"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Jehst ist einer dieser Rapper, die zu Unrecht nur wenig Aufmerksamkeit bekommen. Das mag allerdings auch daran liegen, dass der Londoner größtenteils auf Social Media Präsenz verzichtet. Sein hier vorgestelltes Album trägt den Titel "The Dragon of an Ordinary Family". Es handelt sich dabei um ein echtes Schätzchen, das definitiv öfter aus der Plattenkiste hervorgeholt werden sollte.
Der Brite ist ein besonderer Künstler, der bereits 1999 seine erste EP releast hat und seitdem mit mal mehr, mal weniger großen Pausen aktiv ist. "The Dragon of an Ordinary Family" ist für mich ein absoluter Klassiker der UK-Szene, denn auch nach mehrmaligem Hören bekommt man nicht genug von den straight gerappten Texten des Releases. Dabei kommt die komplette Platte ohne Features anderer Rapper aus. Es gibt darauf lediglich zwei gesungene Hooklines von Graziella und Fae Simon – ansonsten nur Jehst auf einer Reihe doper Beats, die unterschiedlichste Stimmungen transportieren. Das Zusammenspiel gelingt unter anderem dadurch, dass er seinen Stimmeinsatz immer gekonnt dem Instrumental anpasst. Auch das hervorragende Mixing und Mastering spielt hierbei eine Rolle. Dies kann man beispielsweise sehr schön beim Track "England" heraushören, der zudem ein Paradebeispiel dafür ist, welch hohe Ansprüche der Rapper an seine Lyrics hat. Nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch bewegt er sich stets auf hohem Niveau, denn das ganze Album strotzt nur so vor Reimketten.
"The Dragon of an Ordinary Family" ist es auf jeden Fall wert, gehört zu werden. Selten transportiert ein Künstler seine Messages so eingängig auf jeder Ebene eines Tracks wie hier. Was am Ende bleibt, ist das unschöne Gefühl, wenn der letzte Track vorbei ist und die Gewissheit, dass es zum Glück die Repeat-Option gibt. Wer also auf der Suche nach guter Musik außerhalb von deutschem oder amerikanischem Rap ist, wird dieses Album lieben lernen.
(Dzermana Schönhaber)