"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Und wieder einmal heißt es "Horizont erweitern". Denn ja, Ihr habt richtig gelesen: In dieser Plattenkiste dreht es sich um Stromae. Wie schon bei Lil Kleine handelt es sich bei dem Belgier um einen dieser Künstler, die hierzulande den meisten wohl nur durch Radio-Hits bekannt sein dürften – in seinem Fall durch "Alors on Danse" oder "Papaoutai". Aber auch hier lohnt es sich, mal in die dazugehörigen Alben reinzuhören. Speziell in das zweite, "Racine carrée".
Gleich vorweg: Von HipHop im herkömmlichen Sinne kann man bei Stromae definitiv nicht sprechen. Denn dafür gehen die Beats besonders auf diesem Album zu sehr in Richtung Eurodance und Electro. Doch genau das macht diesen Künstler aus: Auf der einen Seite verleiht er dieser musikalischen Sparte hier seinen ganz eigenen Anstrich mithilfe von Blechbläser-Elementen und dem ein oder anderen Einfluss afrikanischer Musik. Und auf der anderen Seite rappt er trotz allem auf ebendiese Beats, wenn er nicht gerade Ohrwürmer in den Hooks singt. Beide speziellen Eigenheiten samt der musikalischen Vielfältigkeit haben mir seinerzeit bereits gereicht, um diese Platte genauso zu verschlingen wie schon Stromaes Debütalbum zuvor. Durch die mit Untertiteln versehene Liveversion wurde ich dann aber zusätzlich davon überzeugt, dass auch textlich einiges in dem Mittdreißiger steckt. Mal abgesehen davon, wie stark der Künstler mit der Phonetik der französischen Sprache spielt, arbeitet er viel tiefgründigere Themen ab, als das Soundbild zunächst vermuten lässt. So ist "Quand c'est?" etwa ein zweideutiger Text, welcher sich mit dem Thema "Krebs" befasst. "Tous les Mêmes" besticht dadurch, dass der Künstler sich in fiktiven Beziehungskrisen in die Rolle der Frau begibt, während "Formidable" das Verhalten nach einer Trennung bildhaft darstellt.
Je mehr ich mich mit Stromaes "Racine carrée", also seinen "Wurzeln", auseinandersetzte, umso facettenreicher wurde das Album. Man merkt einfach, wie persönlich es ist, wie viel Liebe und Erfahrung der Belgier in dieses Werk gesteckt hat. All das macht es mehr als empfehlenswert, wenn man mal über den eigenen Tellerrand hinausschauen möchte.
(Lukas Päckert)