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Interview

OK KID

"Wir freu­en uns, wenn es mehr State­ments gibt, bei denen man nicht so einen Marketing-​Beigeschmack hat." – OK KID im Inter­view über poli­ti­sche Inhal­te in der Musik, den Umgang mit Wut­bür­gern und ihr eige­nes Festival.

Seit eini­gen Jah­ren bewe­gen sich OK KID bereits im Fahr­was­ser zwi­schen Rap und Pop. Allei­ne dadurch heben sie sich schon deut­lich vom Rest der hie­si­gen Sze­ne ab, die sich auch heut­zu­ta­ge noch immer nicht voll­stän­dig von Dog­men und Schub­la­den­den­ken befrei­en kann. Neben der außer­ge­wöhn­li­chen musi­ka­li­schen Aus­rich­tung fällt das Gie­ße­ner Trio vor allem durch sei­ne poli­ti­schen Inhal­te auf. Dabei schre­cken die drei Musi­ker nicht davor zurück, schwie­ri­ge The­men mit ange­mes­se­ner Kom­ple­xi­tät zu behan­deln. Mit uns spra­chen Jonas, Raf­fa­el und Moritz unter ande­rem über aktu­el­le gesell­schaft­li­che Strö­mun­gen und Pro­ble­ma­ti­ken sowie über den außer­ge­wöhn­li­chen Ent­ste­hungs­pro­zess ihres neu­en Albums "Sen­sa­ti­on".

MZEE​.com: Nach eige­nen Anga­ben habt ihr "Sen­sa­ti­on" in zwei Jah­ren geschrie­ben und in zwei Mona­ten auf­ge­nom­men. Wie fühlt es sich an, so ein Pro­jekt abzuschließen?

Jonas: Es ist es ja unser drit­tes Album und wir wis­sen mitt­ler­wei­le, was es heißt, ein Album raus­zu­brin­gen. Aber die­ses Mal fühlt es sich auf jeden Fall anders an, weil sich vie­les ver­än­dert hat. Das Schrei­ben war anders. Wir haben zum ers­ten Mal rich­tig als Band Musik gemacht. Also Songs, Tex­te und Musik zusam­men ent­wi­ckelt. Wir haben uns auch struk­tu­rell sehr ver­än­dert, uns von Leu­ten getrennt – bei­spiels­wei­se vom alten Manage­ment – und mit einem neu­en Pro­du­zen­ten auf­ge­nom­men. Es ist in allen Berei­chen das bis­her inten­sivs­te Album. Vom Schrei­ben her bis zum Null­punkt, an dem wir dach­ten, nicht wirk­lich vor­an­zu­kom­men. Bis wir pure Eupho­rie emp­fun­den haben, als wir in Lychen nach zehn Tagen die Songs fer­tig hat­ten. Und dadurch, dass alles so anders ist, ist es natür­lich auch mega-​aufregend, wie das ankommt. Wobei das natür­lich nie die Moti­va­ti­on ist. Wir schrei­ben nie Songs, um mal zu gucken, wie die ankom­men könn­ten. Wir haben uns ein­fach ent­schie­den, bestimm­te Songs vor­ab her­aus­zu­brin­gen. "War­ten auf den star­ken Mann" war ja die ers­te Sin­gle. Dann kamen "Wut lass nach", "Lügen­hits" und jetzt "Hin­ter­her". Natür­lich ist uns bewusst, dass wir Hardcore-​Fans even­tu­ell vor den Kopf sto­ßen wer­den, weil es so anders klingt. Aber ich glau­be, es ist für eine Band auch wich­tig, die­sen Weg zu gehen, wenn man hin­ter der Musik steht und dass man nicht gefäl­lig wird – also zumin­dest für uns. Wenn wir glau­ben, dass etwas gut ist, dann ver­öf­fent­li­chen wir das so. Es ist auf jeden Fall eine sehr, sehr span­nen­de Pha­se gerade.

MZEE​.com: Sind die Inhal­te für euch per­sön­lich denn nach so einem lan­gen Schreib­pro­zess noch aktuell?

