Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Ben Salomo
Wie bei jeder Diskussion innerhalb der Rapszene, die auch nur ein wenig Selbstreflexion fordert, wurde auch im Zuge der Antisemitismus-Debatte nur an der Oberfläche gekratzt. Da überraschte es fast, als Ben Salomo 2018 das Ende von "Rap am Mittwoch" ankündigte. Eine Plattform und Community, die nur zu gern Rassismus, Sexismus und Homophobie unter dem "Ist doch nur Rap"-Deckmantel zu legitimieren versuchte. Dennoch hätte man hoffen können, dass dies für manchen Battlerapper und Fan nun Stein des Anstoßes sein könnte, den Umgang mit derartigen Inhalten zu hinterfragen. Doch Rap wäre nicht Rap, wenn er ein solch wichtiges Thema nicht schnell wieder im Sande verlaufen lassen und man – jetzt ohne den Rapper – unter neuem Namen auf die alte Art weitergemacht hätte. Zumindest Salomo scheint es ein (persönliches) Anliegen zu sein, den Diskurs nicht nur in Interviews und Facebook-Posts, sondern auch in seiner Musik weiterzuführen, in der er nun wieder auf die Problematiken aufmerksam macht. Der am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus veröffentlichte Track "Sie sagen mir" steht dabei als Statement zur generellen Bereitschaft zur Debatte. Der Rapper kritisiert darin ebenjene Mentalität, den Kampf gegen rechte Gesinnung aufzugeben, nur weil er einem viel Arbeit und Selbstreflexion abverlangt. Und auch wenn der Track, so wie mancher Post Salomos zu dem Thema, Zeilen und Stellen enthält, mit denen man nicht unbedingt d'accord gehen muss: Es ist wichtig, überhaupt eine Diskussion zu führen, statt das Ganze – wie sonst szeneüblich – einfach zu ignorieren und sich damit abzufinden.
Video: Nord Nord Muzikk feat. K.I.Z – Neuruppin 2
2007 schufen K.I.Z auf ihrem legendären Album "Hahnenkampf" zusammen mit Kuba und Cannibal Rob mit dem Song "Neuruppin" einen Klassiker. Er bekam als erster Track weltweit ein interaktives Musikvideo spendiert und wird noch heute auf jedem Konzert gespielt und gefeiert. Zwölf Jahre später haben sich die Protagonisten von damals mit Vork, der nun zu Nord Nord Muzikk gehört, erneut zusammengetan, um der zeitlosen Mordfantasie einen zweiten Teil zu spendieren. Anders als in 2007 liegt nun ein klassischer Clip vor, der jedoch nicht weniger bildgewaltig ist. Eine Gruppe junger Leute, die zunächst noch VSK-hörend – man beachte die Ironie – mit dem Van durch das Brandenburger Hinterland fährt, wird passend zum Song in eine Falle gelockt. Im und um das Haus von Neuruppin herum finden sie einen grausamen Tod durch die Hände der sechs Rapper. Dabei wird an Details nicht gespart und durch die gelungene Inszenierung des Hauses und der Künstler, die wie Hinterwäldler in einschlägigen Filmen gekleidet durch den Wald stapfen, die Stimmung perfekt wiedergegeben. Mit "Neuruppin 2" und insbesondere dem dazugehörigen Video wird also ein würdiger Nachfolger geliefert.
Song: Pöbel MC – Zero Problemo
Nach der äußerst starken Kollabo mit Milli Dance letztes Jahr ist Pöbel MC nun wieder solo am Start und hat im Februar ein neues Tape für uns. Und bereits die erste Single hat es in sich. Anfangs erwartet man noch gewohnt Boom bap-lastigen Sound, doch dann droppt Bovskey die Bassline und Pöbel MC beginnt seinen Part. Für den Berliner ein etwas ungewohnt moderner, aber äußerst passender Sound. Denn er animiert zum Kopfnicken, schafft aber gleichzeitig eine leicht düstere Atmosphäre. Also genau richtig für die Thematik, die der Rapper hier anschneidet: "Zero Problemo" behandelt die Probleme, die jeder selbst hat, die er aber keinesfalls als solche sieht. Oder anders ausgedrückt: Er prangert auf geschickte Art und Weise die ganzen First World Problems an. Smoothies trinken, aber Zigaretten rauchen etwa. Diese Intention wird allerdings erst im letzten Part richtig deutlich. Hier geht es um die Frage, was man nach dem abgeschlossenen Studium eigentlich macht, aber ebenso um die Flüchtlingsproblematik. Die richtigen Probleme eben, auf die Pöbel die richtige Frage zum Schluss stellt: "Lösen wir sie miteinander, statt uns selbst zu optimieren?" – Word.
Instrumental: Samra – Instinkte (prod. by Lukas Piano)
Es gab mal eine Zeit, in der melancholische Geigen dermaßen oft in Beats der Marke Straßenrap verwendet wurden, dass hierzulande eine vollkommene Übersättigung dieses Sounds stattfand. Das war jedoch in den 2000ern, sodass man mit Streichinstrumenten mittlerweile wieder punkten kann. So geschehen beim Instrumental zu Samras "Instinkte", welches von Lukas Piano stammt. Die dramatische Melodieführung der atmosphärischen Geigen, die es hier zu hören gibt, wird allein durch den Einsatz trockener Drums unterstützt. Der Beat klingt dabei jedoch keineswegs altbacken. Im Gegenteil: Durch die Reduktion auf lediglich zwei Elemente sowie die gute Arbeit im Bereich des Mixing und Masterings ertönt die musikalische Untermauerung des Berliner Rappers zeitlos gut. Lukas Piano beweist mit "Instinkte" jedenfalls, dass eine simple Geigenmelodie nach wie vor das Zeug dazu hat, rohe Emotionen zu erzeugen und auch im Jahr 2019 noch absolut dope zu klingen.
Line: Dendemann – Müde
Müde und in schlechter Verfassung wie Artikel drei.
Müde von den Rechten, den Faschos, den Naziparteien.
Dendemann hat sein Album "da nich für!" releast, was unter anderem die Frage aufwirft: Wofür ist er denn nicht? Betrachtet man unsere Line des Monats genau, wird klarer, was er damit meint. Wenn Dendemann eines beherrscht, dann mit Worten zu spielen. Die erste Hälfte der Zeile ist gespickt mit Doppeldeutigkeiten. Dende spielt hier einerseits auf seinen eigenen körperlichen Zustand an. Andererseits kann man es auch als Kritik am Grundgesetz interpretieren: Der Artikel drei bekommt in unserem Land seiner Meinung nach nicht die Ernsthaftigkeit zugeschrieben, die angebracht wäre. Dieser soll die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter garantieren und verbietet jegliche Diskriminierung. Wofür der Hamburger nicht ist, macht er dann ganz eindeutig im zweiten Teil klar, denn er ist "müde von den Rechten, den Faschos, den Naziparteien". Es ist eine wichtige Kritik, die hier künstlerisch hochwertig verpackt wurde. Mit einem gewissen Interpretationsspielraum, doch auch klar genug, dass sie zum Nachdenken anregt.
(Daniel Fersch, Michael Collins, Lukas Päckert, Steffen Bauer, Dzermana Schönhaber)
(Grafik von Puffy Punchlines)