Juse Ju ist alles andere als ein Standard-Rapper. Seit Jahren macht er sein eigenes Ding fernab der üblichen Genre-Konventionen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, auch mal anzuecken und unbequeme Themen anzusprechen – so auch auf seiner neuesten EP "Untertreib nicht deine Rolle". Darauf präsentiert er binnen kurzer Zeit ein beeindruckend großes Themenspektrum, welches seinen reflektierten Charakter offenbart. Mit uns sprach der Rapper und Radiomoderator, der in Kirchheim und Yokohama aufwuchs, unter anderem über seine Single "Männer" und das darauf thematisierte Männlichkeitsbild. Zudem verriet er uns, ob er sich als Feminist bezeichnen würde und sprach über den Einfluss, den Schriftsteller wie Max Frisch und Peter Handke auf sein Schaffen haben.
MZEE.com: Kürzlich ist deine EP "Untertreib nicht deine Rolle" erschienen. Bist du in der Rapszene eher der Über- oder Untertreiber?
Juse Ju: Da es in der Rapszene ja zur Tradition gehört, seine Rolle maßlos zu übertreiben, bin ich auf jeden Fall eher der Untertreiber. Aber das ist schwer zu sagen. Es kommt ja immer darauf an, worauf man das bezieht. Ich glaube, viele Leute sind auch der Meinung, dass ich meine Rolle maßlos übertreibe – zum Beispiel, wenn sie sich über Songs wie "Männer" ärgern. Das Beste, das ich gelesen habe, war, dass ich "Bürschchen" ja nicht in der Lage sei, überhaupt irgendetwas über Männer zu sagen, weil ich zu jung sei. Ich habe mir gedacht: "Ich bin Mitte 30. Das ist für einen Rapper eigentlich schon relativ alt." Ich hatte mir schon überlegt, ob ich "Let me google this for you" drunter schreiben soll. Aber okay … Ich denke, ich tendiere eher zum Untertreiben. Wobei, in der HipHop-Szene heißt zu untertreiben ja eigentlich nur, dass du die Wahrheit gar nicht oder zumindest weniger verbiegst. Beziehungsweise es heißt, dass du die Realität bezüglich deines Reichtums nicht so maßlos beschönigst.
MZEE.com: In die Kategorie "Reich und gefährlich" passt du ja ohnehin nicht besonders gut – und versuchst es auch gar nicht.
Juse Ju: Na ja, also das mit der Gefährlichkeit ist immer so eine Sache. Ich verstehe schon, wieso man als Teenager in einer äußerst gewalttätigen Welt lebt. Der Pausenhof ist ja nicht wie die Erwachsenenwelt. Erwachsene hauen sich eher selten auf die Fresse. Es gibt Länder, in denen sich die Leute sogar in Parlamenten aufs Maul hauen. Aber in Europa ist so etwas eher selten. Das ist eher etwas, das für Jüngere interessant ist. Wenn man noch jünger ist, lebt man bedrohter. Teenager sind einfach noch viel fieser, beschissener und gewalttätiger zueinander als Erwachsene. Wenn man als Erwachsener zu gewalttätig ist, landet man eben irgendwann auch mal im Knast, findet keinen Job oder wird Penner. Oder man macht Karriere damit und wird kriminell oder Türsteher. Aber ich glaube, das ist eher die Ausnahme. Das Ding ist aber, dass mich viele für einen Pazifisten halten oder so. Dabei würde ich dauernd gerne irgendwem in die Fresse hauen. Ich fände es auch gut, wenn gewisse Leute mal eins auf die Schnauze bekämen. Ich mache selbst auch einen Kampfsport … also Karate – also so halb einen Kampfsport.
