Seit einigen Jahren bewegen sich OK KID bereits im Fahrwasser zwischen Rap und Pop. Alleine dadurch heben sie sich schon deutlich vom Rest der hiesigen Szene ab, die sich auch heutzutage noch immer nicht vollständig von Dogmen und Schubladendenken befreien kann. Neben der außergewöhnlichen musikalischen Ausrichtung fällt das Gießener Trio vor allem durch seine politischen Inhalte auf. Dabei schrecken die drei Musiker nicht davor zurück, schwierige Themen mit angemessener Komplexität zu behandeln. Mit uns sprachen Jonas, Raffael und Moritz unter anderem über aktuelle gesellschaftliche Strömungen und Problematiken sowie über den außergewöhnlichen Entstehungsprozess ihres neuen Albums "Sensation".
MZEE.com: Nach eigenen Angaben habt ihr "Sensation" in zwei Jahren geschrieben und in zwei Monaten aufgenommen. Wie fühlt es sich an, so ein Projekt abzuschließen?
Jonas: Es ist es ja unser drittes Album und wir wissen mittlerweile, was es heißt, ein Album rauszubringen. Aber dieses Mal fühlt es sich auf jeden Fall anders an, weil sich vieles verändert hat. Das Schreiben war anders. Wir haben zum ersten Mal richtig als Band Musik gemacht. Also Songs, Texte und Musik zusammen entwickelt. Wir haben uns auch strukturell sehr verändert, uns von Leuten getrennt – beispielsweise vom alten Management – und mit einem neuen Produzenten aufgenommen. Es ist in allen Bereichen das bisher intensivste Album. Vom Schreiben her bis zum Nullpunkt, an dem wir dachten, nicht wirklich voranzukommen. Bis wir pure Euphorie empfunden haben, als wir in Lychen nach zehn Tagen die Songs fertig hatten. Und dadurch, dass alles so anders ist, ist es natürlich auch mega-aufregend, wie das ankommt. Wobei das natürlich nie die Motivation ist. Wir schreiben nie Songs, um mal zu gucken, wie die ankommen könnten. Wir haben uns einfach entschieden, bestimmte Songs vorab herauszubringen. "Warten auf den starken Mann" war ja die erste Single. Dann kamen "Wut lass nach", "Lügenhits" und jetzt "Hinterher". Natürlich ist uns bewusst, dass wir Hardcore-Fans eventuell vor den Kopf stoßen werden, weil es so anders klingt. Aber ich glaube, es ist für eine Band auch wichtig, diesen Weg zu gehen, wenn man hinter der Musik steht und dass man nicht gefällig wird – also zumindest für uns. Wenn wir glauben, dass etwas gut ist, dann veröffentlichen wir das so. Es ist auf jeden Fall eine sehr, sehr spannende Phase gerade.
MZEE.com: Sind die Inhalte für euch persönlich denn nach so einem langen Schreibprozess noch aktuell?
Raffael: Die Frage ist eigentlich ganz witzig. Die Tracks vom neuen Album sind natürlich immer noch aktuell und beschäftigen uns auch weiter. Wir haben ja viele Themen darauf. Aber wo du's sagst, wird zum Beispiel ein Song wie "Gute Menschen", den wir schon vor echt langer Zeit veröffentlicht und vor noch längerer Zeit geschrieben haben, gefühlt immer aktueller. Und so wird das wahrscheinlich auch mit den Songs vom neuen Album sein. Ich denke mal, dass alle Songs, die etwas politischer sind – das ist ja ein großer Teil des Albums –, nicht an Aktualität verlieren, sondern eher dazugewinnen werden.
MZEE.com: Wie du sagst, wart ihr schon auf dem letzten Album mit "Gute Menschen" politisch unterwegs und auch die neue Single "Lügenhits" ist als klares Statement zu verstehen. War das für euch eine logische Weiterentwicklung zum letzten Album?
