"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Im Mai veröffentlichte Koljah sein zweites Solorelease und rief den Hörern damit nicht nur ins Gedächtnis, dass er auch problemlos alleine eine EP stemmen kann. Vor allem wurde auf der deutlich raplastigeren Platte klar, dass die Einzelwerke der Member sich in vielen Facetten von den gemeinsamen Antilopen Gang-Alben unterscheiden. Und doch sind es oft genau diese "Nicht Antilopen"-Alben, die sie in ihrer Gesamtheit und Außenwahrnehmung am stärksten prägen. Eines der wohl besten Beispiele dafür: Koljah & NMZS – "Motto Mobbing".
Denn nur wenige Werke aus dem Lopi-Dunstkreis vereinen auf so wunderbare Weise gesellschaftskritische Aspekte mit dem schlichten Wunsch, "gute Sprüche" zu klopfen. Dazu wird beides auf eine ganz eigene Art gemacht und sich dabei weder für das eine noch das andere gerechtfertigt. Man bricht Mobbing auf demokratische Prinzipien herunter, macht Rap (endlich) wieder dumm und vermurkst alles und jeden. Und wenn sich daran jemand stört, ist es sein Problem. "Manche müssen, wenn sie Witze reißen, riesengroß 'Witz' draufschreiben" – während Koljah und NMZS es nahezu herausfordern, auf Albumlänge falsch verstanden zu werden. Zutage kommt bei alledem nicht nur das unbestreitbare Raptalent der beiden, sondern auch die pitlab'sche Untermalung mit einigen der wohl besten Beats, die von Antilopen-Membern je berappt wurden. Die erste Gang-Hymne – samt gegrölter Hook – rundet das Album ab. Es macht schon beim einfachen Hören so viel Spaß, dass sich die dezidierte Analyse des Mobbing-Themas noch nicht einmal in den Vordergrund drängen muss, um zu wirken.
Vieles, was die Antilopen Gang bis heute ausmacht, kam schon zur Zeit von "Motto Mobbing" auf. So zum Beispiel die Betitelung des omnipräsenten Abgrunds als "Sumpf" oder dass der Hörer im Unklaren darüber gelassen wird, was man wirklich sagen möchte (und man es vielleicht selbst gar nicht weiß). Wem das alles längst klar war und wer genau weiß, worauf die Jungs mit alledem abzielten, der darf dies – übrigens auch auf jener Platte etabliert – wie immer mit "Ich hab' es verstanden!" quittieren.
(Daniel Fersch)