MZEE.com: Es gibt aber auch verschiedene Arten von Gewalt. Das muss nicht immer etwas Physisches sein …
Juse Ju: Ja genau, ich bin eher so der Typ für psychische Gewalt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich viele von mir angegriffen fühlen. Viele Eisenkopf-Typen empfinden das, was ich mache, wahrscheinlich als eine absolute Unverschämtheit gegenüber ihrer ganzen Lebensart und fühlen sich von mir bloßgestellt. Ich sage ja auch auf einem Song: "Mein Rap ist Gewalt." Ich habe angefangen, zu rappen, um mich zu behaupten und Rache an meinen Feinden zu üben. Ich glaube, dass sich das immer noch bei mir widerspiegelt. Ich mache keinen "Love, Peace and Harmony"-Rap, sondern irgendwo auch Battlerap – nur eben weniger gegen andere Rapper. Die haben es schon schwer genug. (schmunzelt) Ich bin ja selber einer. Man muss sich als Rapper oft genug dumme Scheiße von Leuten anhören, die nicht rappen können. Das ist ärgerlich genug.
MZEE.com: Man kennt dich schon immer als jemanden, der sowohl Klischees als auch Normen hinterfragt. Auf "Männer" zweifelst du beispielsweise das dominante Männlichkeitsbild unserer Gesellschaft an. Wie gehst du mit deinem eigenen Mann-Sein um? Erfüllst du selbst viele der gängigen Klischees? Immerhin machst du ja auch Kampfsport.
Juse Ju: Also, erst mal muss ich klarstellen, dass ich kein MMA oder etwas ähnliches mache – wie diese ganzen Leute, die sich prügeln wollen – sondern Karate. Als jemand, der in Japan aufgewachsen ist, ist das die Weapon of Choice und ich lernte als Deutschraps Karate Kid von Mr. Miyagi. Ich musste lernen: "Karate is about balance. Not only in Karate, but in life. Karate is only for defense." (lacht) (Anm. d. Red.: Juse imitiert einen japanischen Akzent) Ich glaube auch, dass Karate nicht so effizient ist. Das ist eher was für das Selbstbewusstsein. Es ist so oder so egal, wie gut du als Kampfsportler bist, wenn drei Typen dich hauen wollen – oder wenn einer mit einer Waffe kommt. Dann musst du immer wegrennen. Ich hatte mal Workshops, bei denen die krassesten Karate-Meister waren. Selbst die meinten das. Diese Eins-gegen-Eins-Kämpfe sind ja ein weirdes Mysterium, zu dem es nie wirklich kommt. Wenn dich im echten Leben jemand hauen will, kommen drei Typen und hauen dich. Es gibt keine Fairness. In irgendeinem K.I.Z-Lied, glaube ich, rappt Tarek: "Ich kam wirklich alleine zum Einzelkampf." (lacht) Ich habe das mein Lebtag noch nicht erlebt. Wenn ich als Teenager eine aufs Maul bekomme habe, dann waren das irgendwelche Leute, die mich aus dem Nichts geschlagen haben. Und da waren auch immer noch fünf im Rücken, falls ich mich wehre. Ich will aber gar nicht so viel über Gewalt reden. Wahrscheinlich lesen die ganzen echten Straßen Gs "Karate" und es bedeutet für sie "so effektiv wie Judo". Ich finde es trotzdem gut für das Selbstbewusstsein, das zu machen. Aber deine Frage ging ja in die Richtung, wie viel hegemoniale Männlichkeit in mir steckt.
MZEE.com: Genau.