Raf­fa­el: Die Fra­ge ist eigent­lich ganz wit­zig. Die Tracks vom neu­en Album sind natür­lich immer noch aktu­ell und beschäf­ti­gen uns auch wei­ter. Wir haben ja vie­le The­men dar­auf. Aber wo du's sagst, wird zum Bei­spiel ein Song wie "Gute Men­schen", den wir schon vor echt lan­ger Zeit ver­öf­fent­licht und vor noch län­ge­rer Zeit geschrie­ben haben, gefühlt immer aktu­el­ler. Und so wird das wahr­schein­lich auch mit den Songs vom neu­en Album sein. Ich den­ke mal, dass alle Songs, die etwas poli­ti­scher sind – das ist ja ein gro­ßer Teil des Albums –, nicht an Aktua­li­tät ver­lie­ren, son­dern eher dazu­ge­win­nen werden.

MZEE​.com: Wie du sagst, wart ihr schon auf dem letz­ten Album mit "Gute Men­schen" poli­tisch unter­wegs und auch die neue Sin­gle "Lügen­hits" ist als kla­res State­ment zu ver­ste­hen. War das für euch eine logi­sche Wei­ter­ent­wick­lung zum letz­ten Album?

Moritz: Sol­che The­men haben uns von vorn­her­ein sehr beschäf­tigt. Des­we­gen war das eigent­lich sehr natür­lich. Mit "Gute Men­schen" hat­ten wir das ja auch. "Gute Men­schen" haben wir 2015 geschrie­ben. Da ging es zu Beginn des Jah­res übel los mit den Pegida-​Demonstrationen. Wir haben viel dar­über gere­det und dann ist der Song ent­stan­den. So war das auch bei ande­ren Songs, die in eine poli­ti­sche Rich­tung gehen. Das sind ein­fach Din­ge, die uns beschäftigen.

MZEE​.com: "Lügen­hits" könn­te man ja auch als Per­si­fla­ge auf die Pop­in­dus­trie lesen. Inwie­weit wür­det ihr denn sagen, dass ihr euch vom Ein­heits­brei an der Chart­spit­ze unterscheidet?

Moritz: (lacht) Na ja, bei "Lügen­hits" schie­ßen wir jetzt weni­ger gegen die deut­sche Pop­in­dus­trie. Es ist eher span­nend für uns gewe­sen, den Zustand, der auf der Stra­ße gera­de vor­herrscht, mit sol­chen Slo­gans wie "Lügen­pres­se" mal auf Musik zu über­tra­gen. Und dabei zu sehen, wie absurd das eigent­lich rüber­kommt. In der rea­len Welt ist es ja irgend­wie nor­mal gewor­den, dass die Leu­te raus­ge­hen und "Lügen­pres­se" oder "Wir sind das Volk" rufen. Und bei "Lügen­hits" dre­hen wir das halt um: "Wir sind die Fans" und "Lügen­hits". Da sieht man die­se Absur­di­tät noch. In der Rea­li­tät ist es, glau­be ich, immer weni­ger so.

MZEE​.com: Sind euch denn selbst schon mal Fans eurer eige­nen Musik begeg­net, die poli­tisch eher dem rech­ten Spek­trum zuzu­ord­nen sind?

Jonas: Also, es ist ja bekannt, dass wir bei unse­rer Fan­ba­sis sehr im brau­nen Bereich fischen. Schon von Anbe­ginn unse­rer Kar­rie­re. Und des­we­gen … Nee, also das ist ja genau das Ding, das wir gera­de bemer­ken: Weder "Gute Men­schen" noch "War­ten auf den star­ken Mann" hat die Leu­te erreicht, die wir damit pro­vo­zie­ren woll­ten. Wir haben uns auch mal dar­über unter­hal­ten, ob es in unse­rem Umfeld Leu­te gibt oder man jeman­den kennt, der die AfD wäh­len wür­de. Doch sowohl im fami­liä­ren Umfeld als auch im erwei­ter­ten Freun­des­kreis gibt es da nie­man­den. Viel­leicht ist irgend­wo tat­säch­lich jemand dabei, aber der äußert sich dann nicht. Des­we­gen haben wir damit über­haupt kei­ne Erfah­run­gen. Ein­mal woll­te jemand ein Auto­gramm auf eine Frei.Wild-Weste haben. Aber das ist auch schon vier Jah­re her und wir haben das nicht gemacht. Wir haben dann mit ihm gere­det und ihn wahr­schein­lich bekehrt. Hof­fent­lich hat er sei­ne Wes­te danach ver­brannt. Sonst haben wir eigent­lich über­haupt kei­ne Erfah­run­gen damit, dass sich unse­re Fans nega­tiv äußern.

