Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2006: Hollywood Hank – Soziopath
Ich bin kein Mensch, ich bin ein artverwandter Strafgefangener.
Nutte, meine Wohnung sieht aus wie die Asservatenkammer.
Die Weihnachtszeit soll bekanntlich für Liebe, Gemeinsamkeit und Frieden stehen. Dass die Realität sich eher aus Einkaufsstress und Familientrubel zusammensetzt, lassen wir mal außen vor. Tatsächlich ist es daher gar nicht so einfach, in solch besinnlichen Zeiten über eine der hasserfülltesten Platten zu schreiben, die die hiesige Szene je hervorgebracht hat.
Nein, wenn sich Hollywood Hank selbst als "Gottes Rache" bezeichnet, ist das keine Übertreibung. Auf "Soziopath" findet wirklich jede Art der Absurdität ihren Raum. Ob sexuell anstößig, gesellschaftlich nicht anerkannt oder schlichtweg illegal – erst, wenn der Text gottestreue Großmütter in Schnappatmung versetzt, fängt die Musik von Hollywoodsfinest an, Spaß zu machen. 2006 sammelte er auf 23 Tracks die härtesten, ekligsten und abstoßendsten Punchlines und schuf damit ein Werk, welches bis heute Bestand hat. Der blanke Hass, die extremen Situationen und der Wortwitz, mit dem sich Ted Bundy durch die Songs kämpft, zeigen immer noch eine gewaltige und einzigartige Eigendynamik. Ob nun Nekrophilie, Sodomie oder das schlichte Soziopathentum des ostdeutschen Rappers: Seine Energie und das reine Entsetzen wissen weiterhin in den Bann zu ziehen. Gemischt mit den oft persönlichen Eindrücken des Künstlers ergibt sich ein Gesamtwerk, bei dem jede Debatte über die Grenzen der Kunstfreiheit und freien Meinungsäußerung wohl schnell hitzig werden könnte. Alles, was man sich so kurz vor der besinnlichsten Zeit des Jahres eben gerne anhört.
Ich schlendere also weiter über den friedlichen Weihnachtsmarkt und höre dabei zu, wie "Joy to the World" aus dem Glühweinstand nebenan schallt. Setze ich die Kopfhörer wieder auf, werde ich nur mitbekommen, wie ein Mann behauptet, "mit entsicherter Waffe die nächste 'Popstars'-Staffel" zu stürmen. Nun – gut, dass es dieses Fernsehformat nicht mehr gibt.
(Sven Aumiller)
(Grafik von Daniel Fersch)