Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2003: Bushido – Vom Bordstein bis zur Skyline
Der Dschungel aus Beton, die Lunge voller Smog.
Es ist gut, hier zu sein, denn ich lebe für den Block.
In den 1990er Jahren wurde deutscher Rap bis auf wenige Ausnahmen vor allem in den Hochburgen Hamburg und Stuttgart zelebriert. Mit dem Vorwurf, diese Art von Rap sei zu "weichgespült", entstand 2001 durch Aggro Berlin eine Gegenbewegung aus der Hauptstadt. Es ging zunächst darum, auch bestimmten Randgruppen eine Stimme im deutschen Rap zu geben. 2003 präsentierte man mit Bushidos "Vom Bordstein bis zur Skyline" das erste Solo-Release eines Aggro-Künstlers.
Schon in den ersten Momenten des Albums wird klar, dass das Grundprinzip hier ein anderes ist als der bisher vordergründige Community-Gedanke. Battlen wird nicht mehr sportlich gesehen, sondern dient vor allem der Selbstinszenierung. Insbesondere der eigene Bezirk wird repräsentiert und wer am falschen Block wohnt, wird zugrunde beleidigt. Bushido gelingt es dabei jedoch, dieses Konzept auf derart authentische Weise umzusetzen, womit er einen Nerv trifft, was ihm später noch zu einem gewaltigen Aufstieg verhelfen sollte. Mit Unterstützung von den damaligen Labelkollegen Sido, B-Tight und vor allem Fler wird deutlich gemacht: "Die Straße ist meins, du musst hoch auf die Bäume". Aber auch politische Themen finden Platz auf "Vom Bordstein bis zur Skyline". Der Song "Stupid White Man" wird genutzt, um den damaligen US-Präsidenten Bush für seine Irak-Politik zu kritisieren. Eintönigkeit tritt auf dieser Platte zu keinem Zeitpunkt auf, was auch der gelungenen Instrumentalisierung durch roughe, teils eigens von Bushido produzierte Beats zu verdanken ist.
In seinem Genre ist der über HipHop-Grenzen bekannte Bushido längst nicht mehr alleine, auch Vertreter anderer Städte haben das Pflaster Gangsta-Rap für sich eingenommen. Mit Platz 88 in den Charts hat er zwar für heutige Verhältnisse nicht den größten kommerziellen Erfolg eingefahren, allerdings wurde mit "Vom Bordstein bis zur Skyline" eine Tür aufgestoßen für ein Genre, das inzwischen nicht mehr wegzudenken ist. Deshalb kann man Bushidos erstes großes Album zurecht als Meilenstein bezeichnen.
(Michael Collins)
(Grafik von Daniel Fersch)