MZEE​.com: Fin­det ihr es nicht pro­ble­ma­tisch, dass man sich qua­si in einer Bubble auf­hält, in der man die ande­ren immer nur aus der Fer­ne kennt und gar nicht so hun­dert­pro­zen­tig kom­plex ver­ste­hen kann?

Jonas: Ja, das war auch für uns ein ganz wich­ti­ger Punkt. Wenn man ehr­lich ist, haben wir bei "Gute Men­schen" über Men­schen gere­det, die wir per­sön­lich nicht ken­nen. Wir haben eher aus unse­rer Sicht über die­se Leu­te gespro­chen und sie kri­ti­siert – was auch wich­tig für uns war, um klar Stel­lung zu bezie­hen. Es ist ja auch im ers­ten Schritt wich­tig, zu sagen: "Ich bin dage­gen und fin­de das schei­ße, weil ich eure Argu­men­te schei­ße fin­de." Aber bei "War­ten auf den star­ken Mann" neh­men wir ja zum Bei­spiel die Per­spek­ti­ve eines Wut­bür­gers ein. Und dafür war es uns wich­tig, dass man an Orte fährt, an denen das pas­siert. Wir waren im Rah­men des Song­wri­tin­gs, als wir uns über das Album einen Kopf gemacht haben, in Hei­den­au, Frei­tal und in der Säch­si­schen Schweiz. Und wir haben uns dort auch die Men­schen ange­schaut. (über­legt) Ange­schaut klingt jetzt so, als ob wir da im Zoo gewe­sen wären … Aber wir haben uns die Gegend ange­schaut und uns auch mit Leu­ten unter­hal­ten. Wenn man schon eine Hal­tung raus­po­saunt, fin­den wir es wich­tig, dass die­se auch irgend­wie fun­diert ist und auf dem beruht, was wir wirk­lich wahr­neh­men. Das war für uns ein Schritt raus aus die­ser Bubble. Aber ich glau­be, das ist auch das Haupt­pro­blem. Ich mei­ne, du kannst ja die Nach­rich­ten lesen, die dir gefal­len, die auch viel­leicht dei­ne poli­ti­sche Fär­bung haben. Du liest jetzt wahr­schein­lich eher kein "Breit­bart" und die "Freie Pres­se". Oder wie heißt die­ser rechts­po­pu­lis­ti­sche Blog? Dort wer­den The­men anders argu­men­tiert. Durch das Inter­net kon­su­miert jeder nur noch die Sachen, die ihn inter­es­sie­ren. Dann lebst du in einer "self ful­fil­ling pro­phe­cy", die ein­fach nur das bestä­tigt, was du eh schon denkst. Die­ser Effekt ver­stärkt sich, den­ke ich, durch das ver­netz­te Kon­su­mie­ren von Nach­rich­ten und den Aus­tausch mit dei­nen Leu­ten. Ja, das ist auf jeden Fall ein Problem.

MZEE​.com: Wür­dest du auch unter­strei­chen, dass es an bei­den Enden des Spek­trums das Pro­blem gibt, dass da wenig Aus­tausch statt­fin­det und sowohl die einen als auch die ande­ren in ihrer Bla­se leben?

Jonas: Ja. Da gibt es bei uns gera­de auch so ein Umden­ken, in des­sen Rah­men man sich selbst hin­ter­fragt. Macht es Sinn, jetzt noch mehr gegen AfD-​Wähler zu schie­ßen und die Wut­bür­ger wei­ter­hin zu ver­ar­schen? Oder nähert man sich an, springt über den eige­nen Schat­ten und redet mal mit denen, argu­men­tiert mit Leu­ten und bringt sie wie­der zusam­men an einen Tisch, ohne sich gegen­sei­tig noch mehr abzu­er­ken­nen? Das haben wir die letz­ten Jah­re ja schon genug gemacht. Was natür­lich nicht heißt, dass man sich mit Ver­tre­tern der AfD, NPD oder der iden­ti­tä­ren Bewe­gung nur ansatz­wei­se unter­hal­ten soll­te. Da kommt man nicht wei­ter. Aber zumin­dest die Men­schen, die so vie­le gewor­den sind, soll­te man jetzt nicht ein­fach nur weg­dis­sen – auf "Rap­deutsch".