Juse Ju: Das ist tatsächlich eine sehr komplexe Frage. Ich bin der Meinung, dass ich auf "Männer" eben gerade nicht das hegemoniale Männlichkeitsbild beschreibe, das in unserer Gesellschaft wirklich herrscht. Eher eines, das nur in gewissen Kreisen aus sich selbst heraus geschaffen wird – zum Beispiel in Bezug auf diese nicht existierenden Einzelkämpfe. Mir geht es da überhaupt nicht um eine exakte Definition des hegemonialen Mannes. Mir geht es da eher um so Donald Trump-Typen. Der ist der Mächtigste von all diesen Angry White Men. Man muss ja nur die HipHop-Szene angucken, da widersprechen sich dauernd alle selbst. Es wird die ganze Zeit etwas kolportiert, das gar nicht gelebt wird. Auf dem Song geht es mir eher um eine tragische Mann-Figur, die gerne der Alpha-Wolf sein möchte, der Macht und Anspruch hat, aber daran scheitert, weil wir halt in einer modernen Welt leben. Im kriminellen Milieu gibt es solche Alpha-Wölfe vielleicht. Aber nehmen wir zum Beispiel mal Joseph Ackermann: Der ist viel mehr das, was man allgemein als hegemonialen Mann bezeichnen kann. Ein Rich Ass Motherfucker, der tun und lassen kann, was er will. Der ist ja so ein Alpha-Mann. Der wirkt aber nicht wie ein krasser Banger, sondern kommt grinsend mit einem Bäuchlein-Ansatz und Schweizer Akzent daher. Ich habe irgendwo gelesen, dass dieser Typ Mann der eigentliche hegemoniale Mann ist, dem alle nacheifern. Dazu gehören Charisma, aber eben auch Bildung oder ob du dich auf internationalem Parkett bewegst, viel Geld verdienst und gut für deine Familie sorgen kannst. Aber darum geht es ja in meinem Lied nicht. Eigentlich kritisiere ich die wirklich mächtigen Männer gar nicht, sondern eher die tragischen Dummschwätzer. Um nach diesem weiten Ausholen aber noch deine Frage zu beantworten: Ich entspreche in vielerlei Hinsicht sicherlich dem hegemonialen, "normalen" Männlichkeitsbild. Ich bin beruflich erfolgreich, treibe Sport und führe eine gewöhnliche Beziehung. In manchen Punkten entspreche ich dem Bild aber natürlich auch nicht. Niemand entspricht dem vollkommen. Es gibt ja diese komische Weltsicht, laut der es Opfer- und Tätertypen gibt. Aber die Wahrheit ist, dass in unserer Gesellschaft viele Täter – wie zum Beispiel die vom Pausenhof – eigentlich Opfer sind. Es ist definitiv komplex. Wie viele Leute, die die Kings auf dem Pausenhof waren, sind heute pleite und bekommen es nicht hin, eine vernünftige Beziehung zu führen? Dickköpfigkeit und Unvernunft werden oft als Männlichkeit kolportiert, aber das funktioniert ja nicht. Ich erfülle das gesamtgesellschaftliche Männlichkeitsbild wahrscheinlich mehr als manche Rapper. Das hängt sicherlich auch mit meiner Herkunft zusammen, da mir viel mitgegeben wurde. Ich komme aus einem Haushalt, in dem es mir ermöglicht wurde, die Schule fertig zu machen, zu studieren und beruflich meinen Weg zu gehen. Das ist anderen Leuten, die zu Hause Schwierigkeiten haben, nicht so vergönnt. Aber mich stört dieses eindimensionale Bild, das die Rapper verbreiten, deshalb auch total.
MZEE.com: Bist du selbst mit einem starren und fragwürdigen Männlichkeitsbild im Sinne von "toxischer Maskulinität" aufgewachsen oder gab es in deinem Leben auch Vorbilder, die dir etwas anderes vorgelebt haben? Abseits von Mr. Miyagi.
Juse Ju: Mr. Miyagi als Vorbild reicht. (schmunzelt) Nein, Spaß. Ich hatte viele. Wenn ich so zurückdenke, fallen mir zunächst mal familiäre Vorbilder ein. Ich habe einen großen Bruder und einen Vater. Familie hat – ob man will oder nicht – den meisten Einfluss auf einen. Mein Vater hat drei Kinder und sich für seine Familie den Arsch aufgerissen. Das merkt man ja als Kind, auch ohne das kognitiv zu reflektieren. Mein großer Bruder hat sich auch für Rap interessiert, durch ihn bin ich zur Musik gekommen. Meine musikalischen Vorbilder waren zunächst Bands wie Public Enemy oder De La Soul. Damals habe ich aber noch nicht verstanden, was sie gesagt haben. Später waren es dann Dendemann und Max Herre. Das waren ja relativ lässige, normale Dudes – nicht zu vergleichen mit den Vorbildern, die die Kids heute haben. Heute müssen alle wie Steve Austin sein. Ich hatte neulich ein Gespräch über Wrestling und darüber, wie sich das verändert hat. Ich bin mit Bret Hart aufgewachsen. Der war ein gerader Typ. Die heutige Generation wächst aber in einer Zeit auf, in der das Arschloch der Held ist. Die Leute lieben ja auch den Joker von Heath Ledger. Der wird überhaupt nicht mehr als negative Figur wahrgenommen. Die Leute halten ihn für den King, weil er alles kaputt machen will und geile Sprüche bringt. Und es ist auch geil, wie er dem Typen einen Bleistift reinrammt. So will man ja auch sein. Ich würde das auch gerne mal machen.