Moritz: Solche Themen haben uns von vornherein sehr beschäftigt. Deswegen war das eigentlich sehr natürlich. Mit "Gute Menschen" hatten wir das ja auch. "Gute Menschen" haben wir 2015 geschrieben. Da ging es zu Beginn des Jahres übel los mit den Pegida-Demonstrationen. Wir haben viel darüber geredet und dann ist der Song entstanden. So war das auch bei anderen Songs, die in eine politische Richtung gehen. Das sind einfach Dinge, die uns beschäftigen.
MZEE.com: "Lügenhits" könnte man ja auch als Persiflage auf die Popindustrie lesen. Inwieweit würdet ihr denn sagen, dass ihr euch vom Einheitsbrei an der Chartspitze unterscheidet?
Moritz: (lacht) Na ja, bei "Lügenhits" schießen wir jetzt weniger gegen die deutsche Popindustrie. Es ist eher spannend für uns gewesen, den Zustand, der auf der Straße gerade vorherrscht, mit solchen Slogans wie "Lügenpresse" mal auf Musik zu übertragen. Und dabei zu sehen, wie absurd das eigentlich rüberkommt. In der realen Welt ist es ja irgendwie normal geworden, dass die Leute rausgehen und "Lügenpresse" oder "Wir sind das Volk" rufen. Und bei "Lügenhits" drehen wir das halt um: "Wir sind die Fans" und "Lügenhits". Da sieht man diese Absurdität noch. In der Realität ist es, glaube ich, immer weniger so.
MZEE.com: Sind euch denn selbst schon mal Fans eurer eigenen Musik begegnet, die politisch eher dem rechten Spektrum zuzuordnen sind?
Jonas: Also, es ist ja bekannt, dass wir bei unserer Fanbasis sehr im braunen Bereich fischen. Schon von Anbeginn unserer Karriere. Und deswegen … Nee, also das ist ja genau das Ding, das wir gerade bemerken: Weder "Gute Menschen" noch "Warten auf den starken Mann" hat die Leute erreicht, die wir damit provozieren wollten. Wir haben uns auch mal darüber unterhalten, ob es in unserem Umfeld Leute gibt oder man jemanden kennt, der die AfD wählen würde. Doch sowohl im familiären Umfeld als auch im erweiterten Freundeskreis gibt es da niemanden. Vielleicht ist irgendwo tatsächlich jemand dabei, aber der äußert sich dann nicht. Deswegen haben wir damit überhaupt keine Erfahrungen. Einmal wollte jemand ein Autogramm auf eine Frei.Wild-Weste haben. Aber das ist auch schon vier Jahre her und wir haben das nicht gemacht. Wir haben dann mit ihm geredet und ihn wahrscheinlich bekehrt. Hoffentlich hat er seine Weste danach verbrannt. Sonst haben wir eigentlich überhaupt keine Erfahrungen damit, dass sich unsere Fans negativ äußern.
MZEE.com: Findet ihr es nicht problematisch, dass man sich quasi in einer Bubble aufhält, in der man die anderen immer nur aus der Ferne kennt und gar nicht so hundertprozentig komplex verstehen kann?
