Schon seit "Totschlagargumente" steht fest, dass es Waving The Guns kein Bedürfnis ist, sich Freunde zu machen. Auch auf ihrem dritten Release "Das muss eine Demokratie aushalten können", welches erneut über ihr Label Audiolith Records erschien, zeigen sie Antihaltung und scheuen sich nicht, Staat und Mensch zu kritisieren. "Weil du ein Mindset hast, dessen Einfältigkeit meine Bereitschaft, Scheiße zu tolerieren, zu weit übersteigt." – Dies ist nur eine von vielen Punchlines, in der sie Rap konsequent mit Punk-Attitüde verbinden. Bei unserem Gespräch mit den vermummten Gestalten aus Rostock sprachen sie gewohnt politisch über Gentrifizierung, die Punkszene in Rostock und kulturelle Aneignung in Bezug auf Rap und Gospel.
MZEE.com: Lasst uns zu Beginn über die Musikszene sprechen. Möchtet ihr ein Teil davon sein oder seht ihr euch eher als Außenseiter?
Waving The Guns: Ich glaube, man müsste erst mal "die Szene" ausdifferenzieren. Es gibt nicht nur eine große, sondern vor allem auch viele kleine Szenen. Und gleichzeitig ist es auch eine Frage der Wahrnehmung. Ich sehe uns in Rostock tatsächlich als eine Art Außenpunkt. Mein Eindruck ist immer, dass man sich in Berlin total schnell mit allem und jedem connecten kann, wenn man das möchte. Bei uns funktioniert das ein bisschen eingeschränkter. Aber das gefällt uns eigentlich ganz gut. Wir haben weniger Kontakte, aber die haben wir auch gerne.
MZEE.com: Bezogen auf Punk habe ich Rostock im Vergleich zu Berlin bisher sehr viel verknüpfter und irgendwie als echter wahrgenommen. Ist das ein Trugschluss und wirkt nur auf Außenstehende so?
Waving The Guns: Das lässt sich schwierig beantworten. Punk spielt hier eine Rolle, aber bestimmt auch nicht den Alltag. Es gibt schon ein relativ reges Punkmusik-Angebot und vielleicht sind entsprechende Veranstaltungen hier auch besser besucht. Um das wirklich beurteilen zu können, bin ich allerdings zu selten in den Clubs. Mein persönlicher Eindruck ist aber schon, dass Rostock eine relativ dreckige Punk-Attitüde widerspiegelt. Genau wie wir in unseren Liveshows: ein bisschen Eskalation mit Rumgegröle.
MZEE.com: Ist das die Antwort darauf, wofür die meisten Menschen Rostock erst mal auf dem Schirm haben – als eine Gegenbewegung zu brennenden Flüchtlingsheimen? Oder wurde diese Punk-Attitüde einfach von Studenten entfacht?
Waving The Guns: Das kann man nicht einfach runterbrechen. In dieser Stadt, in der wir leben, aber auch in Teilen der Bevölkerung, besteht ein geringes Bewusstsein für das, was damals in Deutschland passiert ist. In der Zivilgesellschaft und Teilen politischer Parteien wird zwar vorbildliche Arbeit geleistet, aber ich glaube, viele Leute wollen davon gar nichts mehr wissen. "Das ist halt Geschichte und diesen Schuh ziehe ich mir nicht an." Ich bin auch ein Punk gewesen. Und ich denke, in einer älteren Generation könnte der Punk eine Gegenbewegung zum Nationalsozialismus dargestellt haben. Früher bestand viel eher ein Bewusstsein für die Geschehnisse, die viele Leute geprägt haben. Gleichzeitig hatte man auch mit Leuten zu tun, die damals vor Ort waren – natürlich auf der richtigen Seite. Man hatte Kontakt zu Menschen, die Ausländerfeindlichkeit deutlich miterlebt haben – in welcher Form auch immer. Und natürlich schlägt sich das durch. Aber auf den heutigen Alltag bezogen und verallgemeinert auf Rostock lässt sich das schwer sagen. Und wenn wir jetzt über so eine rotzige Punk-Attitüde reden, muss ich gleichzeitig sagen, dass ich Rostock mittlerweile auch sehr geleckt und ganz schön durchsaniert finde. Wirklich originäre Hafenkneipen gibt's hier beispielsweise nur sehr wenige. In der Stadtplanung und -entwicklung merkt man tatsächlich, dass es sogar noch weniger werden.