MZEE.com: In einem der Kommentare unter dem Video zu "Männer" schreibt jemand: "Herbert Grönemeyer wäre stolz auf dich." – Inwiefern hat dich sein Song aus den 80ern beim Schreiben inspiriert?
Juse Ju: Exakt null. Mein Song hieß am Anfang auch noch "Echte Männer". Bei Herbert Grönemeyer ging es ja um die gesamte Männlichkeit in unserer Gesellschaft. Ich habe eher einen Song über diese tragischen Figuren gemacht, die gerne große Krieger wären, aber leider daran scheitern müssen, dass sie halt nicht im Zeitalter der großen Krieger leben. Kriege werden heute anders ausgefochten. Das hat ja auch schlichtweg technische Gründe. Du kannst mit einer Axt auf ein Schlachtfeld rennen, aber dann kommt eben eine Drohne und schießt dich einfach weg. Ich muss da immer an Sin City denken. Da wird Marv als jemand beschrieben, der im falschen Zeitalter geboren wurde. Wäre er vor 1 000 Jahren zur Welt gekommen, wäre er ein krasser Berserker auf dem Schlachtfeld gewesen. Aber in der modernen Welt bringt ihm das halt nichts. Wahrscheinlich gab es auch damals schon clevere Typen, die so einen Trottel wie ihn für ihre Zwecke geopfert hätten. Der Song von Grönemeyer ist wirklich fantastisch, aber er hat mich überhaupt nicht beeinflusst. Mir ging es um dieses Bild, das von den ganzen Rappern kolportiert wird und irgendwelche Teenager beeinflusst. Ich habe mich lustigerweise neulich länger mit Amewu darüber unterhalten. In gewissen Milieus ist es einfach wichtig, dass du den Ellenbogen ausfährst. Ich kenne das ja auch zum Beispiel aus dem Fußballverein. Du kannst als junger Mensch – oder allgemein – nicht durch die Welt gehen, ohne dich mit Menschen, die dich testen und deine Schwächen ausnutzen wollen, auseinanderzusetzen. Du kannst allerdings ein Umfeld haben, in dem das eine größere oder eine weniger große Rolle spielt. Bei manchen scheint es aber nur darum zu gehen. Du kannst deinen Mann stehen, wie du willst … Wenn du darüber hinaus nichts kannst, ist es eben schwer. Es sei denn, du wirst Security-Mann oder Türsteher, dann ist das relativ wichtig. Aber auch da musst du ja zum Beispiel einen kühlen Kopf bewahren und deeskalieren können, wofür du soziale Fähigkeiten brauchst. Ich kann das alles bis zu einem gewissen Grad verstehen. Ich habe, als ich jünger war, auch viel mehr Gangster-Rap gehört, weil die eben stark waren. Die haben sich gewehrt und konnten alle fertig machen. Und das ist ja das, was man sich als Teenie wünscht. Ich wollte das genauso wie jeder andere auch. Um noch mal auf deine Frage zurückzukommen: Herbert Grönemeyer hat wirklich nichts damit zu tun. Auch die Art, wie ich singe, ist nicht an ihn angelehnt, sondern an Jacques Brel. Ich habe den Namen von Grönemeyer nur als Gag in die Beschreibung des Videos geschrieben, weil ich wusste, dass alle denken werden, dass ich da von ihm beeinflusst war. In einem Satz genannt werden mit dem erfolgreichsten deutschen Musiker alle Zeiten? Kein Problem für mich. (lacht) Aber musikalisch hat das nichts miteinander zu tun.