Jonas: Ja, das war auch für uns ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man ehrlich ist, haben wir bei "Gute Menschen" über Menschen geredet, die wir persönlich nicht kennen. Wir haben eher aus unserer Sicht über diese Leute gesprochen und sie kritisiert – was auch wichtig für uns war, um klar Stellung zu beziehen. Es ist ja auch im ersten Schritt wichtig, zu sagen: "Ich bin dagegen und finde das scheiße, weil ich eure Argumente scheiße finde." Aber bei "Warten auf den starken Mann" nehmen wir ja zum Beispiel die Perspektive eines Wutbürgers ein. Und dafür war es uns wichtig, dass man an Orte fährt, an denen das passiert. Wir waren im Rahmen des Songwritings, als wir uns über das Album einen Kopf gemacht haben, in Heidenau, Freital und in der Sächsischen Schweiz. Und wir haben uns dort auch die Menschen angeschaut. (überlegt) Angeschaut klingt jetzt so, als ob wir da im Zoo gewesen wären … Aber wir haben uns die Gegend angeschaut und uns auch mit Leuten unterhalten. Wenn man schon eine Haltung rausposaunt, finden wir es wichtig, dass diese auch irgendwie fundiert ist und auf dem beruht, was wir wirklich wahrnehmen. Das war für uns ein Schritt raus aus dieser Bubble. Aber ich glaube, das ist auch das Hauptproblem. Ich meine, du kannst ja die Nachrichten lesen, die dir gefallen, die auch vielleicht deine politische Färbung haben. Du liest jetzt wahrscheinlich eher kein "Breitbart" und die "Freie Presse". Oder wie heißt dieser rechtspopulistische Blog? Dort werden Themen anders argumentiert. Durch das Internet konsumiert jeder nur noch die Sachen, die ihn interessieren. Dann lebst du in einer "self fulfilling prophecy", die einfach nur das bestätigt, was du eh schon denkst. Dieser Effekt verstärkt sich, denke ich, durch das vernetzte Konsumieren von Nachrichten und den Austausch mit deinen Leuten. Ja, das ist auf jeden Fall ein Problem.
MZEE.com: Würdest du auch unterstreichen, dass es an beiden Enden des Spektrums das Problem gibt, dass da wenig Austausch stattfindet und sowohl die einen als auch die anderen in ihrer Blase leben?
Jonas: Ja. Da gibt es bei uns gerade auch so ein Umdenken, in dessen Rahmen man sich selbst hinterfragt. Macht es Sinn, jetzt noch mehr gegen AfD-Wähler zu schießen und die Wutbürger weiterhin zu verarschen? Oder nähert man sich an, springt über den eigenen Schatten und redet mal mit denen, argumentiert mit Leuten und bringt sie wieder zusammen an einen Tisch, ohne sich gegenseitig noch mehr abzuerkennen? Das haben wir die letzten Jahre ja schon genug gemacht. Was natürlich nicht heißt, dass man sich mit Vertretern der AfD, NPD oder der identitären Bewegung nur ansatzweise unterhalten sollte. Da kommt man nicht weiter. Aber zumindest die Menschen, die so viele geworden sind, sollte man jetzt nicht einfach nur wegdissen – auf "Rapdeutsch".
MZEE.com: Thom Yorke, zu dem ihr durch euren Namen ja einen gewissen Bezug habt, hat mal Folgendes gesagt: "We're at a time when we are being presented with undeniable changes in the global climate and fundamental issues that affect every single one of us, and it's the time we're listening to the most hokey shite on the radio and watching vacuous bullshit celebrities being vacuous bullshit celebrities and desperately trying to forget about everything." Findet ihr auch, dass mehr Promis ihre Plattform nutzen sollten, um sich politisch zu äußern?
Raffael: Ja, das ist irgendwie eine schwierige Diskussion. Wir werden echt oft danach gefragt. Und das ist ja auch ein spannendes Thema. Ich finde, dass Kunst nicht zwangsläufig politisch sein muss. Es muss sich nicht jeder gegen oder für irgendwas positionieren. Andererseits können die Leute, die viele Menschen erreichen, sich auch nicht einer bestimmten Verantwortung entziehen. Aber ich denke, das muss jeder Künstler selbst entscheiden. Natürlich freut man sich, wenn sich Leute mit einer großen Reichweite beispielsweise gegen rechts positionieren. Und es ist auch schön, dass es die Entwicklung gibt, dass es immer mehr Leute machen. Ich finde aber persönlich, dass es immer noch viel zu wenige machen. Manchmal kriegt man den Eindruck, dass jetzt Leute dazu übergehen, sich zu positionieren, weil es gerade so ein bisschen en vogue ist. Eine ernsthafte Auseinandersetzung findet ja nicht statt. Bei Helene Fischer finde ich es beispielsweise krass, dass sie einmal ein Hashtag macht und plötzlich tausende von Leuten sagen: "Jetzt hat sie sich endlich positioniert." Also, ich will der nichts falsch auslegen, aber ein Hashtag mit #wirsindmehr zu machen … Da kann man sich halt auch eindeutiger positionieren. Das ist schon so ein bisschen nach dem Motto: "Ich mach' jetzt das Hashtag, damit ich mich positioniere, aber ich mache nicht mehr, weil es ja auch Leute anpissen könnte." Das kann man natürlich aufnehmen als: Die größte Künstlerin in Deutschland positioniert sich. Aber andererseits denk' ich mir: Wenn sie sich wirklich hätte positionieren wollen, dann hätte sie auch mal mehr als ein Hashtag machen können. Aber wie gesagt, es bleibt jedem selbst überlassen. Wir freuen uns jedenfalls, wenn es mehr Statements gibt, bei denen man nicht so einen Marketing-Beigeschmack hat.