MZEE​.com: Thom Yor­ke, zu dem ihr durch euren Namen ja einen gewis­sen Bezug habt, hat mal Fol­gen­des gesagt: "We're at a time when we are being pre­sen­ted with unde­niable chan­ges in the glo­bal cli­ma­te and fun­da­men­tal issues that affect every sin­gle one of us, and it's the time we're lis­tening to the most hokey shi­te on the radio and wat­ching vacuous bull­shit cele­bri­ties being vacuous bull­shit cele­bri­ties and despera­te­ly try­ing to for­get about ever­y­thing." Fin­det ihr auch, dass mehr Pro­mis ihre Platt­form nut­zen soll­ten, um sich poli­tisch zu äußern? 

Raf­fa­el: Ja, das ist irgend­wie eine schwie­ri­ge Dis­kus­si­on. Wir wer­den echt oft danach gefragt. Und das ist ja auch ein span­nen­des The­ma. Ich fin­de, dass Kunst nicht zwangs­läu­fig poli­tisch sein muss. Es muss sich nicht jeder gegen oder für irgend­was posi­tio­nie­ren. Ande­rer­seits kön­nen die Leu­te, die vie­le Men­schen errei­chen, sich auch nicht einer bestimm­ten Ver­ant­wor­tung ent­zie­hen. Aber ich den­ke, das muss jeder Künst­ler selbst ent­schei­den. Natür­lich freut man sich, wenn sich Leu­te mit einer gro­ßen Reich­wei­te bei­spiels­wei­se gegen rechts posi­tio­nie­ren. Und es ist auch schön, dass es die Ent­wick­lung gibt, dass es immer mehr Leu­te machen. Ich fin­de aber per­sön­lich, dass es immer noch viel zu weni­ge machen. Manch­mal kriegt man den Ein­druck, dass jetzt Leu­te dazu über­ge­hen, sich zu posi­tio­nie­ren, weil es gera­de so ein biss­chen en vogue ist. Eine ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung fin­det ja nicht statt. Bei Hele­ne Fischer fin­de ich es bei­spiels­wei­se krass, dass sie ein­mal ein Hash­tag macht und plötz­lich tau­sen­de von Leu­ten sagen: "Jetzt hat sie sich end­lich posi­tio­niert." Also, ich will der nichts falsch aus­le­gen, aber ein Hash­tag mit zu machen … Da kann man sich halt auch ein­deu­ti­ger posi­tio­nie­ren. Das ist schon so ein biss­chen nach dem Mot­to: "Ich mach' jetzt das Hash­tag, damit ich mich posi­tio­nie­re, aber ich mache nicht mehr, weil es ja auch Leu­te anpis­sen könn­te." Das kann man natür­lich auf­neh­men als: Die größ­te Künst­le­rin in Deutsch­land posi­tio­niert sich. Aber ande­rer­seits denk' ich mir: Wenn sie sich wirk­lich hät­te posi­tio­nie­ren wol­len, dann hät­te sie auch mal mehr als ein Hash­tag machen kön­nen. Aber wie gesagt, es bleibt jedem selbst über­las­sen. Wir freu­en uns jeden­falls, wenn es mehr State­ments gibt, bei denen man nicht so einen Marketing-​Beigeschmack hat.

MZEE​.com: Dadurch, dass eure Tex­te zumeist recht kryp­tisch und iro­nisch sind, ver­hin­dert ihr, pla­ka­tiv und ein­di­men­sio­nal rüber­zu­kom­men. Ist das eine Eigen­schaft, die ihr auch an ande­ren Bands und Rap­pern schätzt? 

