Wenn von Joey Bargeld gesprochen wird, fallen im gleichen Atemzug oft Namen wie KitschKrieg, Trettmann, Haiyti oder der seines Onkels Bonez MC. Doch ist das auch gerechtfertigt? In unserem Gespräch mit ihm wird uns eine Sache ziemlich schnell klar: Joey Bargeld ist ein Macher und funktioniert als Musiker komplett eigenständig. Ob er selbst Battle-Sessions organisiert oder sein Debütalbum "Punk is dead" alleine mit dem Produzenten Darko Beats auf die Beine stellt – sobald es um die Musik geht, ist der Hamburger ambitioniert. In einem Gespräch erklärte er uns, inwiefern Drogen ihn in Sachen Karriere noch bremsen, wie er sich die ideale Zukunft ausmalt und warum seiner Meinung nach die Wurzeln des HipHops verloren gehen.
MZEE.com: Anfangs würden wir gerne über deinen Albumtitel "Punk is dead" sprechen. Welches Musikgenre symbolisiert heute Rebellion, wie es früher Punk getan hat?
Joey Bargeld: Straßenrap hat das für mich übernommen, da er die Stimme der Straße ist – und das weltweit. Durch YouTube und so weiter ist es möglich, Mucke zu produzieren und sie auf der ganzen Welt zu verbreiten. Aber nicht jede Art von Sprechgesang hat diesen Platz eingenommen. Konsumrap, der Geld abfeiert, hat wenig mit Punk zu tun. Rap im Allgemeinen hat viele Genres geschluckt.
MZEE.com: Was verkörpert für dich den Zusammenhang zwischen Straßenrap und Punk?
Joey Bargeld: Sich darauf zu besinnen, Sachen aus dem echten Leben zu erzählen, den Struggle, den man hat, auf Papier zu bringen und ehrlich darüber zu rappen. Nicht darauf, geile Goldketten zu haben, sage ich jetzt mal so. Natürlich wollen viele von unten nach oben, kann man ja auch verstehen. Die wollen auch was vom Kuchen abhaben und einen dicken Audi fahren. Aber es gibt ja genügend Rap, der nicht davon handelt, sondern davon, was in der Gesellschaft falsch läuft. Das ist dann für mich schon punkiger als reiner Konsumrap, der von Drogen, Frauen und Autos handelt.
MZEE.com: Kannst du dein Album da irgendwo einordnen?
Joey Bargeld: Das ist schwer, ne? Es ist schon noch HipHop. Und ein bisschen alternativ. World Music sage ich immer. Aber es ist auch für mich selbst schwer zu greifen. Ich denke halt nicht in Genregrenzen, ich mache einfach, was mir gefällt.
MZEE.com: Du hast im Alter von 18 Jahren mit einem Freund die alte Rockerkneipe deines Vaters in Hamburg übernommen und dort Battle-Sessions veranstaltet. Schon bei der ersten Veranstaltung ist der Laden aus allen Nähten geplatzt, weil du 7 000 Flyer verteilt hast. Wie ist das genau abgelaufen?
Joey Bargeld: Erst mal, der Laden war sehr klein. (lacht) Deshalb ist er wahrscheinlich aus allen Nähten geplatzt. Da passten eigentlich maximal 150 Leute rein, glaube ich. Es war damals halt etwas Neues und zudem noch direkt auf dem Kiez. Die Location war vorher eine Rockerkneipe, ein Kollege hatte was geerbt und dann haben wir den Laden übernommen. Wir hatten den Traum, diesen Laden hochzuziehen, aber es ist leider ziemlich in die Hose gegangen. Wir mussten schon nach einem Dreivierteljahr den Mietvertrag kündigen und waren auch kurze Zeit später draußen. Wir waren zu jung und zu dumm und haben das unterschätzt. Am Ende mussten wir alles aufgrund finanzieller Probleme canceln. Aber in der Zeit hatten wir echt mega Spaß dort. Das waren viele coole Partys und Battlerap-Veranstaltungen.
MZEE.com: Aber wie bist du auf diese Idee gekommen? Ist ja nicht so üblich, aus einer Kiezkneipe eine Battlerap-Arena zu machen.
Joey Bargeld: Der Raum wurde frei und mein Kollege hatte das Geld. Das war eine Möglichkeit, die sich plötzlich aufgetan hat und die haben wir ergriffen. Wir haben es zwar in den Sand gesetzt, aber es war auf jeden Fall eine gute Erfahrung.
MZEE.com: Auf deiner Ska-Hymne "Trotzdem" machst du klar, dass du alles schaffen kannst. Egal, was andere sagen. Gab es bestimmte Menschen oder Situationen, die dazu beigetragen haben, dass du so ambitioniert bist, was die Musik angeht?