MZEE.com: Dadurch, dass eure Texte zumeist recht kryptisch und ironisch sind, verhindert ihr, plakativ und eindimensional rüberzukommen. Ist das eine Eigenschaft, die ihr auch an anderen Bands und Rappern schätzt?
Jonas: (schmunzelt) Das ist ja auch dieses typisch Deutsche. Da geht es um Ironie und Sarkasmus. Das ist halt schon noch ein bisschen so. Politische Statements eindimensional zu verpacken, war noch nie unser Ding. Auf der neuen Platte geht es sehr emotional um eine straighte Meinung und eine klare Linie. Nicht um dieses Kryptische. Aber das ist auch ein Teil von uns, definitiv. Ich finde es einfach spannender, mit einem gewissen Sarkasmus und Satire zu schreiben, um jemanden bloßzustellen. Wir sind jetzt keine Punk-Band, deren Antrieb es ist, irgendwie für Anarchie sorgen zu wollen und das System zu verändern. Wir machen Musik, weil wir uns mit unserer Kunst ausdrücken wollen. Wenn man Leute durch Sprache auf eine kreative und lustige Weise bloßstellt, finde ich es einfach spannender. Ich könnte jetzt keinen Song namens "Nazis auf's Maul" machen. Kann man machen, aber finde ich unspannend. Ich finde da den Subtext viel interessanter. Da kommt dann natürlich häufiger der Vorwurf – den nehme ich auch gerne an –, dass du dann umso mehr in deiner Blase bleibst. Denn natürlich können das nur die Leute einordnen, die dich verstehen und dein Werk sowie dich als Typen kennen, weil sie wissen, wofür du stehst. Sonst könntest du zum Beispiel bei "Gute Menschen" ja auch einfach die zweite Strophe als Manifest der AfD nehmen. Es ist natürlich Ironie, aber wenn das jemand liest, der uns gar nicht kennt, wird er sagen: "Was ist denn das für 'ne AfD-Band?" Das ist immer schwierig und ich verstehe auch, wenn man sagt, dass man sich hinter der Ironie versteckt. Aber uns geht es gar nicht so darum, die eigene Meinung herauszuposaunen. Das ist ja auch oft nicht so leicht, gerade in der sehr komplexen Zeit aktuell. Wie man mit der AfD und dem Rechtsruck umgeht … Da gibt es gerade schlichtweg keine einfachen Lösungen. Man wäre ja eh ein Populist, wenn man mit einfachen Parolen kommt. Uns geht es vielmehr darum, dass man diskutiert und einen Dialog oder zumindest den Diskurs anfängt. Dadurch kann man vielleicht eine Meinung entwickeln, die sinnhaft ist. Aber ein Song an sich ist einfach spannender, wenn er jetzt nicht so direkt mit der Pauschalkeule kommt, finde ich.
MZEE.com: Gibt es denn noch andere Künstler hierzulande, die ihr für ihre Texte feiert und die eurer Meinung nach Inhalte so formulieren, dass sie nicht zu plakativ rüberkommen?
