Feels so geben können wie Tua.
MZEE.com: Von welchem Newcomer 2019 wird man in den nächsten Jahren noch viel hören?
CONNY: Auch wenn "Mein Name ist Horst" schon Ende 2018 veröffentlicht wurde, habe ich Horst Wegener erst seit 2019 auf dem Schirm. Ich habe ihn dieses Jahr in Berlin kennengelernt und bin ziemlich beeindruckt von seiner Musikalität, dem Output-Pensum sowie der Energie, mit der er an seine Projekte geht. Ich freue mich auf weitere Singles und vor allem ein größeres Release von ihm.
MZEE.com: Welche Empfehlung aus dem Jahr 2019 kannst du unseren Lesern vor Ende des Jahres noch geben?
CONNY: Ich möchte diese Frage für das Stichwort "Sichtbarmachung" nutzen – für mich einer der wichtigsten Aspekte, wenn wir an den aktuellen Deutschrap-Strukturen etwas ändern wollen. Ich habe genug Rapper im Release-Radar. Ich wünsche mir da mehr Frauen und nonbinary Künstler. Wem es ähnlich geht, dem empfehle ich Presslufthanna – Hands down, bester Rappername aller Zeiten. Außerdem Haszcara mit dem Track "Hannah Montana" und Sir Mantis, den ich vor Kurzem live gesehen habe. Es ist so erfrischend, mal etwas Staub von der Deutschrap-Schublade zu pusten.
MZEE.com: Mit 2019 endet auch gleichzeitig eine Dekade. Was waren deine liebsten drei Alben aus den 2010er Jahren?
CONNY: Und damit sind wir wieder zurück bei einem All Male-Line Up. Es gab viele gute Alben, aber beim Durchforsten meiner Spotify-Playlists hatte ich bei diesen drei Platten spontan die stärksten "Muss rein!"-Gedanken. In keiner Reihenfolge: "Kalenderblätter" von Fabian Römer. Ich bin Fan seit "Das Mundwerk". Dieses Album ist, was Produktion und Songwriting angeht, immer noch ein großes Vorbild für mich. Dann "Gottkomplex" von 3Plusss. Was Inhalte und den Wechsel zu einer kompletten We Do Drums-Produktion angeht, ist es für mich bis dato das stärkste Release von 3Plusss. Einer der authentischsten Rapper aktuell. Schön auch, wie unbeeindruckt er seine Release-Schlagzahl so gering hält. Zuletzt "Yo, Picasso" von Fatoni. Für mich ein Leuchtturm-Album, wenn es darum geht, politische und gesellschaftliche Inhalte in die Trap-Ära zu bringen. Auch vier Jahre nach Release noch beeindruckend.
(Laila Drewes & Sabrina Heuler)
(Fotos von Philipp Wulk (Roger Rekless) & Sebastian Lüdtke (CONNY))
(Grafik von Daniel Fersch)