Jonas: (schmun­zelt) Das ist ja auch die­ses typisch Deut­sche. Da geht es um Iro­nie und Sar­kas­mus. Das ist halt schon noch ein biss­chen so. Poli­ti­sche State­ments ein­di­men­sio­nal zu ver­pa­cken, war noch nie unser Ding. Auf der neu­en Plat­te geht es sehr emo­tio­nal um eine straigh­te Mei­nung und eine kla­re Linie. Nicht um die­ses Kryp­ti­sche. Aber das ist auch ein Teil von uns, defi­ni­tiv. Ich fin­de es ein­fach span­nen­der, mit einem gewis­sen Sar­kas­mus und Sati­re zu schrei­ben, um jeman­den bloß­zu­stel­len. Wir sind jetzt kei­ne Punk-​Band, deren Antrieb es ist, irgend­wie für Anar­chie sor­gen zu wol­len und das Sys­tem zu ver­än­dern. Wir machen Musik, weil wir uns mit unse­rer Kunst aus­drü­cken wol­len. Wenn man Leu­te durch Spra­che auf eine krea­ti­ve und lus­ti­ge Wei­se bloß­stellt, fin­de ich es ein­fach span­nen­der. Ich könn­te jetzt kei­nen Song namens "Nazis auf's Maul" machen. Kann man machen, aber fin­de ich unspan­nend. Ich fin­de da den Sub­text viel inter­es­san­ter. Da kommt dann natür­lich häu­fi­ger der Vor­wurf – den neh­me ich auch ger­ne an –, dass du dann umso mehr in dei­ner Bla­se bleibst. Denn natür­lich kön­nen das nur die Leu­te ein­ord­nen, die dich ver­ste­hen und dein Werk sowie dich als Typen ken­nen, weil sie wis­sen, wofür du stehst. Sonst könn­test du zum Bei­spiel bei "Gute Men­schen" ja auch ein­fach die zwei­te Stro­phe als Mani­fest der AfD neh­men. Es ist natür­lich Iro­nie, aber wenn das jemand liest, der uns gar nicht kennt, wird er sagen: "Was ist denn das für 'ne AfD-​Band?" Das ist immer schwie­rig und ich ver­ste­he auch, wenn man sagt, dass man sich hin­ter der Iro­nie ver­steckt. Aber uns geht es gar nicht so dar­um, die eige­ne Mei­nung her­aus­zu­po­sau­nen. Das ist ja auch oft nicht so leicht, gera­de in der sehr kom­ple­xen Zeit aktu­ell. Wie man mit der AfD und dem Rechts­ruck umgeht … Da gibt es gera­de schlicht­weg kei­ne ein­fa­chen Lösun­gen. Man wäre ja eh ein Popu­list, wenn man mit ein­fa­chen Paro­len kommt. Uns geht es viel­mehr dar­um, dass man dis­ku­tiert und einen Dia­log oder zumin­dest den Dis­kurs anfängt. Dadurch kann man viel­leicht eine Mei­nung ent­wi­ckeln, die sinn­haft ist. Aber ein Song an sich ist ein­fach span­nen­der, wenn er jetzt nicht so direkt mit der Pau­schal­keu­le kommt, fin­de ich.

MZEE​.com: Gibt es denn noch ande­re Künst­ler hier­zu­lan­de, die ihr für ihre Tex­te fei­ert und die eurer Mei­nung nach Inhal­te so for­mu­lie­ren, dass sie nicht zu pla­ka­tiv rüberkommen?

Jonas: Ja, gibt es. Aber wir haben neu­lich fest­ge­stellt, dass wir nicht wirk­lich viel deut­sche Musik hören. Also, man kriegt immer mal einen Song mit, den man fei­ert. Wenn ich jetzt aber etwas auf­zäh­len müss­te, wür­de ich wahr­schein­lich zehn auf­zäh­len oder gar kei­nen, weil ich mir kei­ne deut­schen Plat­ten kau­fe. Aber es gibt durch­aus Künst­ler, die ich irgend­wie span­nend fin­de. Der gute Zweck hei­ligt aller­dings nicht die wacken Mit­tel. Ich höre mir dann lie­ber einen schö­nen Song von Bos­se an als einen poli­ti­schen Track, der viel­leicht die rich­ti­ge Sache behan­delt, aber sti­lis­tisch unter aller Sau ist. Rap­mä­ßig höre ich tat­säch­lich eher unpo­li­ti­sche Tracks. Ich brau­che nicht noch poli­ti­sche Musik, wenn ich selbst schon wel­che mache. Aber trotz­dem ist das gut. Also, das ist jetzt kein Hate an Leu­te, die poli­ti­sche Musik produzieren.