Jonas: Ja, gibt es. Aber wir haben neulich festgestellt, dass wir nicht wirklich viel deutsche Musik hören. Also, man kriegt immer mal einen Song mit, den man feiert. Wenn ich jetzt aber etwas aufzählen müsste, würde ich wahrscheinlich zehn aufzählen oder gar keinen, weil ich mir keine deutschen Platten kaufe. Aber es gibt durchaus Künstler, die ich irgendwie spannend finde. Der gute Zweck heiligt allerdings nicht die wacken Mittel. Ich höre mir dann lieber einen schönen Song von Bosse an als einen politischen Track, der vielleicht die richtige Sache behandelt, aber stilistisch unter aller Sau ist. Rapmäßig höre ich tatsächlich eher unpolitische Tracks. Ich brauche nicht noch politische Musik, wenn ich selbst schon welche mache. Aber trotzdem ist das gut. Also, das ist jetzt kein Hate an Leute, die politische Musik produzieren.
MZEE.com: Findet ihr es eigentlich schade, dass man mit euch hauptsächlich über Politik spricht? Ihr behandelt ja auch noch andere Themen in eurer Musik, etwa die Frage nach dem Männlichkeitsbild unserer Gesellschaft …
Moritz: Nee, das ist eben gerade ein Thema, das viele Menschen bewegt. Deswegen werden wir auch gerade viel dazu gefragt. Die Hälfte des Albums besteht ja auch aus Songs, die sich damit auseinandersetzen. Also, nicht nur mit der rechtspopulistischen Bewegung, sondern auch mit anderen Sachen, die irgendwie gesellschaftlich beobachtend geschrieben sind. Aber wir haben auch andere Facetten auf dem Album, viele persönliche Tracks. Beim dritten Album ist es zum ersten Mal so, dass wirklich etwa die Hälfte sehr persönlich ist. Dazu gehören Songs wie "Hinterher", "Heimatschänke" oder "Wut lass nach". Darüber freuen wir uns auch, weil wir im Produktionsprozess auch eine Phase hatten, in der wir uns überlegt haben, was OK KID eigentlich ist. Wir haben ein Wochenende in Winterberg verbracht und überlegt, wo wir eigentlich hinwollen und was uns vielleicht stört. Da haben wir alle festgestellt, dass wir es von außen betrachtet ein bisschen langweilig finden. Es kann bei einer Band ja auch passieren, dass man sich daraufhin trennt oder mal eine Pause einlegt. Wir haben uns gefragt, worauf wir Bock haben, und ein Aspekt war, das Persönliche und vielleicht auch das Leichte und das Humorvolle mehr herauszustellen. Daraufhin haben sich die Songs dann auch in diese Richtung verändert.
MZEE.com: Sprechen wir noch ein bisschen über das Thema "Genre-Zuordnung". Bei euch verschwimmen die Grenzen zwischen Pop und Rap. Wo würdet ihr euch musikalisch am ehesten einordnen? Oder ist euch solch ein Schubladendenken zu bieder?
Raffael: Also, wir würden uns glaub' ich eher bei Experimental-Jazz oder Drone-Ambience wiederfinden … Nee, keine Ahnung. Wir haben darauf noch nie geachtet. Wir haben halt viele verschiedene Einflüsse in der Band. Das ist aber jetzt nichts Konzeptionelles. Es ist einfach so, dass wir drei in unseren Leben viel verschiedene Musik gemacht und gefeiert haben. Wir haben uns halt nie beschränkt auf "oh, der Track ist jetzt zu HipHop-mäßig, das können wir so nicht machen" oder "der Track ist jetzt zu 'was weiß ich was-mäßig'", sondern haben alles zugelassen. Und so ist es auf dem neuen Album auch. Aber es hat sich einfach intuitiv ein bisschen weg von so einer Beat-Ästhetik bewegt und hin zu einem eher bandigeren Sound. Das war aber nicht konzeptionell geplant, sondern ist im Songwriting einfach passiert. So wie es davor schon eine Melange aus verschiedenen Sachen war, ist es das jetzt auch wieder. Wir haben damit ja kein Problem, weil wir es selbst nicht benennen müssen, sondern andere. Und wie sie das dann benennen, ist ihr Problem. Wir sind amüsiert und erstaunt darüber, was da immer wieder rauskommt.