MZEE.com: Aber fallen dir irgendwelche Orte beziehungsweise Städte ein, die nicht glatt sind? Ich finde, in den letzten 20 Jahren wurde es überall glatter.
Waving The Guns: Natürlich nicht, da hast du vollkommen recht. Das sind eben allgemeine und weitverbreitete Erfahrungen.
MZEE.com: In Berlin wurde beschlossen, die Schrebergärten abzureißen, um dort Häuser hinzubauen.
Waving The Guns: In Rostock auch!
MZEE.com: Schrebergärten sind ein Stück Zuhause für ihre Besitzer. Glaubt ihr, dass es andere Möglichkeiten geben würde, um Wohnraum zu schaffen?
Waving The Guns: Spannendes Thema! Es gab die Idee, diese Häuser stattdessen auf Ackerflächen am Rand von Rostock zu bauen. In dem Augenblick, in dem das bekannt gemacht wurde, sind natürlich die Grundstückspreise explodiert. Da kann man Mietpreisbremsen ziehen, wie man will. Man muss sich ehrlich eingestehen, dass so ein freier Wohnungsmarkt absolute Scheiße ist und der Staat genau das deckeln muss. Wenn der Staat durch die Mietpreisbremse bestimmt, dass nicht mehr für die Wohnungen bezahlt wird, passiert das halt. Das ist aber genau das, worüber in der Stadtpolitik niemand reden will. Neoliberalismus und Kapitalismus sind total scheiße und sowas ist in der Realität einfach nicht umsetzbar. Es ist klar, dass sich der Markt dann in dieser Logik entwickelt. Die Leute wollen wieder möglichst viel Profit draufschlagen, wodurch die Stadt zu genau dem langweiligen Kacknest wird, aus dem die Leute mal geflohen sind. Das habe ich irgendwo auch mal über Berlin gelesen. "Erst wenn der letzte Club geschlossen ist, merkst du, dass es das gleiche schwäbische Kacknest ist, aus dem du mal abgehauen bist."
MZEE.com: Ich wohne in Friedrichshain, ich kenne also die Problematik. Einer zieht aus der Wohnung aus, dann kommt die Malerfirma, die aber nicht anständig saniert, weil sie dafür kein Budget haben. Und dann kostet die Wohnung hinterher doppelt so viel.
Waving The Guns: Die ganze Mietpreisbremse orientiert sich angeblich am Mietspiegel. Wenn aber der Mietspiegel trotzdem steigt, entsteht daraus ein gesamtgesellschaftliches Problem: eine große soziale Entmischung. Irgendwann gibt es dann nur noch mehr oder weniger wohlhabende Leute, die in der Stadt wohnen. Und die, die sich das dann nicht mehr leisten können, wohnen dann halt in Randgebieten. Genau so entsteht eine Spaltung der Gesellschaft, über die man sich dann nicht wundern muss.
MZEE.com: Viele Leute, die wegziehen, vermieten ihre Wohnung zum gleichen Preis an jemand anderen unter, solange das irgendwie legal möglich ist.
Waving The Guns: Das kenne ich auch. Dadurch hoffen sie, die alten Mietverträge behalten zu können.
MZEE.com: Harter Bruch: Was muss eurer Meinung nach deutscher Rap aushalten?
Waving The Guns: Am Ende muss man aushalten, dass es Veränderungen gibt. Es gibt immer Innovationen und Dinge, die einem persönlich vielleicht nicht ganz zusagen. Man muss in alle Richtungen aushalten können.