Joey Bargeld: Ja, mein Produzent Darko und mein erster Manager haben mich dazu ermutigt, dass man mal was machen könnte. Ich war da unsicher. Meine erste EP mit Darko war zwar schon fertig produziert, aber ich war mir nicht klar darüber, ob ich damit an die Öffentlichkeit gehen möchte, ob mir das nicht zu viel und mit der Familie vereinbar ist. Aber irgendwie bin ich da reingewachsen und dann kamen Haiyti und KitschKrieg dazu. Daraufhin kam die erste Tour und das hat mir gezeigt, dass es möglich ist, sich in der Branche zu bewegen und etwas zu erschaffen, seine Kunst zum Leben zu erwecken. Seitdem mache ich das und es macht mir auf jeden Fall mehr Freude als alles andere, wenn man so will.
MZEE.com: Hattest du auch einen Backup-Plan?
Joey Bargeld: (überlegt) Arbeiten. Arbeiten kann man immer, wenn man will. (lacht) Ich habe viele Jahre in der Gastro gearbeitet, das wäre dann mein erster Anlaufpunkt gewesen. Bei Freunden rumfragen, ob man bei ihnen an der Bar anfangen kann. Ansonsten schreibe ich ganz gerne, vielleicht dann auch sowas. Aber arbeiten geht immer, ich habe zwei Arme und zwei Beine.
MZEE.com: Was schreibst du denn?
Joey Bargeld: Ich schreibe an meinem eigenen Buch und an einem Drehbuch. Das ist aber beides noch nicht annähernd fertig. Das soll jeweils autobiografisch angehaucht werden. Ich schreibe über meine Erlebnisse. Ich könnte mir auch etwas ausdenken, aber das würde mir keinen Spaß machen. Und Musik schreibe ich natürlich.
MZEE.com: Resultierte aus diesem Macher-Ding auch die Entscheidung, dein Debütalbum als erstes Release ohne KitschKrieg aufzunehmen? Wolltest du den Leuten beweisen, dass du auch ohne die großen Namen dahinter gute Musik machst?
Joey Bargeld: Ich finde, die sind sehr gut und absolute Experten auf ihrem Gebiet. Aber ja, ich wollte das einfach selbst machen. Es war ein Ansporn für mich, das mit meinem Produzenten alleine auf die Beine zu stellen. Das war keine Entscheidung gegen KitschKrieg, sondern eine für mein eigenes Album. Die Sounds waren auch schon da und ich habe gemerkt, wir kriegen das hin. Somit habe ich mein eigenes Team auf die Beine gestellt und es ging los. Mal gucken, was daraus wird. Ich bin sehr froh über dieses Album.
MZEE.com: Konntest du dich durch diese Entscheidung musikalisch anders entfalten? Du hast sehr viele verschiedene Musikeinflüsse auf deinem Album wie zum Beispiel Ska, Techno und 70er Jahre-Disco — mehr als auf den Releases davor.
Joey Bargeld: Ich konnte mich auf jeden Fall frei entfalten, weil die Auswahl an Beats sehr divers und groß war. Ich habe, glaube ich, 30 Songs gemacht, die auf das Album hätten kommen können. Da war immer etwas dabei an den Studiotagen. Wir haben Beats gehört und ich habe einfach etwas darauf gemacht. Das war echt eine schöne Erfahrung, so viele Genres abzuklappern.
MZEE.com: In deiner Single-Auskopplung "Britney Spears" identifizierst du dich mit ebendieser und dem auf ihrem Song "Everytime" beschriebenen Gefühl des Fallens. In welchen Momenten ist es schwer für dich, in der Öffentlichkeit zu stehen?
Joey Bargeld: Ich will mich da nicht von den Fans und Zuhörern abheben und auf ein Podest stellen, dazu bin ich zu sehr Mann des Volkes. Weil ich auch einfach ein Socializer und selber von so vielen Sachen Fan bin. Aber irgendwann kommt man schon an den Punkt, an dem einem alles zu viel wird. Ein Star-Dasein ist mir zuwider, das mag ich nicht.
MZEE.com: Würdest du dich selbst als introvertiert beschreiben?
Joey Bargeld: Mal so, mal so. Ich bin wahrscheinlich extrovertierter, als ich denke. Was das Mindset und die Bereitschaft betrifft, Dinge nach außen zu tragen, könnte auf jeden Fall mehr gehen bei mir. Ich könnte mir vorstellen, dass ich extrovertierter werde, wenn ich in dieser Welt meinen Platz gefunden habe. Aber fragen kann man mich immer alles.