MZEE.com: Denkt ihr, dass es mehr Vor- oder Nachteile hat, dass ihr so schwer zuzuordnen seid? Ihr erreicht dadurch ein höheres Spektrum an Hörern und zugleich gibt es sicherlich Leute, denen eure Musik entweder zu Rap- oder zu Gitarren-lastig ist.
Jonas: Glaubst du denn, dass das heute noch so ist? Dass man noch in diesen Schubladen und Kasten denken muss? Heute haben die Leute doch einen Trap-Song neben einem von den Foo Fighters und einem EDM-Banger in ihrer Playlist. Ich glaube, 2018 muss man nicht mehr über Genres reden. Gerade im Deutschrap, wenn du siehst, was jetzt alles in diesem Kosmos stattfindet und was HipHop vor fünf Jahren in Deutschland war. Da stellen sich einigen True Schoolern die Nackenhaare auf. Es ist immer Evolution. Es geht immer weiter und ich glaube, ich könnte dir jetzt sofort zehn andere deutsche Künstler nennen, die du genauso wenig konkret zuordnen kannst. Bei uns war das halt von Anfang an so. Das ist ja das spannende. Wir haben 2006 mit der Vorgängerband Jona:S als vom Rap kommende Band angefangen, Musik zu machen, und haben als Band HipHop gemacht, was in Deutschland damals keiner getan hat. Es war verpönt, mal eine Hook zu singen. Es war verpönt, mit Live-Band aufzutreten. Wie viele HipHop-Künstler haben heute eine Live Band dabei – zumindest einen Drummer oder einen Gitarristen? Selbst die 187er spielen live mit Schlagzeug und Gitarre. Genauso wie jeder zweite Rapper aktuell eine krasse Hookline singt, die viel poppiger ist als alles, was wir bisher gemacht haben. Deswegen glaube ich, dass die Frage nach dem Genre 2018 ein bisschen veraltet ist.
MZEE.com: Ich bin da voll auf eurer Seite. Ich persönlich glaube nur nicht, dass das in den Köpfen der Leute zu hundert Prozent verschwunden ist …
Jonas: Aber die Leute, die noch so denken, sind eher die Älteren. Ich glaube, den Kids ist es scheißegal. Und das wird nachkommen, weißt du? Wenn du dir das international ansiehst: Was hat Lil Peep gemacht? Der hat Trap-Beats gehabt, aber Hooklines gesungen, die an blink-182 erinnern, mit Gitarrensounds. Das vermischt sich alles und ich glaube, dass man es irgendwann nicht mehr trennen kann. Wir klingen jetzt auf dem neuen Album natürlich sehr nach Band und sehr wenig nach 2018. Also, jetzt auch nicht nach 1996. (schmunzelt) Aber unser Album klingt nicht gerade wie der Zeitgeist.
MZEE.com: Eine andere Band, die auf verschiedenen Hochzeiten tanzt, ist Kraftklub. Die Band konnte mittlerweile ihr Kosmonaut-Festival etablieren. Wie sieht es mit eurem eigenen Stadt ohne Meer-Festival aus? Würdet ihr die erste Ausgabe als Erfolg bezeichnen?
Jonas: (grinst) Ja, es war megageil und ultraanstrengend. Durch das Festival hat das Songwriting wahrscheinlich dann doch ein bisschen gelitten. Also, nicht dass die Songs jetzt schlechter geworden sind, aber sie sind halt nicht so schnell fertig geworden. Wir haben einfach sehr viel Zeit in die Organisation für das Festival investiert. Aber es war megageil und wir arbeiten gerade schon an einem Line-up für 2019. Wir sind jetzt quasi in einer Zwitterfunktion: Band und Veranstalter.
(Steffen Bauer)
(Fotos von Stefan Braunbarth)