MZEE​.com: Fin­det ihr es eigent­lich scha­de, dass man mit euch haupt­säch­lich über Poli­tik spricht? Ihr behan­delt ja auch noch ande­re The­men in eurer Musik, etwa die Fra­ge nach dem Männ­lich­keits­bild unse­rer Gesellschaft …

Moritz: Nee, das ist eben gera­de ein The­ma, das vie­le Men­schen bewegt. Des­we­gen wer­den wir auch gera­de viel dazu gefragt. Die Hälf­te des Albums besteht ja auch aus Songs, die sich damit aus­ein­an­der­set­zen. Also, nicht nur mit der rechts­po­pu­lis­ti­schen Bewe­gung, son­dern auch mit ande­ren Sachen, die irgend­wie gesell­schaft­lich beob­ach­tend geschrie­ben sind. Aber wir haben auch ande­re Facet­ten auf dem Album, vie­le per­sön­li­che Tracks. Beim drit­ten Album ist es zum ers­ten Mal so, dass wirk­lich etwa die Hälf­te sehr per­sön­lich ist. Dazu gehö­ren Songs wie "Hin­ter­her", "Hei­mat­schän­ke" oder "Wut lass nach". Dar­über freu­en wir uns auch, weil wir im Pro­duk­ti­ons­pro­zess auch eine Pha­se hat­ten, in der wir uns über­legt haben, was OK KID eigent­lich ist. Wir haben ein Wochen­en­de in Win­ter­berg ver­bracht und über­legt, wo wir eigent­lich hin­wol­len und was uns viel­leicht stört. Da haben wir alle fest­ge­stellt, dass wir es von außen betrach­tet ein biss­chen lang­wei­lig fin­den. Es kann bei einer Band ja auch pas­sie­ren, dass man sich dar­auf­hin trennt oder mal eine Pau­se ein­legt. Wir haben uns gefragt, wor­auf wir Bock haben, und ein Aspekt war, das Per­sön­li­che und viel­leicht auch das Leich­te und das Humor­vol­le mehr her­aus­zu­stel­len. Dar­auf­hin haben sich die Songs dann auch in die­se Rich­tung verändert.

MZEE​.com: Spre­chen wir noch ein biss­chen über das The­ma "Genre-​Zuordnung". Bei euch ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen Pop und Rap. Wo wür­det ihr euch musi­ka­lisch am ehes­ten ein­ord­nen? Oder ist euch solch ein Schub­la­den­den­ken zu bieder?

Raf­fa­el: Also, wir wür­den uns glaub' ich eher bei Experimental-​Jazz oder Drone-​Ambience wie­der­fin­den … Nee, kei­ne Ahnung. Wir haben dar­auf noch nie geach­tet. Wir haben halt vie­le ver­schie­de­ne Ein­flüs­se in der Band. Das ist aber jetzt nichts Kon­zep­tio­nel­les. Es ist ein­fach so, dass wir drei in unse­ren Leben viel ver­schie­de­ne Musik gemacht und gefei­ert haben. Wir haben uns halt nie beschränkt auf "oh, der Track ist jetzt zu HipHop-​mäßig, das kön­nen wir so nicht machen" oder "der Track ist jetzt zu 'was weiß ich was-​mäßig'", son­dern haben alles zuge­las­sen. Und so ist es auf dem neu­en Album auch. Aber es hat sich ein­fach intui­tiv ein biss­chen weg von so einer Beat-​Ästhetik bewegt und hin zu einem eher ban­di­ge­ren Sound. Das war aber nicht kon­zep­tio­nell geplant, son­dern ist im Song­wri­ting ein­fach pas­siert. So wie es davor schon eine Melan­ge aus ver­schie­de­nen Sachen war, ist es das jetzt auch wie­der. Wir haben damit ja kein Pro­blem, weil wir es selbst nicht benen­nen müs­sen, son­dern ande­re. Und wie sie das dann benen­nen, ist ihr Pro­blem. Wir sind amü­siert und erstaunt dar­über, was da immer wie­der rauskommt.

MZEE​.com: Denkt ihr, dass es mehr Vor- oder Nach­tei­le hat, dass ihr so schwer zuzu­ord­nen seid? Ihr erreicht dadurch ein höhe­res Spek­trum an Hörern und zugleich gibt es sicher­lich Leu­te, denen eure Musik ent­we­der zu Rap- oder zu Gitarren-​lastig ist.