MZEE.com: Sind Drogen eine Möglichkeit für dich, dieses Gefühl des Fallens zu betäuben oder verstärken sie es?
Joey Bargeld: Betäuben. Das Verstärken beginnt erst, wenn der Kater kommt. Das ist ein bisschen doof, aber auch daran arbeite ich schon länger. Dieses Thema begleitet mich mein Leben lang. Schon sehr früh, als Jugendlicher, wurde ich damit konfrontiert. Am Anfang habe ich das auch wirklich cool gefunden und hatte in meinem engen Kreis viele Bezugspunkte dazu. Ich bin da einfach reingerutscht. Aber jetzt bin ich in einer Phase, in der ich eher weg davon möchte.
MZEE.com: Wann kam der Zeitpunkt, an dem du deine Meinung geändert hast?
Joey Bargeld: Im letzten Jahr habe ich gemerkt, dass es mich daran hindert, abzuliefern. Wenn ich gefeiert habe, hat die Arbeit darunter gelitten. Ich finde, ich darf nicht "meine Arbeit" sagen, weil die Produzenten die Arbeit machen. Aber meine Musik ist mir einfach zu wichtig. Ich will nicht als der Spinner gesehen werden, der keine Termine einhalten kann und sich alles versaut – nur wegen einer Party. Das will ich nicht mehr.
MZEE.com: Am Anfang deines Tracks "Drogen" fällt der Satz: "Weil der Mensch sich sucht, ist er süchtig." – Gibt es besondere Momente oder Erlebnisse, die zu der Suche nach dir selbst beigetragen haben?
Joey Bargeld: (überlegt) Alles. Das kam irgendwie so. Es gab kein einschneidendes Erlebnis, aber viele kleine Erlebnisse. Man ist immer dabei und früher war das cool. Die einen haben es aber an einem bestimmten Punkt geschafft und sind an die Uni gegangen oder haben sich einen Job gesucht. Die anderen haben es halt nicht geschafft und weitergemacht. Der Spaßfaktor ist allerdings irgendwann nicht mehr da gewesen. Man ist eigentlich nur noch am strugglen mit sich selbst. Will man das noch weitermachen oder lieber endlich klarkommen?
MZEE.com: Wenn du sagst, bestimmte Leute wären ihren Weg gegangen, beispielsweise zur Uni – bereust du es dann, diese Dinge nicht gemacht zu haben?
Joey Bargeld: Nö, ich bereue nichts. (überlegt) Ich würde immer etwas anders machen, wenn ich könnte, aber eher in Bezug auf Zuverlässigkeit. Es ist nicht schön, andere Menschen hängen zu lassen, weil ich mich selbst so sediere und nicht mehr in der Lage bin, Verabredungen einzuhalten. Darunter mussten andere leiden, das ist natürlich scheiße. Meine eigenen Erfahrungen waren ok, aber es ist wichtig, dass man für Leute da ist, die auf einen zählen. Daran arbeite ich nach wie vor.
MZEE.com: Der Schriftsteller Theodor Herzl sagte mal: "Der Realist will das Publikum ohrfeigen, der Idealist will dasselbe berauschen. Manche Leute ziehen einen Rausch einer Ohrfeige vor." – Bist du ein Idealist?
Joey Bargeld: Beides. Ich bin eher Realist, aber schon auch Idealist. (überlegt) Gute Frage, ein bisschen was von beidem. Ein realistischer Idealist. Ich reflektiere viel, aber habe auch eine Utopie im Kopf, wie es meines Erachtens sein könnte, wenn es ideal wäre. Ein kleiner Philosoph bin ich. (lacht)
MZEE.com: Dann beschreib doch mal, wie deine Utopie aussehen würde.
Joey Bargeld: Das ist richtig abgedroschen, aber: Frieden für alle, kein Hunger, keine Grenzen, das geht immer weiter so. Utopie halt – zumindest aktuell. Wer weiß, was in 100 Jahren abgeht. Aber wichtig ist, sich dafür einzusetzen und Leute darauf aufmerksam zu machen, dass es auch diesen Weg gibt – den Weg der Liebe. Warum nicht?
MZEE.com: Glaubst du, mit Musik kann man dazu einen entscheidenden Beitrag leisten?
Joey Bargeld: Entscheidend? Im Großen und Ganzen bestimmt, wenn alle Musiker auf der Welt so wären. Dann kann man auf jeden Fall was erreichen. Aber viel Musik ist heiße Luft und Angeberei. Das ist leichte Kost, die viele Leute ansprechen soll. Die soll für eine gewisse Zeit unterhalten, aber steht für nichts. Man muss ja nur das Radio anmachen.
