Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2008: Huss und Hodn – Jetzt schämst du dich!
'Ich bin sogar schon mal so Messerstecherei gewesen.'
Scheinbar ist kein guter Messerstecher dabei gewesen …
Während sich der Einfluss heutiger Releases auf die Rapszene oftmals an kommerziellem Erfolg oder einem prägenden Soundgewand ablesen lässt, wirkte das offizielle Debütalbum von Huss und Hodn im Jahr 2008 fast unauffällig. Keine Chartplatzierung, keine neuen Horizonte, ein schlichtes Untergrund-Rapalbum, nach dessen Hören dennoch feststand: "Jetzt schämst du dich!"
Jedoch nicht aus Fremdscham gegenüber Retrogott und Hulk Hodn, sondern mit Blick auf die restliche Rapszene, die von den beiden mit schonungslos ignorantem Battlerap vorgeführt wurde. Battlerap, dessen Texte auf den samplelastigen Beats noch heute einen spürbaren Einfluss haben. Wenige andere Alben dürften so häufig und nach wie vor aktuell zitiert werden wie "Jetzt schämst du dich!", ohne ihren Biss zu verlieren. Egal, ob sich nun jemand als "Doktor der Hurensohnologie" bezeichnet oder eine abgewandelte Version des einleitenden Zitats – das allein schon die gesamte Gangsterrapszene bloßstellt – vorträgt. Doch obwohl Huss und Hodn schon damals mit feinstem Boom bap und bitterbösen Battletexten bestechen konnten – die heutige Bedeutung des Albums ergibt sich darüber hinaus durch den selbstkritischen Umgang der Interpreten mit ihren Zeilen. Als zwei von erschreckend wenigen Künstlern distanzieren sich die beiden inzwischen von so mancher sexistischen oder homophoben Line, ohne sich hinter der "Ist doch nur Rap"-Ausrede zu verstecken. Und auch wenn besagte Strophen dadurch nicht weniger problematisch werden, ist es doch gut zu wissen, dass sich die Interpreten der Problematik mittlerweile bewusst sind. Etwas, das gerade in der deutschen Rapszene viel häufiger der Fall sein sollte.
Und so prägt manches Album sein Erscheinungsjahr eben nicht nur durch das, was es seinerzeit war, sondern auch durch die Mentalität, für die es in der Gegenwart steht. Mal ganz abgesehen davon, dass "Jetzt schämst du dich!" an und für sich einfach ein wunderbar hörbares und immer wieder gern zitiertes Stück deutscher Rapgeschichte ist.
(Daniel Fersch)
(Grafik von Daniel Fersch)