Lazy Lu und Lorenz verkörpern all das, was deutschsprachigen Untergrundrap oft so reizvoll macht: klassische Boom bap-Beats mit Ecken und Kanten, einen Hang zu variationsreichen Flows sowie komplexer Technik und allem voran eine unangepasste Haltung. Die beiden MCs interessieren sich nicht dafür, ob ihr Soundbild dem aktuellen Trend entspricht, denn sie machen einfach Musik, die ihnen selbst gefällt. Wir hatten die Möglichkeit, uns mit Lazy Lu und Lorenz nach ihrem bisher größten Auftritt zu treffen, wodurch unser Gespräch eine ganz besondere Atmosphäre hatte: Die beiden strahlten wie zwei Honigkuchenpferde und waren noch immer voll positiver Energie. Wir unterhielten uns mit ihnen über die Romantisierung des Untergrunds und die damit verknüpfte Bedeutung des Erfolgs. Zudem erklärten die Rapper, welche Relevanz und Prägnanz eine Stadt-Zugehörigkeit ihrer Meinung nach noch hat. Außerdem verrieten sie uns, was sie musikalisch am jeweils anderen schätzen und wie es ist, sich mit Rap-Kollegen eine Bühne zu teilen.
MZEE.com: Das Jahr 2018 lief relativ gut für euch: "Laila" hat äußerst positive Resonanz erzeugt und schien Hörern wie Medien weitestgehend zuzusagen. War es euch wichtig, dass die Platte gefeiert wird oder geht es euch in erster Linie darum, einfach Musik zu machen?
Lorenz: Schwere Frage. Ich würde lügen, wenn ich sage, es wäre mir egal. Es tut richtig gut, vor vielen Menschen zu spielen und geiles Feedback zu kriegen – vor einem Publikum, das gefühlt seit dem ersten Gig dabei ist. Das ist wirklich bombastisch. Es ist schön, da etwas zurückzukriegen. Aber das ist nicht der Grund, warum man Mucke macht, oder?
Lazy Lu: Ich denke da immer ganz einfach: Ich habe einen Pool von 1 000 Leuten, von denen 985 die Platte richtig gut fanden. Das fühlt sich toll an, aber lass uns das mal hochmünzen und von 10 000 Hörern ausgehen. Da habe ich natürlich noch mal mehr Hunger, aber nicht aus dem Beweggrund, berühmter zu werden. Das wäre mir eher unangenehm. Es ist einfach nur schön, dass unsere jahrelange Arbeit endlich mehr Empfänger kriegt. Vor allem, wenn fast jeder, der unsere Musik hört, sie auch geil findet. Nur ist es superschwer, diese nächste Stufe zu nehmen, wenn du nicht der krasse Selbstdarsteller bist. Wir sind beide nicht die Social Media-Profis, die sich jeden Tag zu jeder Zeit ins rechte Licht rücken und 80 Stories am Tag machen.
Lorenz: Aber wir werden besser! (alle lachen)
Lazy Lu: Aber genau deswegen ist so ein Abend wie heute noch mehr echte Genugtuung. Da sagt die Stimme in deinem Kopf, wenn du auf der Bühne stehst: "Da gehörst du hin, da bist du richtig." Und da kommt die Energie, die du selbst reinsteckst, auch von den Leuten zurück. Auch die Rückendeckung der Szene ist ganz entscheidend: Wenn ein Hiob, den ich selbst übertrieben mag, mich in einem Interview erwähnt, ist das das größte Lob für mich. Das ist mir tausendmal mehr wert, als wenn ich irgendeinen Hit mit ein paar Millionen Klicks hätte. Das ist für mich ein Ritterschlag.
MZEE.com: Grundsätzlich würde man euch noch im Untergrund verorten. Fühlt ihr euch dort wohl, wo es noch möglich ist, sich eine gesunde Fanbase zu erarbeiten, sodass das eigene Schaffen von "den Richtigen" gewürdigt wird?
Lorenz: Gute Frage. Ich bin ehrlich gesagt noch etwas eingeschüchtert, wenn ich eine Lupa und einen AL Kareem im Backstage sehe. AL Kareem hat gegessen und ich habe mich nicht getraut, zu sagen: "Rück mal beiseite, ich will auch was essen." (lacht) Ich bin schon sehr vorsichtig und will nicht jeden Abend zwingend fünf Kontakte knüpfen, weil es sonst ein schlechter Abend gewesen wäre. Umso schöner aber auch, wenn sowas ganz natürlich zustande kommt! Aber bei meinem ersten Mal Tapefabrik als Künstler mit Slot bin ich eher zurückhaltend, was sowas anbelangt. Da bin ich schon in der Kükenrolle.