Jonas: Glaubst du denn, dass das heu­te noch so ist? Dass man noch in die­sen Schub­la­den und Kas­ten den­ken muss? Heu­te haben die Leu­te doch einen Trap-​Song neben einem von den Foo Figh­ters und einem EDM-​Banger in ihrer Play­list. Ich glau­be, 2018 muss man nicht mehr über Gen­res reden. Gera­de im Deutschrap, wenn du siehst, was jetzt alles in die­sem Kos­mos statt­fin­det und was Hip­Hop vor fünf Jah­ren in Deutsch­land war. Da stel­len sich eini­gen True Schoo­lern die Nacken­haa­re auf. Es ist immer Evo­lu­ti­on. Es geht immer wei­ter und ich glau­be, ich könn­te dir jetzt sofort zehn ande­re deut­sche Künst­ler nen­nen, die du genau­so wenig kon­kret zuord­nen kannst. Bei uns war das halt von Anfang an so. Das ist ja das span­nen­de. Wir haben 2006 mit der Vor­gän­ger­band Jona:S als vom Rap kom­men­de Band ange­fan­gen, Musik zu machen, und haben als Band Hip­Hop gemacht, was in Deutsch­land damals kei­ner getan hat. Es war ver­pönt, mal eine Hook zu sin­gen. Es war ver­pönt, mit Live-​Band auf­zu­tre­ten. Wie vie­le HipHop-​Künstler haben heu­te eine Live Band dabei – zumin­dest einen Drum­mer oder einen Gitar­ris­ten? Selbst die 187er spie­len live mit Schlag­zeug und Gitar­re. Genau­so wie jeder zwei­te Rap­per aktu­ell eine kras­se Hook­li­ne singt, die viel pop­pi­ger ist als alles, was wir bis­her gemacht haben. Des­we­gen glau­be ich, dass die Fra­ge nach dem Gen­re 2018 ein biss­chen ver­al­tet ist.

MZEE​.com: Ich bin da voll auf eurer Sei­te. Ich per­sön­lich glau­be nur nicht, dass das in den Köp­fen der Leu­te zu hun­dert Pro­zent ver­schwun­den ist …

Jonas: Aber die Leu­te, die noch so den­ken, sind eher die Älte­ren. Ich glau­be, den Kids ist es scheiß­egal. Und das wird nach­kom­men, weißt du? Wenn du dir das inter­na­tio­nal ansiehst: Was hat Lil Peep gemacht? Der hat Trap-​Beats gehabt, aber Hook­li­nes gesun­gen, die an blink-​182 erin­nern, mit Gitar­ren­sounds. Das ver­mischt sich alles und ich glau­be, dass man es irgend­wann nicht mehr tren­nen kann. Wir klin­gen jetzt auf dem neu­en Album natür­lich sehr nach Band und sehr wenig nach 2018. Also, jetzt auch nicht nach 1996. (schmun­zelt) Aber unser Album klingt nicht gera­de wie der Zeitgeist.

MZEE​.com: Eine ande­re Band, die auf ver­schie­de­nen Hoch­zei­ten tanzt, ist Kraft­klub. Die Band konn­te mitt­ler­wei­le ihr Kosmonaut-​Festival eta­blie­ren. Wie sieht es mit eurem eige­nen Stadt ohne Meer-​Festival aus? Wür­det ihr die ers­te Aus­ga­be als Erfolg bezeichnen?

Jonas: (grinst) Ja, es war mega­geil und ultra­an­stren­gend. Durch das Fes­ti­val hat das Song­wri­ting wahr­schein­lich dann doch ein biss­chen gelit­ten. Also, nicht dass die Songs jetzt schlech­ter gewor­den sind, aber sie sind halt nicht so schnell fer­tig gewor­den. Wir haben ein­fach sehr viel Zeit in die Orga­ni­sa­ti­on für das Fes­ti­val inves­tiert. Aber es war mega­geil und wir arbei­ten gera­de schon an einem Line-​up für 2019. Wir sind jetzt qua­si in einer Zwit­ter­funk­ti­on: Band und Veranstalter.

(Stef­fen Bauer)
(Fotos von Ste­fan Braunbarth)