Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: 3Plusss
"in diese whatsapp gruppe wird man mich wohl niemals einladen". – Dieser Tweet des Rappers 3Plusss nimmt Bezug auf einen WhatsApp-Gruppenchat rund um Felix Krull und andere Namen der hiesigen HipHop-Szene – einen Gruppenchat, dessen Inhalt er in einem vorherigen Tweet als "widerwärtige, menschenverachtende Backstage- & Tourbus-Storys" beschreibt. Und damit macht der Essener genau das, wodurch er schon in der Vergangenheit positiv aufgefallen ist. Er benennt und verurteilt Äußerungen anderer, die mit seinen Werten und seinem Verständnis der HipHop-Kultur nicht zu vereinbaren sind. Der Künstler realisiert offensichtlich den Einfluss, den Rapper auf ihre Fans haben, und stellt sich klar gegen die Vermittlung eines respektlosen oder gar verachtenden Umgangs miteinander. Auch wenn in der Szene vieles mit dem Deckmantel Humor legitimiert wird, haben Witze ihre Grenzen und 3Plusss ist da, um uns daran zu erinnern.
Video: Alligatoah – Die grüne Regenrinne
"Hol doch deine Stifte raus. Benutz doch deine Fantasie!" Mit diesen Worten forderte Alligatoah im November letzten Jahres seine Hörerschaft auf, ihn bei dem Video von "Die grüne Regenrinne" zu unterstützen. Der Plan: Fans sollten sich eine Stelle herauspicken, welche sie besonders ansprechend finden, und bildlich umsetzen. Vier Monate später präsentiert der selbsternannte Schauspiel-Rapper nun das Ergebnis. Aus insgesamt 643 Bildern ist ein acht-minütiger, animierter Kurzfilm entstanden. Der in drei Teile gegliederte Song erzählt die Geschichte von Inspektor Gatoah, der herausfinden möchte, was bei seinem nächtlichen Alkoholexzess alles passiert ist. Leider hat er große Erinnerungslücken und nur ein Stück grüne Regenrinne als ersten Anhaltspunkt für seine Ermittlungen. Es ist wirklich etwas ganz Besonderes, wie die einzelnen Textpassagen visualisiert und zu einem stimmigen Comic zusammengesetzt wurden. Daher bleibt über dieses Video nur zu sagen: Chapeau, Hörerschaft!
Song: Tua – Wem mach ich was vor
Die Liste der rappenden Personen im deutschsprachigen Raum ist etwa genau so lang wie die Liste der Rapper, die einen Trennungssong geschrieben haben. Die meisten davon spielen sich irgendwo zwischen peinlich und übertrieben pathetisch ab. Tua liefert nun mit "Wem mach ich was vor" einen Track ab, der zwar zunächst der eingangs erwähnten Kategorie zuzuordnen ist, jedoch aus der Reihe tanzt. Zum einen, weil es sich nicht um einen klassischen Rap-Song handelt – der Großteil ist gesungen. Und zum anderen, weil weder fremdschamerzeugende Lyrik noch Pathos-Overload zu finden sind. Stattdessen setzt sich der Rapper elegant mit den eigenen Gefühlen und der Zeit nach der Trennung auseinander. Auch die Gegenseite, die im Song selbst eigentlich gar nicht konkret benannt wird, kommt in Form einer Sängerin zu Wort, was eine angenehme Kombination zu Tuas Gesang darstellt. "Wem mach ich was vor" ist ein astrein geschriebener und produzierter Song. Er zeigt, dass Rap in Deutschland auch über den Tellerrand schauen kann und deutschsprachiger Gesang nicht immer aus aneinandergereihten blumigen Sätzen bestehen muss, die irgendwie zum Thema passen. Damit verdient sich der Track definitv den Titel "Song des Monats".
Instrumental: Dexter feat. Juicy Gay – SWIPE SWIPE (prod. bei Dexter)
Es gibt vieles, was am aktuellen Track von Dexter und Juicy Gay "SWIPE SWIPE" gelungen ist: das quatschige, aber zugleich stylische Musikvideo, der unterhaltsame Songtext der beiden Protagonisten und auch die positive Energie, die der Song versprüht. Der Beat hingegen scheint – gemessen an dem, was Dexter sonst so präsentiert – überraschend unspektakulär. Eine einfache Melodie, ein paar Drums – aus sehr viel mehr besteht das Instrumental bei oberflächlicher Betrachtung nicht. Doch geht das Soundkonzept komplett auf: Die Produktion ist simpel wie genial. Die Klänge gehen sofort ins Ohr und setzen sich dort fest. Gleichzeitig kommen aufgrund des Prunkverzichts die Delivery und die Lyrics von Dexy und Juicy perfekt zur Geltung. In der Hook steigert sich der Kopfnicker-Beat dann noch einmal weiter, um vollends das Hitpotenzial des Tracks zu entfalten. Rap und Instrumental sind hier bestens aufeinander abgestimmt, sodass ein durch und durch rundes Gesamtwerk entsteht.
https://youtu.be/ItfIJkDkYv4
Line: Waving The Guns – Was hast du denn erwartet
Scheiß' auf Conscious Rap, ich hab' Conscious Swag!
Gewohnt fromm und zugleich stark provokant meldet sich die norddeutsche Gruppierung Waving The Guns aus ihrem Delirium zurück. Knapp zwei Jahre ließen sie sich Zeit, um einen würdigen Nachfolger für ihre Platte "Eine Hand bricht die andere" zu kreieren. Nun gibt es die erste Auskopplung auf die Ohren, in der – wie erwartet – vor allem die Belanglosigkeit der hiesigen Szene bemängelt wird. Conscious Rap, also das bewusste Hantieren mit durchaus gesellschaftskritischen Aspekten, wird immer mehr verdrängt und findet auch beim Großteil der Hörer immer weniger Anklang. Grob gesagt: Vielen Musikern ist es mittlerweile egal, was sie sagen und vor allem wie sie es sagen. WTG appellieren dabei an das Bewusstwerden, dass das Mikrophon durchaus als Sprachrohr einer Gesellschaft und damit als ein Instrument der Meinungsfreiheit genutzt werden kann und darf. Milli Dance scheut somit keinen Konflikt und widmet seine Zeilen ebenjenen, die meinen, Lifestyle und Image seien alles.
(Steffen Uphoff, Thomas Linder, Michael Collins, Florian Peking, Jan Menger)
(Grafik von Puffy Punchlines)
(Foto von Lukas Richter (3Plusss))