MZEE.com: Natürlich geht es bei dir nicht nur ums Mann-Sein. Daher noch eine Frage zum Thema Gender: Würdest du dich als Feminist bezeichnen?
Juse Ju: (überlegt) Das ist schwierig. Ich habe keine genaue Definition davon im Kopf, was ein Feminist ist. Für mich sind Begriffe wie toxic masculinity – was viele in dem Song gesehen haben – oder Feminismus nur Stanzen, mit denen man gewisse Weltansichtskonzepte beschreibt. Aber ich habe das Gefühl, dass die nicht so richtig auf mich zutreffen. Ich habe nie an toxic masculinity gedacht, als ich den Song geschrieben habe, auch wenn viele Leute das da rausgelesen haben. Das ist ja nur ein Versuch von irgendwelchen Sozialwissenschaftlern, einen Umstand zu beschreiben, den sie beobachten. Man darf mich gerne als Feminist bezeichnen, wenn man das möchte. Ich persönlich mach' das nicht. Aber nicht, weil ich das schlecht finde, sondern weil ich nicht wüsste, ob das stimmt. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass wir in einer sehr dichotomen Welt leben. Entweder man gehört zu dieser Seite oder zur anderen. Nimm beispielsweise die USA: Da bist du entweder ein conservative und somit ein rechtsradikaler Spinner oder eben ein liberal, also ein sozialliberaler, aber eigentlich kapitalistischer Mensch. In Deutschland wäre die Unterscheidung: Entweder bist du ein rechter Wichser oder ein grünversiffter Gutmensch. In diesen Kategorien wird gedacht und einem alles übergestülpt, was jemals aus der jeweiligen Ecke kam. Welche Meinungen mir schon angedichtet wurden, weil ich gewisse linke und liberale Ansichten habe … Aus "Männer" wollten die Leute beispielsweise schon raushören, dass ich eigentlich kein Mann sein möchte oder Pazifist sei. Ich habe das Gefühl, dass es für viele Leute eben einfach diese Stanze des grünversifften Gutmenschen gibt. Ich rappe ja auch auf "Swaggy Dudes with Attitude": "Für dich bin ich ein grünversiffter Gutmensch, also ich fühl' mich mehr wie Wu-Tang." (lacht) "Gutmensch" ist halt ein Kampfbegriff, der von der Neuen Rechten verwendet wird. Insofern kann der auf mich so oder so nicht zutreffen. Ich beschreibe mich schließlich nicht selbst mit irgendeinem rechten Kampfbegriff. Das wäre so, als würde sich ein Nazi selbst Nazi nennen. Das gibt es ja auch, aber das ist dann so komisch-provokant gemeint. Ich glaube, man sollte nicht von einem Thema auf andere schließen. Nur weil ich eine spezielle Meinung habe, heißt das nicht, dass ich auch die ganzen anderen Meinungen, die du damit verbindest, vertrete. Was den Feminismus angeht, bin ich der Meinung, dass weder Frauen noch Männer besser oder schlechter sind. Für mich zählt in erster Linie der Charakter eines Menschen. Ich persönlich bin interessiert an einer sehr gleichberechtigten Welt. Aber nicht, weil ich so ein netter Typ bin, der gerne eine Frau wäre, sondern weil ich mit Menschen immer gerne auf Augenhöhe kommuniziere. Ich finde es ungerecht, wenn Frauen unterdrückt werden. Das ist auch für mich – ganz persönlich und egoistisch betrachtet – nicht cool. Mal ganz blöd gesagt: Ich will ja, dass meine Freundin mindestens genauso schlau, erfolgreich und gebildet sein kann wie ich. Wenn wir jetzt in einem Land leben, in dem es Frauen verbaut wird, erfolgreich oder gebildet zu sein, finde ich das für mich persönlich scheiße. Ich habe doch nichts von diesem althergebrachten Frauenbild, bei dem nur Klischees bemüht werden. Was Heidi Klum beispielsweise in ihrer Sendung kolportiert, finde ich richtig beschissen. Ich will nicht mit Frauen rumhängen, die so sind – auch wenn das egoistisch ist.