MZEE.com: Fühlst du dich in der Kükenrolle denn wohl?
Lorenz: Klar, aber ich habe trotzdem immer Hunger auf mehr. Es ist natürlich cool, wenn man beim nächsten Zusammenkommen noch mehr Leute kennt. Das hört ja nicht auf, einem zu gefallen – seit 15 Jahren nicht. Jetzt, wo man eine geile Platte unter dem Arsch hat und Fans einem zujubeln, erst recht nicht.
Lazy Lu: Da markiert die Tapefabrik ein echtes Eckdatum. Für mich war der Auftritt heute das größte Highlight meiner Musikkarriere. Nichts hat mich jemals mehr erfüllt als das.
Lorenz: Auch, weil es ein echter Zielpunkt ist. Wir haben vor zwei Jahren die ersten Beats für die Platte gemacht und heute ist sie fertig, toll geworden und wir spielen sie live.
MZEE.com: Lazy Lu, du sagtest in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk: "Wer krampfhaft Untergrund bleiben will, ist ein Lappen." – Wie denkt ihr generell darüber, dass der Untergrund oft sehr romantisiert dargestellt wird?
Lazy Lu: (lacht) Wenn man nur diese Überschrift liest, ist das natürlich schwierig. Der Kontext war, dass ich gefragt wurde, was meine Ziele mit der Musik sind und wo es hingehen soll. Da meinte ich eben, dass ich nicht krampfhaft Untergrund bleiben wollen würde, wenn sich ein Hype damit kreuzt, was ich sage und fühle und ich mich nicht verbiegen müsste. Das ist so eine spätpubertäre Antihaltung, mit der ich nicht konform gehe. Aber zurück zur Frage: Stell dir vor, die Tapefabrik würde von 60 000 Leuten besucht – da ist Mainstream-Publikum ja automatisch dabei. Macht es das dadurch schlechter? Nein, natürlich nicht. Würde gute Musik im Radio rauf- und runterlaufen, hätte doch keiner ein Problem damit, die breite Masse zu bedienen. Ich hätte kein Problem damit, wenn Lord Folter und AzudemSK auf Bayern 3 laufen. Scheiß Romantisierung des Untergrunds.
MZEE.com: Viele müssen sich allerdings schnell mit elitären Sellout-Vorwürfen auseinandersetzen.
Lazy Lu: Da hat HipHop vielleicht ein Problem in diesem Land, weil die Szene doch recht überschaubar ist und jeder jeden kennt. Da adaptiert man auch schnell Meinungen. Aber wegen dieser Pseudo-Antihaltung einiger Leute habe ich es mir auch in meiner Stadt mit dem ein oder anderen verscherzt, weil ich das vor vier Jahren schon genauso vertreten habe.
Lorenz: Ich glaube, ich kann die Angst der Leute aber auch nachvollziehen. Ich will das, was mich geprägt und mit meinen Freunden zusammengeschweißt hat, nicht missen. Das ist fast schon etwas Intimes. Und wenn man dann sieht, dass Leute, mit denen man nichts zu tun haben will, auch einen Zugang zu dieser Musik haben, wirkt das befremdlich.
Lazy Lu: Aber da frage ich mich: Sind die Extreme wirklich so krass? Da steht ja nicht plötzlich ein Kerl im Frei.Wild-Shirt neben dir, sodass du wirklich hinterfragen musst, was du da hörst mit deinen Kollegen. Wenn du in Nostalgie schwelgen willst, dann hör deine alten Platten zigtausendmal, aber lass den Künstler doch machen, was er will. Wenn das dann scheiße ist, musst du es nicht hören – ganz einfach. Der macht das nicht für dich, der macht das für sich. Da sind viele Fans wirklich komisch. Seid doch froh, dass ihr Musik bekommt, die euch gefällt. Und wenn sie es nicht mehr tut, haltet doch die Schnauze. Erlaubt euch nicht zu viele Meinungen. Ihr seid nicht so sehr in der Materie. Und wenn ihr eine Menge Ahnung mitbringt, seid ihr schon so tief in eurer Sparte, dass ihr keine andere mehr akzeptiert. Ihr seid echt Nazis. (alle lachen) Ich weiß, ich rege mich da tierisch auf, ich hasse sowas. Ich hasse diese Engstirnigkeit. Vor allem, wenn es in einem Bereich ist, den ich liebe – krampfhaft romantisieren trifft es da perfekt. Dann spiel doch deinen Scheiß vor 15 Leuten auf der "HipHop Hooray" und das für immer.