MZEE.com: Hast du dahingehend einen bestimmten Anspruch an deine eigene Musik, um nicht in die gleiche Kategorie zu fallen?
Joey Bargeld: Ja, ich denke schon. Ich will mit meiner Musik auf jeden Fall etwas aussagen. Nicht immer direkt, aber Message ist mir schon wichtig. Meistens fange ich mit der Hook an. Ich höre einen Beat, schreibe einen Refrain und dann die Parts. Manchmal mache ich das auch zu Hause ohne Beat, aber das ist eher selten der Fall. Oft gibt der Beat die Stimmung vor und geleitet mich dann dahin.
MZEE.com: Gerade in Bezug auf Minimalismus äußerst du dich idealistisch – zum Beispiel auf "Wie teuer bist du". In einer Reportage hast du mal Konsum kritisiert und diesen in Zusammenhang mit schlechten Arbeitsbedingungen und dem Klimawandel gebracht. Fällt es dir leicht, auf Luxus zu verzichten?
Joey Bargeld: Also, Luxus habe ich schon mal gar nicht, ich habe ja keine Kohle. (lacht) Ich brauche aber auch keinen Luxus in dem Sinne. Das war allerdings ein Prozess. Früher habe ich geträumt und wollte die Welt kaufen, aber das hat sich inzwischen in eine andere Richtung entwickelt. Weil man ja im Internet sieht, wie HipHop seine Wurzeln verliert. Es geht immer nur um den neuesten Mercedes und das war mir mit der Zeit zuwider. Auch wenn manche Sachen cool sind und der Entertainment-Faktor hoch ist, irgendwann ist es einfach mal gut.
MZEE.com: Was sind denn für dich die Wurzeln von HipHop?
Joey Bargeld: Die Straße. Der Kampf, es auch in die Mitte der Gesellschaft zu schaffen. Daraus utilisieren und seinen Anteil vom Kuchen holen. Aber nicht in der Form von Luxus, sondern in Form von Normalem. Da sind wir beim Grundeinkommen, das ausreicht, um Rechnungen und Essen zu bezahlen. Gerade in Amerika gab es früher viele politische Rapper. Dieses Luxusding kam erst nach und nach über Amerika nach Europa. Das finde ich inzwischen erschreckend viel, gerade in Deutschland ist das ziemlich doll. Das ist auch schlichtweg einfallslos und uncool.
MZEE.com: Würdest du sagen, du hast deinen Anteil am Kuchen schon? Oder willst du noch mehr erreichen?
Joey Bargeld: Bei uns gab es zwar keinen Wohlstand, aber mir ging es nie schlecht. Meine Kindheit war schön und deswegen hatte ich auch nicht unbedingt den Drang, es irgendwo rauszuschaffen. Ich fühle mich wohl in Hamburg und in Deutschland kann man ganz gut leben. Ich habe es aber für mich geschafft, ein Fundament aufzubauen, wodurch ich freier arbeiten kann. Mein Ziel ist es, mit der Musik in die Mitte der Gesellschaft zu kommen, dass ich gehört werde und Texte von mir gelesen werden. Wenn ich nur zehn Leute von meiner Musik überzeugen kann, dann ist das schon gut.
MZEE.com: Lässt sich deine Konsumkritik, vor allem wenn es um schlechte Arbeitsbedingungen und Klimawandel geht, mit dem Kokainkonsum vereinbaren, den du in deinen Texten beschreibst?
Joey Bargeld: Das geht natürlich nicht, aber das ist schwer. Der Konsum ist ungewollt, wenn du so willst. Ich würde mir wünschen, nicht so viel zu konsumieren. Aber mein Weg führt mich davon weg. Je älter man wird, desto weniger kann man mit sich vereinbaren, dieses Zeug zu kaufen. Es stimmt schon, das ist zweischneidig.
MZEE.com: Zuletzt würden wir gerne noch über deinen Song "Kalifornien" reden. Auf diesem sprichst du davon, alles einfach stehen und liegen zu lassen, um nach Kalifornien abzuhauen. Glaubst du, du hättest das Zeug zu einem Leben als Aussteiger?
Joey Bargeld: Wenn ich Erfolg habe, safe. Mich hält schon viel in Hamburg, aber ich würde meine Familie einfach mitnehmen. Mir würde es allerdings auch reichen, außerhalb von Hamburg zu leben. Einfach mal wo anders, das muss nicht unbedingt Kalifornien sein. Man darf ja eigentlich eh nicht mehr fliegen. Vielleicht Frankreich, da war ich früher häufiger und das ist nicht so weit weg. Aber ich habe da keine festen Ziele, bei mir ist das alles eher spontan.
(Sven Aumiller und Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Julian Hülser)