MZEE.com: Ich bin da bei dir, was diese Schubladen angeht. Wenn du dir eine Bezeichnung wie "Feminist" gibst, musst du gefühlt hinter allem stehen, was jemals zu diesem Thema gesagt und geschrieben wurde. Das ist problematisch. Nur finde ich es nahezu unmöglich, über entsprechende Themen zu reden, ohne ab und an mal eine der Schubladen aufzumachen.
Juse Ju: Das ist ja auch okay. Die Leute sollen ruhig Schubladen aufmachen. Sie sollen nur nicht erwarten, dass ich dann auch hineinspringe. Ich glaube, es gibt schon ein paar Leute, die checken, was ich meine. In meinem Umfeld zum Beispiel. Ich möchte einfach, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und dieselben Chancen haben. Wenn mir das als Feminismus ausgelegt wird – okay.
MZEE.com: Ich habe dir zu einem anderen Thema noch ein Zitat von Max Frisch mitgebracht: "Fragwürdig wie alles, was wir treiben, ist auch die Selbstkritik. Ihre Wonne besteht darin, daß [sic] ich mich scheinbar über meine Mängel erhebe, indem ich sie ausspreche und ihnen dadurch das Entsetzliche nehme, das zur Veränderung zwingen würde." – Da du ein sehr selbstkritischer beziehungsweise selbstironischer Mensch bist, wüsste ich gerne: Magst du diese Eigenschaft an dir oder siehst du sie vielleicht ähnlich kritisch wie Max Frisch, auf den du dich indirekt auf "Biedermann und die Brandstifter" beziehst?
Juse Ju: Man muss bedenken, dass es bei Rap in erster Linie um Emotionen geht. Und was Max Frisch sagt, ist ja, dass wir nur selbstkritisch sind, um uns gut zu fühlen. Ich finde es aber gar nicht verwerflich, das mit Musik auszuleben. Genau darum geht es ja auch im Rap. So sehr Max Frisch auch frisch auflabern und sagen kann, Selbstkritik wäre eigentlich das Allerschlimmste … Da denke ich mir: "Okay, gut. Dann sei halt nicht selbstkritisch und find' dich halt nur geil." Das ist auch nicht besser. Vieles von dem, was ich an mir kritisiere, versuche ich auch zu verändern. Es ist jetzt nicht so, dass Selbstkritik bei mir immer ins Leere läuft. Ich versuche schon, die Dinge zu ändern – aber nicht immer und nicht alles. Manche dumme Sachen sind ja auch geil.
MZEE.com: Ich bin auch nicht davon ausgegangen, dass du das ähnlich siehst wie Max Frisch. Sondern viel eher, dass Selbstkritik für dich eine positive, kathartische Funktion hat.
Juse Ju: Rapper reden über sich selber. Ich weiß, dass die meisten am liebsten nur über die positiven Aspekte reden. (schmunzelt) Aber es gibt auch ganz andere Leute, die ihre Selbstzweifel in der Musik thematisieren. Zum Beispiel aus dem Azzlackz-Camp. Von Haftbefehl gibt es diesen Song, "Mann im Spiegel". Von Hanybal gibt es auch mehrere deepe Tracks, die ich ganz gut finde.
MZEE.com: Neben "Biedermann und die Brandstifter" gibt es in deinen Texten viele weitere Anspielungen auf Autoren und literarische Werke. Hast du eigentlich über deine Tätigkeit als Rapper und deine Vergangenheit als Drehbuchautor für Scripted Reality-Sendungen hinaus ernsthafte schriftstellerische Ambitionen?