MZEE.com: Ist es eurer Meinung nach immer noch vergleichsweise schwer, Anerkennung in der Szene zu finden, wenn man nicht aus einem der "Rap-Hotspots" stammt? Habt ihr das Gefühl, als Rapper aus Bayern auf irgendeine Weise etwas beweisen zu müssen, um in der Szene ernst genommen zu werden?
Lorenz: Ich glaube, das ist heutzutage egal. Schau dir mal Bietigheim-Bissingen an – die haben Bausa rausgebracht. Die haben Shindy rausgebracht. Die haben RIN rausgebracht. Das ist nicht mehr so wichtig, auch wenn in Berlin, wo ja viele Künstler hinziehen, andere und bessere Strukturen herrschen. Wenn man dabei ist, das Ganze als Business zu starten, ergibt das bestimmt Sinn – dope sein kannst du aber überall.
Lazy Lu: Es gibt ja auch keinen typischen "Städte-Sound" mehr. Guckt mal nach Hamburg – klingt da noch irgendwas nach den Beginnern und Co.?
MZEE.com: Ich finde schon, dass man noch oft am Sound merken könnte, ob jemand aus Berlin oder München kommt. Und ich finde auch, dass Hamburger Rapper einen anderen Flair haben als zum Beispiel Berliner.
Lazy Lu: Würdest du dir denn zutrauen, 15 Rapper, die du noch nie gehört hast, fünf Städten zuzuordnen?
MZEE.com: Nicht zu 100 Prozent, aber eine grobe Richtung schon. Dass beispielsweise ein MC Bomber nicht aus München kommt, kriegt man doch raus. Nicht nur wegen des Dialekts, sondern auch wegen der Attitüde.
Lazy Lu: Okay, das ist aber auch ein krasses Gegenteil – bei all diesen Azzlack-Rappern könntest du doch niemals rausfinden, woher wer kommt.
Lorenz: Wir können ja festhalten, dass es auf jeden Fall schwerer ist als noch 2007.
MZEE.com: Ende 2018 habt ihr gemeinsam mit LUX und Cap Kendricks eure "Für die Fam"-Tour gespielt. Was hat euch daran gefallen, mit mehreren Artists eine Bühne zu teilen?
Lorenz: Das ist geil. Das ist total lebendig. Natürlich auch ziemlich tricky – man muss bei so vielen Künstlern erst einmal eine Essenz herauskriegen, wie man eine Show strukturieren kann. Wir haben ein bisschen gebraucht, bis der rote Faden stand. Das war schon sehr experimentell, hat aber total Bock gemacht. Ich mag die Münchner Jungs total, obwohl ich sie erst seit 2017 kenne.
MZEE.com: Bekommt die eigene Show genügend Aufmerksamkeit, wenn die Kollegen dabei sind?
Lorenz: Man nimmt, was man kriegt – natürlich wünscht man sich, auch mal eine halbe Stunde oder eine Stunde alleine vor so einem Publikum zu spielen. Das schmälert aber gar nicht, was zum Beispiel heute passiert ist. Ich bin superfroh über die Möglichkeit gewesen.
Lazy Lu: Man ist halt voller Euphorie. Dann guckt man auf die Setlist und denkt sich: "Fuck! Nur noch zwei Strophen!" Aber cool ist das alles trotzdem. Ich möchte dahingehend ganz kurz was zum Titel sagen: "Für die Fam" ist 2018 ja fast schon eine Art Hype-Slogan geworden, aber bei uns ist das wirklich Liebe. Was ich den Jungs alles verdanke, das ist der Wahnsinn. Unfassbar. Ich weiß nicht einmal, ob ich ohne Cap Kendricks und LUX noch Mucke machen würde.
MZEE.com: Eure Releases sind vorwiegend Kollaborationen. Warum gibt es bisher wenig Solo-Tracks? Denkt ihr, dass eure Hörerschaft auch ein Interesse an euch als Solo-Künstler hat?