MZEE.com: Wie steht ihr eigentlich zu weißen Menschen, die Gospel singen, um zu zeigen, wie wunderschön die Bandbreite der Stimme ist?
Waving The Guns: Wenn wir sagen würden, dass es kacke ist, dürften wir keinen Rap machen.
MZEE.com: Es gibt aber schon einen Unterschied zwischen Gospel und Rap.
Waving The Guns: Na dann, erklär mal.
MZEE.com: Ich würde sagen, dass Gospel in seiner historischen Bedeutung abgeschlossen ist. Die bestehenden Gospel von früher hatten einen wirklich politischen Hintergrund, um Leuten das Leben zu retten. Die Frage ist, ob man das heute benutzen darf, nur um zu zeigen, wie toll man singen kann. Vor allem, wenn man nicht mal auf dem Schirm hat, woher es kommt. Rap entwickelt sich ja immer noch, sodass er eben nicht abgeschlossen ist in seiner Funktion.
Waving The Guns: Finde ich eine schwierige These. Ich finde es total gut, Privilegien zu reflektieren, um zu gucken, woher welche kulturellen Errungenschaften kommen und ein Bewusstsein zu schaffen. Aber ich finde so eine Verbotskultur schwierig.
MZEE.com: Kommen wir auf ein ganz anderes Thema zu sprechen, weil ihr euch ja auch öffentlich positioniert und Stellung bezieht: Wart ihr mal bei einer "Fridays for Future"-Demo?
Waving The Guns: Die jungen Menschen demonstrieren megacool. Die haben ironische, lustige Plakate und das sind mit Abstand die entspanntesten Demos, auf denen ich jemals war. Ich finde Erwachsenen-Demos manchmal total anstrengend. Die sind einfach ganz anders drauf. Wart ihr da mal so mittendrin? Die Jungen sind lustiger, aber dennoch mit einem gewissen Ernst bei der Sache. Es gibt keine Minute, die man verschwenden sollte und trotzdem machen sie das Ganze mit Humor – mit einem schwarzen Humor, der nicht die Lebensfreude versaut. Ich war auch überrascht, wie wenige Polizisten da waren, das habe ich noch bei keiner Demo erlebt.
MZEE.com: Die hatten einfach keine Lust, gewalttätig zu werden. Ich kenne es auch anders. Die waren total entspannt, weil sie cool waren mit dem, was da vor ihnen abging. Da gab es auf beiden Seiten nichts Aggressives.
Waving The Guns: Manchmal kann man Dinge auch einfach schön finden.
MZEE.com: Was meint ihr: Wollen wir noch über Masken reden?
Waving The Guns: Ob ich sie beim Sex auch trage? Ja.
MZEE.com: Interessante Antwort. Nee, über Masken im Rap und das "Warum?".
Waving The Guns: Ich mache keine größere Geschichte daraus. Ich habe Bock auf Anonymität. Angefangen hat das in dem Augenblick, als unsere Reichweite so groß geworden ist, dass ich Bilder von mir auf Instagram gesehen habe. Nur muss ich dazu sagen, dass ich damals gar kein Instagram hatte. Und ich habe in meinem Leben auch noch andere Sachen vor als diese Musiksache. Ich werde so schon manchmal erkannt und mag dieses Gefühl nicht. Ich gebe nicht alles dafür, möglichst inkognito zu bleiben. Aber ich mag es, wenn man in einem begrenzten Rahmen bleibt. Das ist ganz einfach die Philosophie. Man kann das natürlich weiter aufblasen: In einer Zeit, in der sich jeder darstellt, setze ich ein Anti-Statement. Das ist aber totaler Quatsch – ich will einfach nicht erkannt werden. Jeder sollte das so machen, wie er will. Ich fände es irgendwie auch problematisch, wenn jetzt alle vermummt rumlaufen würden. Aber es ist natürlich eine grundsätzliche Entscheidung. Spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem etwas expandiert, fände ich es schon vorteilhaft, nicht immer "Ich" zu sein.
(von einer freien Mitarbeiterin)
(Fotos von David Henselder)