Juse Ju: (überlegt) Also, ich schreibe tatsächlich sehr gerne. Früher habe ich gerne Kolumnen geschrieben und ich hatte auch immer Spaß beim Erstellen der Drehbücher. Ich habe aber keine Ambitionen, einen Roman zu schreiben. Das interessiert mich nicht, weil ich persönlich auch sehr selten Romane lese. Wenn, dann lese ich eher journalistische Texte wie etwa Reportagen. Meine schriftstellerischen Tätigkeiten würden sich vermutlich darauf beschränken, dass ich über mich selbst schreibe – wie im Rap. Ich finde das nicht verwerflich, das machen ja auch sehr viele. Aber die große Space-Saga braucht man von mir nicht zu erwarten.
MZEE.com: Das wundert mich jetzt fast ein wenig. Ich kann mich daran erinnern, dass es auf der EP auch eine Zeile gab, die Bezug auf Peter Handke nimmt.
Juse Ju: "Publikumsbeschimpfung"! Ja, ja: "Ich beschimpfe meine Fans und gebe Props an Peter Handke." Ich habe einfach für mich selbst entschlossen, dahingehend echt zu bleiben, dass ich über Dinge rede, die auch wirklich in meinem Leben stattfinden. Mir ist schon klar, dass manche Leute es pretentious oder arrogant finden, wenn ich über Peter Handke oder Max Frisch rede … beziehungsweise Anspielungen auf sie mache. Aber ich habe nun mal Theaterwissenschaft studiert. Bei anderen Leuten gilt es weniger als abgehoben, wenn sie über Sachen aus ihrem jeweiligen Kreis reden. In Wirklichkeit sind aber weder Max Frisch noch Peter Handke abgehoben. Peter Handke ist eigentlich voll der geile Typ. Ich meine, der hat einfach – in Zeiten, in denen sich Leute übelst über so etwas echauffiert haben – ein Theaterstück geschrieben, in dem das Publikum eine ganze Stunde lang ununterbrochen angeschrien wird. "Ihr Kleingeister! Ihr miesen Wichser!" (schmunzelt) Damals haben reihenweise Leute das Theater während der Aufführung verlassen. Diese ganzen 50er-Jahre-Altnazis kamen da gar nicht drauf klar. Ich kritisiere eigentlich gar nicht so viel an diesem Gangster-Ding rum. Es stört mich viel mehr, dass sich so viele Leute daran anbiedern. Darum geht es ja auch in "Biedermann und die Brandstifter". An der Uni musst du halt darüber diskutieren, wer von uns allen am wenigsten privilegiert ist. Das ist ein unehrlicher Umgang. Ich weiß, dass es Leuten aus der Mittelschicht – wie mir – schwerfällt, zu akzeptieren, dass man zum Teil Startvorteile im Leben hatte. Man versucht das oft kleinzureden. Und manchen Leuten ist es eben ganz wichtig, Anschluss an eine vermeintlich edle Gaunertruppe zu haben. Das kenne ich auch noch von früher. Wenn man mit den gefährlichen Jungs rumhängt oder jemanden von einem Rockerclub kennt, versucht man, sich selbst damit aufzuwerten. Aber die Wahrheit ist: Du wirst nicht gefährlicher, weil du irgendwen kennst, der wirklich gefährlich ist. Insgesamt sollte man "gefährlich sein" auch nicht so überbewerten. Das bringt dir gar nicht so viel – nur, wenn du Menschen einschüchtern möchtest. Im besten Fall sind die Leute aber nicht von dir eingeschüchtert, sondern denken, dass du ein charismatischer Typ oder eine charismatische Frau bist und Leute von etwas überzeugen kannst. (überlegt) Bei "Biedermann und die Brandstifter" geht es mir eher um irgendwelche Agentur-Menschen, die sich ganz, ganz toll finden, weil sie irgendeinen Gangster-Rapper kennen, der eine echte Street-Vergangenheit hat. Darum geht es auch in dem gleichnamigen Theaterstück. Darin lässt eine Familie zwei Faschos bei sich wohnen. Die sagen dann immer: "Nein, nein, nein. Die müssen wir jetzt hofieren." Sie stehen aber nicht zu sich selbst und ihren eigentlichen Werten. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus. Auch ich fand es mal cool, als ich jung war, irgendwelche gefährlichen Typen zu kennen. Aber am Ende des Tages reitet dich das natürlich meistens in die Scheiße. Manchmal komme ich mir aber schon sehr oberlehrerhaft vor. Rap wird halt viel von Jüngeren gehört. Ich würde mal sagen, dass in meiner Altersklasse solche Gedanken gar nicht so sehr als spießig gelten. Klar denkt man anders, wenn man älter als 20 ist. Aber ich mache eben auch Musik für Leute, die eher 25 als 15 sind. Die haben vielleicht schon ihre Erfahrungen gemacht und merken, dass sie möglicherweise doch keinen Eisenstangen-Ede in ihrem Freundeskreis brauchen. Der ist nämlich ein Psychopath und sorgt dafür, dass jemand, der gar nichts getan hat, eine Eisenstange auf den Kopf kriegt. Ich denke mir oft bei Leuten, die so alt sind wie ich und in ihrer Bubble leben: "Guck mal, du bist doch genauso ein Mittelstandsmensch wie ich. Sei doch einfach real und steh dazu. Du bist kein Gangster. Sei doch einfach ein toller Mensch, sei kreativ, beweise dich, in was auch immer du dich beweisen möchtest. Aber du brauchst dich nicht dadurch beweisen, dass du irgendwen kennst, der gefährlich ist. Das beweist niemandem irgendwas – nur dass du dich bei Leuten anbiederst, die gefährlich sind." Mit Fame ist es dasselbe. Wie viele Leute sich damit brüsten, dass sie jemanden kennen, der fame ist … Ich habe mir schon immer gedacht: "Okay, du kennst jemanden, der fame ist. Aber das macht dich doch nicht zu dieser Person. Die Nähe zu dieser Person färbt nicht so sehr ab, wie du dir das vielleicht wünschst." In der Hookline geht es ja genau darum: "Du hoffst, das färbt sich ab, auch auf die Gästeliste." Tut's nicht! Und wenn, dann nur sehr geringfügig. Das ist auch ein Grund, weshalb ich nur ganz wenige Features mache und Leute auch nicht danach frage. Ich finde, entweder steht mein Rap für sich oder er steht nicht. Sicher sagen Leute jetzt, dass ich ja auch Tracks mit Fatoni und Edgar Wasser mache. Und die sind ja beide famer als ich. Aber Fatoni und ich sind halt seit 15 Jahren best buds. Das ist etwas anderes. Da denke ich nicht darüber nach, ob sein Bekanntheitsgrad auf mich abfärbt. Wir hängen halt rum. Genauso bei Danger Dan. Ich kenne aber auch schon sehr lange andere Rapper, die berühmt sind. Wenn ich bei denen nicht das Gefühl habe, dass es eine lockere Ebene gibt und man zum Spaß was zusammen machen kann, dann frage ich sie auch nicht. Aber heutzutage ist es ja ein völlig normaler Move, dass man sich andere dazu nimmt, damit deren Fame auf dich abfärbt. Es ist bei mir zum Teil auch eine bewusste Entscheidung, Features deswegen nicht zu machen. Auf "Angst und Amor" war ja zum Beispiel gar kein Feature drauf – und auf "Shibuya Crossing" nur mein engster Freundeskreis. Auf der neuen EP ist nur Curly drauf. Ich finde es nicht so cool, sich an anderen hochzuziehen. Ich weiß, dass das wahrscheinlich funktioniert und dass ich bekanntere Leute, die ich kenne, relativ einfach hätte überreden können, einen Song mit mir zu machen. Aber ich hätte mich dabei nicht gut gefühlt.
(Steffen Bauer)
(Fotos: OH-MY)