Lorenz: Also, 2014 habe ich mein Debütalbum komplett solo gemacht. Da haben sich neue Kreise erschlossen. Es gab die "Rough Rap Rave"-Events in Berlin unter einer Brücke, wo irgendwann mal mehr als 2 000 Leute waren. (grinst) Da habe ich Mortis One und die Jungs von Verrückte Hunde kennengelernt und bin so tiefer reingestoßen. Muckemachen ist bei uns immer so ein bisschen aus dem Leben heraus. Wenn ich eben länger mit jemanden rumhänge, dann will ich etwas mit dem oder der zusammen machen. Das ist keine bewusste Entscheidung. Auch mit Lu war das aus einer Laune heraus.
MZEE.com: Und bei dir, Lu?
Lazy Lu: Ich möchte erst mal für Lorenz antworten. (lacht) Ich habe keine Ahnung, warum der Kerl noch nicht richtig durchgestartet ist. Das erste Mal gehört habe ich ihn mit seinem Song auf dem JUICE-Kanal, dann noch mal einen Part von ihm bei den Verrückten Hunden, wo er alles zerrissen hat. Und ich dachte mir immer, dass es mit dem jetzt schnell bergauf geht. Dann hab' ich mich gewundert, warum nichts mehr kam. Der Punkt ist aber: Ich war vor unserer Zusammenarbeit schon ein riesiger Fan von ihm. Dann haben wir uns auf einem Festival kennengelernt, wo sich Lorenz meinen Stuff als Backup von Johnny Rakete angehört hat und ihn auch dope fand. Da sind wir dann noch den ganzen Abend Maß-trinkend durch Tübingen gezogen. (grinst) Ein Jahr später haben wir uns wiedergesehen – er kam mit der Idee für eine Kollabo und für mich war das der Grund, überhaupt ein Album zu machen. Um deine Frage noch zu beantworten: Bei mir selbst weiß ich, warum die Solo-Sachen keinen großen Anklang fanden. Ich habe nie genug Gas gegeben. Immer, wenn etwas bekannter oder größer wurde, habe ich die ganze Rapsache wieder schleifen lassen. Ich habe mir selbst viel verbaut.
MZEE.com: Was begeistert euch denn am jeweils anderen?
Lorenz: Das ist voll schwierig zu sagen. Er ist halt einfach dope, hör dir seine Kacke an! (lacht) Nein, im Ernst: Lu ist einfach durch und durch Techniker. Ich liebe seine Reim-Patterns und finde es total geil, dass er die auch noch inhaltlich krass verpackt. Da bin ich immer ein bisschen neidisch, warum ich selber nicht auf bestimmte Reime komme. Das ist rundum solider Rap, der einfach richtig ehrlich ist. Das mag ich total. Er geht mit sich selbst superhart ins Gericht, das kann ich gar nicht. Ich kann mich nicht so "nackt" machen. Das bewundere ich.
Lazy Lu: Jetzt hat er mir viele Komplimente vorweggenommen, die ich nur zurückgeben kann. Allein, was das Vokabular betrifft: Wenn man mit ihm schreibt, weiß man sofort, dass da kein Zweckreim dabei sein darf, keine einzige Metapher nicht on point. Du kannst dir keinen Fehler erlauben, weil er technisch mehr drauf hat als jeder andere, den ich kenne. Und dann diese Bildsprache – ey, der Kerl verwendet Worte wie "Petroleumlampe".
MZEE.com: Ihr rappt auf dem Album auch über "Träume". Wovon träumt ihr denn und was für Träume habt ihr euch schon erfüllt?
Lazy Lu und Lorenz zeitgleich: Tapefabrik, Dikka! (schreiend)
Lazy Lu: Nein, auf die Frage kann ich mich nur selbst zitieren: "Sonst träum' ich von großen Flows und Action Jackson, hochgelobt, Respekt von Heads und 'n Monatslohn durch Rap statt Knechten. Und sowieso weniger Monotonie, mehr Rotation, von großen Shows spielen, 'ne Kollabo mit Lorenz, hoch zum Mond …" Kurzum: Alles festigen, was wir uns hier erst mal aufgebaut haben. Deshalb ist es für mich auch wichtig, weiter Kollaborationen zu machen, da schöpfe ich total viel Inspiration draus.
Lorenz: Du weißt aber schon, dass das eben ein Wink mit dem Zaunpfahl war? Wir müssen jetzt solo machen. MZEE sagt, wir müssen solo machen, ganz klar.
(Sam Levin & Jens Paepke)
(Fotos: Schwarzfleck & Tom Doolie)